Future Store: Mit Smart Services den Kunden begeistern

Big Data, Künstliche Intelligenz und das Internet der Dinge machen aus dem alltäglichen Einkauf das Erlebnis Shopping.

Gewitzt, geschmackvoll, chic – im Duden finden sich Dutzende passender Synonyme für das englische „smart“. Von Smart Products hat man schon gehört, bei Smart Data müssen die meisten bereits zweimal nachdenken: Davon spricht man, wenn sehr große Datenmengen („Big Data“) hinsichtlich ihrer weiteren Verwendung im Business-Kontext ausgewertet werden. Interessant wird es, wenn sich smarte Produkte und Daten mit einer Internet-Plattform verbinden. Aus der Kombination von Sensoren, Prozessoren, Künstlicher Intelligenz (KI) und Cloud- und Internet-of-Things (IoT)-Anwendungen entstehen dann Smart Services – intelligente Dienste, die für Handelsunternehmen zahlreiche neue Möglichkeiten der Differenzierung im Wettbewerb bergen.

Der Einsatz von Smart Services er­öffnet Unternehmen aller Branchen ungeahnte Möglichkeiten der Kun­den­gewinnung und -bindung. Handelsunternehmen können solche da­ten­­ba­sierten, serviceorientierten Ge­schäfts­modelle maßgeschneidert und idea­ler­weise in „Realtime“ beziehen und ihre klassischen physischen Dienste damit ergänzen. So nutzen sie die digitale Transformation gewinnbringend für sich.

Im Vordergrund steht der Kundennutzen, nicht das Produkt

Auf Basis von IoT-Plattformen lassen sich Smart Services entwickeln und betreiben. Das Spektrum an Technologien ist breit und die Dynamik im Markt groß. Dies kann die Auswahl der geeigneten Plattform erschweren. Das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation (IAO) hat im September 2017 deshalb eine Marktstudie veröffentlicht („Internet of Things – IT-Plattformen für das Internet der Dinge“), die den Vergleich von IoT-Plattformen auf dem deutschsprachigen Markt ermöglicht. Basis ist ein Referenzmodell zur strukturierten Darstellung von Leistungsparametern und konkreten Funktionalitäten von IoT-Plattformen. Beim Smart Service steht nicht das Produkt im Vordergrund, sondern der Kundennutzen. Handelsunternehmen können ihre Kundenbeziehung automatisiert über Internet-Plattformen organisieren. Durch eine innovative Vernetzung von Hard- und Software, Daten und Services sowie das gemeinsame Agieren in einem Netzwerk können sie ihre etablierten Geschäftsmodelle durch nutzerorientierte Modelle ersetzen.

In seinem Alltag nutzt wohl jeder bereits Smart Services. Wenn er seine Paketlieferung per Tracking & Tracing über eine Webmaske verfolgt oder ein Mietauto über die Car-Sharing-App bucht beispielsweise. Zentral ist dabei der Vernetzungsgedanke: Je stärker Services übergreifend verbunden sind, desto attraktiver und nutzerfreundlicher gestalten sie sich.


Virtuelle Promoter

Auch ohne Brille greifen virtuelle Welten immer mehr in unseren Alltag ein. In Einkaufspassagen überraschen virtuelle Promoter verblüffte Passanten. Eine Kinect-Kamera, wie man sie von modernen Spielekonsolen kennt, bildet die Grundlage. Eine auf Schaufensterscheiben projizierte Figur lässt sich so per Gesten steuern und preist verschiedene Waren an.


Neue Arten der Wertschöpfung

„Für die Unternehmen ergibt sich eine ganz neue Art der Wertschöpfung“, erklärt Wolfgang Wahlster, Direktor des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz in Saarbrücken. „Wurde bisher das Produkt einmal verkauft, hat der Hersteller kaum noch Bezug zum eigentlichen Nutzer. Durch Smart Services hingegen bekommt er immer wieder Rückkopplung zum Kunden und kann im laufenden Betrieb neue Leistungen anbieten.“

Rückkopplung über Customer-Self-Service-Portale

Handelsunternehmen operieren seit einiger Zeit mit sogenannten Customer-Self-Service-Portalen – Weboberflächen, über die der Kunde sich einloggen und dann zum Beispiel Repara­turen zu seinem erworbenen Produkt in Auftrag geben kann. Über solche Tools verstärken Händler die Kundenbindung und können zusätzliche Up-Selling-Potenziale nutzen, indem sie etwa Versicherungen darüber anbieten. Weil E-Commerce-Erfolge belegen, dass konsequent digitale und automatisierte Prozesse einen hohen Servicelevel gewährleisten, machen sich solche neuen Möglichkeiten inzwischen auch andere Branchen zunutze, darunter der Versicherungssektor. Sascha Däsler, Manager bei der PPI AG, einem Entwickler von Customer-Self-Service-Portalen: „Große wie kleine E-Commerce-Anbieter machen der Versicherungsbranche vor, dass ein hoher Grad an Digitalisierung und Automatisierung nicht zu Lasten der Servicequalität geht. Der Kunde ist bereits digital, womöglich hat er seinen Vertrag digital abgeschlossen. Nun will er seine Serviceanfrage auch digital loswerden und das so schnell wie möglich, ohne Hindernisse. Er will sein Anliegen loswerden, aber dabei immer abgeholt werden.“

So erfährt der Kunde mehr Transparenz und Beschleunigung im Prozess und kann sichergehen, dass alles vollständig beim Unternehmen ankommt. Dieses wiederum stellt sicher, dass der Prozess End-to-End gedacht wird und der Endkunde eine Rückkopplung durch das Unternehmen erfährt.

Künstliche Intelligenz ist eine der Schlüsseltechnologien für Händler zum Aufsetzen von Smart Services und damit dem Steigern von Kundennähe, Wachstum und Profit. Es ist kein fernes Zukunftsszenario mehr, dass man alltägliche Einkäufe durch Systeme für Künstliche Intelligenz und Chatbots erledigen lässt.

On- und Offline ergänzen sich zu smarten Services

In der realen Welt demgegenüber soll es das Erlebnis-Shopping sein. Dort sind „online“ und „offline“ schon längst keine Gegensätze mehr, sondern ergänzen sich zu smarten Services. Omni- oder Multichannel – einst die Kür im Handel – ist längst Pflicht. Der Kanal wird zweitrangig, das Erlebnis steht im Vordergrund. Die Fachwelt spricht hier von „Budget-Retail“: Neben den Preis als Kaufargument tritt im stationären Handel immer stärker der Lifestyle. Den Discount, aber auch Einkaufszentren, stellt Budget-Retail vor neue Herausforderungen. Denn der nackte Preiskampf verlagert sich künftig ins Internet. AuthentiCity ist ein weiteres Schlagwort in diesem Zusammenhang. Es bedeutet: Der Store entwickelt sich zum Dreh- und Angelpunkt für die lokale Verankerung in einer Stadt und für die direkte Kommunikation mit der Community.

Unter Berücksichtigung sich stetig erweiternder technischer Möglichkeiten (digitale Schaufenster, Apps mit Rabattaktionen) erweitert man den Begriff Omnichannel heute zuweilen zu „Local Commerce“. Dieser nähert sich der Fusion von On- und Offline von der E-Commerce-Seite, indem stationäre Geschäfte mit dem Internet verbunden werden und umgekehrt. Hierbei geht es darum, Waren nicht nur über das Internet in Online-Shops oder über Marktplätze zu verkaufen, sondern stationäre Geschäfte mit dem Internet zu verbinden und umgekehrt. Inzwischen gibt es sogar regelrechte Local-Commerce-Marktplätze wie etwa Locafox.

Den Lifestyle zu vermitteln, bedarf Technologien und Strategien für eine zunehmend konvergente „Handelswelt“. Prozesse müssen in diesem Kontext End-to-End gedacht und gebaut werden. Das Internet of Things trägt dazu bei, dem stationären Handel neue Attraktivität zu verschaffen und das Einkaufserlebnis zu verbessern: Die Systeme können Kunden beispielsweise über deren Mobilfunkanbindung identifizieren, wenn diese den Laden betreten, und via Indoor-Navigation zu Produkten leiten, für die sie sich bereits im Vorfeld online interessiert haben. Mit Minisendern, sogenannten Beacons, ausgestattete Paletten sind ein Beispiel für solche cyber-physikalischen Einkaufsumgebungen. Sobald sich ein Kunde der Palette nähert, schickt ihm der Beacon Informationen zur Ware auf sein Smartphone.

Filialprozesse automatisieren durch Künstliche Intelligenz

So lassen sich viele Prozesse in der Filiale durch Künstliche Intelligenz automatisieren. Smarte Kühlthekensysteme prüfen Bestände und die Mindesthaltbarkeit. Selbstfahrende Einkaufswagen sind mit SB-Scannern ausgestattet. Augmented Reality wird für Produkt­anzeigen und mobile Scanfunktion im Bezahlvorgang eingesetzt.

Hohes Potenzial für Kostensenkung und smartere Services steckt im Management der Lieferketten. Gegenüber erfahrungsbasierten Schätzungen der Lagerhaltungskosten haben KI-unterstützte Abverkaufsprognosen eine deutlich höhere Treffsicherheit. Hier sind Einsparungen bis zu 50 Prozent möglich (Quelle: Akzente 2_17: McKinsey & Company, Inc.). Davon profitiert neben der Industrie insbesondere auch der Einzelhandel.

Digitalisierung im Warenlager

Im Lagerbereich ist Auffüllen der Regale per Roboter bereits Realität. Und doch ist im Warenlager noch Luft nach oben in Sachen Digitalisierung. Hier will die Deutsche Warenlager GmbH (DWLG) aus Garmisch-Partenkirchen Abhilfe schaffen. Sie entwickelt ERP-Systeme, die das Lagermanagement und die kaufmännischen Prozesse von der Einlagerung über die Entnahme und die Fakturierung bis zum Versand der E-Rechnung unterstützen. Die ERP-Lösung der DWLG identifiziert nicht nur Spitzenzeiten, sondern erkennt vorher, dass die Nachfrage anzieht und bald ein Minimalstand erreicht sein wird. DWLG-Geschäftsführer Mario Springer: „Das ist ein echter Wettbewerbsvorteil, denn wir ermöglichen auf diese Weise einen kostengünstigen Wareneinkauf – außerhalb der Spitzenzeiten, wenn die Ware billiger ist. So können wir den Bestellrhythmus unserer Kunden verbessern.“

Smarte logistische Wertschöpfungsketten ermöglichen, dass Waren immer schneller, transparenter und einfacher gehandelt werden können. Das ist insbesondere im Fashion-Bereich bedeutend. Der ungebrochene E-Commerce-Boom, häufige Kollektionswechsel, kleine Liefermengen und kurze Lieferzeiten, saisonale Auftragsschwankungen, Online- und Offline-Vertriebskanäle sowie eine Retourenquote von bis zu 50 Prozent bilden das Spannungsfeld, welches den Modehandel wie auch die Logistikexperten vor enorme Herausforderungen stellt. Diese manifestieren sich in immer komplexer werdenden Prozessen der Fashion-Logistik – induziert unter anderem durch Multi­channel-Distribution oder Omni­channel-Distribution, aber auch durch höhere Retourenquoten.

Intralogistische Lösungen für die Textilindustrie

Franz Stöger kennt die Anforderungen an E-Commerce-Logistik insbesondere für Fashion-Anbieter.

„Anprobieren vor dem eigenen Spiegel, kostenlose Rücksendung und Preisdruck durch starke Konkurrenz haben die Anforderungen im innerbetrieblichen Materialfluss für Produzenten und Hersteller signifikant erhöht“, weiß Franz Stöger, Vice President Market Sector Fashion bei der SSI Schäfer Automation GmbH, Graz/Österreich. Das Unternehmen hat einen Systembaukasten an intralogistischen Lösungen für Textilindustrie und Modehandel entwickelt, um den komplexen Anforderungen der Fashion-Branche gerecht zu werden. Handelsunternehmen können damit ein breites Produktspektrum lagern, Waren nach Auftragseingang schnell ausliefern, tägliche und saisonale Spitzen effizient bewältigen und ihr Retourenhandling optimieren.

In einer ähnlichen Lage befindet sich der Lebensmitteleinzelhandel. Home-Delivery und E-Commerce gewinnen an Bedeutung; die Unternehmen der Branche müssen sich damit auseinandersetzen, wie die zunehmende Digitalisierung den Markt und Konsumententrends beeinflusst. Zwar hat der stationäre Handel hier noch den größten Marktanteil, aber die großen Player wie Amazon stehen mit neuen Modellen wie der Lebensmittellieferung schon vor der Tür und decken dabei bereits komplette Wertschöpfungsketten von Produktion bis Verkauf ab. Auch dem regionalen Lebensmitteleinzelhändler ist es aber unbenommen, die neuen Technologien zu nutzen, um seinerseits smarte und innovative Lieferservices anzubieten und sein Kerngeschäft damit zu erweitern.

Der Kanal wird zweitrangig. Das Erlebnis steht im Vordergrund.

Die Veränderungen gehen hier so weit, dass aufgrund wachsender Bedeutung des E-Commerce sogar über neue Verpackungen von Lebensmitteln nachgedacht werden muss. Diese orientieren sich bislang an den Logistikanforderungen des Handels, indem sie für den Palettenversand optimiert und displayfähig sind.

Hier sind Hersteller und Händler gefordert, gemeinsam Lösungen zu erarbeiten, um die positive Entwicklung des E-Commerce zu unterstützen, so die Autoren einer aktuellen Studie der TU Berlin zu Zukunftstrends der Lebensmittellogistik. Die neuen technischen Möglichkeiten sind Basis für ein erhöhtes Anspruchsdenken der Kunden 4.0. Diese erwarten vielfältige physische und digitale Touchpoints, ständige Verfügbarkeit von Angeboten und kanalübergreifende Kommunikations- und Transaktionsmöglichkeiten. „Vor allem Kleinunternehmen, die die Mehrheit unserer Partner ausmachen, fehlt oftmals die Erfahrung und die Expertise, um professionelles Online-Marketing umzusetzen. Hierdurch überlassen sie den Wettbewerb um den Kunden 4.0 den Konzernen, die sich hochspezialisierte Marketing-Experten leisten können“, so Dominik Dreyer, Geschäftsführer Groupon Deutschland.

„Smart Service ergibt eine ganz neue Art der Wertschöpfung“, so Wolfgang Wahlster, Direktor, DFKI. (Photo by Jim-Rakete.de)

„Smart Service ergibt eine ganz neue Art der Wertschöpfung“, so Wolfgang Wahlster, Direktor, DFKI. (Photo by Jim-Rakete.de)

Das Unternehmen bietet mit seiner Rabattplattform ein Marketingtool für die lokale Service- und Produktlandschaft und ist für viele seiner Partner der erste digitale Touchpoint mit ihren Kunden. Dreyer: „Die meisten unserer Kunden probieren einen Service-Partner, wenn sie dessen Deal bei uns erworben haben, zum ersten Mal aus. Stimmen Service und Beratung vor Ort, kommen sie wieder.“ Smart an diesem Service ist, dass Groupon die angebotenen Leistungen zusätzlich partnerspezifisch über Affiliate-Marketing, SEO, SEM, E-Mail-Marketing, Mobile Push-Alerts an die Medien bewirbt.

Im Store schließen kassenlose Checkouts das smarte Einkaufserlebnis ab. Der Kunde transferiert die Einkäufe seiner Einkaufsassistenten-App. Diese gibt einen Strichcode aus, den der Kunde an der SB-Kasse einscannt. Per Fingerabdruck-Scan identifiziert er sich, die Bezahlung geschieht automatisch per Lastschrift. Neue Wege beim Bezahlen eröffnen sich auch für Online-Händler, und zwar insbesondere, wenn sie ihr Geschäft internationalisieren wollen. Der grenzüberschreitende Zahlungsverkehr im Online-Handel nimmt stetig zu, „rund 50 Prozent der Kunden haben schon einmal in ausländischen Shops gekauft“, sagt Dominik Haarmann, Country Manager bei Elavon Deutschland. Als Payment-Dienstleister stellt Elavon eine technologische Plattform zur Verfügung, um den internationalen Online-Handel zu vereinfachen. „Dem Kunden ist es wichtig, in der Heimatwährung bezahlen zu können“, weiß Haarmann. Fehlt die Möglichkeit, brechen die meisten den Kauf ab. Eine Plattform wie „Multi-Currency-Conversion“ von Elavon ermöglicht es Online-Händlern, ihre Produkte in unterschiedlichsten Währungen anzubieten und das Pricing den jeweiligen Marktgegebenheiten anzupassen. Mit Technologiepartnern werden gleichzeitig Anbindungen der Zahlungsplattform an Zahlungsterminals und Kassensysteme im stationären Handel entwickelt. So wachsen Online und Offline auch beim Payment zusammen – ein smarter Service für Kunden, die, egal wo sie sich befinden, immer in ihrer eigenen Währung bezahlen können.

Smart Services werden zum Dif­ferenzie­rungs­kriterium

Smart Services entstehen, wenn (Handels-)Unternehmen ihr spezifisches Kunden- und Prozesswissen mit Informationen aus Daten zusammenführen und über geeignete Schnittstellen dem Kunden zur Verfügung stellen. Bereits heute kommen im Handel selbstlernende Systeme zum Einsatz, um präzisere Abverkaufsprognosen zu stellen und Preise gewinnoptimiert festzulegen. Der nächste Schritt wären dann Chatbots, die Kundenservices übernehmen, und Lieferroboter für den Transport auf der letzten Meile. Amazon hat bereits 2016 die erste kommerzielle Drohnenzustellung durchgeführt. Der Aufbau solcher intelligenten Services wird für den Handel zum Differenzierungskriterium und damit mehr und mehr dafür verantwortlich, welche Wettbewerbsposition ein Unternehmen einnimmt.

von Frank Zscheile
f.zscheile@trendreport.de