Future Store – Kunden kennenlernen

Customer-Centricity: mit Smart Data mehr Wissen generieren

Genau wie Tante Emma einst die persönlichen Vorlieben eines jeden kannte, der ihren Laden betrat, muss ein modernes Handelsunternehmen heute über seine Kunden Bescheid wissen. Um sie an sich zu binden, ihnen individualisierte Angebote machen zu können sowie neue Käuferschichten zu erschließen. Alles im Kopf haben über seine Millionen von Kunden kann freilich ein Jeff Bezos nicht mehr. Deshalb nutzt der Amazon-Chef heute – und mit ihm bereits viele (stationäre oder Online-)Handelshäuser – das vorliegende Datenmaterial, um den Kunden besser kennenzulernen. So simulieren sie gleichsam den Tante-Emma-Effekt.

Zunächst waren es die Onlinehändler, die diese Methoden in den vergangenen 10-15 Jahren perfektioniert haben. Sie wissen, wie lange Kunden im E-Shop bei welchem Produkt verweilen, können Querverbindungen herstellen. So verfügen sie über große Mengen an Daten, die sie auswerten können, um den Käufer daraufhin individuell und personalisiert anzusprechen.

Zahl der Datenquellen steigt

Mit der Digitalisierung hat sich aber auch für stationäre Händler die Zahl der Quellen vervielfacht, aus denen heraus heute Daten zum Kunden entstehen. Vielfältige Informationen liegen zum einen in den IT-Systemen für Kundenmanagement (CRM) und kaufmännische Abwicklung (ERP).

Setzt ein Händler zusätzlich auf einen Online-Shop, kann er dem Kunden dort die Möglichkeit geben, Produkte zu bewerten. Diese Inhalte wiederum werden mit Kommentaren zusammengeführt, die über Social-Media-Kanäle entstehen. Serviceportale und Chat-Foren sind weitere Kanäle, über die sich Kunden aktiv einbinden lassen. Sie liefern auf diesen Wegen Informationen, die der Händler als Basis und Grundlage für künftige Geschäftsentscheidungen heranziehen kann.

Mobilfunkdaten nutzen

Hinzu kommen Daten, die ein Handelsunternehmen von außerhalb hinzukaufen kann. Zum Beispiel sind Mobilfunkdienstleister heute in der Lage, anhand von Handydaten Bewegungsmuster ihrer Kunden vor oder in einem Geschäft aufzuzeichnen. Durch zusätzliche Verfahren lässt sich sogar ermitteln, aus welchem Einzugsgebiet die Menschen ein Geschäft aufsuchen und welche Verkehrsmittel oder Routen sie dabei bevorzugen. Die hierbei erstellten statistischen Analysen enthalten grundsätzlich Aussagen über Personengruppen, nie über einzelne Personen. Die Identität der Mobilfunkkunden wird also geschützt; sie haben zudem die Wahl, sich von der anonymisierten Datenanalyse abzumelden.

Diese anonymisierten und nach allen Regeln des deutschen Datenschutzes erhobenen Informationen kann ein Händler nutzen. Der Mobilfunkanbieter stellt ihm dafür präzise formulierte Analyseergebnisse und Empfehlungen zur Verfügung, die eine vorab besprochene Fragestellung abdecken, etwa in Form von Reports oder statistischen Ansichten. So gewinnt der Händler Aufschluss darüber, welche Waren wie und an welcher Stelle im Shop positioniert werden sollten, damit der Kunde seine Schritte genau dorthin lenkt. Er kann seine Öffnungszeiten optimieren, Marketingkampagnen planen und Standorte grundsätzlich bewerten – eine konkrete Unterstützung durch Big Data, um Kunden einen optimalen Service und ein besseres Einkaufserlebnis anzubieten.

Die Herausforderung für Handelsunternehmen ist es nun, die komplexen und strukturierten wie unstrukturierten Datenmengen aus allen Quellen in einem großen Datenpool zusammenzuführen, Stichwort: Big Data. Es entsteht eine Wissensbasis, an der das Unternehmen mit intelligenten Analysetools ansetzen und daraus Erkenntnisse ableiten kann.

Daten analysieren und daraus die Customer-Journey gestalten

Richtig analysiert, vermitteln die Daten dem Handelsunternehmen einen ganzheitlichen Blick auf seinen Kunden und ermöglichen die Ausgestaltung individualisierter Customer-Journeys – der entscheidende Faktor für Kundenbindung und -neugewinnung. Denn wer den Kunden online und offline „verfolgt“, kann seine Entscheidungen besser nachvollziehen, um daraufhin entsprechende Maßnahmen zu ergreifen. Tatsache ist dabei aber auch, dass zwar über alle Branchen hinweg viel über datengetriebene Wertgenerierung gesprochen wird, nicht mehr als rund ein Drittel der Unternehmen jedoch über eine Strategie verfügt, wie Big-Data-Maßnahmen konkret umzusetzen wären. Mit 37 Prozent liegt der Handel hier im Mittelfeld (Quelle: © Mit Daten Werte schaffen 2016, KPMG, 2016).

Um die Möglichkeiten der Digitalisierung im Handel anzuwenden und zu nutzen, kommt es nach Ansicht von Stefan Maack von der Arithnea GmbH, Spezialist für Customer-Experience, neben Kreativität im Kern auf den Nutzerfokus an – die viel zitierte Customer-Centricity. „Dazu muss man die Technik genauso verstehen wie den Markt, den Kunden und die Marke“, wie der Business Unit Manager Kreation bei Arithnea erklärt.

In den Lösungen des Anbieters spiegelt sich deshalb das Erlebnis „Marke“ bei den relevanten Touchpoints ebenso wider wie bei der Anwendung des Produkts oder der Dienstleistung selbst. Dabei nutzt Arithnea alle Facetten der digitalen Kommunikation bis hin zum Corporate Design. Wie man Shopping-Kanäle durchdacht zusammenführt, hat QVC Deutschland vorgemacht. Seit 1996 ist das Unternehmen in Deutschland aktiv und mit seinem Mix aus SmartTV, Web und Mobile Shopping per App heute eines der erfolgreichsten digitalen Handelsunternehmen hierzulande. Eine wichtige Rolle, um den Kunden besser kennenzulernen, spielt für QVC der Kundenservice. Mathias Bork, CEO von QVC Deutschland: „Unsere Servicemitarbeiter kümmern sich um mehr als nur die reine Bestellabwicklung. Sie sind auch als Shopping­assistenten geschult und stehen unseren Kunden mit Rat und Tat zur Seite. Dadurch lernen wir viel über Vorlieben und können Trends erkennen.“

Wer heute omnichannelfähig sein will, benötigt volle Synchronisation von der Warenwirtschaft bis zum E-Commerce. Traditionelle Handelsunternehmen sind dazu oft noch nicht in der Lage, sowohl von der technischen Infrastruktur wie vom organisatorischen Aufbau.

Beratungshäuser, die den Handel beim Sprung in die digitale Zukunft unterstützen, müssen daher oft von Grund auf an die Sache herangehen. Michael Tsifidaris, Aufsichtsrat der KPS Consulting AG, vergleicht den kompletten Implementierungsprozess anhand eines Altbaus und Neubaus: „Wenn ein Change im Unternehmen stattfinden soll, gibt es zwei Wege: Mit Kraft an allen Schrauben drehen. Oder man baut direkt ein ganz neues Unternehmen, frei von alten Restriktionen und zieht dann in das neue Gebäude.“

Rapid Transformation nennt KPS diese Methode – ein Consulting-Ansatz, der sich in Zeiten großer Umbrüche wie der digitalen Transformation als probat erwiesen hat. Der Dienstleister setzt sich dabei mit dem Management des Handelsunternehmens zusammen, definiert Geschäftsziele und Business-Cases, die eine Handelsplattform beinhalten soll. KPS erstellt auf Basis dieser Konfiguration in agilen Verfahren die neue Plattform unter Einbeziehung gängiger Softwarelösungen. Nach sechs bis zwölf Monaten sind in den Projekten des Dienstleisters komplett neue Handelsprozesse aufgesetzt und laufen produktiv.

Die digitale Transformation zwingt den stationären Handel, sich neu zu erfinden und Online-Service zu integrieren, um gegenüber dem reinen Online-Handel wettbewerbsfähig zu bleiben. Standortdienste oder auch „Location-based Services“ sind eine Ausprägung der Digitalisierung, mit der stationäre Einzelhändler das Kauferlebnis des Kunden verbessern und die Customer-Journey gezielt beeinflussen können. So bestückt die Chep GmbH ihre Paletten mit Minisendern, sogenannten Beacons. Nähert sich im Laden ein Kunde der Palette, sendet ihm der Beacon Informationen zur Ware auf sein Smartphone.

Dreiklang zum besseren Verständnis des Kunden

„Der Kunde will unmittelbar für seine Treue belohnt werden“, weiß Dr. Christoph Peitz von Osram.

„Der Kunde will unmittelbar für seine Treue belohnt werden“, weiß Dr. Christoph Peitz von Osram.

Auch Osram ist in diesem Bereich mit seiner „Einstone“-Smart-Retail-Solution, einem in die Lichttechnik integrierten Standortdienst, seit einiger Zeit aktiv. Dr. Christoph Peitz, Director Smart Positioning Solutions bei der Osram GmbH, skizziert den Dreiklang zum besseren Verständnis des Kunden: „Infrastruktur für Standortdienste, wie sie die Einstone-Technologie ermöglicht, IT-Dienste wie Apps und Analyse-Software sowie das Einverständnis und die Motivation des Kunden.“ Location-based Services helfen auch dabei, Daten zum Nutzerverhalten zu generieren – das Einverständnis des Kunden vorausgesetzt. So werden sie zu einer weiteren Quelle von Daten, die ein Handelsunternehmen analysieren kann, um einen ganzheitlichen Blick auf seinen Kunden zu erhalten.

Abrechnung im Outsourcing

Nach dem Einkauf kommt das Bezahlen. Gerade als Webshop-Betreiber, aber auch im stationären Handel hat man es oft mit einer Vielzahl kleiner Einzelbuchungen zu tun. Alle Zahlungsvorfälle zu bearbeiten und zu überwachen, wird zur zeitraubenden Tätigkeit, die schnell vom Kerngeschäft ablenkt. Hier greifen Dienstleister wie nexnet, Lösungsanbieter von Rating & Billing, Debitoren- & Forderungsmanagement. nexnet führt für seine Kunden Massenabrechnungen im Zuge des „Business Process Outsourcing“ (BPO) aus und übernimmt den kompletten Online- und digitalen Abrechnungsprozess bis hin zur monatlichen Buchhaltungsauswertung. Ab dem Zeitpunkt, zu dem der Kunde seine Artikel im Warenkorb ablegt und die Zahlungsweise auswählt, hat der Shopbetreiber mit dem Vorgang somit nichts mehr zu tun. Periodisch erhält er die Geschäftsabschlüsse des BPO-Anbieters, der dafür auch die Haftung übernimmt.

Die Filiale der Zukunft, in der die bereits technisch möglichen Spielarten der Digitalisierung voll ausgeschöpft werden, ist heute noch nicht an jeder Straßenecke Realität. Doch werden stationäre Händler künftig immer stärker auf digitale Mittel setzen, um das Kundenerlebnis, die „Customer-Experience“, zu verbessern. Während Shopping auf diese Weise wieder zum Erlebnis wird, kann man alltägliche Einkäufe getrost durch künstliche Intelligenz und Chatbots erledigen lassen. Für den obligatorischen Samstags-Lebensmitteleinkauf bringt man selbstlernenden Systemen etwa bei, was auf die Einkaufsliste gehört. Sie geben automatisiert die Bestellung im Online-Shop ab und sorgen für die Lieferung bis zur Haustür. Der Begriff „Künstliche Intelligenz“ ist nach Ansicht von Stefan Maack von Arithnea hier jedoch nicht angebracht. „Wir sollten eher von reaktiver Intelligenz reden“, findet er. „Denn bis heute können Maschinen nur reaktiv agieren, das heißt, sie brauchen eine Aufgabe und Daten. Was den Handel stark beeinflussen wird, ist die Veränderung dieser Schnittstelle zwischen Mensch und Maschine.“

Einkaufen ist nicht gleich Shopping: Virtuelle Assistenten werden schon in wenigen Jahren unsere alltäglichen Einkäufe erledigen. Dem Einzelhandel bietet dies die Chance, Shopping zum Erlebnis werden zu lassen.

Einkaufen ist nicht gleich Shopping: Virtuelle Assistenten werden schon in wenigen Jahren unsere alltäglichen Einkäufe erledigen. Dem Einzelhandel bietet dies die Chance, Shopping zum Erlebnis werden zu lassen.

Erlebnis-Shopping vs. automatisierter Standardeinkauf

So wird sich das Einkaufsverhalten künftig immer stärker diversifizieren. Die Deckung des Grundbedarfs wird automatisiert, auf der anderen Seite wird Shopping zum Erlebnis, angefeuert durch neue Services der stationären Händler, die Online- und Offline-Mög­lichkeiten miteinander verweben. Der Frage, wie virtuelle Welten, digitale Assistenten und mobile Kommunikation den Handel verändern und wie unsere Shopping-Welt in zwanzig Jahren aussehen wird, ist QVC in seiner Zukunfts­studie Einkaufen 2036 nachgegangen.
Auf Basis aktueller Theorien zum Konsum der Zukunft formulierte Trendforscher und Studienleiter Prof. Peter Wippermann fünf Thesen für das Jahr 2036. Zehn Experten aus stationärem Handel, E-Commerce, IT und Wissenschaft haben diese Thesen analysiert, diskutiert und weiterentwickelt. Weitere Erkenntnisse lieferten Konsumenten-Workshops, realisiert von Trend­büro Hamburg und TNS Infratest: Im ersten Schritt verrieten Kinder aus der Generation Z im Alter von zehn bis dreizehn Jahren, wie sie sich das Shopping der Zukunft vorstellen. Im zweiten Schritt gaben Mitglieder der Generation Y im Alter von 20 bis 26 Jahren zu diesem Thema Auskunft.

von Frank Zscheile