Future Store 2.0 – Handel mit Zukunft
Location-based Services lassen reale und virtuelle Welten verschmelzen und geben dem stationären Handel viele Chancen, intelligente und agile Interaktion mit dem Kunden zu realisieren.
Eigene Modelabels und Logistik-Dienstleister, Prime Now und jetzt sollen auch noch Supermärkte kommen. Mit gemischten Gefühlen verfolgt man im stationären Einzelhandel derzeit, wie konsequent und erfolgreich Amazon-Chef Jeff Bezos nach und nach komplette Wertschöpfungsketten von der Produktion bis zum Verkauf besetzt. Dabei gibt es durchaus Handlungsoptionen, ganz unabhängig von einer Kooperation mit dem US-Konzern. Der technologische Fortschritt in Sachen IT und die digitale Transformation geben auch dem stationären Handel heute zahlreiche Hebel an die Hand, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln, Online- und Offline-Welt zu verbinden und damit neben den großen Playern zu bestehen. In der Tat ist es eine Revolution, die derzeit im Handel stattfindet. Getrieben wird sie von zwei Seiten: Zum einen eröffnen sich Handelsunternehmen ganz neue Möglichkeiten der Geschäftsgenerierung durch technologische Entwicklungen und die Fähigkeit, sehr viele Informationen in Echtzeit bereitzustellen und zu verarbeiten. Die digitale Transformation ist im Handel angekommen, daran besteht kein Zweifel. Traditionelle Verkaufsstrategien geraten durch sie in den Hintergrund, neue Kanäle erschließen sich. Auf der anderen Seite stehen die Kunden: Aus dem Consumer-Bereich, durch die Nutzung von Smartphones und Tablets, sind sie daran gewöhnt, Informationen mobil und in Echtzeit abzurufen und damit das beste Ergebnis in ihren täglichen Entscheidungen zu erzielen. Dies erwarten sie wie selbstverständlich auch vom Handel.
Interviews
Die TREND-REPORT-Redaktion im Gespräch mit Kai Derda, Chep: „Unsere Indoor-Location-Lösung für Promotion-Tracking bringt Transparenz und Agilität in die Lieferkette.“ Mehr auf https://trendreport.de/promotion-tracking
Dr. Christoph Peitz von Osram beschreibt im Interview nachrüstbare Infrastrukturlösungen für Location-based Services. https://trendreport.de/location-based-service
Giorgios Karachos erklärt im persönlichen Gespräch spannende Anwendungszwecke von Indoor-Navigation für Einkaufszentren, Museen, aber auch öffentliche Gebäude. https://trendreport.de/indoor-navigation
Mit dem Smartphone durch den Supermarkt
Erfolgreich sind deshalb die Unternehmen, denen es gelingt, die neuen Technologien und unterschiedlichen Absatzkanäle intelligent zu nutzen und miteinander zu vernetzen. So könnte bald der Blick in einen Supermarkt, in einen „Future Store“, aussehen: Mit dem Smartphone scannt der Kunde Produkte ein und die auf dem Gerät installierte Einkaufsassistenten-App zeigt ihm sofort aktuelle Preisinformationen an. Sie weist auch den Weg zu bestimmten Waren im Markt und erstellt Einkaufslisten. Nähert sich der Einkäufer einer Warenpalette, beginnt diese per Funkchip mit dem Smartphone zu kommunizieren. Auch die tiefgekühlten Lammkoteletts sind mit RFID-Technologie ausgestattet. So registriert die Kühltruhe, wann ein Produkt entnommen wurde und kann selbstständig Nachlieferungen beim Lieferanten auslösen. Die Beendigung seiner Einkäufe teilt der Kunde der Einkaufsassistenten-App mit, die daraufhin einen Strichcode ausgibt, den der Kunde an einer der SB-Kassen einscannt. Geht es ans Bezahlen, muss niemand mehr seine Geldbörse zücken. Es genügt, den Finger kurz auf einen Scanner zu legen, der Kunde wird erkannt, die Bezahlung erfolgt automatisch per Lastschrift.
Geht man nach Prof. Dr. Wippermann befinden wir uns im Jahr 2036 zwischen Dash-Button und Robo-Shopping. „Shopping wird zukünftig geprägt sein von spielerischen Elementen und digitalen Assistenten, die heute bereits beginnen unseren Alltag zu erobern“, sagt der Hamburger Trendforscher in einer aktuellen Studie von QVC voraus. Dank neuer technischer Möglichkeiten müssen Freunde und Familie 2036 jedoch nicht mehr zwangsläufig live dabei sein. Jeder fünfte Deutsche (19 Prozent) kann sich (sehr) gut vorstellen, künftig „gemeinsam im Online-Chat oder in der virtuellen Realität shoppen zu gehen.“ Automatisierung und vernetzte Prozesse also, wohin man blickt. Das skizzierte Szenario ist in seiner Gesamtheit sicher noch Zukunftsmusik, doch die einzelnen Komponenten sind längst von der Industrie entwickelt und immer öfter bereits im Einsatz. Das „Internet der Dinge“ – es ist also keine reine Angelegenheit von Industrie (4.0), sondern hat sich in unserer Alltagswelt etabliert. „Umgekehrt wird die Automatisierung auch das Einkaufsverhalten der Kunden grundlegend verändern. Bei den wöchentlichen Lebensmitteleinkäufen bringt der Konsument etwa selbstlernenden Systemen bei, was er am Samstagvormittag üblicherweise einkauft“, prognostiziert etwa David Klemm, Head of Acceptance Development Germany bei Mastercard. Diese setzen dann die entsprechenden Bestellungen im Internet ab und sorgen dafür, dass die Einkäufe vor die Tür geliefert werden.
Retail-Trend: personalisierte Preise
Personalisierte Preise: Umsatzgarant oder Kundenschreck? Gleich nach der heute marktüblichen Praxis, Kunden mit personalisierten Angeboten und personalisierter Werbung, wie z. B. via Mobile Couponing oder personalisierten Online-Angeboten, zu begeistern, folgt jetzt das personalisierte Pricing.
Personenabhängig unterschiedliche Preise für gleiche Produkte zur selben Zeit. Im persönlichen Offline-Kontakt zwischen Händlern und Kunden eigentlich schon immer üblich, ermöglichen Big Data und Digitalisierung das jetzt auch digital. Anbieter wie etwa So1 entwickeln spezielle Technologien, die es Händlern ermöglichen, jedem ihrer Kunden beim Besuch des stationären Geschäfts individuelle Rabatte auf Basis seines Kaufverhaltens anzubieten.
www.trendreport.de/personalisiertes-pricing
Für die Händler bedeutet dies: Sie müssen künftig ganz anders funktionieren. Die Kommunikation mit dem Kunden findet nicht mehr über die Postwurfsendung zu aktuellen Sonderangeboten statt, sondern mittels der entsprechenden App. Vor diesem Hintergrund müssen sich die großen Marken neu erfinden, um nicht zu verwässern. Eine Software kennt eben keine persönliche Beziehung zum „Händler des Vertrauens“. Sie gelangt unter Umständen zu ganz anderen Entscheidungen, bei wem der Kunde künftig kauft. Der Händler muss folglich den Kunden dazu bringen, dass er der Maschine beibringt, eine Präferenz für ihn zu entwickeln, die sich nicht nur am Preis misst. Diese Customer-Experience lässt sich etwa beeinflussen über Loyality-Programme respektive entsprechende Apps. Dass Marken verwässern, darüber ist sich Kai Derda, Country General Manager der Chep Deutschland GmbH, nicht so sicher. Chep ist einer der weltweit führenden Anbieter im Pooling von Paletten und Behältern mit einem Pool von über 300 Millionen Ladungsträgern. Derda sieht vor allem den Trend, dass Markenprodukte auch bei Discountern immer stärker gelistet werden. Sowohl über die Marke als auch durch Interaktion wird versucht, den Kunden in den Laden zu holen.
Location-based Services
„Neue technische Möglichkeiten versetzen die Industrie in die Lage, immer stärker in den Handel einzugreifen und darüber den Markenaufbau zu forcieren“, sagt Kai Derda. Ein Instrument sind dabei ortsbezogene Dienste, sogenannte agile Location-based Services. Sie ermöglichen dem Smartphone-Nutzer, Orte in der nahen Umgebung zu finden, die von Interesse sein könnten. Wie solche Dienste im Handel zum Einsatz kommen können, zeigt das Beispiel der Chep GmbH, die in ihre neuen Promotion-Paletten Minisender, sogenannte Beacons, implementiert hat. Die Palette wird damit vom reinen Ladungs- zum Informationsträger. Nähert sich ein Smartphone-Besitzer den Beacons, registriert der Sender dies via „Bluetooth Low Energy“ (BLE) und kann dem Gerät eine Nachricht übermitteln. Der Hersteller bucht sich also im Einkaufsmarkt für bestimmte Verkaufsflächen ein und kontrolliert über die webbasierte Benutzeroberfläche, wie der Abverkauf seiner Ware gelaufen ist. So entsteht Performance und Transparenz über die komplette Lieferkette von Display-Promotions.
Verbindung von physischer und digitaler Welt
Für den stationären Einzelhandel haben Location-based Services im Kontext der digitalen Transformation daher eine hohe Priorität. Auch zahlreiche Marktforschungsinstitute prognostizieren einen starken Anstieg solcher Dienste. Ihr Ziel: Das Kauferlebnis des Kunden zu verbessern, und dies zu überschaubaren Kosten. Mobile Endgeräte nehmen dabei eine Schlüsselrolle ein – verbunden mit mobile-affinen Nutzern, permanenter Internetverfügbarkeit, günstiger Infrastruktur sowie dem Verschwimmen von Verkaufskanälen online, offline und mobil. Mit Osram betritt erstmals ein großer Hersteller den Markt. Die neue Indoor-Location-based-Services-Lösung kann ohne viel Aufwand in bestehende Lichtsysteme nachgerüstet werden und soll ein ganzheitliches Kundenverständnis und ein herausragendes Kundenerlebnis vor Ort bieten. Dies geschieht unter anderem über eine Loyalty-App. Diese beinhaltet digitale, personalisierte Gutscheine für den stationären Endkunden und nutzt die Beacon-Funktionalität, um diverse Dienste vor Ort auszuspielen.
trendreport.de – Fachbeiträge und Interviews
Stefan Steudel von Bayard Consulting erläutert Lösungen für die dynamische Informationsbeschaffung von Produktdaten. www.trendreport.de/erfolg-durch-transparenz/
Datengetriebene Kundenbindung und -zentrierung. Dirk Kemmerer von arvato digital erläutert, wie compliancekonformes Datenhandling zur vollsten Kundenzufriedenheit funktioniert. https://trendreport.de/mehrwerte-durch-kundenwissen-schaffen/
Kundenverständnis zurück in den stationären Handel holen
„Alle sprechen von Omnichannel und Customer-Experience, aber was heißt das konkret?“, fragt sich Dr. Christoph Peitz, Director Smart Positioning Solutions bei der Osram GmbH. Wunschvorstellung wäre sicherlich eine individuelle Betreuung am PoS, wie es sie früher einmal bei Tante Emma gab. Dass der Einzelhandel dies unter den heutigen Gegebenheiten so nicht mehr leisten kann, liegt auf der Hand. Neue technologische Entwicklungen wie die „Osram“-Einstone-Smart-Retail-Solution sollen deshalb diese Customer-Experience zumindest perfekt simulieren – und darüber hinaus, denn mit dem Gedächtnis von Tante Emma für die speziellen Vorlieben ihrer Kunden können sie locker mithalten. Die Herausforderung liegt also darin, diese Art des Kunden-Verstehens zurück in den stationären Handel zu holen.
Indoor-Location-based Services eignen sich grundsätzlich für Shoppingcenter, wo sie den Smartphone-Nutzer zu diversen Zielen leiten, zum Beispiel Shops, Parkplätzen oder Service-Points. Innerhalb der Shops können Marketingflächen definiert und für gezielte Produkt-Werbung verwendet werden. Anhand genauer Analysen der Kundenbewegungen kann der Händler vergleichsweise sichere Aussagen über die Vorlieben und Verhaltensmuster des Kunden treffen und basierend darauf seine Angebote individuell zuschneiden, Stärken und Schwächen identifizieren und die Wirksamkeit seiner Marketingmaßnahmen evaluieren. Die Qualigon GmbH ist ein Unternehmen, das sich mit der konkreten Implementierung solcher Services beschäftigt. Gründer und Geschäftsführer Giorgios Karachos erwartet, dass die Lokalisierungs-Technologie immer stärker zu einem Standard-Produkt ähnlich wie GPS wird. „Die verwendete Infrastruktur wird ein integraler Bestandteil der Gebäudetechnik sein, wie z. B. Brandmeldeanlagen und andere Komponenten im Rahmen von Smart Buildings“, erklärt er. Bei Qualigon hat man auch erkannt, dass sowohl Handel wie Industrie ein starkes Interesse an den Möglichkeiten der Lokalisierung zeigen, und zwar vor allem für positionsbezogene Analysen.
Auch durch Industrie 4.0 erleben Lokalisierungstechnologien einen starken Aufschwung, wie Giorgios Karachos beobachtet. So sei die Kenntnis der Position von Gütern und Geräten für einen optimierten Produktionsprozess ein immer wichtiger werdendes Kriterium. Man unterscheide dabei die Personenführung, z. B. im Alleinarbeiterschutz, und den Bereich „Internet of Things“, bei dem eine Kommunikation zwischen Geräten und Maschinen notwendig ist.