Deindustrialisierung: Kostenfalle und Überproduktion – Automobilbranche in der Krise

Die deutschen Automobilhersteller und ihre Zulieferer stecken in einer der schwierigsten Phasen ihrer Nachkriegsgeschichte. Sinkende Nachfrage, hoher Kostendruck, Unsicherheiten im Handel – all das drückt auf die Profitabilität. In vielen Werken wurde bereits Kurzarbeit angemeldet, in manchen Fällen drohen Werksschließungen oder Restrukturierungen. Zusätzlich verschärft sich die Lage durch neue Zölle aus den USA: Ab 1. Oktober sollen schwere LKW-Importe mit 25 % Zöllen belegt werden. MarketScreener Deutschland+2GTAI+2

Nachfolgend ein aktueller Überblick über die Entwicklungen, Hintergründe und eine Einschätzung: Warum trifft es Deutschland besonders hart? Und was steckt hinter Schlagzeilen wie „neuer Audi für 28.000 Euro aus China“?


Kurzarbeit und Werksschließungen: Beispiele & Ausmaß

Kurzarbeit in Automobil- und Zulieferbetrieben

  • In vielen kleineren und mittleren Autozulieferern (z. B. in der Oberpfalz) werden derzeit Kurzarbeitsregelungen umgesetzt. Dort berichten Betriebe wie Benteler, Grammer, Läpple oder ZF über Produktionsunterbrechungen und reduzierte Auslastung. Onetz

  • Der Branchen-Ticker von Auto Motor & Sport sammelt fortlaufend Meldungen über Sparprogramme, Stellenabbau und Produktionspausen in Automobilindustrie und Zulieferbetrieben. auto motor und sport

  • Große Konzerne reagieren ebenfalls: Bosch plant einen massiven Stellenabbau mit Fokus auf deutsche Standorte. Deutschlandfunk+1

  • Im Gesamtjahr 2025 wurden in der deutschen Automobilbranche laut EY netto rund 51.500 Arbeitsplätze abgebaut – das entspricht fast 7 % der Beschäftigten. t-online

Diese Zahlen deuten darauf hin, dass Kurzarbeit vielerorts als Übergangslösung dient, jedoch für manche Unternehmen auch der Einstieg in tiefergehende Umstrukturierungen ist.

Werksschließungen und Standortaufgaben

  • Der Konzern ThyssenKrupp kündigte die Schließung seines Federnwerks in Hagen an – rund 300 Mitarbeiter betroffen, lediglich 30 bis 40 Stellen sollen erhalten bleiben. Bild

  • In der Zulieferbranche warnt man vor „massivem Jobabbau“ und drohenden Werksschließungen – von Bosch über Continental bis ZF. LabourNet Germany

  • Bereits heute werden Werke wegen mangelnder Auslastung oder fehlender Aufträge heruntergefahren. Besonders betroffen sind oft Anlagen, die Komponenten für Verbrennungsmotoren oder klassische Automobilteile fertigen, da der Übergang zur Elektromobilität Kosten- und Nachfrageverschiebungen erzeugt. auto motor und sport+2LabourNet Germany+2

Während viele Manager öffentlich noch von „vorübergehenden Maßnahmen“ sprechen, wächst bei Gewerkschaften und Betriebsräten die Besorgnis: In etlichen Fällen sind diese Eingriffe tiefgreifender, als zunächst kommuniziert.


Die neuen US-Zölle auf schwere LKW – eine zusätzliche Belastung

Die Nachricht hatte es in sich: Der US-Präsident hat angekündigt, ab dem 1. Oktober schwere LKW-Importe mit einem Zoll von 25 % zu belegen. MarketScreener Deutschland+2Handelsblatt+2 Offiziell soll diese Maßnahme dem Schutz einheimischer US-Hersteller dienen. Handelsblatt+1

Für deutsche Hersteller und Zulieferer könnten die Zölle gleich mehrfach spürbar sein:

  1. Direkter Handelsdruck
    Wer direkt LKW oder schwere Nutzfahrzeuge in den US-Markt liefert, steht unter Wettbewerbsnachteilen. Ein Import mit 25 % Zoll verteuert die Produkte erheblich.

  2. Umleitung von Fertigungskapazitäten nach Mexiko oder in die USA
    Einige Konzerne betreiben bereits Werke in Nordamerika oder in NAFTA-Regionen, um Importzöllen zu entgehen. GTAI+1
    Bei Traton (VW-Tochter für Nutzfahrzeuge) bestehen bereits Produktionskapazitäten in Mexiko, was strategisch relevant werden könnte. MarketScreener Deutschland

  3. Signale für protektionistische Tendenzen
    Die Zölle senden – über den Nutzfahrzeugbereich hinaus – ein Signal: Handelspolitik darf zunehmend als Instrument nationaler Industriepolitik eingesetzt werden. Das erhöht das Risiko für Gegenmaßnahmen, Handelskonflikte und Unsicherheit in Investitionsentscheidungen.

Laut der Deutsch-Amerikanischen Handelskammer (GTAI) belasten solche US-Zölle deutsche Unternehmen sehr unterschiedlich; strategisch reagieren einige Hersteller bereits mit verstärkten US- bzw. NAFTA-Investitionen. GTAI


Warum gerade Deutschland? Ursachen der Krise im Fokus

Die Probleme der deutschen Automobil- und Zulieferindustrie sind vielgestaltig – die US-Zölle sind nur ein zusätzlicher Baustein. Im Folgenden die zentralen Ursachen und Dynamiken:

1. Überkapazitäten und Nachfrageflaute

Deutschland (und Europa) besaß über Jahrzehnte hohe Produktionskapazitäten. Wenn die Nachfrage nicht Schritt hält – sowohl im Inland als auch im Export –, geraten Werke schnell in Unterauslastung. In vielen Segmenten, insbesondere bei Verbrennern, bekommt man das heute zu sehen.

Der Rückgang der Nachfrage für Verbrennungsmotoren sowie die langsame Transformation zu E-Mobilität verschärfen das Ungleichgewicht. Viele Werke sind historisch auf klassische Antriebssysteme ausgelegt und brauchen hohe Investitionen, um umgestellt zu werden.

2. Kostendruck: Löhne, Energie, Regulierung

Deutschland steht im globalen Wettbewerb mit Herstellern, die wesentlich niedrigere Produktionskosten haben. Löhne, Strom- und Energiepreise sowie Umweltauflagen sind in Deutschland relativ hoch. In energieintensiven Branchen wie der Automobilfertigung werden diese Differenzen besonders spürbar.

Hinzu kommen regulatorische Anforderungen (CO₂-Vorgaben, Emissionsnormen, Recyclingauflagen), die zusätzliche Investitionen, Forschung und Umrüstung erfordern.

3. Strukturwandel & Technologieverschiebung

Die Branche befindet sich im Übergang: Weg von klassischen Verbrennungsmotoren, hin zu Elektromobilität, Batterietechnologien, Software und digitalen Modulen. Dieser Wandel ist kapitalintensiv und risikobehaftet. Wer zu spät investiert, gerät ins Hintertreffen.

Deutsche Zulieferer, die stark auf Getriebe, Abgastechnik oder Verbrennerkomponenten spezialisiert sind, sehen sich zunehmend dem Aussterben ausgesetzt, wenn sie nicht schnell umsteuern. auto motor und sport+1

4. Globale Konkurrenz & China als Herausforderer

China wächst nicht nur als Absatzmarkt, sondern auch als Produktionsstandort mit niedrigen Kosten. Dort entstehen zunehmend Modelle mit beachtlicher Qualität zu deutlich günstigeren Preisen. Der mutmaßlich “neue Audi für 28.000 €” ist ein Beispiel dafür, dass Fahrzeughersteller chinesische Plattformen und Fertigung in Niedrigkostenmärkten nutzen, um günstigere Modelle zu entwickeln.

Diese Konkurrenz zwingt deutsche Hersteller unter Druck – besonders dann, wenn sie ihre Wertschöpfung teuer im Inland halten.

5. Handelspolitischer Gegenwind

Als exportorientierte Branche ist die Automobilindustrie besonders anfällig für Handelsbarrieren, Zölle oder protektionistische Maßnahmen. Die neuen US-Zölle auf LKW sind nur ein aktuelles Beispiel. Solche Maßnahmen erhöhen die Kosten und schaffen Unsicherheit bei Investitionsentscheidungen und Lieferketten.

Zusammengefasst: Es ist nicht ein einzelner Faktor – weder Überproduktion noch Löhne allein –, sondern ein multifaktorielles Zusammentreffen, das Deutschland derzeit belastet.


Ausblick & Handlungsmöglichkeiten

Wie kann Deutschland reagieren, um aus der Krise herauszukommen? Einige Ansatzpunkte:

  • Schnellerer Strukturwandel & Diversifizierung
    Zulieferer und Hersteller müssen schneller umsteuern in Richtung Elektromobilität, Softwarelösungen, digitale Dienste und alternative Antriebstechnologien – nicht nur im Kernbereich, sondern quer über die Wertschöpfung.

  • Standortpolitik & Energiepreise stabilisieren
    Wenn Energie- und Stromkosten auf wettbewerbsfähigem Niveau gehalten werden (z. B. mit Subventionen, Förderprogrammen oder Netzausbau) – das entlastet Produktionsbetriebe.

  • Flexible Fertigungsstrukturen & Modularisierung
    Anlagen und Werke sollten so konzipiert sein, dass sie verschiedene Fahrzeugtypen, Antriebsformen oder Komponenten fertigen können – so lässt sich auf Nachfrageverschiebungen reagieren.

  • Internationale Verlagerung bewusst steuern
    Deutschland oder EU könnten gezielt Anreize schaffen, damit Teilefertigung oder Wertschöpfung im Inland bleibt – z. B. durch Subventionen, steuerliche Vorteile oder technologiepolitische Förderung.

  • Handelspolitische Absicherung & Diplomatie
    Deutschland und Europa müssen in Handelsverhandlungen aktiv sein, um protektionistische Maßnahmen anderer Staaten abzufedern. Die neuen US-Zölle erfordern eine Antwort – diplomatisch und wirtschaftspolitisch.

  • Arbeitsmarktpolitik & Qualifizierung
    In Regionen mit Kurzarbeit oder Werksschließungen ist Weiterbildung, Umschulung und Förderung von Neugründungen wichtig. So kann nicht nur Wohlstand gerettet, sondern Zukunftskapazität aufgebaut werden.

https://creativecommons.org/licenses/by-nd/4.0/deed.de