Handel mit Zukunft
Deutschland ist heute vernetzter denn je. Händler, die nicht hochflexibel alle On- und Offlinekanäle bedienen, bekommen ein ernstes Problem.
Der Handel steckt mitten in einer Revolution. Anführer ist der Kunde. Er kauft an sieben Tagen in der Woche rund um die Uhr, mit diversen Bezahlvorlieben auf etlichen Kanälen ein – stationär, online und immer öfter mobil. Der „Channel-Hopper“ möchte möglichst bequem, preisgünstig und mit bestem Service einkaufen. Händler, die nicht hochflexibel alle On- und Offlinekanäle bedienen, bekommen ein ernstes Problem. Auf was es jetzt ankommt, ist, unterschiedliche Absatzkanäle intelligent zu vernetzen – bruchlos, sicher, komfortabel. Die Zukunft gehört dem Multi-Channel-Vertrieb, also dem Verkauf auf mehreren Online- und Offline-Kanälen.
Branchenkenner sprechen längst von einer „digitalen Revolution im Einzelhandel“, bei der zunehmend auch Wearables eine treibende Rolle spielen werden, hin zu personalisierten Angeboten und individuellen Preisen, die dem Einkaufsverhalten des Kunden entsprechen und die er auf das Smartphone gesendet bekommt.
Bereits heute macht der Online-Handel mehr als zehn Prozent des gesamten Handelsvolumens in Europa aus – dieser Anteil könnte bis 2025 auf bis zu 40 Prozent, in den heutigen Schwellenländern auf bis zu 30 Prozent, steigen, heißt es in der Studie „Global E-Tailing 2025“ von der Deutschen Post DHL. Sprich: Der Online-Handel wird nicht nur in den Industrienationen an Bedeutung gewinnen, sondern auch in den Entwicklungs- und Schwellenländern, und zwar weitaus stärker als bisher angenommen.
Erwartbar ist auch hier, dass sehr stark mobil eingekauft werden wird. „Die Zeit, in der browserbasierte Onlineshops das Maß aller Dinge im digitalen Handel waren, ist vorbei“, bemerkt Dirk Hörig, CEO und Mitgründer von commercetools, einem Anbieter von cloudbasierten E-Commerce-Lösungen. „Mobile Anwendungen und immer neue Eingabegeräte verändern grundlegend die Art und Weise, wie und wo wir einkaufen“, sagt Hörig. Kunden werden sich in Zukunft jenen Anbietern zuwenden, die Information, Inspiration und Unterhaltung so kombinieren, dass ihr Angebot ein unverzichtbarer Bestandteil ihres Lebens wird, ist Hörig überzeugt: „Längst geht es nicht mehr darum, als Händler und Hersteller einzelne Puzzle-Teile in hoher Qualität zu liefern – wichtiger und nachhaltiger ist das Gesamtbild.“
Und zu dem gehört auch eine aussagekräftige Bebilderung der Produkte, sofern diese digital präsentiert werden. Mitunter entscheidet sie über Kauf oder Abbruch und somit direkt über den Geschäftserfolg: „In unterschiedlichen Absatzmärkten gibt es umfangreiche Studien zur Rolle der Bebilderung beim Produktverkauf. Übereinstimmend ist der Tenor, dass in allen Märkten die Bebilderung beziehungsweise die Bildauswahl im Extremfall bis zu 20 Prozent des Absatzes mitbestimmt oder direkt verursacht“, erklärt Ralph Kissner, Geschäftsführer der Six Offene Systeme GmbH. Damit rücken schlanke und schnelle Prozesse der Bildbeschaffung und -auswahl auf die Agenda der Unternehmen.
Wettbewerbsvorteil durch Omni-Channeling
Die Zukunft des Handels liegt in der durchgängigen Einkaufserfahrung vom Webshop über mobiles Shoppen bis hin zur Erlebniswelt Store. Damit wird das Ladengeschäft nicht aussterben, denn hier findet qualifizierte Beratung statt, hier können Waren ausprobiert, abgeholt oder zurückbracht werden. Es gilt gegenüber reinen Webshops einen Wettbewerbsvorteil durch Omni-Channeling zu bieten, Mehrwert zu schaffen, der Kunden bindet. Mobile Endgeräte und cloudbasierte Dienste wie Social Media sind die wichtigsten Werkzeuge des künftigen Kunden und charakterisieren seine Customer-Journey. Wohin die Reise geht, bestimmt vorrangig der Kunde und nicht der Anbieter. Daran wird sich der Handel gewöhnen und darauf reagieren müssen. Weniger der Blick auf vermeintliche Zielgruppen wird für den Geschäftserfolg wesentlich sein, sondern treffsichere Touchpoints, Berührungspunkte, die dem Kunden offeriert werden, um mit dem Händler in Kontakt zu treten. Der Kunde kauft dort, wo es ihm gerade beliebt: mal online, mal stationär, per App oder Telefon – und genau dort werden erfolgreiche Händler präsent sein. Seine Einkäufe bezieht der Kunde ebenfalls dort, wo es ihm gerade beliebt – je nach Bedarf per Lieferung oder er holt sie im Geschäft ab, womit er unabhängig von Lieferterminen wird.
„Der Point of Sale wird von der New Economy immer noch unterschätzt“, sagte Dominik Dommick, Geschäftsführer von Payback im Gespräch mit der TREND-REPORT-Redaktion auf der diesjährigen dmexco 2015 in Köln „Dabei birgt der stationäre Einkauf ein enormes Potenzial für digitale Marketer und auch für den Handel selbst.“ Schließlich sorgten digitale Services am PoS dafür, den stationären Einkauf schneller und einfacher zu gestalten. Einen weiteren Schwerpunkt auf der dmexco setzt das Unternehmen mit einer der wichtigsten Neuerungen des Jahres 2016: Die Mobile-Payment-Lösung von Payback ermöglicht den 27 Millionen Kunden des führenden Bonusprogrammes zukünftig das Punktesammeln und Bezahlen per App in einem Schritt. „Payment alleine macht nicht glücklich“, so Dominik Dommick. „Wenn ich will, dass sich eine Neuerung durchsetzt, muss ich dem Kunden einen klaren Vorteil bieten. Zugleich muss er genau dann profitieren, wenn es für ihn relevant ist, die Innovation steckt also mitten im gewohnten Ablauf.“ Wie einige innovative Lösungen, etwa von Fraunhofer oder dem Berliner Start-up Phizzard, zeigen, schätzen Kunden digital vernetzte Stilberatung mittels Tablets und Touchscreens oder auch die einfache Online-Bestellung von Produkten, die im Laden gerade vergriffen sind. Bei Payback ist man überzeugt, dass der zunehmend intelligente Verkaufsraum, in dem Beratung, Unterhaltung und Interaktion stattfinden, das Einkaufserlebnis nachhaltig beeinflussen wird.
Online- und Offline: Zwei Welten?
Ulrich Eggert, Geschäftsführer von Eggert Consulting, hat für TREND REPORT einen Blick auf „die Zukunft des stationären Handels“ in Zeiten wachsenden E-Commerces geworfen. Das Ergebnis ist eine mehrseitige Trendstudie, die sich auf trendreport.de herunterladen lässt.
In seiner Beobachtung liegt die Chance für den stationären Handel darin, mit Beratung, Qualität und Kooperationen vor Ort die Kunden zu binden. Der stationäre Handel muss seine Potenziale diesbezüglich besser nutzen. Gleichwohl kann er von Online-Trends profitieren: So bieten sich mit Beacons, Apps und Social Media auch für den Fachhändler vor Ort schnell integrierbare Möglichkeiten, neue Kunden zu gewinnen und langfristig zu binden.
Weitere Informationen unter:
www.trendreport.de/trendstudie-handel-mit-zukunft
Auch die Art, wie wir bezahlen, wird sich grundlegend ändern: Die Kreditkarte wird in ihrer Plastikversion wohl nicht aussterben, doch zu ihr werden sich „virtuelle Kreditkarten“ gesellen, ist Andreas Stendera, Senior Vice President International Business B+S Card Service, überzeugt. Er denkt dabei unter anderem an Smart Devices wie Brille, Uhr oder Smartphone. Hinzu wird kontaktloses Bezahlen über „Near-Field-Communication“ (NFC) kommen: Die Experten von PricewaterhouseCoopers erwarten, dass die Kundenbasis für sämtliche Mobile- Payment-Angebote bis 2020 auf rund elf Millionen Verbraucher allein in Deutschland wachsen wird.
Mit diesem tiefgreifenden Wandel werden sich auch die Ströme des globalen Produktdatenaustausches verändern. „Idealerweise wird der Produktdatenaustausch Hand in Hand mit der Industrie 4.0 gehen“, sagt Stefan R. Steudel, Associate Partner bei Bayard Consulting. „Möglichst digital und automatisiert werden die IT-Systeme der verschiedenen Unternehmen sehr kleinteilig Daten im Anbau, in der Erzeugung, Produktion und Distribution der Produkte erfassen und miteinander kommunizieren.“ Er hat die Vision, dass der Datenaustausch wie die menschliche Sprache künftig hochflexibel funktionieren wird.
von Chris Löwer
c.loewer@trendreport.de
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