Future Store – Handel mit Zukunft

Die Digitalisierung und steigende Kundenerwartungen setzen den On- und Offlinehandel unter Druck. Doch mit kreativen Lösungen trotzen Händler nicht nur dieser Herausforderung, sie erschließen sich neue Marktpotenziale.

Der Kunde ist zum Experten geworden: Er kennt alle Details zur Ware, hat sich im Internet über Bewertungen informiert, weiß über den ökologischen Fußabdruck Be­scheid und nennt den besten Preis. Gekauft wird, wann und wo es beliebt. Zunehmend unterwegs per Smartphone. Mehr als 80 Prozent der Deutschen sind online, die Hälfte davon nutzt verstärkt mobile Endgeräte. Wer in dieser neuen Konsumwelt weiter traditionelle Verkaufsstrategien pflegt, hat schon verloren – verwaiste Verkaufsflächen in den Innenstädten zeugen davon. Dabei hat der stationäre Handel längst nicht ausgedient – er muss nur clever mit sämtlichen Online-Verkaufskanälen verzahnt werden. Neue Technologien lassen eine Omnichannel-Einkaufserlebniswelt entstehen, die steigende Kundenansprüche zielgruppengenau erfüllt und idealerweise mit einer herausragenden Customer-Experience übererfüllt. Nirgendwo wird der digitale Wandel erlebbarer als im Handel. Hier lassen sich etliche kreative Lösungen studieren, die branchenübergreifend relevant sein werden.

Wohin die Reise geht ist klar: „Die Verbindung zwischen online und offline wird in den nächsten Jahren immer mehr verschwimmen. Der Shop­per wird situationsbedingt entscheiden, ob er online bestellt oder sofort vor Ort kauft“, sagt Christophe Campe, VP Coun­try General Manager der Chep Deutschland GmbH. „Hier ist die große Herausforderung für den Handel. Er muss es verstehen, den Shopper vor Ort, locationabhängig und personalisiert, zu aktivieren.“

Wie das funktioniert, haben „Creative Companies“ längst begriffen. Davon zeugen die Beispiele im „Omnichannel Trendreport“ von der Trendone GmbH für eBay vom Januar dieses Jahres. Hier werden Unternehmen vorgestellt, die durch Innovationen in den Bereichen M-Commerce, Local Commerce, Ship­ping & Returns, Customer-Journey sowie Social Commerce hervorstechen. Das Verbindende der unterschiedlichen Lösungen ist, dass diverse Kommunikations- und Absatzkanäle miteinander vernetzt werden, um Kunden ein maßgeschneidertes Einkaufserlebnis bieten zu können.

Trendraum

  • Studie
    Einen spannenden Ausblick in die Zukunft des Handels gibt der „Omnichannel Trendreport“ von Trendone und eBay. Der Report stellt aktuelle E-Commerce-Trends aus den Bereichen M-Commerce, Local Commerce, Shipping & Returns, Customer-Journey so­wie Social Commerce anhand von 31 Unternehmen und ihren kreativen Geschäftsmodellen vor. presse.ebay.de
  • Crowdsourcing
    Gastbeitrag: Ines Maione stellt vor, wie Unternehmen mit Crowdsourcing stark für den internationalen Wettbewerb im Online-Handel werden. Darüber hinaus beschreibt Sie, wie mit Microtasking aktuelle Heraus­forderungen angegangen werden können.
    www.trendreport.de/clickworker

Kreative Trendsetter

Wie On- und Offlinewelten immer stär­ker verschmelzen, zeigt der „re-Button“ des deutschen IT-Unternehmens Brain­tags. Eine Lösung, mit der Lieblingsprodukte und sogar ganze Einkaufslisten mit einem Klick von zu­hause aus nachbestellt werden können. Oder: On­line-Shopper können sich per Smart Glasses durch einen echten Laden führen lassen, wo sie Verkäufer zu der gewünschten Ware führen und beraten. Das wird bereits in England praktiziert und zeigt, wie symbiotisch On- und Offlinekanäle miteinander verwachsen können und warum vorwärtsdenkende stationäre Händler eine große Zukunft vor sich haben.
Sie werden sich auch von dem mächtigen Mobile-Trend nicht abhängen lassen. So können Kunden des US-Einzelhändlers Nordstrom von unterwegs aus per SMS einkaufen. Nach der Registrierung wird per Chat geshoppt. Was auch bei beratungsintensiven Produkten funktioniert: etwa beim Schuh­kauf. Ist klar, wie der Schuh beschaffen sein und aussehen muss, um perfekt zu passen, bekommt der Shopper von Verkäufern Vorschläge per SMS aufs Handy geschickt. „Auch im lokalen Handel wählen einige Unternehmen einen spielerischen Ansatz, um Kunden zu gewinnen“, schreiben die Autoren der Studie. So veranstaltet beispiels­weise die Plattform Hypeist in New York Schnitzeljagden, um Aufmerksamkeit für exklusive Produkte zu erregen. Fotos der Schätze werden samt Hinweisen zum Fundort auf einem Instagram-Account gepostet.

Das Problem der letzten Meile bei der Zustellung löst die von DDB Brussels für den Mobilfunkprovider BASE entwickelte Anwendung „PhoneAddress“: Die Ware wird exakt dahin geliefert, wo sich der Besteller gerade aufhält. Die seinem Smartphone zugewiesene Adresse aktualisiert sich fort­laufend, wenn der Käufer seinen Standort wechselt – dann wird eben nicht nachhause, sondern ins Büro, zur Freundin oder ins Café geliefert.
Preissensible Kunden dürften sich über die E-Commerce-Plattform Greentoe freuen: Dort lässt sich der Kaufpreis individuell verhandeln. Der Nutzer gibt seinen Wunschpreis an und Greentoe leitet das Angebot an ein Netzwerk autorisierter Händler weiter. Sobald das Angebot akzeptiert wird, kann der Händler durch die auf der Plattform hinterlegten Zahlungsdetails das Produkt direkt verschicken.

Natürlich soll nach einer geglückten Transaktion der Bezahlvorgang für beide Seiten ebenso reibungslos verlaufen. Das entscheidende Stichwort hier lautet: Instant Payments. Neuen Schwung in das Thema hat die EZB mit SEPA 2.0 gebracht. Zahlungen im Internet und am Point of Sale sowie Zahlungen von Person zu Person sollen mit einem europaweit einsetzbaren neuen Zahlungsinstrument in Echt­zeit durchgeführt werden können – 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Technische Lösungen für Instant Payment gibt es, neue werden durch diesen regulatorischen Push entstehen.

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Handel der Zukunft

Best Price per Klick

Experten gehen davon aus, dass Instant Payment die Möglichkeit bietet, neue Geschäftsmodelle zu entwickeln. Zumal Instant Payments multikanalfähig sein sollen, vor allem im Laden, wodurch sich für den Handel neue Chancen ergeben. Auch im B2B-Bereich sollen verstärkt Instant Payments eingesetzt werden, etwa für das Cash-Management über Blockchain. Das ist jene Technologie, die der Kryptowährung Bitcoin zugrunde liegt. Außerdem wurde Anfang des Jahres die sogenannte Richtlinie über Zahlungsdienste (PSD) in Kraft ge­setzt. Sie bildet die rechtliche Grundlage für die Schaffung eines EU-weiten Bin­nen­markts für den Zahlungsverkehr. Die Richtlinie sieht die Einführung moderner und umfassender Vorschriften vor, die für alle Zahlungsdienstleistungen in der EU gelten werden.Ziel ist es, dass grenzüberschreitende Zahlungen so ein­fach, effizient und sicher werden wie nationale Zahlungen innerhalb eines Mitgliedstaats. Im Rahmen der PSD 2.0 werden auch biometrische Faktoren für die Autorisierung von Zahlungstransaktionen zugelassen.

Der Online- wird zum Offline-Handel

Natürlich gibt es auch den umgekehrten Weg, dass ein klassischer Online-Shop ein Ladenlokal eröffnet. Ein prominentes Beispiel dafür ist Zalando. Der Online-Händler betreibt eigene Outlet-Stores in Frankfurt und Berlin in jeweils bester Innenstadtlage, um B-Ware und Restposten einfacher an den Kunden bringen zu können. Andere Online-Shops wie etwa Mr. Spex, der Bril­lenspezialist, oder der Surf- und Snow­board-Handel Blue Tomato betreiben ebenfalls eigene Filialen.
Und wie das Kölner Institut für Handelsforschung erwartet, werden Webshops in den nächsten fünf Jahren etwa 2 500 Läden eröffnen.
Der Einzelhandel – so wie wir ihn heute kennen – wird sich also verändern, auch wenn für viele E-Commerce-Unternehmen der Wechsel ins Offline-Geschäft sicherlich nicht einfach ist.

Bequemes Bezahlen

Somit dürfte auch einfaches und grenzüberschreitendes Bezahlen über „Near Field Communication“ (NFC) mit Smart­phones endlich einen Aufschwung erhalten. Dabei müssen zwei mit NFC ausgestattete Geräte in einen Abstand von wenigen Zentimetern zueinander gehalten werden, um die Daten für den Bezahlvorgang auszutauschen. Vorteil: Dieser geringe Abstand macht den Vorgang äußerst abhörsicher. Hierzulande akzeptiert sogar Aldi-Nord bereits diese bequeme Zahlmethode.

Jedenfalls bieten sich Shop-Betreibern, die online ins Ausland expandieren wol­len, neue Chancen. Die allerdings über­legt angegangen werden sollten: „Eine elegante Möglichkeit, um schnell und unkompliziert in einem neuen Markt präsent zu sein, ist im ersten Schritt ein englischsprachiger, EU-weiter Online-Shop“, rät Friedrich-Georg Lischke, Geschäftsführer von BFS Baur Fulfillment Solutions. „In jedem Fall muss sichergestellt sein, dass der Kundenservice in der Landessprache erfolgt, die national beliebten Zahlarten eingebun­den werden und die Logistik international ausgerichtet ist. Wird in diesem Shop für ein Land genügend Potenzial ermittelt, kann unter Berücksichtigung nationaler Präferenzen ein eigenständiger Ländershop eröffnet werden.“ Doch dabei liege die Tücke im Detail: „Denkt man zum Beispiel an grenzüberschreitende Geschäfte in der D-A-CH-Region, wird die Verzollung ein Thema, die wir im Griff haben“, sagt Lischke. BFS übernimmt nämlich auf Wunsch das gesamte Fulfillment entlang der Wertschöpfungskette – vom Kundendialog über das Warenhandling bis zum Zahlungsmanagement. Wer aus dem Onlinehandel Wettbewerbsvorteile ziehen möchte, sollte von Konkurrenten mit hoher Kundenzufriedenheit lernen. „Erstklassiger Kun­denservice schafft Differenzierung. Daneben müssen alle operativen Prozesse rund um den Online-Shop reibungslos funktionieren. Betreiben Sie Ihren Online-Shop daher nicht nur nebenbei, schenken Sie ihm Ihre volle Aufmerksamkeit“, betont Lischke. Wem das nicht möglich sei, sollte über einen E-Fulfillment-Dienstleister nach­denken.

Flickr.com / Mike Beales https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/

Flickr.com / Mike Beales
https://creativecommons.org/licenses/by-nd/2.0/

Tiefes Kundenverständnis

Erfolgreiche Trendsetter verstehen es, gekonnt auf der gesamten Marketing-Klaviatur zu spielen. Was einfacher gesagt als getan ist, wenn man bedenkt, dass auf jeden von uns täglich im Schnitt 12 000 direkte und indirekte Werbebotschaften einprasseln. Hier gilt es hervorzustechen. Was nur dem gelingt, der seine (potenziellen) Kunden genau kennt und damit präzise ansprechen kann. Der Schlüssel dazu liegt in Consumer Insights. Basis für den erfolgreichen Dialog mit dem Verbraucher sind genaue Kenntnisse der Zielgruppen, ihrer Lebenssituation und Bedürfnisse. „Customer Insights liefern dieses Kundenverständnis und schaffen so die Voraussetzung, um Marketing-Kampagnen strategisch und zielgerichtet zu planen und umzusetzen“, erklärt Dirk Kemmerer, Geschäftsführer der Solution Group Digital Marketing bei arvato. Geklärt werden müssen Fragen wie diese: Für welche Produkte interessiert sich der Konsument? In welcher Lebenssituation befindet er sich? In welchem Preissegment kauft er ein? Wie reagiert er auf Rabatte? Doch allzu oft gibt es keine Antworten darauf. Kemmerer: „Einigen Unternehmen feh­len schlichtweg wichtige Kundendaten, andere setzen diese nicht konsequent ein oder analysieren sie nicht kanal­über­greifend.“ Hürden, die überwunden werden können. „Es besteht die Möglichkeit, eigene Kundendatenbanken aufzubauen, bestehende Informationen durch externe Dienstleister mit wertvollen Informationen anzureichern oder durch die Teilnahme an Bonusprogrammen kanal- und branchenübergreifende Kundendaten zu erhalten“, erklärt der Experte. Alleine die Generierung von Kundendaten reiche allerdings nicht aus. Die Daten müssten durch umfassende Analysen, Auswertungen oder Segmentierungen in echtes Kundenwissen transformiert werden. So lassen sich Botschaften zielgenau auf jenen Kanälen platzieren, für die die jeweiligen Konsumenten affin sind. Damit ist der Weg für einen kreativen Kundendialog bereitet, der ganz im Sinne des Konsumenten durch weitere individuelle Mehrwerte wie zum Beispiel mobile Coupons oder zusätzliche Service- und Beratungsleistungen angereichert werden kann.

Den Kunden besser kennen und verstehen

Neben datengetriebenem Mar­keting ist ein weiterer Baustein für tiefe Kundeneinblicke das Monitoring für E-Shops. Software von Sevenval Technologies GmbH zeichnet unter anderem Kaufabbrüche auf, um den digitalen Einkaufsprozess der Kunden zu analysieren. Nur so lassen sich Angebote und Services verbessern. Dafür genutzt wird „Smart Data“, die datengetriebene Analyse von Frontends. Frontend Analytics (FA) bündelt alle Maßnahmen, um die Benutzerfreundlichkeit etwa von Shopping-Seiten als auch deren technische Robustheit fortlaufend zu überprüfen und zu verbessern. Bislang geschieht dies eher in einem mühsamen Prozess, der zu lange dauert, etwa indem echte oder selbsternannte Experten ihre Meinungen zu E-Commerce-Offerten abgeben – aber eben nicht Alltagsnutzer. Den Kunden besser kennenlernen muss auch der stationäre Handel, wofür es innovative Technologien gibt. Etwa, um den Erfolg von Promotions zu messen und die Randbedingungen locationabhängig zu verbessern. „Wenn wir von locationabhängig sprechen, dann meinen wir nicht nur einfach die Ladenfläche in ihrer Gesamtheit, sondern innerhalb der Ladenfläche“, sagt Christophe Campe, VP Country General Manager der Chep Deutschland GmbH, „Der Handel muss Erlebniswelten schaffen, die den Shopper in einem Gesamt­konzept ansprechen, wie Mobile, Coupons, Mehrwert-Angebote.“

Typisches Beispiel sei die Zusammenstellung von Produkten für eine Grill­party (Getränke, Deko, frisches Fleisch, vegetarische Angebote, Musik zum Herunterladen etc.) kombiniert mit Rabattaktionen. „Sozusagen vom Point of Sale zum Point of Emotions”, sagt Campe. Chep hat eine Lösung namens Promotion Tracking entwickelt, bei der Promotionspaletten mit einem smartTag ausgestattet sind. Dieser Sensor lokalisiert die Palette an ihrem Standort und erhebt etliche Umgebungsdaten, wie Position, Geschwindigkeit, Temperatur, Helligkeit und Gewicht. Für die Lokalisierung im Innenbereich wird ein zusätzlicher Router genutzt. Über ein Online-Dashboard können Kunden diese abfragen und gegebenenfalls dafür sorgen, dass die Promofläche besser positioniert wird oder Mehrwerte für den Kunden geschaffen werden. Denn wer sich in ein Ladengeschäft begibt, sucht das Erlebnis, will sich überraschen und inspirieren lassen. Eine hervorstechende Customer-Experience on- und offline ist es, mit der sich entscheidende Wettbewerbsvorteile verschaffen lassen. Das gilt künftig mehr denn je.

Autor:
Chris Löwer