Trend: Social Freezing

Social Freezing bezeichnet das vorsorgliche Einfrieren von unbefruchteten Eizellen ohne medizinischen Grund. Diese Möglichkeit gibt Frauen, die sich ihren Kinderwunsch aktuell nicht erfüllen können (etwa weil ihnen der passende Partner dazu fehlt), größere Chancen auf eine Schwangerschaft jenseits des Alters von etwa 35 Jahren. Ursprünglich war die Eizell-Konservierung für junge, an Krebs erkrankte Patientinnen gedacht, die sich einer Chemotherapie unterziehen müssen.

Durch verbesserte Methoden ist es inzwischen möglich, hohe Überlebens- (80–90 %) und Befruchtungsraten (60–70 %) zu erreichen, die die Wahrscheinlichkeit für eine Schwangerschaft erhöhen. Der ausschlaggebende Faktor für eine erfolgreiche Behandlung ist vor allem das Alter der Frau bei der Entnahme. Je jünger sie ist, desto weniger Schäden weisen die Eizellen auf.

Zum Schlagwort großer medialer Rezeption und (arbeits-) ethischer Kontroverse wurde der Begriff, als im Oktober 2014 die Firmen Facebook und Apple bekannt gaben, ihren Mitarbeiterinnen derartige Prozeduren im Wert von ca. 20.000 $ kostenlos zur Verfügung stellen zu wollen.

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Eizellen

Ein Mädchen wird mit 1-2 Millionen Eizellen geboren, wovon in der Pubertät noch rund 400.000 übrig sind. Eine Frau verliert monatlich rund 1.000 Eizellen. Die Anzahl reduziert sich also von Jahr zu Jahr um 12.000. Gleichzeitig nimmt mit zunehmendem Alter die Qualität der Eizellen ab. Das erschwert die Zeugung und erhöht die Wahrscheinlichkeit für eine Fehlgeburt oder ein geistig bzw. körperlich beeinträchtigtes Kind. Die Fruchtbarkeit einer Frau beginnt bereits mit Mitte 20 zu sinken. Ab Mitte 30 ist ein drastischer Abfall zu beobachten. Mit über 40 Jahren liegt die Wahrscheinlichkeit für eine natürliche Schwangerschaft unter 5 %.[1]

Methode

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Obwohl der erste Bericht über eine erfolgreiche Schwangerschaft nach Kryokonservierung von unbefruchteten Eizellen bereits im Jahr 1986 erschien[2], blieb es für mehr als 25 Jahre eine große Herausforderung in der Reproduktionsbiologie, einen Prozess zur Konservierung zu etablieren, der Überlebensraten über 50 % und mehr als 1-2 % erfolgreiche Schwangerschaften hervor brachte.[3]

Im Oktober 2012 verkündete die American Society for Reproductive Medicine, dass die Kryokonservierung von Eizellen nicht länger als ein experimenteller Prozess angesehen wird.[4] Eizellen bestehen hauptsächlich aus Wasser, was beim Einfrieren dazu führt, dass sich Kristalle bilden und dadurch die Zellmembran zerstört wird.

Die Methode des langsamen Einfrierens („Slow Freezing“) wird seit den 1970er Jahren angewendet und ist ein zeitintensiver Prozess, da die Einfriergeschwindigkeit nur bei ca. 3 K/min liegt. Die Überlebensraten nach dem Auftauen der Eizellen sind dementsprechend nicht sonderlich hoch. Seit einigen Jahren wird eine andere Methode angewendet, die sogenannte Vitrifikation.[5] Dabei werden extrem hohe Einfriergeschwindigkeiten von bis zu über 10.000 K/min erreicht.

Das Zellmaterial wird in flüssigen Stickstoff getaucht, der eine Temperatur von minus 196°C hat.[6] Die Eizelle wird in einen glasartigen (amorphen) Zustand überführt, ohne dass sich Kristalle ausbilden können. Dadurch werden alle physikalischen Prozesse angehalten und die Zelle kann über Jahrzehnte sicher gelagert werden. Der wesentliche Nachteil an der Vitrifikation ist, dass höhere Konzentrationen an Gefrierschutzmittel eingesetzt werden müssen, die zum Teil toxisch für die Zellen sind, wie etwa Dimethylsulfoxid (DMSO).

Behandlung

Der Ablauf beim Social Freezing entspricht im Wesentlichen der ersten Phase einer Kinderwunschbehandlung. Es erfolgt eine Hormonbehandlung zur Stimulation der Eierstöcke, wobei das Wachstum der Follikel mittels Ultraschalluntersuchung kontrolliert wird. In einem in der Regel kurzen Eingriff werden anschließend die Eizellen entnommen.

Dafür werden die Eierstöcke über die Scheide mit einer Nadel punktiert und die Eizellen abgesaugt. Diese werden auf ihre Qualität hin untersucht und anschließend vitrifiziert. Die Nebenwirkungen einer Hormonbehandlung mit Übelkeit, Stimmungsschwankungen und Gewichtszunahme sind relativ gering. Gelegentlich (< 1 % aller Fälle) kann es zu einer hormonellen Überstimulation (OHHS) kommen.[7]

Erfolg

Der Erfolg der Eizellvorsorge hängt hauptsächlich vom Alter der Frau bei der Entnahme ab: Mit 30 Jahren ist jede zweite bis dritte Eizelle befruchtungsfähig, während es bei einer 40-Jährigen nur noch jede fünfte bis sechste ist. Somit nimmt auch die Rate der Lebendgeburten mit ansteigendem Alter der Frau, unabhängig von der Einfriermethode, stetig ab.[8]

In der Vergangenheit war die Slow Freezing-Methode das gängige Verfahren, wobei die Erfolgsaussichten nur mäßig waren. Inzwischen werden die Eizellen immer häufiger vitrifiziert, da die Ergebnisse sehr viel versprechend sind. Die Geburtenrate von konservierten und frischen Eizellen mit anschließender in vitro-Fertilisation ist vergleichbar.[9] 2009 waren bereits über 1000 Babys aus kryokonservierten Eizellen geboren. Laut einer Studie mit über 900 Kindern weisen diese im Vergleich zu natürlich empfangenen keine erhöhten Geburtsfehler oder geistige Behinderungen auf.[10]

Kosten

Um die empfohlene Menge von 10 bis 15 Eizellen[11] zu bekommen, müssen manche Frauen mit mehreren Behandlungszyklen rechnen. Die Kosten pro Zyklus werden derzeit mit 3.000 bis 5.000 Euro pro Eizellenentnahme inklusive aller notwendigen Medikamente angegeben, wenn die Behandlung in deutschen IVF-Zentren durchgeführt wird. Dazu kommen Kosten für die Lagerung. Sollte eine Frau auf ihre konservierten Eizellen zurückgreifen, müssen die Kosten für eine künstliche Befruchtung dazugerechnet werden.

Geschichte

Ursprünglich galt das Einfrieren von Eizellen als Möglichkeit für junge Frauen mit Krebs, nach einer Chemotherapie ein genetisch eigenes Kind zu bekommen. Ist eine Bestrahlung von Eierstöcken und Gebärmutter nicht zu vermeiden, kann das zu Unfruchtbarkeit führen. Auch wenn eine Schwangerschaft eintritt, haben Frauen nach einer Strahlentherapie ein höheres Risiko für Fehl- und Frühgeburten, weil das genetische Material Schaden davongetragen hat und das Gewebe der Gebärmutter an Elastizität verliert und schlechter durchblutet wird. Daher können Frauen, wenn genug Zeit bleibt, vor der Bestrahlung ihre Eizellen entnehmen und einfrieren lassen.

1997 wurde das erste Baby aus einer kryokonservierten Eizelle geboren. Seither ist die Zahl auf über 1000 Kinder (Stand 2009) angestiegen, die keine höheren geistigen Veränderungen aufweisen als Kinder, die durch eine natürliche Schwangerschaft entstanden sind.[12] Insgesamt wurden etwa 2000 Kinder durch Social Freezing geboren.[13]

Die Fertilitätsmediziner bieten die Eizellvorsorge heute auch jenen Frauen an, die auf der Suche nach dem Lebenspartner und Kindesvater sind oder vor der Familiengründung ihren beruflichen Wünschen nachgehen wollen. Insbesondere Frauen zwischen 35 und 38 Jahren entschließen sich aktuell für das Social Freezing, obwohl es aus medizinischer Sicht sinnvoll wäre, die Eizellen bereits zwischen 25 und 30, spätestens mit 35 Jahren entnehmen und einfrieren zu lassen.[14]

Ethik

In Ländern wie Spanien oder Belgien können Frauen eine Eizellspende in Anspruch nehmen, falls sie selbst nur wenige oder keine Eizellen besitzen. Diese Möglichkeit gibt es in Deutschland nur für das männliche Spermium, für Eizellen nicht. Ethisch diskutiert wird hier in erster Linie nicht, ob ein Einfrieren der eigenen Eizellen erlaubt sein sollte oder nicht, sondern wie lange eine Frau darauf zurückgreifen darf. In Israel beispielsweise liegt das maximale Alter bei 55. Die Eizellvorsorge gilt dort, anders als in Deutschland, selbst bei nicht medizinischen Indikatoren als präventive Medizin, weil sie Eizellspenden und ineffektive Kinderwunschbehandlungen im höheren Alter vermeiden soll.[15]

Neben der Pille und der in vitro-Fertilisation ist die Möglichkeit des Social Freezing ein weiterer Schritt zur Kontrolle der Fortpflanzung. Ein Verbot würde „einen ethischen Widerspruch darstellen“.[16]

Im Oktober 2014 wurde eine repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts TNS Emnid veröffentlicht, welche zu dem Ergebnis kam, dass 37 % der befragten Deutschen Social Freezing als Angebot für grundsätzlich richtig halten. Bei den 14- bis 29-Jährigen sprachen sich 53 % für diese Möglichkeit aus, bei den über 60-Jährigen waren es 20 %.[17]

Zitate

Carl Djerassi: „Es wird bald gang und gäbe sein, dass Männer und Frauen ihre Spermien und Eizellen in jungen Jahren einfrieren und sich danach sterilisieren lassen. Ihre ein bis zwei Kinder würden sie einfach später mithilfe von künstlicher Befruchtung bekommen.“[18]

Anhang

Belege

 

  • ASRM Patient Information Series: Age and Fertility. Elsevier, Birmingham, Alabama 2012, 35216-2809
  • C. Chen: Pregnancy after human oocyte cryopreservation. The Lancet 1986, 1:884–886
  • F. Nawroth, R. Dittrich, M. Kupka, B. Lawrenz, M. Montag, M. Wolff, M – Kryokonservierung von unbefruchteten Eizellen bei nichtmedizinischen Indikationen („social freezing“). Publimed, München 2012, 53:6
  • ASRM Fertility and Sterility: Mature oocyte cryopreservation: a guideline. Elsevier, Birmingham, Alabama 2013, 99:1
  • F. Nawroth, M. Montag, E. Isachenko, V. Isachenko, G. Rahimi, H. van der Ven, J. Liebermann: Die Vitrifikation. Publimed, München 2005, 46:3
  • J. Saragusty, A. Arav: Current progress in oocyte and embryo cryopreservation by slow freezing and vitrification. Society for Reproduction and Fertility, England 2011, 141(1):1-19
  • Deutsches IVF-Register: Reproduktionsmed Endokrinol. Verlag für Medizin und Wirtschaft, Gablitz 2012, 9 (6), 453-84
  • K. N. Goldman, N. L. Noyes, J. M. Knopman, C. McCaffrey, J.A. Grifo: Oocyte efficiency: does live birth rate differ when analyzing cryopreserved and fresh oocytes on a per-oocyte basis? Elsevier, Birmingham, Alabama 2013, 100 (3): 712-7
  • M. von Wolff: „Social freezing“ Sinn oder Unsinn? Gynäkologische Endokrinologie. Berlin, Heidelberg 2013, 11:222–224
  • N. Noyes, E. Porcu, A. Borini: Over 900 oocyte cryopreservation babies born with no apparent increase in congenital anomalies. Elsevier, Cambridgeshire 2009, 18:769-776
  • fertiprotekt.de
  • N. Noyes, E. Porcu, A. Borini: Over 900 oocyte cryopreservation babies born with no apparent increase in congenital anomalies. Elsevier, Cambridgeshire 2009, 18:769-776
  • http://uscfertility.org/fertility-preservation/egg-freezing-faqs/
  • Video Frontal 21: Der konservierte Kinderwunsch (22. Oktober 2013, 21:00 Uhr, 6:26 Min.) in der ZDFmediathek, abgerufen am 9. Februar 2014
  • F. Nawroth, R. Dittrich, M. Kupka, B. Lawrenz, M. Montag, M. Wolff: Kryokonservierung von unbefruchteten Eizellen bei nichtmedizinischen Indikationen („social freezing“). Publimed, München 2012, 53:6
  • M. von Wolff: „Social freezing“ Sinn oder Unsinn? Gynäkologische Endokrinologie. Berlin, Heidelberg 2013, 11:222–224
  • Die Zeit: Junge Deutsche zeigen sich offen für Social Freezing, vom 22. Oktober 2014

 

  1. welt.de: Die „Mutter der Pille“ wird 90, abgerufen am 1. November 2013

Weiterführende Literatur

  • ASRM Patient Information Series: Age and Fertility. Elsevier, Birmingham, Alabama 2012, 35216-2809
  • ASRM Fertility and Sterility: Mature oocyte cryopreservation: a guideline. Elsevier, Birmingham, Alabama 2013, 99:1
  • C. Chen: Pregnancy after human oocyte cryopreservation. Lancet 1986, 1:884–886
  • Deutsches IVF Register: Reproduktionsmed Endokrinol. Verlag für Medizin und Wirtschaft, Gablitz 2012, 9 (6): 453-84
  • F. Nawroth, R. Dittrich, M. Kupka, B. Lawrenz, M. Montag, M. Wolff, M: Kryokonservierung von unbefruchteten Eizellen bei nichtmedizinischen Indikationen („social freezing“). Publimed, München 2012, 53:6
  • F. Nawroth, M. Montag, E. Isachenko, V. Isachenko, G. Rahimi, H. van der Ven, J. Liebermann: Die Vitrifikation. Publimed, München 2005, 46:3
  • J. Saragusty, A. Arav: Current progress in oocyte and embryo cryopreservation by slow freezing and vitrification. Society for Reproduction and Fertility, England 2011, 141(1):1-19
  • K. N. Goldman, N. L. Noyes, J. M. Knopman, C. McCaffrey, J.A. Grifo: Oocyte efficiency: does live birth rate differ when analyzing cryopreserved and fresh oocytes on a per-oocyte basis? Elsevier, Birmingham, Alabama 2013, 100 (3): 712-7
  • M. von Wolff: „Social freezing“ Sinn oder Unsinn? Gynäkologische Endokrinologie. Berlin, Heidelberg 2013, 11:222–224
  • N. Noyes, E. Porcu, A. Borini: Over 900 oocyte cryopreservation babies born with no apparent increase in congenital anomalies. Elsevier, Cambridgeshire 2009, 18:769-776
  • J. Saragusty, A. Arav: Current progress in oocyte and embryo cryopreservation by slow freezing and vitrification. Society for Reproduction and Fertility, England 2011, 141(1):1-19

Weblinks

Gesundheitshinweis Dieser Artikel behandelt ein Gesundheitsthema. Er dient nicht der Selbstdiagnose und ersetzt keine Arztdiagnose. Bitte hierzu diese Hinweise zu Gesundheitsthemen beachten!
  • Benöhr-Laqueur, Susanne: Verbieten ist keine Lösung! Aktuelle rechtspolitisch Aspekte zum Thema Reproduktionsmedizin in Deutschland und der Schweiz, in: Michael Decker u.a. (Hrsg.): Technikfolgenabschätzung im politischen System: Zwischen Konfliktbewältigung und Technologiegestaltung, Berlin 2014, [1]

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