Deutschland übersieht und verpasst Potenziale für Wachstum
Autor: Klaus Behrla
Eine Strategie gegen den IT-Fachkräftemangel
Was tun?
Die Diskussionen rund um den IT-Fachkräftemangel mitsamt seinen gravierenden Folgen sind allgegenwärtig und werden allmählich in ihrer Ausprägung lästig. Statistiken und Berichte dazu, zum Beispiel vom Branchenverband BITKOM oder von der politischen Ebene der Europäischen Kommission, sorgen für eine andauernde Alarmierung – und das mit Recht. Wir haben es mit nicht weniger als einem der gravierendsten Probleme für die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland und zusätzlich in weiteren europäischen Ländern zu tun. Dennoch hält sich der Eindruck, dass sich kaum etwas an den Verhaltensmustern der Bedarfsträger ändert und dass es an Strategien zur Bekämpfung des Problems mangelt.
Die Frage, wie man strukturell gegen den IT- Fachkräftemangel vorgehen kann, verhallt regelmäßig. Weitergehen wie bisher kann es sicherlich nicht, aber das gesteht sich offenbar niemand so richtig ein. Ein Umstand, der nicht leicht zu verstehen ist, allein schon weil der deutschen Wirtschaft bereits heute, und auch zunehmend in den kommenden Jahren, durch den IT-Fachkräftemangel Potenziale für Wachstum entgehen. Im Jahr 2010 blieben laut BITKOM 28.000 Stellen für IT-Profis in Deutsch-land unbesetzt. Das Beratungsunternehmen Empi-rica prognostiziert im Auftrag der Europäischen Komission, dass rund 900.000 Arbeitsplätze in Europa bis 2020 unbesetzt bleiben werden, und das vor allem im so geschätzten High-End-Segment des Marktes1.
Glaubt man den Prognosen, hat der IT-Markt in Deutschland in den nächsten Jahren einen zunehmenden Wachstumsbedarf und generiert dadurch eine hohe Nachfrage nach Fachkräften. Das Angebot, also beispielsweise der Zufluss an neuen ITK-Fachkräften aus Universitäten und anderen Bildungssystemen, kommt nicht entsprechend nach. Wir befinden uns also in einer Krise, die manche bereits deutlich spüren. Chefs und HR-Verantwortliche in Unternehmen finden einfach nicht die passend qualifizierten Personen für ihre ausgeschriebenen Stellen. Eine Krise, für die sich Menschen außerhalb der Unternehmen leider kaum interessieren, weshalb die politische Willensbildung nicht in dem notwendigen Maß erfolgt. Keine der deutschen Parteien behandelt den Fachkräftemangel bisher als ein Top-Thema.
Aber mit welchen Strategien kann man gegen den IT-Fachkräftemangel vorgehen?
Nun, da gibt es zwei grundsätzliche Möglichkeiten. Zum einen können weiterhin zusätzliche Fachkräfte aus dem Ausland im deutschen Arbeitsmarkt andocken. Zum anderen können die Potenziale in Deutschland durch Qualifizierung verbessert werden. Die Europäische Kommission hat die bestehenden und weiter wachsenden Probleme inzwischen erkannt und versucht, durch eine »Grand Coalition for Digital Jobs«2 politisch gegen die Krise vorzugehen. Dieser Maßnahmenkatalog umfasst eine inzwischen große Anzahl an »Pledges«, also Vereinbarungen, von Firmen und Organisationen, mit denen gegen den IT-Fachkräftemangel vorgegangen werden soll. Eine solche Maßnahme ist der kommende EU-Standard e-Competence Framework3 (e-CF). Bei konsequenter Anwendung des e-CF wird eine deutlich bessere Integration von ausländischen IT-Fachkräften in den deutschen Arbeitsmarkt ermöglicht und die Transparenz und Anerkennung von Qualifikationen und Zertifizierungen wird mindestens europaweit verbessert.
Ein Bestandteil des e-CFs ist eine Liste von weltweit anerkannten IT-Personenzertifizierungen, die zu bestimmten e-Kompetenzen führen. Damit können Personen, die sich für eine bestimmte Stelle bewerben möchten, durch die Zertifizierung eine bestimmte Kompetenz, die im e-CF aufgeführt ist, erreichen und dokumentieren. Wenn in einer Stellenausschreibung diese e-CF Kompetenz als Voraussetzung genannt wird, dann besteht eine Übereinstimmung, die international funktioniert und neue Potenziale an geeigneten qualifizierten Kandidaten hervorbringt. Darüber hinaus sind Personenzertifizierungen auch gut dafür geeignet, firmenintern Personen für bestimmte Kompetenzen, die im Unternehmen benötigt werden, zu qualifizieren. Generell werden Zertifizierungen auch bei Bewerbungen und Stellenausschreibungen als wichtiges Kriterium von Personalabteilungen herangezogen. IT-Personenzertifizierungen sind eine Besonderheit des IT-Arbeitsmarktes. Sie bestätigen ihren Absolventen theoretisches und praktisches IT-Fachwissen für die verschiedensten Disziplinen. Von der herstellerneutralen Basiszertifizierung für den PC-Support bis hin zum hochspezialisierten Security-Experten: Jegliches IT-Fachwissen lässt sich zertifizieren und damit für einen Arbeitgeber transparent und nachweisbar machen. IT-Personenzertifizierungen werden von IT-Experten oftmals parallel zur Ausbildung, zum Studium oder im Berufsalltag absolviert. Ein- und Umsteigern in die IT-Branche helfen Personenzertifizierungen, erfolgreich in der IT-Branche Fuß zu fassen – ohne gleich eine Ausbildung oder gar ein Studium absolvieren zu müssen.
Die Expertengruppe »IT-Personenzertifizierungen«, die seit einiger Zeit im Rahmen der Vereinigung »Open Source Business Foundation« (OSBF) agiert, setzt sich für die Aufklärung und Beratung zum Thema »Zertifizierung von IT-Profis« ein. Man möchte gezielt dem steigenden Fachkräftemangel entgegenwirken. Die Gruppe besteht aus verschiedenen anerkannten Experten der IT-Aus- und Weiterbildungsbranche sowie Unternehmen, die zur Rekrutierung neuer Fachkräfte und zur Qualitätssicherung stark auf zertifiziertes Personal setzen. Gemeinsam wollen sie über die Möglichkeiten und Chancen der anerkannten IT-Personenzertifizierung aufklären und mehr Transparenz in den Markt bringen.4 Es wurde beispielsweise eine Case Study über die Firma Thomas-Krenn AG mit dem Titel »Die Mitarbeiter machen den Unterschied«5 produziert. Dort soll jeder Mitarbeiter pro Jahr mindestens eine Zertifizierung absolvieren. Man möchte so unter anderem den hohen Qualitätsstandard des Unternehmens sichern, das Wissen der Mitarbeiter transparent und einschätzbar machen und nicht zuletzt mit anerkannten Zertifikaten das Personal motivieren.
Zusammenfassung
■ Durch den IT-Fachkräftemangel verpasst Deutschland bereits heute und in den kommenden Jahren zunehmend Potentiale für Wachstum. Das Angebot an neuen ITK-Fachkräften kommt nicht entsprechend nach, und wir befinden uns in einer Krise, die manche bereits deutlich spüren
■ Eine Maßnahme gegen diese Krise ist der kommende EU Standard e-Competence Framework (e-CF). Bei konsequenter Anwendung des e-CF kann eine deutlich bessere Integration von IT Fachkräften in den deutschen Arbeitsmarkt ermöglicht werden
■ IT-Personenzertifizierungen, die zu bestimmten e-Kompetenzen führen und Bestandteil des e-CF sind, sollten als weitere passende Maßnahme gegen den IT-Fachkräftemangel herangezogen werden. Die Expertengruppe »IT-Personenzertifizierungen« bei der OSBF setzt sich für die Aufklärung und Beratung zum Thema »Zertifizierung von IT-Profis« ein
Autor: Klaus Behrla
Open Source | IT | HR
LPI Central Europe, Open Source Certification GmbH
Klaus Behrla ist seit 2006 Geschäftsführer bei LPI Central Europe, der Master Affiliate Organisation des Linux Professional Institute (LPI) in Belgien, Deutschland,Luxemburg, Niederlande, Österreich, Polen, Schweiz, Slowakei, der Tschechischen
Republik und Ungarn.
Das LPI ist weltweiter Marktführer im Bereich Personenzertifizierung für Linux und Open Source Software.
Klaus Behrla arbeitet seit 1998 in den Bereichen IT, Medien, Erwachsenenbildung, Personenzertifizierung und HR. Bei
der OSBF leitet er seit 2009 die Projektgruppe »HR Certification ICT«.
Quelle / Text / Lizenz
Der Beitrag „Deutschland übersieht und verpasst Potenziale für Wachstum“ wurde im Buch: „HR Innovation: Gemeinsam Unternehmenskultur umdenken“ veröffentlicht und ist lizenziert unter einer Creative Commons Namensnennung – Keine Bearbeitungen 4.0 International Lizenz.
Quellenverzeichnis
1 http://www.euractiv.com/sections/eskills-growth/employers-tackle-unpredictable-skills-mismatch-ict-sector-301938 und http://eskills-monitor2013.eu/results/
2 http://europa.eu/rapid/press-release_IP-13-182_en.htm
3 http://www.ecompetences.eu/de/
4 http://www.osbf.eu/de/global/unsere_projekte/personenzertifizierung/
5 http://www.osbf.eu/blog/allgemein/die-mitarbeiter-machen-den-unter-schied/#.U3SPO65L2V5