Experten raten dazu, Risiken durch das Zusammenspiel von Wissen, gesundem Menschenverstand und stochastischen Methoden aufzu­spüren und zu begegnen.

360°: Risiken immer im Blick

Experten raten dazu, Risiken durch das Zusammenspiel von Wissen, gesundem Menschenverstand und stochastischen Methoden aufzu­spüren und zu begegnen.

In einem Beitrag zu „Schlauer nach geheimer TTIP-Lektüre“ sprach „tageschau.de“ im Februar 2016 davon, dass die Kritik an TTIP „sowohl auf den Inhalt als auch auf die Art der Verhandlung“ abziele. In der Tat: Was von vielen politisch Verantwortlichen, Unternehmen und ihren Lobbygruppen als Chance verkauft wird, ist für andere in der Durchführung mehr Risiko, ja Gefahr. Nicht nur in puncto der Verhandlungsmasse mit dem erklärten Ziel „Vorteile für Verbraucher ebenso wie für Unternehmen durch gemeinsame Standards bei Zukunftstechnologien zu schaffen“, so die Lesart des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie, kurz BMWi. Nein, auch die durchgängige Geheimniskrämerei um die Verhandlungen führt bei vielen Politikern und einer großen Schnittmenge des Wahlvolkes zu Verstimmungen. Letzter Akt: Das Lesezimmer für Abgeordnete des Bundestags und Bundesratsmitglieder, in dem sie die TTIP-Unterlagen einsehen können – ohne Smartphone, Kugelschreiber oder den eigenen Notizblock. Das ist bizarr und schafft „Transparenz, zumindest theoretisch“, wie der Bayerische Rundfunk etwas spöttisch in einem Beitrag titelte.

Im Grunde zeigt sich am Zankapfel TTIP die aktuelle globale Misere, die mehr als Chlorhuhn, Datenschutz, Straf- und Schiedsgerichte bedeutet. Wir befinden uns inmitten einer geopolitischen Gemengelage mit schwächelnden Volkswirtschaften, Grenz- und Territorialkonflikten, Kriegen, Terror und unaufhaltsamen Flüchtlingsströmen, an denen der Gemeinschaftsgedanke der EU zu zerbrechen droht. Und in diesem Strudel folgen weitere Krisen, Gefahren und Risiken. Mehr noch, es wird hart gekämpft im globalen Machtkampf um Ressourcen, Gebietsansprüche und Einflusssphären. Im Umkehrschluss müssen politisch Verantwortliche und Unternehmen den Risikoatlas erweitern, um die Risiken in einer Welt ohne Weltordnung bestmöglich zu bewältigen. Denn die Globalisierung mit all ihren Vor- und Nachteilen lässt keinen außen vor, in guten wie in schlechten Zeiten. Ein Beispiel ist der Klimawandel, in dessen Folge Hitzewellen im Sommer länger andauern oder im Winter eine Kältewelle kommt, Schneestürme häufiger werden. Darauf verweist Matthias Habel, Leiter Unternehmenskommunikation beim Datenspezialisten wetteronline.de. Und Habel ergänzt: „All diese Extreme sind es eben, die dann Einfluss auf den Einzelnen von uns haben, aber eben auch auf die ganze Gesellschaft. Denn wir leben auch in Deutschland und Europa in einer Zone, wo dieses Wetterrisiko gegeben ist und wo die Natur und das Wetter an sich auch sehr schnell umschlagen kann.“ Darauf muss man vorbereitet sein, auch als Unternehmen.

Risiko- und Marktprognose 2016: Terror, Cyber, Wetter

 

Deutschen Unternehmen drohen in diesem Jahr Höchstschäden, so das Ergebnis einer aktuellen Marktprognose des Versicherungsmaklers Aon.
Islamistischer Terror, Cyber-Angriffe und Wetter-Katastrophen – das werden die Themen sein, die auf der Agenda der Risikomanager ganz oben stehen werden.

Die komplette Studie erhalten Sie unter:
www.aon.de;
Volker.Bitzer@aon.de

Frühwarnsysteme für ein präventives Risikomanagement

Ein sinnvolles Mittel der Vorbereitung sind Frühwarnsysteme aus dem Werkzeugkasten eines präventiven Risikomanagements. So gehen beispielsweise von geopolitischen Konflikten vielfach zunächst schwache Signale aus. In deren Folge kommt es zu Handelssanktionen und Krieg mit immensen Folgen für die globale und eng verzahnte Wirtschaft. So wird der Öl- und Gaspreis unter anderem als ein Mittel der politischen Auseinandersetzung gesehen mit künstlich erzeugten Engpässen bis hin zu Lieferstopps. So ist beispielsweise der Preis für Rohöl seit Mitte 2014 um mehr als 76 Prozent gefallen. Turbulente Zeiten an den Rohstoffmärkten. Gab es hierfür keine Frühwarnsignale? Die Ursachen für den Preisverfall sind vor allem auf der Angebotsseite zu finden: Die erheblichen Investitionen von Minen- und Ölförderunternehmen in den boomenden Jahren bis etwa 2012 führten folgelogisch zu großen Angebotsüberhängen. Auf diese Entwicklungen müssen Unternehmen Antworten finden und zukunftsgewandt agieren. Im Umkehrschluss heißt das, wann ist unter anderem die beste Zeit um Erdgas einzukaufen? Die goldgas GmbH sieht für einen langfristigen Liefervertrag mit Energieversorgern aktuell die besten Voraussetzungen. Hintergrund ist hier, dass führende Energieexperten in den nächsten Monaten kaum Bewegung bei den Energiepreisen hierzulande erwarten. „Erst mittelfristig müssen Groß­kunden wieder mit steigenden Preisen für Strom, Öl, Erdgas und Kohle rechnen“, so der Energielieferant, zu dessen Kunden neben Privathaushalten, Gewerbekunden und Haus­verwaltungen auch Großabnehmer aus der Industrie und der Weiterverteilung von Energie zählen.
Mithilfe von Frühwarnindikatoren können Unternehmen feststellen, ob sie möglicherweise in gefährliche Gewässer segeln. Die Beachtung von Frühwarnindikatoren im Bereich der Wirtschaft war immer schon ein wichtiges Steuerungsinstrument, um Unternehmensziele zu erreichen. Viele Unternehmen haben dies anscheinend vergessen – und konzentrieren ihre Ressourcen auf eine reine (vergangenheitsorientierte) Risikobuchhaltung. Frühwarnsysteme sollen ihren Benutzern rechtzeitig latente (also verdeckt bereits vorhandene) Risiken (und möglicherweise auch Chancen) signalisieren, sodass noch hinreichend Zeit für die Ergreifung geeigneter Maßnahmen besteht.

Risikotragfähigkeit und schwarze Schwäne

Dies erscheint umso wichtiger bei einem Blick auf die Zahlen. Demnach werden 60 Prozent der Unternehmenswerte durch fehlerhafte Strategien in der Risikotragfähigkeit der Organisationen vernichtet. Lassen Sie uns in diesem Kontext einen Blick auf die sogenannten „schwarzen Schwäne“ werfen. Dies sind unwahrscheinliche, aber für Unternehmen sehr teure Risiken. Ein Patentrezept dagegen gibt es nicht und doch raten Experten dazu, Risiken durch das Zusammenspiel von Expertenwissen, gesundem Menschenverstand und stochastischen Methoden zu begegnen. Ein Beispiel ist der Gau in einem Atomkraftwerk. Die Wahrschein­lichkeit des Eintretens ist verschwindend gering. Tritt der Fall dann aber ein, ist der Schaden groß, wie die Nuklearkatastrophe von Fukushima zeigt. In einem Interview des Kompetenzpor­tals RiskNET mit Jürgen Strohhecker, Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Produktionswirtschaft und Controlling, erklärte Strohhecker: „Wer den schwarzen Schwan finden will, muss neue und besonders empfindliche Sensoren einsetzen und sehr breit suchen.“ Und er ergänzt: „Wer dann auch noch ein Gefühl für die Konsequenzen entwickeln möchte, die dann möglich sind, muss entweder übermenschliche Fertigkeiten entwickeln oder Computersimulationsmodelle ein­setzen. Ich persönlich würde mich eher auf ein gutes System-Dynamics-Simulationsmodell verlassen.“ Solche Simulationen und vor allem die richtige Verknüpfung und Analyse der dahinterliegenden Datenmengen werden immer wichtiger.

Darauf verweist auch Matthias Habel von wetteronline.de: „Wir arbeiten mit Big Data in dem Sinne, dass wir Unmengen an Daten pro Sekunde rein­bekommen. Diese Daten werden ge­ordnet, analysiert, um die richtigen Schlüsse daraus zu ziehen.“ Im Grunde lassen sich solche big-data-gestütz­ten Analysen für jeden Bereich durchführen und wären auch für das eingangs beschriebene Thema TTIP denkbar. Würden die Verantwortlichen das tun, entstünde mehr Klarheit über den weiteren Weg im transnationalen Verhältnis sowie die Chancen und Risi­ken möglicher Vertragsabschlüsse zwischen Europa und den USA. Somit bleibt aktuell das Wetter als kleinster gemeinsamer Nenner im Weltmaßstab. Denn dem sind alle ausgesetzt, hier wie dort, bei Sonne, Regen oder Schnee. Stopp: Nur deutsche Abgeordnete und Bundesratsmitglieder nicht. Die sitzen ja im klimatisierten TTIP-Lesezimmer.

Autor:
Frank Romeike

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