Durch Krisen navigieren und Chancen nutzen: Warum Open-Source-Technologie mehr denn je Sinn macht
Von Hans Roth*
Die letzten 15 Jahre haben gezeigt, dass jederzeit etwas Unvorhersehbares eintreten kann. Kaum jemand sah die Finanzkrise 2009 kommen, ganz zu schweigen von Covid. Solche Ereignisse haben weitreichende Folgen – für das Leben des Einzelnen, für die Gesellschaft und für die Wirtschaft. Wie können sich Unternehmen nun vor dem Auftreten solcher Krisenszenarien schützen oder – genauer gesagt – wie können sie mit Technologie ihre Resilienz erhöhen?
Krisen kommen unerwartet. Wenn man nicht sieht, was auf einen zukommt, wie kann man dann die Folgen abmildern? Geschwindigkeit ist oft die Antwort. Und mit Wahlfreiheit ist diese Geschwindigkeit realisierbar. Jedes gut geführte Unternehmen wird diesen Ansatz bereits im Finanzwesen verfolgen. Reserven werden oft in einer Mischung aus Vermögenswerten und Währungen gehalten, um die Auswirkungen eines Wechselkursverlustes zu verringern.
An diesem Punkt kann man den Vergleich zur Technologie ziehen. Wenn sich ein Unternehmen auf einen einzigen Anbieter verlässt, ist es abhängig. Sollte etwas mit dem Anbieter schiefgehen, kann das Unternehmen nicht einfach irgendwo anders hingehen, zumindest nicht sofort. Und die Geschichte lehrt uns, dass so etwas passieren kann: 2e2, Nirvanix und Fusion waren einst angesehene Cloud-Computing- und Storage-Firmen, die leider gescheitert sind. Eine drastische Preiserhöhung, ein Sicherheitsvorfall oder ein neuer innovativer Anbieter auf dem Markt machen einen Wechsel dringend erforderlich. Doch je mehr man an den bisherigen Anbieter gebunden ist, desto schwieriger wird dies.
Wenn Anwendungen und Workloads frei zwischen unterschiedlichen Umgebungen migrierbar sind, kann eine Nutzung je nach Bedarf erhöht oder verringert werden. Aus diesem Grund hat sich ein hybrider Ansatz für die Infrastruktur – die Kombination von On-Premises und Cloud, von Private und Public Cloud sowie von verschiedenen Public Clouds – als sinnvolle Strategie durchgesetzt, und zwar in Verbindung mit Open Source Software. Schließlich geht es nicht nur darum, Anwendungen auf eine andere Infrastruktur zu verlagern oder Daten in eine neue Applikation zu übertragen. Open Source ermöglicht auch Agilität, weil eine Community-Unterstützung vorhanden ist. Die Vielzahl der Beteiligten ermöglicht eine schnellere Reaktion auf Krisen als es etwa großen Unternehmen mit strengen Hierarchien und komplexen Entscheidungsstrukturen möglich ist.
Innovationen vorantreiben
Glücklicherweise sind Krisen relativ selten. Unternehmen verbringen also mehr Zeit damit, Innovationen voranzutreiben. Und auch hier ist die Kombination aus Open Source Software und hybrider Infrastruktur der perfekte Ansatz. Es ist dabei die Open Source Community, die den Mehrwert schafft. Die Logik ist einfach: Würde man in einem Raum mit 100 Leuten darauf setzen, dass eine einzelne Person immer die beste Idee hat, oder auf die kollektive Kraft der anderen 99? Innovation findet nie nur an einem Ort statt. Open Source bietet Zugang zu allen und jedem – mehr Kreative, die etwas erschaffen, mehr Augen, die prüfen und mehr Menschen, die Unterstützung bieten.
Bei der Innovation geht es nicht darum, immer die neuesten Lösungen zu kaufen. Wie unser CEO Paul Cormier kürzlich erklärte, ist das weder praktisch noch nachhaltig. Bei der Innovation steht die Modernisierung im Vordergrund; man nimmt das, was man hat, und verbessert es. Wenn ein Unternehmen von der Innovationsfreudigkeit und -fähigkeit eines Anbieters abhängig ist, kann es leicht ins Hintertreffen geraten. Open Source hingegen bietet die Interoperabilität, die eine kontinuierliche Verbesserung ermöglicht – und damit auch einen proaktiveren Ansatz für das Ergreifen neuer Geschäftschancen.
Die Tech-Branche weiß das: Google hat Kubernetes und Flutter, Microsoft hat Azure Docs und VS Code, AWS und Apple verwenden beide Linux. Es gibt kein besseres Beispiel für die Innovationskraft von Open Source als die Kryptowährung Bitcoin, die dank des Einfallsreichtums und des Engagements der Community bereits einmal eine Marktkapitalisierung von über 1,2 Billionen US-Dollar erreicht hat.
Komplexität orchestrieren
Je mehr Lösungen ein Unternehmen nutzt, desto größer kann die Komplexität werden. Eine On-Premises-Umgebung, in der nur eine Handvoll Softwareprogramme läuft, ist übersichtlich und leicht zu verwalten. Eine hybride Infrastruktur mit der Einführung von Open Source Software ist dagegen sehr komplex.
Ohne die richtige Orchestrierung können die Dinge verwirrend und kostspielig werden. So ist es überall: Bibliotheken orchestrieren Informationen, Autos orchestrieren mechanische Komponenten, Navigations- und Entertainment-Systeme oder Smartphones orchestrieren das Leben. Analog verhält es sich bei der Enterprise-Technologie. Eine Orchestrierungsplattform wie Red Hat OpenShift verringert die Komplexität, indem sie sicherstellt, dass Software und einzelne Softwarekomponenten unabhängig von der Betriebsumgebung interagieren können. Dies ist entscheidend für eine effiziente Anwendungsmodernisierung, die es einem Unternehmen ermöglicht, Software mit Containern und Microservices zu verbessern oder komplett neu zu erstellen. Ein darüberliegender Automatisierungs-Layer sorgt dafür, dass alles reibungslos funktioniert.
Kultur – das letzte Puzzleteil
Bei der Orchestrierung geht es nicht nur um die Organisation und Automatisierung von Produkten und Richtlinien. Technologie ist letztlich wertlos ohne die Unterstützung der Menschen. Wie kann man aber nun Menschen „orchestrieren“? Die Antwort lautet: mit Kultur oder – genauer gesagt – mit einer offenen Kultur.
In einer offenen Kultur ist das Vertrauen in die Kolleginnen und Kollegen der Standard und werden Ideen nach ihren Vorteilen beurteilt und nicht nach dem Dienstalter des Vorschlagenden. Eine offene Kultur fördert auch stille Talente und ihre Ideen. Das logische Ergebnis ist eine Vielfalt von Wissen und Erfahrung.
Wenn ein Unternehmen nun die Agilität von hybriden Infrastrukturen und Open Source Software nutzen möchte, muss es auch eine solch offene Kultur etablieren. Und die Mehrheit der Unternehmen verfolgt auch eine Open-Source-Strategie. Eine neue weltweite Untersuchung von Red Hat unter Beteiligung von rund 1.300 IT-Führungskräften hat ergeben, dass für 95 % der Befragten Open Source für die Gesamtinfrastruktur ihres Unternehmens sehr wichtig ist. Als Gründe werden genannt: die größere Flexibilität (79 %), der Zugang zu Innovationen (77 %) und die Unterstützung einer Hybrid-Cloud-Strategie (77 %).
Die Ergebnisse sind ein starkes Argument für Open Source. Ein Unternehmen, das gut gerüstet ist, um Krisen zu überstehen und Chancen zu ergreifen, wird erfolgreicher sein als ein Unternehmen, das starre Strukturen besitzt. Open Source und hybride Infrastrukturen nicht einzuführen, bedeutet zu glauben, dass wir am Ende der Geschichte angelangt sind und die Welt und die Märkte keine unerwarteten Wendungen bringen werden. Schaut man sich um, erkennt man, dass die Realität eine ganz andere Geschichte schreibt.
* Hans Roth ist SVP und General Manager EMEA bei Red Hat