ChatGPT – das Ding spricht Business

Künstliche Intelligenz wird für Unternehmen zur Pflicht. Aber wie sollte man mit der neuen Technologien umgehen? Der Experte und Vordenker Maximilian Vogel erklärt im Interview, welche Möglichkeiten KI und ML heute schon bieten und wie man dieses Potenzial richtig nutzt.

 

Herr Vogel, welche neue Welt eröffnet sich für Unternehmen mit dem Einsatz von ChatGPT?

Die Markteinführung von ChatGPT Ende des vergangenen Jahres war der iPhone-Moment der KI. Die Sprachmodelle sind jetzt in der Gesellschaft, in den Unternehmen angekommen. Sie bringen völlig neuartige Interaktions- und Innovationsmöglichkeiten mit sich: einerseits bei Kundenschnittstellen, andererseits eröffnen sie ungeahnte Automatisierungspotentiale bei textbasierter Information wie Dokumenten oder Mails. Nach einer Studie von Goldman Sachs wird das mittelfristig mehr als 300 Million Jobs massiv verändern.


„KI-basierte Lösungen entfalten ihr volles Potenzial, wenn sie tief in die Unternehmensprozesse und das IT-Ökosystem integriert werden.“

Maximilian Vogel

Was ist alles möglich und muss man nur die richtigen Fragen stellen?

Die Möglichkeiten von Sprachmodellen lassen sich kaum eingrenzen. Einige Beispiele, die schon gut funktionieren: Kunden-E-Mails können direkt beantwortet werden. Komplexe Produkte wie Autos oder auch Avatare im Metaverse können in einen starken, emotionalen Dialog mit den Nutzern gebracht werden. Websites, Verträge und Angebote können automatisch generiert werden und Schulkinder können jetzt schon Schulbücher abfragen und mit ihnen lernen. Dabei muss das System immer in der Lage sein, auf „falsche“ Fragen richtig zu reagieren.

Welche Herausforderungen müssen bei der Implementierung in Unternehmensprozesse gelöst werden?

KI-basierte Lösungen entfalten ihr volles Potenzial, wenn sie tief in die Prozesse und das IT-Ökosystem des Unternehmens integriert werden. Wenn sie auf Basis von Daten des

Unternehmens mit Nutzern interagieren, oder Teil der Kundenschnittstellen sind. Zentral dabei ist, eine Abhängigkeit von einzelnen technischen Produkten von Dritten – einen sogenannten Vendor-Lock-in – zu vermeiden und sich die Möglichkeit zu bewahren, auch in zwei oder fünf Jahren noch den besten KI-Service zu nutzen. In unserem sich extrem rapide entwickelnden Feld kennen wir die leistungsfähigsten Modelle von morgen noch nicht.

Über welche Expertise verfügen Sie in diesem Kontext?

Wir sind eines der wenigen Unternehmen in Deutschland, das auf eine langjährige Erfahrung bei Sprachmodellen zurückblicken kann. Unsere Expertise bezieht sich auf die Entwicklung von Anwendungsfällen – mit Fokus auf Customer Experience und Digitaler Transformation für das Unternehmen – auf die Auswahl geeigneter Modelle und Services und die Integration in die Unternehmens-IT. Wir unterstützen bei der Vorbereitung unternehmensinterner Daten für KI-Anwendungen, beim Training und bei der Evaluation von Systemen.

 

 

 

Maximilian Vogel ist Co-Founder von BIG PICTURE in Berlin. Er ist begeistert von der Forschung und Entwicklung im Bereich der KI und hat digitale Plattformen, Apps und Machine Learning Lösungen für Marken wie BASF, BMW, Danone, Evonik, General Motors, Henkel, Mercedes oder die Sparkasse entwickelt.

 

Inwieweit hat sich seit dem Launch von ChatGPT die Welt für künstlichen Intelligenz verändert?

Die Modelle haben unter den Augen der Weltöffentlichkeit das Labor verlassen, tauchen in unserer Lebenswelt auf und werden immer besser. Es vergeht fast keine Woche, in der nicht ein neuartiges, noch performanteres System von OpenAI, Google, Microsoft oder von einem der vielen Startups auf den Markt kommt. Während es vor 6 Monaten vielleicht 1 bis 2 Lösungen für eine spezifische Fragestellung gab, sehen wir jetzt 10 bis 20 Lösungen.
Und auf der Business-Seite: KI ist angekommen – auch in Deutschland. Viele Unternehmen stellen sich nicht mehr die Frage, ob, sondern wie sie KI-Systeme in ihre Prozesse integrieren können. Sie haben einerseits Potentiale dieser Technologie identifiziert und sehen andererseits auch das Risiko, bei dieser schnellen und sehr grundlegenden Transformation abgehängt zu werden, wenn sie nicht aktiv werden.

Welche Unternehmensbereiche können von der neuen Technologie profitieren?

Es sind alle Bereiche, bei denen mit Kunden, Partnern, Mitarbeitenden, Klienten oder Patienten per Sprachschnittstelle, per Mail, mit Text kommuniziert wird. Alle Felder, in denen Dokumente erstellt, klassifiziert, durchsucht, extrahiert oder befragt werden. Bei denen anspruchsvolle, aber repetitive Arbeiten wie die Bearbeitung von Angebotsanfragen, Reklamationen oder Service-Fällen durchgeführt werden. In der Erstellung kreativer Inhalte für die Website oder Social Media.
Es gibt jenseits der Sprachmodelle auch sogenannte Foundation Models, die in der Lage sind, Bilder, Videos, Programm-Code, Game-Inhalte, Produktdesigns oder chemische Formeln zu produzieren.

Wo lagen bisher Ihre größten Herausforderungen im Kontext der Implementierung von ML und KI-Lösungen?

Eine zentrale Herausforderung in der Entwicklung von KI-Lösungen war immer die letzte Meile: Das System von 95% sicheren Antworten auf 100% zu bekommen. ChatGPT kann mir Witze erzählen, bei den Hausaufgaben helfen, über Filme quatschen und über den Sinn des Lebens philosophieren. Für Businessanwendungen gerade im Kundenkontext bestand für uns die Aufgabe, eine scharfe Begrenzung auf die Inhalte zu machen, die das Unternehmen wirklich sicher beantworten kann und andere User-Interaktionen vernünftig zu moderieren. Weitere, immer wiederkehrende Herausforderungen sind die Entwicklung einer Evaluationssystematik, der Aufbau von Content-Pipelines auf Basis von oft unstrukturierten Datenschätzen im Unternehmen. Und in einem Feld, das sehr stark von amerikanischen Anbietern dominiert wird, die Sicherstellung der DSGVO-Konformität.

Wie sollten große Unternehmen bei der Implementierung von ChatGPT und anderen Sprachmodellen vorgehen?

Die Identifikation des passenden Anwendungsbereichs ist der erste zentrale Schritt: Wo kann ich die größten Mehrwerte in Bezug auf Customer Experience oder Automatisierungsgrad schaffen? Was sind geeignete Anwendungsfälle, was nicht?
Der zweite Schritt ist ein Proof of Concept – eine Konzepterprobung. Kann ich auf Basis realer Daten und Anwendungsfälle in einem Bereich Fragen richtig beantworten, Dokumente richtig analysieren? Dieser PoC muss noch nicht an Unternehmenssysteme angebunden sein.
Wenn der PoC in der Evaluation schließlich meine Erfolgskriterien erfüllt, muss er – am besten Stück für Stück – in die IT-Landschaft integriert werden. So dass eine produktive Plattform geschaffen wird, die wachsen kann und flexibel ist – vom inhaltlichen Umfang her, der Ausrollbarkeit in meine Märkte, der verwendeten Services von Drittanbietern.
 
Welche Rolle wird ChatGPT in Zukunft im Metaverse spielen?

ChatGPT und andere Sprachmodelle bieten die Möglichkeit, das Metaverse mit nicht-menschlichen Charakteren zu bevölkern. Mit spannenden, schlauen, hilfreichen Avataren, die den User unterhalten, ihn begeistern, ihm Produkte erklären, bei Service-Fällen helfen oder mit ihm Abenteuer erleben. Und das Ganze auf einem Niveau eines natürlichsprachlichen Austauschs, der auf den ersten Blick offenlässt, ob hier ein Mensch oder eine Maschine spricht.

Sie sind Autor der „ChatGPT List of Lists“ – wer sollte sich damit beschäftigen?

Die ChatGPT List of Lists bietet eine kurze, nicht sehr technische Einführung in das Thema und einen kuratierten Überblick über die wichtigsten Ressourcen in diesem Bereich: Wie erstelle ich Prompts zur Generierung von Marketinginhalten oder anderer Bereiche? Wie kann ich das Modell für die Softwareentwicklung nutzen? Was sind APIs, wie binde ich sie ein? Was sind spannende, lustige und interessante Use Cases? Was funktioniert noch nicht? Was sind Alternativsysteme?
https://medium.com/mlearning-ai/8b14c35eb

Welche Ziele haben Sie sich für dieses Jahr noch gesteckt?

Eine spannende Fragestellung, die ich gerne umsetzen würde – einfach nur als Prototyp – wäre eine sich selbst verwaltende intelligente Organisation bestehend aus KI-Komponenten. Zum Beispiel eine kleine Firma, ein digitaler Freelancer, der automatisiert Marketing für sich macht, Dienstleistungen erbringen kann z.B. in der Content-Kreation, mit Partnern kommuniziert, Rechnungen schreibt, bezahlt und vielleicht sogar neue Geschäftsfelder entdeckt. Aber ich bin mir nicht sicher, ob so etwas dieses Jahr noch realisierbar ist – wahrscheinlich wird das System spätestens bei der Steuererklärung scheitern.
Und mein ganz persönliches Ziel: Dieses Jahr nicht zu viel mit Maschinen zu sprechen, sondern mit spannenden Angehörigen meiner eigenen Spezies – über Maschinen, aber gerne auch über 1000 andere Themen.

big-picture.com/ki

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