Logistik braucht IT
Die Anforderungen an die Logistik wachsen sprunghaft: Stichwort Globalisierung, Stichwort Internet der Dinge (IoT), Stichwort M-Commerce, Stichwort „Same Day Delivery“. Notwendig ist vor allem die Integration von IT und Logistik. Gefordert sind viele Beteiligte: Die Politik, allen voran die Bundesregierung, aber auch Verbände und Unternehmen. Vom Erfolg oder Misserfolg hängt nicht weniger als die Zukunft des Wirtschaftsstandorts Deutschland ab.
Die Zahlen können sich sehen lassen: Allein in Deutschland arbeiten 2,8 Millionen Menschen in der Logistikbranche; sie setzen rund 240 Milliarden Euro um – Tendenz steigend. Die Logistikbranche mit ihren rund 60 000 meist mittelständischen Betrieben ist damit nach der Automobilindustrie und dem Handel der drittgrößte Wirtschaftsbereich in Deutschland, noch vor der Elektronikbranche und dem Maschinenbau. Im europäischen Markt, der nach Angaben der Bundesvereinigung Logistik (BVL) im Jahr 2014 auf 960 Milliarden Euro geschätzt wird, nimmt Deutschland mit rund 25 Prozent beim Umsatz einen Spitzenplatz ein. Doch nicht nur die Zahlen der Branche zeigen, wie entscheidend die Logistik für die deutsche Volkswirtschaft ist. In einer zunehmend vernetzten Welt entscheidet die Qualität der Logistik nicht nur über die Wettbewerbsfähigkeit allein der Logistikunternehmen, sondern aller Unternehmen, die mit Logistik zu tun haben – und das sind alle. Immer mehr Waren sollen in der richtigen Menge zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort geliefert werden, und natürlich soll dies immer billiger werden. Ausfälle sind im Zeitalter von „Lean Production“ und „just in time“ teuer; wer nicht liefert, ist geliefert.
Software als „treibende Kraft“
Grund genug für die BVL, ein Positionspapier zu erstellen, das die Herausforderungen für Politik und Unternehmen beschreibt und Handlungsempfehlungen gibt. Das von den Logistikexperten Professor Michael ten Hompel, Professor Jakob Rehof und Frauke Heistermann erstellte Papier definiert Logistik als „ganzheitliche Planung, Steuerung, Koordination, Durchführung und Kontrolle aller unternehmensinternen und unternehmensübergreifenden Informations- und Güterflüsse.“ Mit dieser Definition der Logistik ist die enge Verzahnung von Logistik und IT festgeschrieben, die im Positionspapier weiter ausgeführt wird. So fordern die Autoren u. a., IT und Logistik zusammen zu denken, Informationslogistik endlich als eigenständige Disziplin anzuerkennen und entsprechend zu fördern, eine sichere „German Cloud“ scheint bereits vorhanden und „insbesondere Entwicklungen im Bereich der Informationstechnologien in den Dienst einer Social Logistics zu stellen, die die Vernetzung des Menschen in den ‚Social Networks’ einer Industrie 4.0 propagiert und ihn zugleich als soziales Individuum adressiert.“
Trend: Pick-by-Vision
Augmented Reality trifft Lagerlogistik: Mittels einer Datenbrille werden dem Kommissionierer Informationen angezeigt. Durch ein Positionserfassungssystem werden sein Standort und seine Blickrichtung registriert, sodass auch ortsabhängige Informationen eingespielt werden können. Beispiele dafür sind Pfeile zur Navigation oder die farbliche Umrandung des relevanten Lagerfachs. https://trendreport.de/pick-by-vision/
4.0-Tauglichkeit testen
Testen sie sich!
Der Industrie-4.0-Check-up des Fraunhofer IFF hat einen branchenunabhängigen Test auf Basis eines digitalen Reifegradmodells entwickelt, der Verantwortlichen hilft ihre individuelle Situation zu prüfen und Digitalisierung exakt zu planen. www.trendreport.de/industrie40-checkup
Stichwort Industrie 4.0 und Logistik: Hier geht es um eine Verzahnung der industriellen Produktion mithilfe „intelligenter“ und „digital vernetzter“ Systeme. Ziel ist eine sich weitestgehend selbst organisierende Produktion sowie die Optimierung entlang der gesamten Wertschöpfungskette. Außerdem umfasst das Konzept den gesamten Lebenszyklus eines Produkts von der Entwicklung über die Fertigung und Nutzung bis zum Recycling. Damit wird deutlich, welchen Stellenwert die Logistik beim Erreichen dieser ambitionierten Ziele einnimmt. Dennoch: Die Gefahr von Fehlinvestitionen ist hoch. Wer die Risiken gering halten möchte, kann auf bestimmte Tools zurückgreifen – wie etwa auf den vom Fraunhofer IFF in Magdeburg entwickelten „Industrie-4.0-Check-up“. Mithilfe des Check-ups lassen sich nach Angaben des Fraunhofer Instituts „Digitalisierungspotenziale systematisch analysieren und effektive Maßnahmen individuell planen.“ Der Check-up auf Basis eines Reifegradmodells verdeutliche schrittweise, auf welcher Stufe von Industrie 4.0 sich ein Unternehmen befinde. Nach Ansicht des Leiters des Fraunhofer IFF, Prof. Dr. Michael Schenk, gibt es bei 4.0-Technologien noch viel zu lernen: „Neben der sukzessiven Entwicklung und Integration von 4.0-Technologien in die Unternehmenswelt müssen wir auch lernen, an welcher Stelle ihr Einsatz tatsächlich wertschöpfend ist und wo vielleicht nicht.“ Das Tool wurde auf dem Deutschen Logistik-Kongress vom 19. bis 21. Oktober in Berlin vorgestellt.
Collaboration-Plattformen für agile Logistik
Die Wertschöpfung erhöhen, aber wie? „Die Logistikdienstleister als integraler Bestandteil der Wertschöpfungskette müssen moderne, unternehmensübergreifende IT Lösungen noch stärker vorantreiben“, fordert Michael Reichle, CEO von Siemens Postal, Parcel & Airport Logistics. Damit Logistik künftig ihre Position weiter ausbauen könne, dürfe man „Software nicht mehr als Erfüllungsgehilfen betrachten“, so Reichle. „Software ist die treibende Kraft, die verknüpfte Prozesse nachhaltig auf ein durchgehend hohes Leistungsniveau hebt.“ Siemens kombiniere die „mechatronischen, hochautomatisierten Lösungen mit intelligenter Software.“ Durch die Übernahme der Firma Axit im Jahr 2015 biete man die „cloud-basierte Logistik-Plattform AX4 zur lückenlosen Verfolgung von Warensendungen gemeinsam mit den Softwarebausteinen zur Prozessoptimierung für Sortierzentren an.“ Die Vorteile: Alle Beteiligten teilen relevante Logistikdaten und Informationen über eine zentrale Plattform und verfügen damit über eine „transparente und durchgängige Lieferkettensteuerung in Echtzeit.“ Ineffizienzen und Fehlentscheidungen werden reduziert und die Transportzuverlässigkeit steigt. Entscheidend ist hier, die Cloudlösung durch umfassende Sicherheitskonzepte (Hosting in Hochsicherheitszentren, Absicherung über Firewalls, integriert verschlüsselte Datentransfers, Sicherheitsmaßnahmen bei Kunden) zu schützen. Gefragt ist eine sichere Collaboration-Plattform für Dienstleister und Kunden, die die agile Logistik vorantreibt. Gerade dort, wo es um sensible Güter geht, sind entsprechende Lösungen gefordert. Beispiel HoyerGroup: Das Unternehmen, einer der weltweit führenden Bulk-Logistiker, verwendet bei der Tankcontainerlogistik für temperaturgefühlte Produkte eine cloud-basierte Telematiklösung des Softwareunternehmens Savy Telematic Systems AG. Die Beschäftigten von Hoyer, aber auch Kunden der Hoyer Group haben über eine personalisierte Benutzeroberfläche permanenten Zugriff auf die Daten der Container, was ihnen ermöglicht, die Logistikprozesse gemeinsam zu steuern. Möglich sind bspw. eine kontinuierliche Temperaturüberwachung, die aktive Temperatursteuerung während des gesamten Transportweges. Störungen und Abweichungen von Sollwerten werden registriert und ein entsprechender Alarm wird ausgelöst. Die Lösung eignet sich insbesondere für Produkte, die bereits bei kleinsten Abweichungen von der Solltemperatur Schaden nehmen können, wie etwa Produkte mit kleiner Hysterese wie Klebstoffe. Mit dem Einsatz der Collaboration-Lösung will Hoyer „die Produktivität und die Servicequalität für Geschäftskunden steigern und sich Wettbewerbsvorteile sichern.“
Chancen durch Robotik
Positionspapier IT-Logistik
Die BVL hat bereits 2014 in Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer IML zwölf Thesen darüber erarbeitet, welche Technologien und Konzepte die Logistik in den nächsten Jahren prägen werden.
www.trendreport.de/it-logistik
Auch der Einsatz von Robotern in der Logistik nimmt immer mehr zu. Die Roboter ersetzen zunehmend menschliche Arbeitskraft, verdrängen diese aber nicht vollständig. Sie übernehmen bspw. Arbeiten wie das Greifen von Waren, die besonders hoch oder besonders tief eingelagert sind. Allerdings stößt der Einsatz von Robotern manchmal an Grenzen, etwa bei Kartons, die hinter Streben und Regalbalken liegen und die daher nicht gegriffen werden können. In solchen Fällen schickt der Roboter eine Meldung und ein Lagerarbeiter übernimmt den Pick. Christoph Mangelmans, Managing Director Fashion / Online Retail beim Logistikdienstleister Fiege, spricht davon, dass der Roboter „zum digitalen Kollegen des Menschen“ wird. In Mönchengladbach unterhält Fiege ein Logistiklager für Esprit, in dem die Prozesse bereits fast voll automatisiert ablaufen. Auf über 30 Kilometern Fließband rollen die Pakete durch das Lager.
In Ibbenbüren testet das Unternehmen den Einsatz von Robotern, die online bestellte Schuhe kommissionieren. Die Roboter sind frei beweglich und wahrnehmungsgesteuert; sie orientieren sich durch 3D-Kameras und Laser und haben Karten von ihrem Umfeld programmiert. Dabei lernen sie immer wieder dazu und erkennen den optimalen Weg. Außerdem können sie über Nacht und gezielt für vorbereitende Tätigkeiten und Inventuren eingesetzt werden. „Der Einsatz von Robotik in der Intralogistik ist ein unheimlich spannendes Thema“, befindet Christoph Mangelmans.
Anforderung Internationalisierung
Fiege versteht sich als E-Fulfillment-Anbieter, ein Konzept, das in der Logistik immer mehr Raum greift. Ein Logistikdienstleister übernimmt alle Aufgaben, die nach einer Online-Bestellung erfolgen, vom Betreiben des Webshops über die Warenaufbereitung, Etikettierung, Kommissionierung bis hin zum Versand der Produkte mit Status-Informationen an den Endkunden, Reparaturen und Entsorgung von Rückwaren. In manchen Fällen werden auch die Werbung in Sozialen Netzwerken und die Bonitätsprüfung des Kunden (bei höherpreisigen Waren) übernommen. Hier stellt die Internationalisierung zunehmende Anforderungen an das E-Fulfillment. So beklagte sich die EU-Kommission 2015, dass wegen der Versandkosten nur 15 Prozent der Verbraucher online in einem anderen Land ordern. Ein weiteres Problem für Länder außerhalb der EU sind Zölle sowie länderspezifische Eigentümlichkeiten, zum Beispiel bei Versand und Bezahlung. Dennoch schätzen Experten, dass sich das Fulfillment innerhalb des europäischen Marktes durchaus von einem Standort aus regeln lässt. Den großen Vorteil für die Kunden sehen E-Fulfillment-Anbieter darin, dass diese sich ganz auf ihr Kerngeschäft konzentrieren können.
Mauern oder Windmühlen?
Die Autoren des eingangs erwähnten Positionspapiers – und andere Logistikexperten – sehen eine Wechselwirkung zwischen Logistik und IT: Einerseits werde sie durch die IT getrieben, andererseits werde sie selbst zum Treiber von IT und als Branche gefordert, selbst die Entwicklung von IT-Lösungen voranzutreiben. Die Frage, ob die Verbindung zwischen Logistik und IT funktioniert, werde über Wohl und Wehe des Wirtschaftsstandorts Deutschland entscheiden, geben sich die Autoren überzeugt: „Diese Verbindung, mehr noch die Wechselwirkung zwischen Logistik und IT, geht damit weit über die reine Optimierungsfunktion logistischer Einzelprozesse durch Softwareeinsatz hinaus.“
Hier ist einiges an Arbeit zu leisten, von der Bundesregierung, den Landesregierungen, den Verbänden und Unternehmen. Etwa die Herstellung von Rechts- und Datensicherheit, um das Vertrauen der Nutzer in die Informationslogistik zu stärken. Ebenso entscheidend ist die Schaffung einer „flächendeckenden digitalen Hochleistungsinfrastruktur“, bei der Deutschland im OECD-Vergleich bestenfalls einen Mittelplatz einnimmt. Gefragt ist außerdem die Erweiterung der IT-Infrastrukturen „bis in die Ebene von Softwareanwendungen und -diensten“, da diese die Voraussetzung ist, um „das Potenzial logistischer Planung und Steuerung für Nachhaltigkeit, Effizienz und Komplexitätsbeherrschung zu heben.“ Schließlich muss die Interoperabilität, sprich das Agieren zwischen Partnern aus unterschiedlichen Ländern, durch Normierung und Standards garantiert werden. Ein in hohem Maße exportabhängiges Land wie Deutschland darf diese Trends nicht verschlafen. Es muss Vorreiter beim Vorantreiben notwendiger Veränderungen auf dem Feld der Vernetzung von Logistik und IT werden, will es nicht im internationalen Wettbewerb zurückfallen. Ein chinesisches Sprichwort sagt: „Wenn der Wind der Veränderung weht, bauen die einen Mauern und die anderen Windmühlen.“ In diesem Sinne sollte Deutschland Windmühlen bauen.
Dr. Ralf Magagnoli
r.magagnoli@trendreport.de
Bildquelle Prof. Schenk: Fraunhofer IFF
Bildquelle Aufmacher: flickr und eigene Bearbeitung
Wir schaffen den digitalen Wandel in der Logistik auf jeden Fall – ganz sicher: http://www.catkin.eu/wir-schaffen-das-digitaler-wandel-in-der-logistik/
Es ist sehr spannend, zu beobachten, in welchem Tempo Deutschland die künstliche Intelligenz in die Logistikbranche integrieren kann. Bereits jetzt kann durch AGV mit Robotern für verschiedene Logistikaufgaben kommuniziert werden. Ebenso interessant sind die daraus resultierenden neuen Tätigkeitsbereiche, die sich menschlichem Personal bieten.