Crowddesign: über den Tellerrand hinaus…
Nicht nur junge, hippe Unternehmen nutzen die Möglichkeiten des Crowdsourcing. Auch Traditionsunternehmen setzen auf die Auslagerung interner Teilaufgaben an eine große Gruppe.
Nur wenige Unternehmen in Deutschland können auf eine so lange Geschichte zurückblicken wie Villeroy & Boch. Als der Keramikproduzent 1748 gegründet wurde, regierte noch der „Alte Fritz“ in Preußen. Heute ist das börsennotierte Unternehmen in 125 Ländern rund um den Globus vertreten und verfügt nicht nur über 14 Produktionsstätten in Europa, Nordamerika und Asien, sondern auch über ein fast 270-jähriges Markenguthaben.
Inzwischen nutzt das Unternehmen die Möglichkeiten des „Crowdsourcing“. Auf der diesjährigen „Ambiente“ in Frankfurt, einer Leitmesse für den Bereich „Tischkultur“, stellt der Keramikproduzent eine neue Geschenkkollektion bestehend aus Kaffeebecher, Mini-Vase, Teelicht-Halter und Keramikkerze in vier unterschiedlichen Designs mit jeweils zwei Ausführungen vor. Die Kollektion ist per Crowdsourcing in Zusammenarbeit mit der Online-Plattform „jovoto“ entstanden. Crowdsourcing ist ein komplexer Prozess, der in den letzten Jahren von Unternehmen verstärkt eingesetzt wird. In der Untersuchung „Wie Surfen zur Arbeit wird. Crowdsourcing im Web 2.0“ definiert der Sozialwissenschaftler Christian Papsdorf Crowdsourcing folgendermaßen: „Crowdsourcing ist die Strategie des Auslagerns einer üblicherweise von Erwerbstätigen entgeltlich erbrachten Leistung durch eine Organisation oder Privatperson mittels eines offenen Aufrufes an eine Masse von unbekannten Akteuren, bei dem der Crowdsourcer (…) frei verwertbare und direkte wirtschaftliche Vorteile erlangt.“
Geldprämie für den Gewinner
„Die Aufgabe lautete: Entwerfe eine schöne Designfamilie für eine Geschenkkollektion, die Impulskäufe am Point of Sale anregt und zum Sammeln einlädt“, beschreibt Florian Bausch, Leiter Produktmanagement und -entwicklung, Unternehmensbereich Tischkultur, die Aufgabe. Man habe „jüngere Zielgruppen in attraktiven Preissegmenten“ ansprechen wollen, so Bausch. Auf der OnlinePlattform von jovoto wurde die Aufgabe ausgeschrieben. jovoto unterscheidet zwischen Verfahren, die „in offener, also für die Öffentlichkeit zugänglicher Art und Weise“ organisiert werden und solchen „in geschlossener Form, bei denen sich ausschließlich die besten Talente unserer Community beteiligen können.“ „Das geschlossene, also für die Öffentlichkeit und den Wettbewerb nicht sichtbare Projekt lief auf unserer Plattform fünf Wochen“, erklärt Bastian Unterberg, Geschäftsführer der Jovoto GmbH, zu deren Kunden neben Villeroy & Boch auch Konzerne wie Coca Cola und Audi zählen. Die Gestaltungsvorgaben hingegen seien vollkommen offen gehalten gewesen, „um möglichst kreative und vielfältige Entwürfe zu erhalten.“ Nach fünf Wochen lagen 115 Ideen und 789 Ideenkreationen aus allen Regionen der Erde vor – unter anderem aus Australien, Südamerika, Indien und Sri Lanka. Die Besonderheit: Die Designer aus aller Welt hatten die Möglichkeit, die Ideen zu kommentieren und zu bewerten. Die Sieger aus Deutschland, Portugal, Mexiko und Venezuela erhielten eine Geldprämie. Ihre Designvorschläge werden auf der Ambiente vorgestellt.
Schlüsselwort Coopetition
„Das lässt schon einen ersten Schluss darauf zu, welche Produkte auf dem Markt auch Erfolg haben werden“, so Bastian Unterberg. Er nennt diese Form der Mischung von Wettbewerb und Zusammenarbeit Coopetition, eine Neuschöpfung aus Cooperation (Zusammenarbeit) und Competition (Wettbewerb). „Bei jovoto sind wir besonders stolz, dass dieser Prozess so hervorragend funktioniert.“ Kein Wunder, dass die Ausbeute beträchtlich war, denn mittlerweile arbeiten in dem Netzwerk des 2007 an der Hochschule für Künste in Berlin gegründeten Online-Unternehmens 60 000 Designer, Architekten und andere Kreative aus 150 Ländern.
Weiteres Projekt geplant
„Wir wussten nicht, was passiert“, gibt Florian Bausch zu. Das Ergebnis übertraf die Erwartungen. „Dass wir speziell beim Design, unserer seit über 265 Jahren gefestigten Kernkompetenz, auf eine anonyme Online-Kreativcommunity zurückgegriffen haben, war absolutes Neuland für uns. Es hat sich jedoch gezeigt, dass diese externe Perspektive für neue Impulse in der Produktentwicklung sorgt. Wir sind mit den Designs sehr zufrieden und davon überzeugt, dass es unsere Kunden auch sein werden.“ Das Ergebnis hat die Verantwortlichen bei Villeroy & Boch auch darin bestärkt, weiterhin auf dieses Instrument zu setzen, um frische Ideen und neue Ansätze zu finden, um sich eine globalere Sicht anzueignen. Die Bewertung der Ideen durch die Kreativen habe eine Vorauswahl möglich gemacht. Aufgrund der positiven Erfahrungen plant Villeroy & Boch ein weiteres Crowdsourcing-Projekt mit jovoto, bei dem die Komplexität erhöht werden soll: Dieses Mal geht es um ein 3-D-Modell. Die Zukunft liege jedenfalls im Crowdsourcing, gibt sich Bastian Unterberg überzeugt: „In einer immer schneller werdenden Welt gewinnen die Möglichkeiten, die eigenen Innovationskapazitäten über Crowdsourcing flexibel zu steigern, zunehmend an Bedeutung.“ Wichtig sei ein Talentpool mit den besten Köpfen, aber auch eine sorgfältige Analyse der rechtlichen Rahmenbedingungen und der Prozessfragen.
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