Warum Sorgfalt bei Top-Personalien unerlässlich ist

Klug gewählt statt vorschnell entschieden: Warum Sorgfalt bei Top-Personalien unerlässlich ist.

Gastbeitrag von Daniel Salamon

Nach Angaben des Institut für Wirtschaft berichtete rund die Hälfte der hiesigen Unternehmen im Jahr 2023 von zunehmenden Schwierigkeiten bei der Anstellung von Führungspersonen. Dass Beschäftigte die mit Leadership verbundene Verantwortung scheuen, greift dabei zu kurz. Die Gründe für verwaiste Chefsessel liegen woanders: Als wichtige Einflussfaktoren gelten beispielsweise die pragmatische Abwägung von Beruf mit Privatleben und Betriebsklima. Je mehr Führung mit einem steigenden Zeitaufwand verbunden ist, desto häufiger kommt es zu Besetzungsproblemen; zusätzlich befeuert durch den Fachkräftemangel. Trotz des schwierigen Marktes sollten sich Firmen nicht dazu hinreißen lassen, Kandidaten oder Kandidatinnen zu berufen, bei denen sie Zweifel haben. Denn jeder Fehlgriff auf C-Level-Ebene kann Unternehmen eine Summe in schwindelerregender Höhe kosten – im schlimmsten Fall ein Vielfaches des vereinbarten Jahresgehalts, noch dazu flankiert von Reputationsschäden. Wie vermeiden Personalverantwortliche Fehlbesetzungen in der Führungsetage? Die Frage beantwortet Daniel Salamon, Psychologe und Management-Diagnostiker mit C-Level-Schwerpunkt.

 

Daniel Salamon betont: „Viele Mittelständler und Konzerne lassen sich bei der Vergabe ihrer Spitzenpositionen von renommierten Namen oder beeindruckenden Lebensläufen blenden.“

 

Vorsicht, Falle!

Viele Mittelständler und Konzerne lassen sich bei der Vergabe ihrer Spitzenpositionen von renommierten Namen oder beeindruckenden Lebensläufen blenden. Hinzu kommen utopische und in ihrer Gesamtheit unerfüllbare Anforderungsprofile in Jobinseraten. In diesem Szenario stecken bereits die drei Hauptgründe für Fehlbesetzungen: überhöhte Ansprüche, fehlende Fokussierung und instinktbasierte Auswahl. Unermüdliche Überflieger mit bescheidenem Gehaltswunsch, die ihrer Jugend zum Trotz mit Weisheit führen – richten Verantwortliche unrealistische Erwartungen an die neue Führungskraft, reagieren Selbstbewusste mit Schönflunkerei, während Bescheidene darüber die Bewerbungslust verlieren. Bei weiblichen Personen zieht diese Art von Ausschreibung noch viel weniger. Sie neigen zu Downgrading; schätzen jedes Kriterium in einer Personalanzeige als unerlässlich ein und trauen sich nachweislich weniger zu.

Falsche oder gar keine Priorisierung von Kompetenzen stiftet Verwirrung. Steckt ein Unternehmen inmitten eines Turnarounds, braucht es Führungsstärke. In kollaborativ organisierten Teams stört direktive Führung mehrheitlich. Solche Bespiele verdeutlichen, dass Personalabteilungen Fertigkeiten wie unternehmerisches Denken, Analysefähigkeit und Kundenorientierung klar gewichten müssen, um Erwartungen transparent zu machen. Verwässerte Vakanzen hingegen schüren falsche Job-Vorstellungen und münden bei Neueinsteigern in herber Enttäuschung. Ferner lege ich HR-Verantwortlichen ans Herz, den persönlichen Wertekosmos der Anwärterin oder des Anwärters auf dem Schirm zu haben. Diskrepanzen in puncto Kultur erweisen sich gerade bei Top Managern als gravierend, weil sie Team, Workflow und Produktivität beeinflussen.

Besonders bei langjähriger Betriebszugehörigkeit vertrauen Entscheidungsträger zu stark ihrer Intuition. Dabei sind sie vor dem Confirmation Bias nicht gefeit. Unter Stress schleichen sich zusätzliche Urteilsfehler ein und der War of Talents führt oft zu vorschnellen, kompromissschwangeren Entscheidungen. Technisch gesehen begünstigen KI-gestützte Verfahren Fehleinschätzungen, weil die künstliche Intelligenz nur Fakten abklappert.

 

Lieber unbesetzt als fehlbesetzt

Kritische Kandidatenauslese anhand eines realistischen Anforderungsprofils erzielt gute Ergebnisse, dauert aber länger als halbherzige Anstellung. Halten sich HR-Verantwortliche strikt an die Leitlinien, heißt das im Umkehrschluss, auf Zugeständnisse zu verzichten – auch wenn das die Postenvergabe verzögert. Während einer ausgedehnten Suchphase leistet eine im Kollegenkreis geschätzte Interimskraft aus den eigenen Reihen gute Dienste. Sie kennt sich aus, bringt Motivation mit und hegt ein persönliches Interesse an gutem Fortkommen. Externe C-Level-Akteure erwarten in der Regel langfristige Verträge von mindestens drei Jahren. Bricht diese Person vorzeitig mit dem Unternehmen, verursacht das größere Schäden als eine Personallücke. Arbeitsplatzkultur und Mitarbeiterzufriedenheit leiden; Unmut über die Fehlentscheidung heizt die Gerüchteküche an und untergräbt das Vertrauen in die Leitungsebene. Die Konsequenzen reichen von Motivations- über Produktivitäts- bis hin zu Wissensverlust – das Arbeitgeberimage bekommt Risse und bei börsennotierten Unternehmen sinkt der Aktienkurs. Mediale Berichterstattung über eine steigende Kündigungsrate belastet das Employer Branding. Zudem fallen erhebliche Kosten an: von Recruiting-Ausgaben über Gehälter und Abfindungen bis hin zu Headhunter-Gebühren. Letztere belaufen sich auf etwa 30 % des Jahresgehalts – unabhängig davon, ob die verpflichtete Person tatsächlich zum Unternehmen passt. Headhunter setzen mehrheitlich und primär auf den quantitativen Abgleich von Anforderungen. Meist fehlt ihnen eine spezifische Eignungsdiagnostik nach DIN 33 34, was die Auswahlqualität beeinflusst.

 

Versierte Eignungsdiagnostik

Eignungsdiagnostische Auswahlprozesse sorgen dafür, dass Kandidatinnen oder Kandidaten nicht nur auf dem Papier, sondern auch in der Praxis langfristig überzeugen. Transparenz, Klarheit, Wertschätzung, Vier-Augen-Prinzip und Ruhe bilden die Grundlage. Der Prozess startet mit einer detaillierten Anforderungsanalyse, die Fachwissen, Soft Skills, Werte und strategische Unternehmensziele berücksichtigt. Eine enge Abstimmung zwischen Human Resources, Fachabteilung, C-Level-Vertretung und Mitarbeitenden gewährleistet dabei Multiperspektivität.  Anschließend erfolgt eine Vorauswahl auf Basis von Lebensläufen und Zeugnissen. Psychometrische Verfahren verfeinern diesen Schritt, indem sie psychische Merkmale hervorheben, die hinter beobachtetem Verhalten stecken. Seriöse, fachlich fundierte Fähigkeits- und Persönlichkeitstests runden die Vorauswahl ab.

Mit der gründlich gesiebten Vorauswahl geht es in den Diagnostic Day. Über die Dauer eines kompletten Arbeitstages lernen sich Fragende und Befragte sowohl über standardisierte als auch situative Szenarien kennen. Interviews, Fallstudien, simulierte Gespräche mit Mitarbeitenden oder Präsentationen testen die Fertigkeiten der Anwärterinnen und Anwärter auf Herz und Niere. Jede Fähigkeit wird mindestens zweimal überprüft, um Fehleinschätzungen zu vermeiden. Testverfahren wie das Bochumer Inventar zur berufsbezogenen Persönlichkeit erlauben tiefergehende Blicke. Kognitive Leistungstests geben Aufschluss über den IQ, der bei hohem Wert einen guten Prädikator für Erfolg darstellt. Ein absolutes No Go: stresserzeugende Assessment Center. Außer Unwohlsein und Einschüchterung bringen sie nichts. Stattdessen sorgt ein respektvolles und transparentes Verhalten für authentische Interaktion. Klare Instruktionen und Reflexionsrunden nach jeder Übung bekunden Wertschätzung und steigern das Engagement. Wer sich allerdings selbst inszeniert und wenig Interesse an Teamarbeit zeigt, bleibt auch in jedem noch so wohlwollenden Assessment unnahbar.

Im letzten Schritt fließen alle Ergebnisse zusammen. Zwei geschulte Beobachter analysieren die Eindrücke wertfrei und tauschen sich aus. Das Vier-Augen-Prinzip verhindert Beurteilungsfehler und schützt vor dem Primacy-Recency-Effekt – also dem Festhalten an ersten oder letzten Eindrücken.

 

Willkommen an Bord!

Steht die Idealbesetzung fest, folgt ein profundes Onboarding. In verfrühter Sicherheit wiegen sollten sich Unternehmen an diesem Punkt nicht. Wird in der Einarbeitungsphase grob gepfuscht, kann selbst der Traumkandidat oder die Traumkandidatin zum Schreckgespenst mutieren. Ein gut strukturierter Fahrplan, abgestimmt auf das Anforderungs- und Persönlichkeitsprofil des Neuankömmlings, navigiert die Führungskraft zuverlässig durch ihre ersten Wochen. Dabei müssen Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetze der Person, ungeachtet ihres hohen Arbeitspensums, genügend Zeit einräumen, um Abläufe, Teamdynamiken und die Unternehmenskultur zu verstehen. Höhere Positionen wecken oft die Illusion, erfahrene Führungskräfte könnten sofort alles durchschauen und direkt loslegen. Ein Irrtum, der Potenzial verschwendet und Frustration riskiert. Regelmäßige Check-ins beschleunigen die Eingliederung und stärken das Commitment.

 

Diagnostik mit Weitblick

Vereiteln begrenzte Budgets den Einsatz professioneller Management-Diagnostiker, definieren HR-Verantwortliche zuerst die nötigen Job-Kompetenzen und priorisieren diese auf einer Skala von 1 bis 5. Im Gespräch sorgen durchdachte Fragenkataloge für Vergleichbarkeit, während das Ranking eine objektivere Bewertung ermöglicht. Verhaltensanker auf Stufe 1? Erfüllt. Kompetenz auf Level 3? Durchschnittlich. Bewertungsbögen reduzieren Wahrnehmungsverzerrungen. Ergänzend dazu liefern kompakte Assessments aufschlussreiche Erkenntnisse – etwa durch simulierte Kundengespräche oder Teamaufgaben. Neben persönlichen Treffen schenken Referenzen von Ex-Arbeitgebenden wertvolle Einblicke. Und auch hier gilt: Investment in einen durchdachten Onboarding-Prozess spart langfristig Kosten.

 

Über den Autor:

Daniel Salamon ist ein langjährig erfahrener Management-Diagnostiker und Karriere-Enabler mit C-Level-Schwerpunkt. Die von ihm gegründete und geführte Personalberatung Better People Decisions fokussiert sich auf Management Diagnostics. Executive Coaching-Angebote für Führungskräfte auf der Schwelle zum C-Level und Leadership Pioniere vor dem Karrierewandel runden das Portfolio ab. Der Psychologe lehrt am Institute of Executive Capabilities der Steinbeis-Hochschule sowie der CBS International Business School.