Vernetzung: KI, Industrie, Gesellschaft

Der Innovationsstandort Deutschland hat die Aufgabe, neue KI-Technologien für die Wertschöpfung der Zukunft zu nutzen und die Transformation aller Lebensbereiche mitzugestalten.

Künstliche Intelligenz hat in den letzten Jahren eine neue Reifephase erreicht und entwickelt sich als Basisinnovation zum Treiber der Digitalisierung und autonomer Systeme in allen Lebensbereichen“, schildert die am 15. November 2018 verabschiedete Strategie Künstliche Intelligenz die Ausgangssituation. Durch „AI made in Germany“ sollen, wie das Papier zusammenfasst, „die vielfältigen Anwendungsmöglichkeiten von KI in allen Bereichen der Gesellschaft im Sinne eines spürbaren gesellschaftlichen Fortschritts und im Interesse der Bürgerinnen und Bürger gefördert werden“.

„Das wirtschaftliche Potenzial dieser Systeme für Deutschland ist enorm“, zeigt sich auch Prof. Holger Hanselka überzeugt. Der Präsident des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) berät die Bundesregierung im Hightech-Forum zu Zukunftsfragen. Medizinische Diagnostik, Unterstützung von Rettungskräften in Katastrophengebieten, Industrie 4.0 sowie die Stadt- und Regionalentwicklung sind nur einige der Einsatzmöglichkeiten, die ihm spontan einfallen. Ältere Menschen beispielsweise werden durch fahrerlose Autos mobiler und müssen nicht mehr zwingend in die Stadt ziehen.

Voraussetzung für das autonome Fahren ist allerdings der flächendeckende Ausbau eines 5G-Netzes. Nur so wird Car-to-Car-Kommunikation und damit das frühzeitige Erfassen kritischer und gefährlicher Situationen, ermöglicht. Aussagen wie „5G ist nicht an jeder Milchkanne notwendig“ ausgerechnet von der Bundesforschungsministerin Anja Karliczek, nähren jedoch gehörig die Zweifel an der Umsetzung in Funkloch-Deutschland.

5G ist selbst­verständlich an  jeder Milchkanne notwendig.

Industrie 4.0
Ohne ein funktionsfähiges Netz drohen nebst Verkehr auch Produktionsanlagen zu stocken. Die Vernetzung ist die Grundvoraussetzung und intelligente Algorithmen sind die wesentliche Treiber, um Industrie 4.0 auf eine neue Stufe zu heben. „Industrielle KI-Anwendungen liefern die Instrumente, um Daten aus industriellen Prozessen effizient verarbeiten und zum Nutzen der Unternehmen und ihrer Kunden interpretieren zu können“, heißt es hierzu im Strategiepaper.

Unter dem Motto „Integrated Industry – Industrial Intelligence“ befasst sich auch die Hannover Messe ausführlich mit dem Potenzial der KI in der Produktion. Vom 1. bis zum 5. April soll dabei insbesondere beleuchtet werden, welche Auswirkung die Technologie auf die Vernetzung von Menschen und Maschinen im Fertigungsprozess hat. Internationale Vordenker aus den Bereichen KI und Industrie kommen zusammen, um gemeinsam Lösungen für morgen zu diskutieren.

Einer dieser Vordenker ist Karl Osti, Industry Manager Manufacturing bei Autodesk. Gemeinsam mit Thomas Nagel von Claudius Peters, einem Spezialisten für Verfahrenstech­nik in der Zement-, Kohle-, Aluminium-, Gips- und Schütt­gutindustrie, will er zeigen, „wie man die Herausforderungen der Digitalisierung richtig anpacken kann“.
Claudius Peters setzt dabei auf die BIM-360-Lösung, um alle Projektpartner miteinander zu vernetzen. Alle Projektinformationen und -daten liegen in einem zentralen Arbeitsbereich und können von Teilnehmern im kompatiblen Browser oder auf den mobilen Endgeräten abgerufen werden. Neben 150 Mitarbeitern sind auch Kunden und Lieferanten mit BIM 360 vernetzt. Probleme lassen sich so effektiver kommunizieren und lösen, Projekte besser koordinieren und schneller umsetzen.

Forschen, entwickeln, managen
Schnelle Umsetzung und schnelle Marktreife spielen gerade im Kontext immer kürzerer Produktlebenszyklen und damit von erhöhtem Innovationsdruck eine immer größere Rolle. Open Innovation bietet eine Möglichkeit, dem Wettbewerbsdruck standzuhalten. „Wie der Name schon assoziiert, öffnet man bei diesem Ansatz die Unternehmensgrenzen bei Innovationsvorhaben“, erklärt Thorsten Rehder, Trend Supervisor von Trendone. Auf diese Weise lässt sich das Know-how von Lieferanten oder externen Organisationen wie Universitäten aktivieren. Es beinhaltet aber auch, die eigenen Kunden in den Prozess zu integrieren – etwa bei der Ideenfindung. „Meistens geschieht dies über digitale Plattformen oder Netzwerke.“

Dass Unternehmen in Ökosystemen und Plattformen denken sollten, um den Kunden in den Mittelpunkt zu stellen, findet auch Dr. Stefan Wenzel, geschäftsführender Partner bei der 3DSE Management Consultants GmbH. Die Managementberatung für Innovation, Forschung und Entwicklung bezeichnet KI als Schlüsseltechnologie für F&E 4.0. „Weil ich durch KI auch komplexe Tätigkeiten durch Algorithmen erlernen und übernehmen lassen kann“, erläutert Wenzel, „werden Automatisierungspotenziale in Engineering-Abläufen möglich. Zusätzlich entsteht durch die Objektivität der Algorithmen eine höhere Entscheidungsqualität.“ „Der Aufbau der notwendigen KI-Expertise“, gibt er jedoch zu bedenken, benötigt „Zeit, Ausdauer und die Überzeugung, dass sich der Invest langfristig auszahlen wird“.

„Wichtig ist eine Gründerförderung auf allen Ebenen“, betont Professor Hanselka in diesem Kontext. Daher sähe die KI-Strategie der Bundesregierung konkrete Maßnahmen vor, um die Zahl der Gründungen im Bereich der KI zu erhöhen, von Beratungsangeboten bis hin zur Bereitstellung von Wagniskapital. „Das Wissen, das wir aktuell in Deutschland haben, müssen wir in den Markt bringen, sodass es der Gesellschaft und Wirtschaft nutzt“, so Hanselka weiter, der auch am KIT massiv Ausgründungen fördert. „Wichtig ist, dass wir Gründern in jedem Schritt des Unternehmensaufbaus systematisch Beratungsangebote an die Hand geben. Dies bedeutet auch, dass wir im Sinne einer Kultur des Scheiterns gesellschaftlich anerkennen, dass junge Unternehmen auch von negativen Erfahrungen lernen und dadurch immer besser werden.“

Eine „Kultur des Scheiterns“ bedeutet allerdings nicht, dass Unternehmer ihren Betrieb blindlings in den Ruin treiben sollten. Innovationsförderung und Risikominimierung sind daher, ebenso wie Umsatzsteigerung, Effizienzsteigerung und Direktkostensenkung, die Grundpfeiler der von Marktgut entwickelten 5DoBT-Managementmethode. „Die Idee war, eine Methode zu verwenden, um die Werthaltigkeit unserer Business-Projekte nachvollziehbar zu beurteilen und um eine faktenbasierende Auswahl der Projekte zu treffen, die den größten Hebel in der Organisation bewirken“, berichtet Klaus Glatz, CDO der Andritz AG, von der erfolgreichen Implementierung in sein Unternehmen. „Mit der 5DoBT-Methode haben wir einen standardisierten Ansatz, mit dem wir faktenbasierte Projektentscheidungen treffen, Projekte priorisieren, Mehrwerte über den gesamten Lebenszyklus eines Projektes verfolgen und messen sowie Ressourcen projektübergreifend effektiv einsetzen können.“ Die Andritz AG nutzt die Methode, um Investitionen in die Digitalisierung transparenter zu machen.

Digitalisierung mitgestalten
Sich solchen Investitionen zu verschließen, ist längst keine Option mehr, meint auch Digitalisierungsblogger Sascha Lobo: „Abstinenz führt dazu, dass man in die Falle tappt. Denn wer sich der digitalen Technik verweigert, ist irgendwann doch gezwungen, sie anzuwenden, ohne sich vorher informiert zu haben.“ Eine gewisse Angst vor der Digitalisierung hält er allerdings für eine vernünftige Gefühlsäußerung. Schließlich erfordere ihre große Geschwindigkeit eine ziemlich schnelle Anpassung.

Aus der Ambivalenz des Fortschritts ergibt sich die Verantwortung, dass wir das digitale Zeitalter mitge­stalten.

Wie viele Menschen beunruhigt auf die vor sich gehenden Veränderungen blicken, erlebt auch Prof. Deml in ihren Vorträgen zur Arbeitswelt der Zukunft. Die Mensch-Maschine-Wissenschaftlerin leitet das Institut für Arbeitswissenschaften und Betriebsorganisation am KIT. „Ich sehe aber gleichzeitig wenige, die wirklich mitgestalten wollen, wie eine Arbeitswelt 4.0 aussehen soll und wie nicht“, kritisiert sie. „Aus der Ambivalenz des Fortschritts ergibt sich die Verantwortung, dass wir das digitale Zeitalter mitgestalten“, pflichtet ihr Sascha Lobo bei. „Wir müssen sagen, welchen Teil des Fortschritts wir zulassen wollen und bei welchem wir Nein sagen.“ In diesem Zusammenhang fordert Deml Politik und Wissenschaft auf, andere Möglichkeiten zur Mitbestimmung zu schaffen als wir sie heute kennen. „Sollten sich die Betroffenen nicht einbringen wollen oder können, würde mir das echte Sorgen bereiten.“

Autor

Andreas Fuhrich

CC BY-SA 4.0 DE

 
 
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