Robotik für den Mittelstand
Dies ist ein Gastbeitrag von Dr. Steffen Wischmann, Stellvertretender Leiter der Begleitforschung PAiCE und Jan-Peter Schulz, Förderprojekt ROBOTOP
Intelligente und vernetzte Robotersysteme sollen die industrielle Produktion effizienter machen. Doch bisher bleiben die komplexen Robotik-Anwendungen fast ausschließlich den großen Unternehmen vorbehalten. Entwicklung und Integration der Roboter sind für mittelständische Unternehmen und das Handwerk noch zu personal- und kostenintensiv. Eine mögliche Lösung: Eine offene Plattform, die die Planung der Robotersysteme vereinfacht. Sie kann kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) die Integration von intelligenten Robotern in die eigene Produktion ermöglichen. Gleichzeitig ermöglicht die Plattform neue Geschäftsmodelle für Anbieter und Anwender von Robotik-Lösungen.
Mit der digitalen Transformation halten immer mehr hochkomplexe und vernetzte Robotersysteme Einzug in die industrielle Fertigung. Je größer die produzierte Stückzahl, desto rentabler sind die Investitionen in Robotik-Anwendungen. Handelt es sich jedoch um kleine Stückzahlen oder gar die Losgröße 1 – sprich, individuelle Einzelstücke – ist der Einsatz von Robotik-Lösungen schwierig, kostenintensiv und personell aufwendig. Das bedeutet, dass insbesondere kleinen und mittleren Unternehmen sowie dem Handwerk die Einbindung von Robotern in die Produktionsprozesse verwehrt bleibt.
Doch nicht nur die Investitionskosten stellen eine Herausforderung für den Mittelstand dar. Die Programmierung und Integration der aktuell verfügbaren, klassischen Robotersysteme setzen bislang ein hohes Fachwissen und umfassende Erfahrungen voraus – Kenntnisse, die mittelständische Unternehmen nur selten intern vorweisen können. Damit bilden Investitionskosten und technische Anforderungen die größten Hürden für den Mittelstand und hemmen damit die robotisch unterstützte Automatisierung von KMU und Handwerk – eine Voraussetzung für die Industrie 4.0.
Offene Plattform für individuelle Robotik-Lösungen
Diese Hürden will das Projekt ROBOTOP abbauen. An dem Projekt, das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie im Rahmen des Technologieprogramms PAiCE gefördert wird, sind verschiedene Forschungseinrichtungen sowie Industrie- und Technologieunternehmen beteiligt. Gemeinsam wollen sie die Entwicklung und Umsetzung von Robotik-Anwendungen im industriellen Kontext vereinfachen und diese damit auch mittelständischen Unternehmen zugänglich machen. Dazu arbeitet das Forschungsteam an einer offenen Plattform, auf der Robotersysteme geplant und simuliert werden können.
Auf der Plattform können standardisierte und wiederverwendbare Software- und Hardwarekomponenten für industrielle Roboter-Anwendungen nach dem Baukastenprinzip zu individuellen Systemen kombiniert werden. Vor der Integration in die Produktionsabläufe kann die Passfähigkeit des geplanten Systems durch 3D-Simulationen getestet werden. ROBOTOP begleitet den Anwender dabei Schritt für Schritt durch den Planungsprozess und schlägt automatisiert geeignete und kompatible Komponenten für das geplante System vor. Zudem können Expertenleistungen angefordert werden, wenn Fragen aufkommen oder eine Beratung notwendig ist: das sogenannte Engineering-as-a-Service. So können sowohl versierte Entwickler als auch unerfahrene Anwender eine individuelle und bedarfsgerechte Robotik-Anwendung erstellen. Dadurch werden die Kosten für die Planung der Roboter und ihre Anpassung an die unternehmensspezifische Produktion deutlich gesenkt.
Neues Potenzial für Anbieter und Anwender
Auch mittelständische Unternehmen können auf diese Weise Robotik-Anwendungen in ihre Produktion integrieren und diese damit effizienter gestalten oder sogar neue Geschäftsmodelle entwickeln – zum Beispiel für die Fertigung in Losgröße 1.
Für die Roboter-Anbieter eröffnen sich dank der Plattform vor allem Möglichkeiten für neue Geschäftsmodelle. Verschiedene Hersteller von Robotik-Komponenten, die bisher in Konkurrenz zueinanderstanden, können zukünftig über die ROBOTOP-Plattform zusammenarbeiten und neue Kunden gewinnen. Die Plattform bietet einen sicheren Rahmen für alle Anbieter und ermöglicht damit erst die Zusammenarbeit. Denn nur wer künftig mit Partnern am Markt vertreten ist, hat eine Chance sich im nationalen und internationalen Wettbewerb durchzusetzen.
Aber auch für die System-Integratoren erschließen sich neue Märkte. Heute erfordert der Planungsprozess einen hohen Aufwand, der durch standardisierte Abläufe minimiert werden kann. Die KMU erhalten durch Best-Practice Beispiele erste Vorstellungen, wie der Prozess in den Fertigungsprozess integriert werden kann. Durch die Simulation wird der Prozess abgebildet und visualisiert. Die Möglichkeit einzelne Komponenten im Modell zu ersetzen, reduziert den Planungs- und Beratungsaufwand für den Integrator. Er kann sich damit auf sein Kerngeschäft und seine Kernkompetenz, das Engineering konzentrieren. Das frühzeitige Erkennen von Chancen, aber auch Schwachstellen ermöglicht die frühzeitige Validierung der Kosten.
Die verschiedenen Komponenten sämtlicher Hersteller können auf der Plattform kombiniert und über standardisierte Schnittstellen zu einer individuellen Lösung zusammengebaut werden. Besonders KMU, denen die Einführung von Robotersystemen zu personal- und kostenaufwendig war, werden zu neuen potenziellen Kunden für Softwareanbieter und Komponentenhersteller.
Bedürfnisse potenzieller Robotik-Anwender ablesen
Zusätzlich erhalten Anbieter von Robotik-Systemen über die Plattform einen Zugang zu Informationen über die Nutzer der Anwendungen. Aus dem Kaufverhalten lassen sich Rückschlüsse auf Trends und Kundenbedürfnisse ziehen, die für die Produktentwicklung, das Marketing und die Neukundengewinnung der Hersteller von Robotik-Komponenten genutzt werden können. Damit ermöglicht die offene Plattform des Projekts ROBOTOP nicht nur KMU einen einfachen Zugang zu modernen und individuellen Robotersystemen, sondern bietet auch System-Integratoren, Software-Entwicklern und Komponentenherstellern neue Vertriebswege für innovative Robotik-Anwendungen.