Zinswende wie in den USA in Ferne: EZB noch immer im Krisenmodus

Christian Nemeth, Chief Investment Officer der Zürcher Kantonalbank Österreich AG, erläutert seine Markteinschätzung.

Die Zürcher Kantonalbank Österreich AG ist ein auf Private Banking – insbesondere die professionelle Betreuung von vermögenden Privatpersonen und Familien, Stiftungen sowie Unternehmern – in Österreich und Süddeutschland spezialisiertes Institut. Sie schätzt die Lange an den Finanzmärkten wie folgt ein: Die Weltwirtschaft hat die Finanzkrise vor zehn Jahren überwunden und wächst weiterhin. Erleichterung macht sich jedoch nicht überall breit, denn die Normalisierung der Geldpolitik verläuft wesentlich langsamer.

Während sich die Lage in den USA in den letzten eineinhalb Jahren doch erheblich entspannt hat, ist man in Europa von einer annähernden Normalisierung der Geldpolitik noch meilenweit entfernt. Während sich das Wirtschaftswachstum bereits wieder verlangsamt, ist noch keine Zinswende in Sicht – die Europäische Zentralbank steckt also noch mitten im Krisenmodus. Trotz der wiederaufkochenden Volatilität im Oktober ist kein Ende des Bullenmarktes in Sicht. Vielmehr bieten vor allem die Aktienmärkte weiterhin  interessante Möglichkeiten.

Steigende US-Renditen, eine Verlangsamung des Wirtschaftswachstums und geopolitische Risiken wie der Handelskonflikt zwischen den USA und China haben in den vergangenen Wochen zu erheblichen Kursrückgängen geführt. Da auch noch die Leitzinsen in den Schwellenländern wie Brasilien und der Türkei, die ihre Währung aufgrund von hoher Inflation schützen mussten, angezogen haben, entsteht auf globaler Ebene schnell der Eindruck, dass der Wirtschaftsaufschwung vorbei ist. Dem ist aber nicht so. Auch, wenn mit einer weiteren Wachstumsverlangsamung zu rechnen ist, ist eine Rezession unwahrscheinlich.

Bewertungskorrektur statt Beginn des Bärenmarktes

Wir gehen weiterhin von einer moderat positiven Entwicklung an den Finanzmärkten aus und sehen in der derzeitigen schwierigen Phase eine Bewertungskorrektur und nicht etwa den Beginn des Bärenmarktes. Die gute Verfassung der Weltwirtschaft, nicht zuletzt auch dank den USA, spricht gegen eine solche Entwicklung. Diese hängt nicht nur vom fundamentalen Umfeld ab, sondern auch von den politischen Rahmenbedingungen. Wir sind zuversichtlich, dass sich die Situation gegen Jahresende allmählich verbessert. Das hängt einerseits davon ab, ob US-Präsident Donald Trump in „Let’s make a deal“-Stimmung kommt und die USA nach den Midterm Elections das günstige Zeitfenster bis Jahresende nutzen, um den Handelskrieg mit China diplomatisch zu lösen. Andererseits wird auch ein Faktor sein, ob hinsichtlich des Brexits neue Teillösungen gefunden werden können. Diese Entwicklungen würden die Aktienkurse stützen.

USA: Wirtschaft wächst weiter

Im unwahrscheinlichen Fall einer Rezession wären die USA besser gerüstet als etwa
Europa, da die strukturellen Rahmenbedingungen flexibler sind und die amerikanische Notenbank über mehr Munition verfügt. Allerdings ist gerade in den USA die Wahrscheinlichkeit eines Wirtschaftsabschwungs extrem gering – laut der Federal Reserve Bank of New York liegt diese bei nur knapp 15 Prozent. Unter solchen Bedingungen ist es nur einmal, im Jahr 1973, zu einer Rezession gekommen. Die USA können derzeit mit guten Konjunkturdaten überzeugen. So ist das BIP von August bis Oktober um 3,5 Prozent gewachsen, die Arbeitslosigkeit weiter zurückgegangen und ein deutlicher Anstieg des Lohndrucks bis dato ausgeblieben. Der Normalisierungsprozess der Geldpolitik ist in den USA vergleichsweise fortgeschritten. Die durch den Erwerb von Staatsanleihen und verbrieften Hypotheken aufgeblähte Bilanz der US-Zentralbank Fed wurde seit Herbst 2017 kontinuierlich verringert. Wegen der vorteilhaften konjunkturellen Entwicklung sind weitere Zinsschritte zu erwarten – einer noch im Jahr 2018 und drei im Folgejahr.

Normalisierung der Geldpolitik: Europa hinkt hinterher

Von Zinsschritten ist Europa noch weit entfernt. Auch wenn die Eurozone im Jahr 2017 mit 2,5 Prozent das höchste Wirtschaftswachstum seit zehn Jahren verzeichnet hat, die Arbeitslosenquote seit fünf Jahren rückläufig ist und die Beschäftigung mittlerweile deutlich über dem Vorkrisenniveau liegt, hat ein Wechsel der Geldpolitik bisher nicht funktioniert. Da die Wirtschaft in der Eurozone ihren konjunkturellen Höhepunkt bereits hinter sich hat, läuft Europa doch ein wenig die Zeit davon. Es besteht das Risiko, dass die EZB im laufenden Zyklus die Zinsen nur leicht erhöhen kann und in der nächsten Rezession nur über wenig Handlungsspielraum verfügt. Wir zeichnen folgendes Szenario: Falls das Wirtschaftswachstum nicht mitspielen sollte, würde die Europäische Zentralbank weiterhin im Krisenmodus bleiben, die Anleihenkäufe im großen Stil fortsetzen und die zunächst für die zweite Hälfte des Jahres 2019 erwartete Zinserhöhung auf 2020 verschieben.

Aktien sind Anleihen noch immer vorzuziehen

Derzeit ist es noch immer günstiger, in Aktien als in Anleihen zu investieren. Da sich noch kein Bärenmarkt abzeichnet, haben wir unsere Aktienquote zuletzt erhöht, setzen aber auf eher defensive Strategien, wodurch US-Aktien nach wie vor von besonderem Interesse sind. An den Anleihenmärkten hingegen ist es durch den starken Renditeanstieg zu Kursverlusten gekommen, sie sind daher untergewichtet. Insbesondere sichere Euro-Staatsanleihen sind auch auf dem aktuellen Renditeniveau wenig attraktiv.

Lizenz: Pressemitteilung

Dies ist eine Pressemitteilung der Zürcher Kantonalbank