Engpässe in Hausarztpraxen verschärfen sich – doch sie wären vermeidbar
Viele Hausärztinnen und Hausärzte in Deutschland planen, ihre Wochenarbeitszeit deutlich zu reduzieren. Zugleich beabsichtigt jeder Vierte, die hausärztliche Tätigkeit innerhalb der nächsten fünf Jahre zu beenden. Damit drohen Einschnitte in der medizinischen Versorgung. Das ist besonders problematisch, weil die Hausarztpraxen laut Plänen der Bundesregierung künftig zusätzliche Aufgaben übernehmen sollen. Doch es gibt Lösungen, um die Engpässe großteils auszugleichen.
Ein Viertel der Hausärztinnen und -ärzte in Deutschland plant, ihre Tätigkeit innerhalb der nächsten fünf Jahre aufzugeben. Diejenigen, die ihren Beruf weiter ausüben möchten, wollen ihre Wochenarbeitszeit bis 2030 durchschnittlich um zweieinhalb Stunden reduzieren. Das geht aus einer neuen Umfrage hervor, für die die wir und die Universität Marburg knapp 3.700 Hausärztinnen und -ärzte in Deutschland repräsentativ befragen ließen. Da der Nachwuchs diese Entwicklungen nur teilweise kompensieren kann, droht sich die An-zahl der fehlenden Hausärztinnen und -ärzte in den nächsten fünf Jahren zu verdoppeln. Schon heute sind über 5.000 Hausarztsitze unbesetzt.
Laut unseren Experten muss diese Entwicklung aber nicht automatisch zu Einbußen in der hausärztlichen Versorgung führen: „Wichtig wird sein, wie viel Zeit dem Hausarzt und der Hausärztin effektiv für die Arbeit am Patienten zur Verfügung steht. Hier gilt es, bislang ungenutzte Potenziale zu heben“, sagt unser Director Gesundheit, Uwe Schwenk. Den Befragungsdaten zufolge wenden die Hausärztinnen und -ärzte rund 80 Prozent ihrer Arbeitszeit für Sprechstunden und Hausbesuche auf. Den Rest verbringen sie mit Verwaltungsaufgaben, Fortbildungen oder sonstigen Tätigkeiten.
Primärarztsystem braucht bessere Digitalisierung und mehr Aufgabenübertragung
Das im Koalitionsvertrag geplante Primärarztsystem würde zusätzliche Herausforderungen schaffen. Demnach sollen die Hausärztinnen und -ärzte stärker als Dreh- und Angelpunkt agieren und den Zugang zu Facharztpraxen verbindlich koordinieren. „Es ist grundsätzlich notwendig und sinnvoll, die Patientenströme besser zu steuern. Wenn Hausärztinnen und Hausärzte diese Aufgabe übernehmen, kostet sie das jedoch Zeit. Deshalb wird es wichtig sein, sie gleichzeitig an anderen Stellen so viel wie möglich zu entlasten“, sagt Schwenk.
Eine Entlastungsmöglichkeit für Hausarztpraxen besteht darin, Aufgaben wie Terminmanagement, Befundaustausch, Diagnostik und Behandlungsabläufe stärker zu digitalisieren. Das setzt jedoch voraus, dass die digitalen Lösungen im Praxisalltag stabil laufen. Denn 25 Prozent der Befragten berichten, dass Software-Probleme die Praxis- und Behandlungsabläufe ein- oder mehrmals am Tag beeinträchtigen. Zudem könnten auch bestimmte Aufgaben auf andere, nichtärztliche Berufsgruppen im Gesundheitswesen übertragen werden – etwa speziell dafür ausgebildete medizinische Fachangestellte oder Pflegekräfte. Sieben von zehn befragten Hausärztinnen und -ärzten schätzen das damit verbundene Entlastungspotenzial als groß ein.
Strukturen modernisieren, statt nur mehr Geld ins System zu geben
Nach unserer Ansicht sollten die Strukturen und Abläufe im Gesundheitssystem modernisiert werden, statt Versorgungsengpässe durch noch mehr Steuerzuschüsse oder höhere Kassenbeiträge stopfen zu wollen – zumal die Finanzlage der öffentlichen Haushalte sehr angespannt und die Lohnnebenkosten bereits sehr hoch sind. „Um die hausärztliche Versorgung zu sichern, müssen die notwendigen Digitalisierungsmaßnahmen gelingen, unnötige Arztbesuche reduziert sowie neue Formen der fachübergreifenden Zusammenarbeit etabliert werden“, betont Schwenk.
Veränderte Abläufe, die zu weniger Verwaltungsaufgaben und kürzeren Arbeitszeiten führen, können maßgeblich dazu beitragen, Hausärztinnen und -ärzte im System zu halten: Die Mehrheit der Befragten, die aus der hausärztlichen Tätigkeit aussteigen wollen, kann sich vorstellen, unter bestimmten Bedingungen länger im Beruf zu bleiben als geplant. Am häufigsten nennen sie dabei weniger Bürokratie als Voraussetzung, viele wünschen sich zudem geringere und flexiblere Arbeitszeiten. Im Schnitt arbeiten die befragten Hausärztinnen und -ärzte derzeit 44 Stunden pro Woche. Diese Wochenarbeitszeit liegt damit zehn Stunden über der durchschnittlichen Arbeitszeit aller Beschäftigen in Deutschland, ist aber im vergangenen Jahrzehnt deutlich gesunken: 2012 arbeiteten Hausärztinnen und -ärzte laut Ärztemonitor der Kassenärztlichen Bundesvereinigung noch 57,6 Stunden pro Woche.