Deutschland 2.0: Digitale Souveränität entscheidet
Digitale Souveränität betrifft nach Ansicht des BITKOM nicht nur die Wirtschaft, sondern ebenso private und öffentliche Anwender. Es gehe bei Digitaler Souveränität also einerseits um digitale Leistungsfähigkeit von Unternehmen, andererseits um digitale Handlungsfähigkeit von Staat und Verbrauchern. „Wir brauchen mehr Anbietersouveränität, also die Fähigkeit zu Herstellung und Veredelung digitaler Technologien, Dienste und Plattformen. Und wir müssen digitale Anwendersouveränität entwickeln, also die Fähigkeit zum selbstbestimmten Einsatz digitaler Technologien, Dienste und Plattformen Dritter“, so Kempf. „Es geht uns dabei auch darum, Unabhängigkeit von einzelnen Wirtschaftsräumen, Staaten und Unternehmen bei digitalen Technologien, Diensten und Plattformen herzustellen.“
Dazu schlägt BITKOM acht erste Maßnahmen für einen Neustart in die digitale Welt vor:
1. Deutschland muss Motor einer digital souveränen EU sein.
In Regionen mit einer heute bereits vorhandenen sehr guten Basis, sollten technologische Schwerpunkte gebildet und zu weltweit einzigartigen Leistungszentren ausgebaut werden. Diese Leistungszentren sollten zu einem europäischen Netzwerk verknüpft werden, das in seiner Gänze die digitale Wirtschaft möglichst vollständig abbilden sollte. Dabei sind Felder zu identifizieren, in denen es sinnvoll und möglich ist, Voraussetzungen für die Entwicklung von Leitanbietern zu entwickeln, die auch global eine Führungsrolle einnehmen können. Deutschland sollte hier eine Vorreiterrolle übernehmen. Dabei muss Deutschland Standards für die Weltmärkte setzen. Wer Standards setzt, bestimmt den Markt. Die in Deutschland und Europa über Jahrzehnte gewachsenen Strukturen und Verfahren der Standardisierung sollten überprüft werden mit dem Ziel, die Prozesse stark zu beschleunigen und so aus Deutschland heraus in neuen Technologiefeldern frühzeitig weltweit maßgebliche Standards setzen zu können, u.a. im Sinne von de facto Marktstandards. Hierzu sind pragmatische Ansätze im Sinne von Industriekonsortien und Testbed-Verfahren zu verfolgen.
2. Deutschland muss Europa zum Heimatmarkt machen.
Die Zerklüftung des europäischen Markts ist der größte strukturelle Nachteil gegenüber den USA und China. Ein echter digitaler Binnenmarkt mit EU-weit einheitlichen Bedingungen vom Daten- und Verbraucherschutz bis zur Besteuerung würde Europa sehr viel näher an die USA und China bringen. Die EU-weite Vereinheitlichung aller relevanten Regelungen im Sinne eines echten digitalen Binnenmarkts sollte von der EU noch in der ersten Hälfte der aktuellen Legislatur realisiert werden. Die ordnungspolitischen und rechtlichen Rahmenbedingungen in Deutschland und Europa müssen entsprechend dem Ziel der digitalen Souveränität ausgestaltet und optimiert werden. Dies betrifft als zentrale Felder das Urheber-, Wettbewerbs- und Steuerrecht, den Außenwirtschafts-, Daten- und Verbraucherschutz sowie die Telekommunikations- und Medienordnung. Innovative Geschäftsmodelle dürfen nicht durch veraltete Gesetze verhindert werden, Tech-Start-ups müssen auf dem Weg zum Global Player optimale Voraussetzungen in Gründungs- und Wachstumsphase vorfinden. In diesem Sinne ist das Instrument einer digitalen Folgenabschätzung für alle Gesetze einzuführen.
3. Deutschland muss zum europäischen Start-up-Hotspot werden.
Leistungsfähige, schnell wachsende und international orientierte Tech-Start-ups sind mit entscheidend für ein funktionsfähiges digitales Ökosystem. Wir müssen gründen, wachsen und internationalisieren so einfach wie möglich machen. Die Gründungsphase ist zu stark bürokratisiert und reglementiert, für ein schnelles, internationales Wachstum fehlt zu häufig das Geld. Viele Gesetze sind nicht zeitgemäß und verhindern innovative Geschäftsmodelle. Für Start-ups sollten in den ersten vier Jahren ihres Bestehens grundsätzlich wachstumsfördernde Sonderregeln gelten. Sie sollten steuerliche und arbeitsrechtliche Erleichterungen ebenso umfassen wie eine Befreiung von Zwangsmitgliedschaften bei Kammern und Berufsgenossenschaften.
4. Deutschland muss seine Forschungsförderung auf Digitaltechnologien konzentrieren.
Das in der öffentlichen Forschungs- und Wirtschaftsförderung noch zu stark verbreitete Gießkannenprinzip sollte zu einem Fokusprinzip weiterentwickelt werden. Im Mittelpunkt öffentlicher Förderung Deutschlands und der EU sollten künftig Maßnahmen stehen, die der Gewinnung Digitaler Souveränität auch und gerade im Sinne der digitalen Transformation der deutschen und europäischen Leitindustrien dienen. Denkbar ist ein Mindestanteil von 50 Prozent, der Maßnahmen mit Relevanz für die Digitale Souveränität zu Gute kommt.
5. Deutschland muss Datenvielfalt und Datenschutz ins Gleichgewicht bringen.
Eine wettbewerbsfähige Datenwirtschaft mit ihren Plattformen und intelligenten Diensten braucht ein internationales Level-Playing-Field, u.a. durch eine europäische Datenschutzgrundverordnung. Datenschutz muss Datenwirtschaft unter gleichen Bedingungen für alle Anbieter ermöglichen und darf sie nicht verhindern. Zwei Grundprinzipien des Datenschutzes – Datensparsamkeit und Zweckbindung – sind zu überprüfen und durch die Prinzipien der Datenvielfalt und des Datenreichtums zu ergänzen bzw. zu ersetzen. Datenschutzfreundliche Anonymisierungs- und Pseudonymisierungstechnologien sind zu fördern. Gleichzeitig sind Transparenzprinzipien zu stärken und die Kontroll- und Sanktionsmechanismen bei Verstößen gegen das Datenschutzrecht zu verbessern. In diesem Sinne ist eine Datenpolitik aus einem Guss zu entwickeln.
6. Deutschland muss sein Bildungsideal um ein digitales Bildungsideal ergänzen.
Digitale Souveränität wird sich ohne einschlägiges Know-how nicht gewinnen lassen. Sie braucht Menschen, die in der Lage sind, entsprechende Technologien zu entwickeln und verantwortungsvoll einzusetzen. Hierzu muss das Bildungswesen dergestalt reformiert werden, dass zum einen eine ausreichende Verfügbarkeit von IT-Spezialisten dauerhaft gesichert und zum anderen die Fähigkeit zum selbstbestimmten Einsatz digitaler Technologien in voller gesellschaftlicher Breite über alle Gruppen, Schichten und Altersklassen hinweg entwickelt wird. Informatik ist als Pflichtfach ab Klasse 5 einzuführen. Die Lingua Franca der digitalen Welt – Englisch – ist ab der ersten Grundschulklasse im Immersionsverfahren zu unterrichten mit dem Ziel, alle Grundschüler voll zweisprachig in die Sekundarstufe zu überführen.
7. Deutschland muss seine Kommunikation optimal schützen.
Europas Wirtschaft, Staat und Bürger müssen in die Lage versetzt werden, absolut vertraulich und geschützt in digitalen Netzen zu kommunizieren. Hierzu brauchen sie einschlägiges Know-how und zuverlässige Orientierungshilfen und vertrauenswürdige Partner. Es sollte ein Transparenzzentrum aufgebaut werden, das Verbrauchern, Selbständigen und kleinen Unternehmen verständliche und einfache Orientierungshilfe bei Auswahl und sicherem Einsatz digitaler Technologien bietet.
8. Deutschland muss die weltweit leistungsfähigsten digitalen Infrastrukturen aufbauen.
Basis Digitaler Souveränität sind höchst leistungsfähige und sichere digitale Infrastrukturen und intelligente Netze. Sie müssen als Teil europaweiter Hochleistungsnetze schnellstmöglich in einer gemeinsamen Anstrengung von Wirtschaft und Staat aufgebaut werden. Deutschland sollte sich zum Ziel setzen, innerhalb der nächsten zehn Jahre der Flächenstaat mit den im weltweiten Maßstab leistungsfähigsten digitalen Infrastrukturen in den Bereichen Breitband, Verkehr, Energie, Gesundheit, Bildung und Verwaltung zu werden. Breitbandstrategie und Netzallianz sollten als Blueprint für weitere zu digitalisierende Infrastrukturen dienen. Die einzelnen Allianzen sollten durch einen Nationalen Infrastrukturrat konzertiert werden.