Dem Zufall der Begegnung auf die Sprünge helfen
Der Produktivfaktor Büro wird durch die Digitalisierung immer wichtiger. Doch die Aufgaben der Bürogestaltung haben sich völlig verändert. Im Zentrum steht heute der Austausch zwischen den Menschen.
Auf den ersten Blick erscheint es paradox: Gerade IT-Unternehmen, die mit ihren Hard- und Software-Lösungen das ortsunabhängige Arbeiten propagieren, stecken selbst enorm viel Kreativität und Geld in die Ausgestaltung ihrer eigenen, analogen Bürogebäude. Google, Microsoft, Apple und Co. realisieren jenseits der Gestaltung der eigentlichen Programmier- und Büroarbeitsplätze vielfältige Rückzugs- und Besprechungsräume, Aufenthaltszonen und Begegnungswelten mit ganz unterschiedlichen Atmosphären. Wer kennt nicht die medienwirksamen Bilder, die manchmal mehr an Spielplätze und Urlaube erinnern als an konzentrierte Büroarbeit?
Der Hintergrund dieser Gestaltungsstrategien ist dabei durchaus ernster Natur: Es geht darum, für die gesuchten, topausgebildeten Talente attraktiv zu sein, sie möglichst lange im Unternehmen zu halten – und sie miteinander ins Gespräch zu bringen. Selbst frühe Pioniere von Homeoffice-Lösungen wie die IBM beordern in großem Stil Mitarbeiter zurück ins Büro und fordern Präsenzzeiten ein. Die Begründung: Früher sei es primär um Einzelarbeitsprozesse gegangen, die durch die IT-Lösungen zuhause ebenso gut – und oft störungsfreier – erledigt (und deren Ergebnisse einfach kontrolliert) werden konnten. Heute stünden durch den dynamischen Wandel der Märkte Innovation und Veränderung im Fokus. Und das erfordere Qualitäten der Kommunikation und Kooperation, wie sie nur beim Zusammentreffen im Büro gegeben seien.
„Neben formalisierten Kommunikationsformen wird vor allem die ungeplante,
Gastautor Burkhard Remmers
zufällige Begegnung immer wichtiger.“
Deshalb steht branchenübergreifend die Förderung unterschiedlicher Formen der Zusammenarbeit im Zentrum der Bürogestaltung. Konferenzen, Jour Fixe, Seminare und Workshops werden geplant, organisiert und sind in der Regel in entsprechend buchbaren Räumen verortet, deren Zahl analog ihrer Bedeutung stark zugenommen hat. Neben solchen formalisierten Kommunikationsformen aber wird vor allem die ungeplante, zufällige Begegnung immer wichtiger.
Begegnungsförderung als zentrale Aufgabe im Wissensmanagement
Durch die zunehmende Komplexität der Geschäftsprozesse und den dynamischen Wandel der Rahmenbedingungen lassen sich die möglichen Folgen von Entscheidungen immer weniger am „grünen Tisch“ voraussehen und planen, sondern nur in der Spiegelung mit dem Erfahrungswissen im Unternehmen. Dass die Zugänglichkeit dieses Wissens vor allem eine Frage des Datenmanagements sei, gehört zu den häufigen Missverständnissen. Natürlich sind systematische Dokumentation und Informationsverfügbarkeit Grundlagen, um Prozesse zu beschreiben und nachvollziehbar zu machen. Doch in den Datenbanken lagern eben Informationen, nicht Wissen.
Das Wissen selbst ist – allen Entwicklungen selbstlernender Systeme zum Trotz – in den Köpfen der Mitarbeiter und lässt sich in seiner Komplexität immer nur rudimentär als Informationen ablegen. So kommen wichtige Aspekte der internen Prozesse und der externen Marktbedingungen häufig erst durch die zufällige Begegnung in der Kantine, vor dem Aufzug oder auf dem Parkplatz ins Bewusstsein.
Hinzu kommt, dass Veränderungsprozesse, die nicht auch zum informellen Gesprächsthema werden, kaum Chancen auf Durchdringung haben. „Etwas, worüber man nicht spricht, ist gar nicht geschehen. Erst das Wort gibt den Dingen Realität“ konstatierte einst Oscar Wilde. Mehr noch: Aus der Innovationsforschung wissen wir, dass über 80% aller Ideen in den persönlichen Interaktionen zwischen Menschen entstehen. Denn durch das komplexe Zusammenwirken aller Sinneswahrnehmungen werden in der Begegnung die höchste Informationsdichte, die größte Glaubwürdigkeit und die intensivste Beteiligung erzielt.
Stand-up Bunte Bewegungsobjekte wie der Stand-up animieren in Zwischenbereichen zu informellem Austausch und ganz neuen Interaktionen. | Chassis und Aline Nicht nur auf privaten Partys: Der kommunikativste Platz ist in der (Tee-)Küche. | Stitz Nicht Stehen, nicht Sitzen sondern eine bewegliche Haltung dazwischen – Lösungen wie diese brauchen wenig Raum, fördern den spontanen Austausch und verbinden Kommunikation mit bewegter Entlastung. | Asienta Wegezonen, Kreuzungen, Plätze: Hier laden Lounge-Möbel zum Verweilen und Kurzgesprächen ein. |
Opportunitätskommunikation: das Büro wie ein Dorf planen
Die grundlegenden Fragen bei der Büroplanung sind demnach:
Wer sollte sich sinnvoller Weise über den Weg laufen?
Wo und wie sollten sich die Menschen im Gebäude treffen?
Und wie kann durch die Gestaltung solcher Plätze und Orte dem Zufall der Ideen- und Wissensbegegnung auf die Sprünge geholfen werden?
Weil hier sowohl der Einzelne wie auch die Gemeinschaft des Unternehmens im Fokus stehen, geht es dabei insbesondere um die „halböffentlichen“ Wegezonen, Plätze und Nischen zwischen Arbeitsplätzen, Projekt-, Schulungs- und Konferenzräumen. Begriffe wie „Office City“, „Office Village“ oder „Break-out-areas“ verweisen auf die sozialen Qualitäten dieser „Zwischen“-Raumplanung.
Wurden Erschließungs-, Wege- und Sondernutzungsbereiche früher als notwendiges Übel betrachtet, so gewinnen sie heute eine zentrale Bedeutung für die Frage, wie ein Gebäude die Menschen befähigen kann, sich zu treffen, sich auszutauschen und gemeinsame Ideen zu entwickeln. Ob das funktioniert, hängt im Wesentlichen von der Beantwortung zweier grundlegenden Fragen ab: Gibt es für die Menschen im Büro ein Motiv, diese Bereiche aufzusuchen? Und verfügt der Platz über eine Aufenthaltsqualität, die dazu einlädt, einen Moment zu verweilen, um mit anderen ins Gespräch zu kommen?
Unser Autor: Burkhard Remmers |
Deshalb werden Eingangsbereiche und platzähnliche Aufweitungen mit Informationsangeboten und Sitzgelegenheiten, Teeküchen und Bistros, Leseecken, Lounge- und Spielbereiche oder auch das Betriebsrestaurant zu den wichtigsten Knotenpunkten im informellen Kommunikationsnetzwerk.
Und genau deshalb legen die eingangs zitierten Protagonisten digitaler Büroarbeit so großen Wert auf die gestalterische und funktionale Vielfalt ihrer schönen neuen Arbeitswelten.
Mit der Erfüllung urmenschlicher Bedürfnisse nach Essen, Trinken und Sinnstiftung in der Gemeinschaft lassen sich in Innovations- und Veränderungsprozessen offensichtlich die effizientesten – und profitabelsten Ergebnisse erzielen.
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Wilkhahn
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