Digital Circular Economy
Jörg Walden, Managing Director, iPoint-systems GmbH, im Gespräch mit der TREND-REPORT-Redaktion über einen völlig neuen Ansatz im Product-Lifecycle-Management.
Herr Walden, was bedeutet für Sie, „den Produkt- und Prozesszyklus zu Ende denken“?
Im Gegensatz zur Linearwirtschaft (take, make, use, dispose) gibt es bei dem von uns unterstützten Ansatz der Circular Economy kein „Zuendedenken“ oder „Ende“ eines Produkts bzw. Prozesses. Unsere holistisch-zirkuläre Betrachtungsweise geht von kontinuierlichen positiven Entwicklungskreisläufen aus. Gesamte Systeme in den Blick nehmend, geht es dabei um folgende Fragestellungen: Wie beeinflussen sich Teile innerhalb eines Gesamtsystems gegenseitig? Wie stehen sie miteinander und mit ihren umweltbezogenen und sozialen Kontexten in Beziehung? Wie können sie dauerhaft und rollierend im Systemlebenszyklus gehalten werden? Bezogen auf Produkte bedeutet diese Herangehensweise, dass die Informationen aus allen Prozessschritten bereits in der Designphase Berücksichtigung finden müssen, um die eingesetzten Ressourcen nach der jeweiligen Nutzungsdauer des Produkts wieder in biologische oder technische Kreisläufe zurückzuführen zu können. Die wesentlichen Schritte dieser Prozesskette sind die Produkt- und Systemkonzeption mit der Material- und Komponentenbeschaffung, die Eigenfertigung, Montage und Vermarktung, der Verbrauch, die Nutzung oder der Betrieb des Produkts oder Systems sowie der sogenannte Reverse Channel, d.h. die Logistik der Rückführung und der Recycling-, Upcycling-, Wiederverwendungs- und/oder Wärmeverwertungsprozess.
Wie genau unterstützen Sie Unternehmen im Kontext von transparenten Lieferketten und Nachhaltigkeit?
Bezüglich der im industriellen Umfeld neuerdings als der letzte Schrei („the new black“) bejubelten Transparenz ist besondere Vorsicht geboten. Es geht uns und unseren Kunden gerade nicht um die vollkommene Transparenz in Bezug auf Lieferkette oder Produkt, was im Zeitalter von Big Data, Cloud Computing und dem industriellen Internet natürlich durchaus möglich wäre. Um die Wettbewerbsfähigkeit unser Kunden zu gewährleisten, unterstützen wir sie vielmehr bei der punktgenauen Abfrage und Bereitstellung relevanter Informationen bei gleichzeitigem Schutz von vertraulichen Daten über Geschäftsbeziehungen und Produktzusammensetzungen.
In der Absicherung der Nachhaltigkeit ihrer Produkte und Systeme unterstützen wir unsere Kunden durch den Nachweis eines gesetzeskonformen und nachhaltigen Liefernetzwerkes und des jeweils zugehörigen Eigenfertigungs- bzw. Montageanteils. Die Basis bilden detaillierte Herkunfts-, Substanz-, Gemisch-, Verwendungs- und Verpackungsinformationen, die mit der Stücklisten- und Logistikstruktur des Produktes verbunden werden. Hinzu kommen das Risikomanagement, Einsatzstoffen mit ihren Gewichten, Unterstützung bei der Auswahl von alternativen Materialien sowie die sozialen, arbeitsschutz-, sicherheits- und umweltbezogenen Gesichtspunkte in der Lieferkette und am eigenen Standort.
Welchen Nutzen haben dabei Cyber-Physical-Systems und „digitale Zwillinge“?
Das Internet der Dinge, das Wissen um die alles durchdringende Konnektivität als neue Infrastruktur in Verbindung mit der Verschmelzung von Technologien, die die Grenzen zwischen der physischen und digitalen Welt verwischen, bilden den Schlüssel zu einer wirklich zirkulären Kreislaufwirtschaft. Diese wiederum ermöglicht einen effektiven Fluss von Materialien, Energie, Arbeit und Informationen, so dass natürliches und gesellschaftliches Kapital wiederaufgebaut und globale Nachhaltigkeitsziele erreicht werden können.
Um diesen Ansatz hochgradig automatisiert durchführen zu können und gleichzeitig Nachhaltigkeitspotenziale neuer Geschäftsmodelle über den gesamten Systemlebenszyklus zu erschließen, sind möglichst durchgängig digitale Modelle notwendig. Mit einem solchen digitalen Abbild – auch als „digitaler Zwilling“ bekannt – können Produkte nicht nur vor der Nutzungsphase effizient entwickelt und optimiert werden, sondern es ermöglicht im Sinne des Internet of Things auch während der Nutzungsphase, dass „smarte“ Produkte bzw. Systeme kontinuierlich Informationen über sich selbst und ihre Umgebung erfassen, speichern und punktgenau kommunizieren können, um z.B. rechtzeitig den Austausch eines defekten Moduls veranlassen zu können. Der aktuelle Trend zur hohen Individualisierung der Produkte und Lösungen und der damit verbundenen Heterogenität der Zuliefer und Fertigungsteile lässt sich die Prüfung der Gesetzeskonformität nur über eine Digitalisierung der Prozesse bewältigen.
Welche neuen Geschäftsmodelle und Wachstumschancen ergeben sich in diesem Kontext für Ihr Haus?
Die Überführung existierender Informationssysteme aus der alten Welt in die neue sowie die Verschmelzung von Technologien, die die Grenzen zwischen der physischen und digitalen Welt verwischen, z.B. in Form von digitalen Modellen von Produkten und Services, sind für uns zentraler Ausgangspunkt und Treiber für die Entwicklung neuer Businessmodelle in der Cloud – in allen Variationen (Public Cloud, Private Cloud, Hybrid Cloud, Software as a Service etc.). Über unsere kontinuierliche Beobachtung der internationalen Markt- und Wettbewerbsbedingungen haben wir die Möglichkeit, sehr früh in neue Software- und Serviceentwicklungen einzusteigen. Ein Beispiel ist unsere cloudbasierte Conflict Minerals Platform mit aktuell 38.000 Kunden, die wir 2012, nur wenige Tage nach Verabschiedung eines entsprechenden US-Gesetzes, auf den Markt gebracht haben.
Ist das auch die Begründung für die aktuelle Verleihung des Preises TOP 100 „Innovator des Jahres“ an iPoint?
Wir bauen seit jeher auf einer offenen, kontinuierlichen Innovationskultur, hoher Kundenorientierung, einem globalen Partnernetzwerk und der konsequenten Beobachtung von relevanten Standards und Trends auf, um Lösungen anzubieten, die immer einen Schritt voraus sind. Dass wir es seit unserer Gründung vor fünfzehn Jahren bereits vier Mal geschafft haben, innerhalb von drei bis fünf Jahren mit einer bestimmten Lösung internationaler Marktführer zu werden, bestätigt diesen Ansatz, der auch die TOP100-Jury überzeugt hat.
Werden in absehbarer Zeit noch mehr Regularien auf die Unternehmen zukommen im Kontext der nachhaltigen Lieferkette (und Transparenz)?
Bei internationaler Betrachtung der Steigerungsraten an einschlägigen Gesetzen als auch bei der Recherche der gerade im Gesetzgebungszyklus befindlichen Vorgaben ist grundsätzlich von einer weiteren Zunahme auszugehen. Zu nennen ist hier etwa die kurz vor der Verabschiedung stehende Konfliktmineralien-Verordnung der Europäischen Union, die produzierende Unternehmen sämtlicher Branchen und Lieferkettenpositionen betreffen könnte. Ein weiteres Beispiel ist der UK Modern Slavery Act sowie andere EU- und US-Gesetze, die von Unternehmen verlangen, Sklaverei, Menschenhandel und andere Menschenrechtsverletzungen im eigenen Betrieb und in ihren Lieferketten anzugehen. Davon sind nicht nur die immer wieder in den Schlagzeilen stehenden Textil- oder Lebensmittelbranchen betroffen. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang außerdem die EU-Chemikalienverordnung REACH, die mit EuGH-Urteil vom September 2015 nun nicht nur mehr Produkte (Gesamterzeugnisse), sondern auch Teilerzeugnisse betrifft. Dies zieht z.B. für Elektro- und Elektronikunternehmen enorme administrative Auswirkungen nach sich. Hinzu kommen Änderungen und Erweiterungen bestehender Gesetze und Vorgaben für bestimmte Branchen, z.B. die seit Kurzem geltenden Informationsanforderungen von CAMDS (China Automotive Material Data System), die Automobilhersteller für die Typgenehmigung auf dem chinesischen Markt zu erfüllen haben. Auch die Ausweitung der europäischen RoHS-Richtlinie auf neue gefährliche Stoffe in Elektro- und Elektronikgeräten ist hier zu nennen. Fakt ist: Die Regularien nehmen hinsichtlich Anzahl und Komplexität zu. Je mehr Informationen Unternehmen über die Bestandteile ihrer Produkte und über ihre Lieferkette haben, desto effizienter können sie die Gesetzesvorgaben erfüllen.
Welche Wettbewerbsvorteile haben heute Unternehmen, die „Nachhaltigkeit“ in Ihrer Liefer- und Prozesskette implementiert haben?
Sie sind nicht nur schneller und effizienter in der Umsetzung der geänderten oder zusätzlichen Regeln, sondern sie haben auch eine deutlich bessere Ausgangssituation in der Gestaltung und Umsetzung von neuen Geschäftsmodellen und Partnerschaften, die wiederum ihre Wettbewerbsfähigkeit erhöhen. Aktuellen Studien zufolge besonders erfolgreich sind dabei Unternehmen, die die Nachhaltigkeit in ihrer Unternehmensstrategie verankert haben und durch selbst gesetzte umweltbezogene und soziale Ziele und Standards über das gesetzlich Geforderte hinausgehen. Die damit einhergehende Entwicklung, die Nachhaltigkeits- mit der Unternehmensleistung zu verknüpfen, greift z.B. der im Mai 2016 erschienene Bericht „Investing For a Sustainable Future“ von MIT Sloan Management Review und der Boston Consulting Group auf.
Die Jury der TOP 100 hat Sie besonders gelobt für Ihren offenen Innovationsansatz im Sinne „agiler Nachhaltigkeit“. Was dürfen wir darunter verstehen?
Der Prozess, den wir vorgestellt haben, nennen wir Agile Sustainable Open Innovation oder kurz ASOP-Innovation. Die Erkenntnis, dass Innovation nicht mehr „im stillen Kämmerlein“ stattfindet, hat sich in den letzten Jahren ja schon durchgesetzt. Dabei Nachhaltigkeitsziele zu verfolgen, ist bei unserer Unternehmensausrichtung naheliegend. Durch die Komplexität in unserer Branche versagen vielfach klassische Managementsysteme und wir müssen agile Vorgehensweisen zugrunde legen, die nur im Zusammenhang mit einer entsprechenden Innovationskultur ihre volle Wirkung entfalten.
Weitere Informationen unter:
www.ipoint-systems.com
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