Simulation: Erfolgsfaktor für Deutschlands Innovationskraft

Die Redaktion im Gespräch mit Dr. Thorsten Koch, Geschäftsführer der Comsol Multiphysics GmbH, über die Rolle der virtuellen Produktentwicklung für den Technologiestandort Deutschland.



Herr Dr. Koch, welche Bedeutung haben Multiphysik-Simulationen für den Industrie- und Technologiestandort Deutschland?
Multiphysik-Simulationen ermöglichen es, komplexe Produkte digital zu entwickeln und zu optimieren – schneller, kostengünstiger und nachhaltiger. Für den Hightech-Standort Deutschland sind sie ein zentraler Hebel, um Innovationskraft und Wettbewerbsfähigkeit zu sichern.

 

Dr. Thorsten Koch betont: „Wir sollten den digitalen Rückstand in einen Vorsprung umwandeln.“


Was sind in diesem Kontext die Kernkompetenzen und Besonderheiten Ihrer Simulationssoftware?
Die größte Stärke liegt in der multiphysikalischen Kopplung: Wärme, Mechanik, Elektromagnetismus, Strömung, uvm. – alles in einem Modell. COMSOL Multiphysics ist flexibel, offen und hochgradig anpassbar. So können Unternehmen ihre spezifischen Anforderungen direkt abbilden und Simulationen effizient integrieren.

Inwieweit kann die Entwicklungsarbeit effizienter und der Entwicklungsprozess schneller gestaltet werden?
Simulationen beschleunigen die Entwicklung, weil sie physikalische Tests digital ergänzen und Verständnis fördern. Mit COMSOL Multiphysics können zudem auf einfache Weise benutzerdefinierte Apps erstellt werden. Das sind intuitive Benutzeroberflächen, die unternehmensspezifische Modelle beinhalten und komplett eigenständig und lizenzkostenfrei nutzbar sind. So wird Simulation und Know-How im ganzen Unternehmen zugänglich, sicher und reproduzierbar. Ich bin davon überzeugt, dass diese breite Verfügbarkeit von Simulation für jedes Industrieunternehmen einen wichtigen Vorteil in der Entwicklung darstellen kann. Es ist an der Zeit, den Einsatz von Simulation zu überdenken und den digitalen Rückstand in einen Vorsprung umzuwandeln, indem wir in Deutschland einen mutigen Schritt in Richtung simulationsgetriebener Produktentwicklung machen.

Wie verlässlich sind die Ergebnisse von Multiphysik-Simulation?
Verlässliche Ergebnisse setzen eine realitätsnahe Modellierung voraus – und die ist oft nur mit Multiphysik möglich. COMSOL Multiphysics bildet komplexe Wechselwirkungen präzise ab. In Kombination mit korrekten Materialdaten und guter Modellierungspraxis liefern Simulationen Ergebnisse auf Labor- oder Prototypenniveau.

Welche Rolle spielt KI und ML für Ihre Lösungen und für die F&E- Landschaft?
Wir haben ML-Funktionen direkt integriert. Nutzer können Ersatzmodelle auf Basis physikalischer Daten trainieren und nahtlos in Apps einbinden – für Simulationsergebnisse in nahezu Echtzeit. So wird KI zur praktischen Ergänzung der klassischen Simulation in F&E.

Für welche Aufgabe haben Sie den Application Builder geschaffen und worin liegt der Vorteil für Ingenieure und die Entwicklung?
Unsere Simulations-Apps ermöglichen es Ingenieuren, komplexe Multiphysik-Simulationen effizient und sicher zu nutzen – ohne tief in Modellierungsdetails einsteigen zu müssen. Apps vereinfachen den Zugriff auf spezialisierte Modelle und standardisieren den Entwicklungsprozess. Insbesondere die nahtlose Integration verschiedener physikalischer Prozessmodelle, z.B. Elektromagnetik,
Wärmeübertragung, Fluiddynamik oder mechanische Spannungen, in ein einziges Multiphysik-Modell, verschafft Ingenieuren ein umfassendes Verständnis komplexer Wechselwirkungen und erwirkt frühzeitige Fehlererkennung. Mit den Simulations-Apps lassen sich Produktideen schneller und einfacher testen, Variantenstudien systematisch durchführen und Innovationszyklen verkürzen. Vorhersagen werden präziser, die Entwicklungszeit minimiert und so zugleich die Kosten gesenkt. Unternehmen profitieren von einer verbesserten
Wissensverteilung und können die Simulation breiter einsetzen – von der Forschung bis zur Produktion.

Inwieweit wirkt sich der Einsatz von Multiphysik-Simulation auf die Produktqualität aus?
Multiphysik-Simulationen verbessern die Produktqualität, indem sie physikalische Zusammenhänge präzise abbilden und sowohl Fehlerquellen als auch Optimierungspotenziale frühzeitig sichtbar machen. So können Unternehmen Designs robuster und leistungsfähiger gestalten. Das Toyota Research Institute of North America nutzt COMSOL Multiphysics beispielsweise, um Strömungsfeldplatten für Wasserstoff-Brennstoffzellen zu entwickeln – mit dem Ergebnis höherer Effizienz und längerer Lebensdauer. Simulation sichert hier die
Qualität bereits in der Entwurfsphase und reduziert teure Iterationen.

Wo und wieviel Zeit und Geld kann im Entwicklungsprozess eingespart werden?
Durch den Einsatz von Multiphysik-Simulationen können Unternehmen signifikante Einsparungen in Zeit und Kosten realisieren. Ein Beispiel: Bosch nutzt COMSOL Multiphysics, um die Entwicklung von DC-Link-Kondensatoren für Elektrofahrzeuge zu optimieren. Durch die Simulation elektromagnetischer und thermischer Effekte konnten potenzielle Hotspots frühzeitig identifiziert und das Design entsprechend angepasst werden. Dies führte zu einer Reduzierung der Prototypenanzahl und beschleunigte den Entwicklungsprozess erheblich. Das Ergebnis: eine Steigerung der Leistungsdichte um 200 % und eine Erhöhung der Reichweite um 6 % im Vergleich zu vorherigen Designs.

Was muss die Hardware leisten können?
Für viele Multiphysik-Simulationen reicht heute ein moderner PC mit ausreichend Arbeitsspeicher und Mehrkernprozessor. Wichtig sind ein schneller Prozessor für kurze Rechenzeiten und genügend Arbeitsspeicher, um große Modelle stabil zu bearbeiten. Bei besonders umfangreichen oder hochdetaillierten Simulationen kann der Einsatz von Workstations, High-Performance-Computing-Clustern oder
Cloud-Computing sinnvoll sein. COMSOL Modelle können flexibel auf diesen unterschiedlichen Hardware-Umgebungen gelöst werden, sodass Ingenieure sich ihr Arbeitsumfeld je nach Projektanforderung gestalten können.

Inwieweit könnten sich Multiphysik-Simulationen und Digital Twins ergänzen?
Multiphysik-Simulationen bilden die Grundlage für leistungsfähige Digital Twins, indem sie komplexe physikalische Zusammenhänge hochpräzise abbilden und mit Daten aus der realen Welt abgleichen. Mit COMSOL Multiphysics lassen sich etwa Batteriepakete für Elektrofahrzeuge simulieren und diese Modelle in Echtzeit mit Sensordaten verknüpfen. So entsteht ein Digital Twin, der den
aktuellen Zustand überwacht, künftige Entwicklungen prognostiziert und Steuerungsparameter optimiert. Unternehmen profitieren durch bessere Performance, höhere Sicherheit und reduzierte Betriebskosten, etwa bei der präzisen Regelung von Temperatur und Ladezyklen in Batteriesystemen.

Welche Branchen und Industrien setzen Ihre Lösungen bereits erfolgreich ein?
COMSOL Multiphysics wird überall dort eingesetzt, wo Innovation durch präzise Simulation entsteht – vom Automobilbau über die Medizintechnik bis zur Baustelle. L-Acoustics etwa nutzt die Software, um Lautsprechergehäuse für Konzertarenen zu optimieren und so die Klangqualität in riesigen Veranstaltungsstätten wie der berühmten Hollywood Bowl zu verbessern. Im Bauwesen simulieren Kunden von Heidelberg Materials mit einer App die Aushärtung von Beton direkt auf Baustellen und wählen so die ideale Mischung anhand aktueller Begebenheiten vor Ort. Auch Sport- und Freizeitunternehmen wie Decathlon setzen auf COMSOL, etwa zur Optimierung von Lauflampen oder Zeltsystemen. Ob Fahrzeuge, Smartphones, Kraftwerke oder nachhaltige Gebäude: Die Multiphysik-Simulation unterstützt unterschiedlichste Industrien dabei, schneller bessere Produkte und Prozesse zu entwickeln.

Inwieweit kann ich aus CAD-Anwendungen (Auto CAD usw.) Daten an Ihre Simulationssoftware zur Bearbeitung übergeben?
Unsere Software bietet umfassende Schnittstellen zu gängigen CAD-Programmen wie AutoCAD, SOLIDWORKS und PTC Creo. Geometrien lassen sich direkt importieren und in die Simulation integrieren. Dabei können Modelle automatisch für die Analyse vereinfacht oder angepasst werden, etwa durch Entfernen kleiner Details oder die automatische Erzeugung von Volumenkörpern. Noch einfacher
geht es mit spezialisierten Produkten wie LiveLink for SOLIDWORKS für die direkte Kommunikation zwischen den Programmen. Sie ermöglichen die effiziente Integration von Multiphysik-Simulation in den Konstruktionsprozess.

Mit welchen Neuentwicklungen und aktuellen Projekten beschäftigen Sie sich im Moment?
Wir entwickeln COMSOL Multiphysics als offene und leistungsstarke Plattform kontinuierlich weiter. Zu den jüngsten Erfolgen zählen eigenständig nutzbare Simulations- Apps, die Simulationen auch für Nicht-Experten intuitiv nutzbar machen, sowie die nahtlose Integration von Ersatzmodellen (Surrogate Models) auf Basis von Machine Learning – alles innerhalb der vertrauten COMSOL
Umgebung. Parallel arbeiten wir ständig an der Optimierung der Software-Performance, der bereits vielgelobten Benutzerfreundlichkeit und an der Erweiterung unserer Physikmodule. Unser Ziel ist es, Ingenieuren und Forschern ein immer mächtigeres, vielseitig einsetzbares und zugleich noch zugänglicheres Werkzeug an die Hand zu geben.

Was raten Sie der aufkommenden Verteidigungsindustrie, wenn es ums Thema Multiphysik-Simulation geht?
Multiphysik-Simulation ist in der Verteidigungsindustrie natürlich schon lange angekommen. Und sie wird noch wichtiger, da digitale Technologien über den Erfolg entscheiden. Multiphysik-Simulationen sind der Schlüssel, um komplexe Systeme schneller, intelligenter und robuster zu entwickeln. Wer heute in modellbasierte Entwicklung, Simulations-Apps und Digital Twins investiert, schafft sich die Grundlage für adaptive Systeme, die sich im Feld an verändernde Einsatzbedingungen anpassen können. Mit COMSOL Multiphysics bieten wir eine Plattform, auf der Innovationen entstehen – von neuen High-Tech-Materialien über hochpräzise Sensorsysteme bis hin zu autonomen Systemen. Die Zukunft gehört denen, die Simulation als strategisches Werkzeug verstehen und anwenden.

 

Weitere Infos unter: https://www.comsol.de/