Kündigungswelle kann aufgehalten werden

Die Wechselbereitschaft von Mitarbeitern ist hoch wie nie. Woran das liegt, erklärt Janet Haupka, Geschäftsführerin der Personalberatung DONE!Berlin. Darüber hinaus gibt sie Tipps, was Unternehmen jetzt tun können, um ihre Fachkräfte und Talente zu halten.

In den USA sind Kündigungen bereits auf Rekordhoch. Auch in Deutschland bewegt sich der Arbeitsmarkt. Laut Jobwechsel-Kompass wuchs die Anzahl derjenigen, die sich aktuell einen Unternehmenswechsel vorstellen können, von 6 auf 62 Prozent vom Sommer bis Herbst 2021. Eine aktuelle Umfrage von EY unter 1.500 Angestellten zeichnet ein ähnliches Bild: Danach ist fast die Hälfte aller Beschäftigten in Deutschland auf dem Sprung.

Arbeitnehmer entwickeln neue Werte und Bedürfnisse

Warum sind Mitarbeiter derzeit nur so wechselwillig? Ein Grund ist sicherlich, dass viele Beschäftigte ihr Kündigungsvorhaben durch die Pandemie aufgeschoben haben. Jetzt gewinnt ihre Karriereplanung nach fast 2 Jahren wieder an Bedeutung und die Wechselbereitschaft steigt dadurch insgesamt überproportional. Darüber hinaus haben Unternehmen aufgrund der unsicheren, wirtschaftlichen Lage Weiterbildungsmaßnahmen und Gehaltserhöhungen eingeschränkt oder eingefroren. Auch das sind Gründe, warum Angestellte wechselbereit sind. Ein besseres Gehalt ist für die meisten ausschlaggebend, um zu einem neuen Arbeitgeber zu gehen.

Doch das allein erklärt die besorgniserregenden Umfrageergebnisse nicht. Der erste Lockdown im März 2020 hat etwas ins Rollen gebracht: Ad hoc wurden Mitarbeiter ins Homeoffice geschickt. Dort arbeiteten sie auf einmal flexibel, selbstständiger, agiler und digitaler. Diese neue Arbeitsweise lernten Beschäftigte zu schätzen. Mittlerweile wünschen sich jedoch viele Unternehmen, dass ihre Mitarbeiter zurück ins Büro kommen. Das finden nicht alle gut.

Homeoffice hat aber auch seine Schattenseiten: Oft fehlt die Abgrenzung zwischen Berufs- und Privatleben. Es mangelt an ungestörten Arbeitsplätzen. Dadurch nahm der Stresslevel bei vielen zu. Auch tun sich einige mit der neuen digitalen Arbeitsweise schwer. Sie fühlen sich vom Team abgehängt oder isoliert. Manchen fehlen die persönlichen und sozialen Kontakte. Die Müdigkeit rund um digitale Meetings nimmt zu. Darüber hinaus wurden Mitarbeiter in Kurzarbeit geschickt. Dadurch kamen neben Überforderung und Frust auch Sorgen und Ängste um die berufliche Zukunft hinzu.

Zwar erlebt jeder durch seine individuelle Situation die neue Arbeitswelt anders, doch sie hat etwas in Bewegung gebracht: Heute sehen sich Arbeitgeber mit Wünschen nach flexiblen Arbeitszeiten und selbstständiger Arbeit, nach mehr Work-Life-Balance oder nach psychischer und physischer Gesundheit konfrontiert. Diese Entwicklung an sich birgt allein kein Wechselpotential. Nur wenn sich Organisationen nicht mit den neuen Werten ihrer Mitarbeiter auseinandersetzen und wenn Manager ihren Führungsstil nicht an die neuen Bedürfnisse anpassen, dann sorgt das für innerliche Kündigungen.

Unternehmen sollten Kulturlücken schließen

Es ist unumstritten, dass eine gesunde Firmenkultur für Zufriedenheit sorgt. Ihre Basis sind Werte, die von Mitarbeitern und dem Management geteilt werden. Wenn sich nun die Bedürfnisse innerhalb der Belegschaft verändert haben, sollten Organisationen herausfinden, welche das sind. Im ersten Schritt hilft dabei ein Assessment in Form von Einzelinterviews und einer umfassenden Mitarbeiterumfrage. Dabei geht es um die Bestandsaufnahme der durch die Krise geprägten neuen Werte, deren Stärken und Schwächen.

Anhand der Daten wird analysiert, inwieweit die vor Corona gelebte Firmenkultur mit den jetzt gewünschten Bedürfnissen und Werten übereinstimmt. Aus der Vision und Mission des Unternehmens und den aktuellen Ergebnissen entwickelt sich dann eine Art neue Zielkultur. Bevor diese verabschiedet wird, sollte sie noch einmal offen diskutiert werden. Nach dem finalen Feedback entsteht ein Maßnahmenplan, damit die transformierte Kultur optimal umgesetzt und gelebt wird.

So stärken Organisationen die Bindung zu ihren Mitarbeitern, denn sie hören ihnen zu, wertschätzen sie und sorgen so für eine Arbeitsatmosphäre, die von der Mehrheit – möglichst allen – gewünscht wird. Das schafft zufriedene, motivierte und produktive Mitarbeiter und ist ein erfolgreicher Hebel gegen die derzeitige Wechselbereitschaft.

Führungskräfte brauchen neue Qualitäten

Menschlichkeit, Empathie, Verständnis und Fürsorge sind Führungsqualitäten, um die neuen Bedürfnisse innerhalb des Teams zu erkennen und dafür passende Rahmenbedingungen zu schaffen. Dabei ist es entscheidend, dass die Führungskraft die persönlichen und strukturellen Voraussetzungen jedes einzelnen kennt und weiß, ob die jetzige Arbeitssituation für sie geeignet und motivierend ist oder sich Frust im Team aufstaut.

Nur mit einem tiefen Verständnis rund um die eigenen Mitarbeiter können Unstimmigkeiten aus dem Weg geräumt, Teammitglieder den richtigen Projekten zugeordnet und benötigte Schulungen initiiert werden. Gemeinsam sucht das Team nach optimalen Arbeitslösungen. Denn jedes Teammitglied ist entscheidend für die Bewältigung der Arbeit und der damit verbundenen Herausforderungen geworden. Dabei werden die Mitarbeiter ihre Ziele nur durch unterschiedliche Meinungen und einen offenen Austausch erreichen. Dazu braucht es eine Führung, die autonomes, kreatives und innovatives Denken fördert.

Umfragen zeigen leider, dass viele Manager immer noch kleinteilige Vorgaben machen, stark kontrollieren und ihren alten Stil beibehalten wollen. Ein solches Verhalten läuft konträr zu den neuen Bedürfnissen der Mitarbeiter und leistet seinen Beitrag zu der aktuellen Stimmung auf dem Arbeitsmarkt. Führungskräfte sind oft mitverantwortlich, wenn Mitarbeiter kündigen wollen.

Unternehmen sollten aus diesem Grund nicht nur ihre Kultur unter die Lupe nehmen, sondern besonders ihren Führungskräften helfen, die neue Arbeitsrealität und die damit verbundenen Herausforderungen anzunehmen. Sie müssen lernen, persönlich, individuell, eigenverantwortlich und ergebnisorientiert auf Distanz führen zu können. Darüber hinaus sollten sie ihre Weiterbildungsmaßnahmen und Karriereförderungen überprüfen, ob sie noch den aktuellen Anforderungen der Belegschaft und ihrer Talente entsprechen. Auch hier liegen wichtige Hebel, um möglichen Kündigungen zuvorzukommen.

Über die Autorin

Janet Haupka ist HR-Expertin. Sie baut als Interim Head of HR in vielen Unternehmen interne Teams und Prozesse auf, implementiert neue Software-Systeme und berät das C-Level-Management. Sie ist eine von zwei Geschäftsführerinnen bei DONE!Berlin – einer Berliner Personalberatung für schnell wachsende Unternehmen. Zu den Kunden zählen airbnb Europe, Knauf Digital, N26, Volocopter, Gorillas, Doctolib und viele mehr. www.doneberlin.com