„Die Personalarbeit muss professionalisiert werden, Silos müssen aufgebrochen werden“

Gastbeitrag von Stephanie Krüger, HR-Agentur HRtbeat.

 

Erfolgreiches Recruiting ist nicht nur Sache der HR-Abteilung

Drastische Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt stellen Personalabteilungen vor völlig neue Herausforderungen – sowohl im Recruiting als auch bei der Mitarbeiterbindung. Dafür benötigen HR-Teams neue Strategien und Maßnahmen, die sie vom Marketing adaptieren können. Um aktiv werden zu können im Kampf um die besten Arbeitskräfte, ist es notwendig, dass Unternehmen intern Silos aufbrechen: Die Personalabteilung muss eng und auf Augenhöhe mit dem Marketing und den Führungskräften im Unternehmen zusammenarbeiten.

Der Fach- und Arbeitskräftemangel ist mittlerweile in nahezu jeder Branche angekommen. Unternehmen stehen vor großen Herausforderungen, wenn plötzlich der Bewerbungseingang leer bleibt. Die Gründe sind vielfältig, müssen aber im Kontext des demographischen Wandels interpretiert werden: Mehr als sieben Millionen Menschen werden in den nächsten zehn Jahren in Rente gehen, deutlich weniger junge Menschen treten in den Arbeitsmarkt ein. Laut Agentur für Arbeit muss Deutschland mit 7 bis 15 % weniger Erwerbstätigen bis 2035 rechnen. Das führt zu einem Überschuss an unbesetzten Stellen mit einer durchschnittlichen Vakanzzeit von 150 Tagen pro Arbeitsstelle, Tendenz steigend.

Was bedeutet das konkret? In der Vergangenheit war der der Arbeitsmarkt ein Angebotsmarkt. Arbeitnehmende mussten sich aktiv um Arbeitsplätze bemühen und Arbeitgeber waren in der Lage, aus einer großen Anzahl von Bewerbern zu wählen. Heute ist der Arbeitsmarkt ein Nachfragemarkt: Unternehmen müssen um qualifizierte Arbeitnehmer konkurrieren und haben häufig Schwierigkeiten, geeignete Kandidaten zu finden. Arbeitnehmende können oftmals aus verschiedenen Angeboten auswählen, sich für die attraktivsten Bedingungen entscheiden. Das führt nicht nur dazu, dass Arbeitnehmende mehr Verhandlungsmacht besitzen – sie begeben sich sogar nur noch selten aktiv auf die Suche nach einer neuen Stelle. Stattdessen gehen Unternehmen heute aktiv auf potenzielle Kandidaten zu und versuchen mit Gehalt, Benefits und Unternehmenskultur zu punkten. Der Bewerbungsprozess hat sich umgekehrt; nicht die Kandidaten bewerben sich, das Unternehmen bewirbt sich bei den Kandidaten.

Neue Anforderungen an Personalabteilungen

Jahrzehntelang war die klassische Personalabteilung in erster Linie eine Verwaltungsabteilung. Die Abteilungen meldeten hier ihren Bedarf an neuen Mitarbeitenden und die Personaler kümmerten sich um eine Stellenausschreibung, sammelten die Bewerbungen und begleiteten Bewerbungsgespräche. Die Hauptanforderung war, aus einer Vielzahl von Bewerbungen den Mitarbeitenden zu identifizieren, der am besten geeignet ist. Heute bleiben die Bewerbungen aus, alle blicken hilfesuchend in ihre Personalabteilungen – doch dort fehlen die passenden Werkzeuge. HRler wurden bis vor kurzem nicht für diese Situation ausgebildet und müssen sich neue Skills aneignen. Sie beginnen, sich neue Fragen zu stellen: Was ist Arbeitnehmern heute wichtig? Was muss unser Unternehmen bieten? Warum sollten Bewerber zu uns kommen, statt zur Konkurrenz zu gehen? Wo finden wir interessierte Bewerber? Welche Bedürfnisse haben die Menschen, die wir als Bewerber für unser Unternehmen gewinnen wollen? Wie machen wir sie auf uns aufmerksam? Das sind richtige und wichtige Fragen in der aktuellen Situation. Doch für die Beantwortung fehlen Skills und Methoden ebenso wie Kapazitäten und Budgets. Die Geschäftsführung ist in der Verantwortung, die Personalabteilung neu aufzustellen oder externe Unterstützung von spezialisierten HR-Agenturen anzunehmen.

HR setzt auf Marketing-Strategien

Die Herausforderung ist, sich auf dem Arbeitgebermarkt attraktiv zu präsentieren und die richtigen Kandidaten zu erreichen. Da liegt ein Blick in die Marketingabteilung nah, denn die Gewinnung von Kunden kann in vielerlei Hinsicht als Vorbild fürs Recruiting dienen: Setzt man also Kunden mit Kandidaten gleich, werden Image-Kampagnen zu Employer Branding-Kampagnen und Lead-Generierung zum Recruiting. Auch was die Arbeitsweise – Agieren statt Reagieren, Schnelligkeit, strategisches Vorgehen und Controlling – angeht, kann HR sich vieles vom Marketing abschauen:
So steht zu Beginn jeder Lead-Strategie die Bestimmung der Zielgruppe. Eine Möglichkeit ist das Erarbeiten einer sogenannten Candidate Persona – eine repräsentative Person aus der Zielgruppe wird möglichst genau mit ihren Charakteristika, Wünschen und Beweggründen definiert. Jede Maßnahme sollte in Folge daraufhin überprüft werden, ob sie das Interesse der Candidate Persona wecken könnte: Von der Definition der Inhalte über die Auswahl der passenden Kommunikationskanäle bis hin zur zielgruppengerechten Ansprache. Außerdem sollten auch im Recruiting Ziele definiert werden, also konkrete Erfolgskennzahlen (KPIs) – beispielsweise die Anzahl der Bewerbungen, die pro Maßnahme eingehen oder die Antwortquote bei einer aktiven Ansprache. Diese unterstützen dabei, eingesetzte Budgets im Verhältnis zum Nutzen zu bewerten, und zu überprüfen, welche Maßnahmen auf welche Ziele am besten eingezahlt haben.

Silos aufbrechen

In den Recruitingprozess sind meist drei Personengruppen involviert, die man als Silos bezeichnen kann: Die Personalabteilung, das Marketing und die Führungskräfte in den Abteilungen. Silos kommen zustande, wenn jede Gruppe im eigenen Mikrokosmos agiert, mit eigenen Fachbegriffen, Zuständigkeiten, Anforderungen und Workflows. Zwischen diesen Silos gibt es keine Verbindungen – viele Projekte werden dadurch erschwert, dass keine abteilungsübergreifenden Workflows etabliert sind, so auch im Recruiting. Denn auch wenn jeder Bereich seine spezifischen Aufgaben hat, braucht es eine enge und verzahnte Zusammenarbeit, um das bestmögliche Ergebnis zu gewährleisten. Die Abstimmung ist durch den gesamten Prozess hindurch wichtig – von der Konzeption der Candidate Persona bis hin zum Einstellungsprozess sollten alle Beteiligten Hand in Hand arbeiten.

  1. Die Stellenausschreibung: Ist eine Stelle vakant, so erstellt normalerweise die Führungskraft in der Abteilung eine Stellenausschreibung. Problematisch ist hier oftmals die interne Perspektive, die interne Begrifflichkeiten verwendet, die für Außenstehende schwer verständlich sind. Auch werden meist lange Aufgaben- und Anforderungslisten erstellt, die kaum ein Kandidat erfüllen kann. An dieser Stelle wäre es wichtig, dass HR und Marketing ins Boot geholt werden, um die Stellenausschreibung kritisch zu hinterfragen: Was ist für Außenstehende klar verständlich? Ist die Stellenausschreibung attraktiv und einladend? Passen die Anforderungen und Rahmenbedingungen wie Gehalt und Benefits zum Markt? Wird klar, warum das Unternehmen ein attraktiver Arbeitgeber ist? Passt die Tonalität zur Unternehmenskultur? Nur wenn hier alle Abteilungen zusammenwirken, kann ein zeitgemäßes und attraktives Gesuch aufgesetzt werden, das die richtige Candidate Persona anspricht.
  2. Die Kampagne: Jede Personalabteilung hat ihre individuelle Auswahl an Stellenbörsen, auf denen sie ihre Ausschreibungen in der Regel hochlädt und auf den Eingang von Bewerbungen wartet. Die Wahl der richtigen Kanäle, beispielsweise auch Social Media, ist entscheidend für den Erfolg und wird selten überprüft.Die Marketingabteilung erhält die Stellenausschreibung von der Personalabteilung, erstellt standardisierte Kampagnen mit der Kernaussage „Wir suchen Verstärkung“ und versucht Reichweite zu generieren. Dieses Vorgehen weicht stark von dem ab, wie das Marketing normalerweise arbeitet, wenn es Angebote oder Produkte platziert. Im Marketing geht es immer darum, etwas so attraktiv wie möglich darzustellen und Aufmerksamkeit zu erzeugen. Die Kampagne „Wir suchen Verstärkung“ ist jedoch eine generische Aussage. Sie spricht sie die spezifische Zielgruppe nicht an – weil sie kein Angebot enthält. Das Marketing muss also dazu übergehen, seine Kompetenz auch auf jedes einzelne Stellengesuch anzuwenden und in ein attraktives Angebot zu übersetzen.
  3. Der Bewerbungsprozess: Viele interessierte Kandidaten werden verloren, wenn sie in einen langwierigen Bewerbungsprozess eintreten. Interne Prozesse, beispielsweise die Entscheidungen für ein Kennenlernen und die Terminfindung dauern meist viel zu lang – auch hier spielt die Kommunikation zwischen den Silos HR und Führungskraft eine große Rolle. Auch wenn es keine verbindlichen KPIs gibt, wie lang bestimmte Entscheidungen maximal dauern dürfen, zeigt die Erfahrung: Kandidaten springen ab, wenn sie in der Zwischenzeit andere attraktive Angebote bekommen oder wenn sie sich durch lange Wartezeiten nicht wertgeschätzt fühlen.So kann abteilungsübergreifend gearbeitet werdenBevor ein Recruitingprozess beginnen kann, sollte jedes Unternehmen seine Employer Brand definieren – sich also fragen, was seine Stärken und Alleinstellungsmerkmale als Arbeitgeber sind. Die Unternehmenskultur ist Arbeitnehmern zuletzt immer wichtiger geworden und muss daher nicht nur gepflegt, sondern auch kommuniziert werden. In diesen Prozess sollte auch die Geschäftsführung involviert sein – am besten stellt man eine heterogene Gruppe mit Mitarbeitenden aus allen Hierarchieebenen zusammen. Denn die eigenen Mitarbeitenden sind die Inhouse-Experten für Stärken und Schwächen eines Arbeitgebers.Wenn dann eine Stelle vakant wird, sollte ein gemeinsames Kick-Off-Meeting angesetzt werden, in dem sich HR, Marketing und die verantwortliche Führungskraft austauschen. Hier muss gemeinsam eine Candidate Persona erarbeitet werden, die klärt, wer genau gesucht wird. Die Zeit ist für alle Beteiligten sinnvoll investiert: Die Führungskraft stellt sicher, dass sie ein optimales Match zu ihrem Team erhält. Das Marketing erhält so die Grundlage, um Reichweiten-Kampagnen zu konzipieren und die passende Ansprache sowie Kanäle zu wählen. Und HR braucht diese Informationen zum Formulieren einer passenden Stellenanzeige und die richtige Tonalität in der Kommunikation mit den Kandidaten.

    Herausforderungen bei abteilungsübergreifendem Arbeiten

    Auch im weiteren Recruitingprozess, gibt es viele Herausforderungen und Schnittstellen, an denen Zuständigkeiten geklärt werden müssen:

    • Wie kann der Bewerbungsprozess möglichst schlank gestaltet werden, ohne unnötig Zeit zu verlieren?
    • Wer qualifiziert beispielsweise Social Media Leads, die aus Kampagnen vom Marketing-Team kommen vor und nach welchen Kriterien?
    • Wer spricht in welcher Reihenfolge mit den Kandidaten?
    • Wie kann sichergestellt werden, dass sich Fragen für die Kandidaten nicht wiederholen und alle Informationen deckungsgleich sind?

     

    HR braucht internes Empowerment

    Unternehmen können dem Fachkräftemangel nur mit einer starken und zeitgemäßen Personalarbeit begegnen, wenn sie bestehen wollen. Um das gewährleisten zu können, müssen die HR-Mitarbeitenden nicht nur fortgebildet werden, sondern auch ein neues Standing im Unternehmen bekommen. Eine so wichtige Rolle für den Unternehmenserfolg darf keinen Assistenzstatus haben – das HR-Team muss auf Augenhöhe mit den Führungskräften agieren, um erfolgreich recruiten zu können. Viele der neuen Anforderungen sind nur gemeinsam mit Führungskräften und Marketing zu meistern. Wenn Silos aufgebrochen werden, die gemeinsame Herausforderung angenommen und übergreifende Workflows geschaffen werden, kann eine stimmige und durchgängige Candidate Journey (vgl. Customer Journey aus dem Marketing) erreicht werden.

    Aufmakerbild: Austin Distel by Unsplash