Die permanente Revolution

Denken Sie auch, dass sich die digitale Revolution eher hinter den Kulissen abspielt? Da sind Sie auf dem Holzweg. Laut Uwe Bergmann ist die Revolution mitten unter uns. Warum der Cosmo Consult-Vordenker und Digitalisierungspionier im TREND REPORT dazu rät, Unternehmen auf den Kopf zu stellen, erklärt Gero Brinkbäumer im ausführlichen Gastbeitrag.

Wenn man von der Digitalisierung spricht, fällt der Begriff „Revolution“ fast von allein. Nicht zu Unrecht. Schließlich leben wir in einer Zeit, in der es ganz normal ist, dass große Industriekonzerne von Internet-Startups vor sich her getrieben werden. Doch wie bei Revolutionen üblich gehen die Veränderungen tiefer. Und Sie erschüttern nicht nur Gewohnheiten oder Geschäftsmodelle.

Um zu verstehen, wie tiefgreifend die Veränderungen tatsächlich sind, reicht ein kleines Gedankenexperiment: Stellen Sie sich die Welt einfach ohne digitale Technologien vor. Kein Internet, kein Smartphone, kein Navi. Genau genommen würde fast gar nichts mehr funktionieren, weil digitale Systeme heute überall sind. Technologisch leben wir längst im digitalen Zeitalter. Die Frage ist, ob wir dort auch in unseren Köpfen angekommen sind.

Irgendetwas passiert gerade

Tatsächlich gibt es eine gewisse Tendenz, diese Frage zu unterschätzen. Schließlich haben wir überhaupt kein Problem damit, digitale Werkzeuge zu nutzen. Im Alltag ist uns der Umgang damit so in Fleisch und Blut übergegangen, dass wir gar nicht mehr bewusst wahrnehmen, wieviel Technologie in den Dingen steckt. Und gleichzeitig fällt auch nicht weiter auf, wie schnell sich die Welt verändert hat und wie folgenreich die Änderungen sind.

Manchmal fällt es aber doch auf – und zwar immer da, wo dieser Wandel nicht nur passiert, sondern aktiv mitgestaltet wird. Wo Veränderungen Althergebrachtes in Frage stellen und wo man sich auf bisher unbekanntes Terrain vorwagt. Genau das ist aber die Situation, in der sich Unternehmen heute befinden. Der digitale Wandel ist in vollem Gang, und mit den neuen technologischen Möglichkeiten werden auch die Karten komplett neu gemischt.

Doch warum ist das eigentlich so? Der Einsatz von Informationstechnologie in Unternehmen ist doch ein alter Hut. Und auch die ständige technologische Innovation ist nichts Außergewöhnliches. Alle paar Jahre werden größere Updates fällig, neue Funktionalitäten halten Einzug, alte Zöpfe werden abgeschnitten. Es gehört auch längst zum Standard, dass Informationen nicht mehr nur als Hilfsmittel verstanden werden, sondern den Rang von Produktionsmitteln haben – und damit Teil der Wertschöpfungskette geworden sind.

All das ist seit vielen Jahrzehnten eingeübter Alltag, und daran ist nichts revolutionär. Der technologische Fortschritt hat allerdings eine ganz eigene Dynamik entwickelt. Und es zeigt sich, dass damit ein neues, mächtiges Agens ins Spiel gekommen ist.

Worum geht es eigentlich?

Dieses Agens verursacht nicht nur graduelle Veränderungen, sondern eine Umwälzung in allen Bereichen. Es verändert unsere Perspektive auf den Begriff von Arbeit und ist der eigentliche Kern der digitalen Revolution. Man muss sich dabei vor Augen führen, dass digitale Werkzeuge nicht einfach nur moderne Versionen der altbekannten Lösungen sind. Ihre Stärke beruht vielmehr darauf, dass sie neue Ideen und neue Arbeitskonzepte ins Spiel bringen.

Das Anfangsversprechen lautete ganz harmlos: mehr Effektivität. Doch der geradezu explosionsartige Technologiefortschritt hat sein Versprechen übererfüllt und die Dinge gehörig durcheinander gewirbelt. Mobiles Arbeiten, Automatisierung, künstliche Intelligenz, all das stellt altbekannte und über Jahrzehnte eingeübte Arbeitsabläufe in Frage. Und der eigentliche Schock dabei, das neue Agens, das ins Spiel gekommen ist, ist nichts anderes als die Entfesselung menschlicher Kreativität.

Es klingt vielleicht seltsam, dass Kreativität etwas sein soll, das Unternehmen, ja sogar ganze Wirtschaftszweige in ihren Grundfesten erschüttert. Dafür müsste man sich möglicherweise eingestehen, dass sie in den bisherigen Arbeitskonzepten keine Rolle gespielt hat. Aber genau das ist der Fall. Ein System, das auf Arbeitsteilung, Spezialisierung, Wiederholung basiert, braucht keine Kreativität. Sie stört sogar den ordnungsgemäßen Ablauf. Und wenn neue Ideen nötig sind, gründet man dafür eben eine Abteilung.

Hier liegt der Grund für die vielbeschworene „Disruption“ des digitalen Wandels. Die eigentliche Erschütterung besteht nicht in der Einführung und Nutzung neuer Technologien. Das Neue und Unbekannte sind wir selbst.

Die Wiederentdeckung des Menschen

Für Uwe Bergmann ist die digitale Transformation in erster Linie kein technologisches, sondern ein kulturelles Projekt.

Und hier liegt auch die Hauptursache für die Verunsicherung bei vielen Unternehmen. Auf graduelle Veränderungen ist man vorbereitet. Innovation gehört sowieso zum täglichen Brot eines jeden Unternehmens. Das eigene Selbstverständnis in Frage zu stellen, ist aber ein anderes Kaliber. Vor allem, wenn man damit konfrontiert wird, ohne es zu ahnen. In der digitalen Euphorie der Anfangsjahre war keine Rede von Disruption, im Gegenteil: Analysten, Berater, Zukunftsforscher, alle waren begeistert vom Direktzugang zu einer technologischen Wunderwelt und damit zu einer Fülle neuer Geschäftschancen.

Allerdings hat sich sehr bald gezeigt: So funktioniert Digitalisierung nicht. Technologische Innovationen treiben sie an, aber sie sind kein Selbstzweck. Technologie muss den Menschen dienen, die sie einsetzen. Dieser selbstverständliche Grundsatz wurde anfangs völlig übersehen. Mit der Folge, dass die digitale Transformation vieler Unternehmen ins Stocken geriet.

Einer derjenigen, die bereits in der Frühphase des Digitalisierungsbooms den Menschen in den Mittelpunkt gestellt haben, ist der Technologie-Pionier und Cosmo Consult-Gründer Uwe Bergmann. Für ihn war von Anfang an klar, dass die Digitalisierung mehr ist als nur ein Technologie-Upgrade. „Wir haben die neuen Werkzeuge nicht nur mitentwickelt, sondern selbst genutzt.“ Dabei habe sich unmittelbar gezeigt, dass „hier etwas anderes passiert als nur Verbesserung oder Vereinfachung. Dass es um einen neuen Begriff von Arbeit, ein neues Selbstbewusstsein der Menschen in den Unternehmen geht.“

Nicht umsonst sind es die Menschen, die den digitalen Wandel vollziehen. Ihre Kreativität, ihre Leidenschaft ist dasjenige, was die digitalen Werkzeuge überhaupt erst stark macht. Und natürlich ist auch die Verunsicherung ein zutiefst menschlicher Aspekt. Viele fühlen sich überfordert oder haben sogar Angst davor, sich in einem neuen Arbeitsumfeld nicht mehr zurechtzufinden. Wenn der digitale Wandel erfolgreich sein soll, darf man diese Ängste nicht ignorieren.

Es gibt kein Zurück

Die eigentliche Herausforderung ist laut Uwe Bergmann aber noch viel größer: Man muss die Menschen inspirieren. „Die Digitalisierung ist in erster Linie eine Kopfsache, eine Frage der Einstellung. Ein Bekenntnis zu einem Begriff von Arbeit, der die Menschen in den Mittelpunkt stellt.“ Und das bedeutet zugleich, dass die digitale Transformation kein technologisches, sondern ein kulturelles Projekt ist. Die Menschen, die den Wandel vorantreiben, sind keine bloßen Ressourcen. Sie sind lebendige und kreative Wesen mit eigenen Zielen, Wünschen und Begabungen.

Natürlich spielt auch Technologie eine wichtige Rolle. Letztendlich ist sie die Ursache für die Neubewertung des menschlichen Aspekts. Technologie bildet den Rahmen für die Freisetzung und Förderung kreativer Arbeit. Sie ermöglicht es, orts- und zeitunabhängig zu sein, und schafft damit unausweichlich Freiräume für mehr Selbstverantwortung.

Gerade an dieser Stelle offenbart sich die kulturelle Erschütterung. Es gibt große Widerstände in klassischen Hierarchien, wenn es darum geht, selbstverantwortliches Arbeiten zuzulassen. Und es ist umgekehrt nicht möglich, Selbstverantwortung zu dekretieren. Allen Beteiligten muss jedoch klar sein, dass es in der digitalen Revolution keinen Weg zurück gibt. Kreative Selbstentfaltung ist das Wesen des digitalen Wandels, weil sie Teil unseres Zeitgeistes ist. Und da Selbstverwirklichung ein prinzipiell unabschließbares Projekt ist, ist auch der kulturelle Wandel in den Unternehmen ein Dauerzustand. „Die Transformation“, so Uwe Bergmann, „ist keine Phase, kein Problem, das es zu lösen gilt. Die digitale Revolution ist ein permanenter Prozess.“

Die ungeheuren Chancen, die in der Entfesselung kreativer Kräfte liegen, sind es wert, diese Anstrengung zu unternehmen. Und nur menschliche Kreativität kann uns dabei helfen, die großen Herausforderungen zu meistern, die vor uns liegen.

Über den Autor

Der Philosoph und Sprachwissenschaftler Gero Brinkbäumer (54) befasst sich seit mehr als einem Vierteljahrhundert mit den Chancen und Risiken technologischer Entwicklungen. Den Siegeszug der Digitalisierung hat er auf allen Seiten miterlebt – als Consultant in der Industrie, Marktanalyst und Berater großer Systemhäuser.


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