Beim Talent Management klaffen Wunsch und Wirklichkeit weit auseinander
Dies ist ein Gastbeitrag von Steve Wainwright, Managing Director, EMEA der Skillsoft Gruppe
Die große Mehrheit deutscher Unternehmen hat die Wichtigkeit von Talent Management erkannt. Vermehrt werden bereits entsprechende Technologieplattformen eingesetzt. Alles gut? Keineswegs! Es fehlt nicht an Systemen, sondern an System!
65% aller Personaler finden ihr Talent Management innovativ. Aber nur knapp 30 % der Mitarbeiter stimmen dem zu. Zu diesem Ergebnis kommt die aktuelle Studie „Trust in Talents“ der Personal- und Managementberatung Kienbaum. Darüber hinaus stufen 83% der 204 befragten HR-Entscheider die Dringlichkeit von Talent Management als hoch ein. Doch nur jedes zweite Unternehmen hat bereits eine Strategie entwickelt, wie qualifizierte Mitarbeiter gezielter rekrutiert, gefördert sowie möglichst langfristig gehalten werden können.
Entsprechend hoch ist der Frustrationsfaktor, wie der repräsentative „Gallup Engagement Index“ zeigt: Demnach verspüren 70% der rund 1.400 befragten Arbeitnehmer in Deutschland lediglich eine geringe Bindung an ihren Job und verrichten mehr oder weniger Dienst nach Vorschrift. Weitere 15% haben bereits innerlich gekündigt. Die damit verlorengegangene Produktivität kostet die deutsche Volkswirtschaft laut Gallup 105 Milliarden Euro jährlich.
Vorgesetzte überschätzen ihre Führungskompetenz
Neben unzureichenden Weiterbildungsangeboten – speziell zu digitalen Themen – und geringen persönlichen Entwicklungsperspektiven ist die schlechte Führungsqualität von Vorgesetzten ein großes Ärgernis von Mitarbeitern, das nicht selten auch Grund für eine Kündigung ist. Auch in diesem Punkt besteht offenbar ein krasses Missverhältnis zwischen der Eigenwahrnehmung von Führungskräften und den Wünschen der Mitarbeiter: wie die Gallup-Studie herausfand, ist nur jeder Fünfte aufgrund der erlebten Führung in seinem Unternehmen hochmotiviert, überdurchschnittlich gute Arbeit zu leisten. Das sehen die Vorgesetzten ganz anders – 97% halten sich für gute Führungskräfte.
Besonders aufschlussreich sind in diesem Zusammenhang die weiterführenden Ergebnisse des Statista Arbeitgeber-Rankings 2018: sie zeigen, dass die Bewertungskriterien „Miteinander & Vorgesetztenverhalten“ sowie „Weiterempfehlung & Perspektiven“ den meisten Arbeitnehmern am wichtigsten bei der Wahl ihres bevorzugten Arbeitsplatzes sind. Image und Unternehmenswachstum folgen als Kriterien hingegen erst an dritter Stelle.
Die Diskrepanz zwischen Selbsteinschätzung und Wirklichkeit zeigt: viele Unternehmen schießen in Sachen Talent Management am Ziel vorbei. Zwar wurden in den vergangenen Jahren bereits zahlreiche Investitionen in die Implementierung von Talent Management-Systemen getätigt. Ohne eine grundlegende, an den (digitalen) Geschäftszielen ausgerichtete Strategie bleibt jedoch vieles Stückwerk. Doch wie kann eine wirksame Positionierung der eigenen Organisation im branchenübergreifenden „War for Talents“ gelingen? Die folgenden 5 Überlegungen sollten beim Aufbau einer nachhaltigen Strategie unbedingt einfließen:
1.: Stellen- & Mitarbeiterprofile wandeln sich (künftig permanent)
Das Geschäftsfeld vieler Unternehmen wird im Zuge ihrer digitalen Transformation vielseitiger, umfangreicher und komplexer. Besonders deutlich wird dies am Beispiel des Finanzsektors: hier werden verlustreiche klassische Geschäftsfelder zunehmend durch ein ganzheitliches Portfolio für private und geschäftliche Kunden kompensiert. Die ehemals klare Abgrenzung des Bank-und Versicherungsgeschäfts ist kaum mehr erkennbar.
Die digitale Arbeitswelt erfordert also einen gänzlich anderen Mitarbeitertypus – mit einer wesentlich breiteren Einstiegsqualifikation, permanenter Lernbereitschaft, hoher digitaler Affinität und nicht zuletzt einer ausgeprägten Kompetenz zur Zusammenarbeit in virtuellen Teams. 2 grundlegende Fragestellungen müssen daher klar beantwortet werden: Welche Qualifikationsprofile werden für bestimmte Aufgaben heute und in Zukunft benötigt? Und welches Wissen muss vermittelt werden, um dazu Kompetenz „von innen heraus“ aufzubauen?
2.: Führungskräfte müssen Potenziale erkennen und fördern
Auch das Anforderungsprofil an Führungskräfte hat sich wesentlich gewandelt – insbesondere mit Blick auf ihre Führungseigenschaften. Auf der Grundlage der Unternehmensziele sollten sie in der Lage sein, künftig benötigte Stellen- und Qualifikationsprofile zu entwickeln und kompetente Fachkräfte aufzubauen. Anstelle eines einmaligen Mitarbeitergesprächs pro Jahr sollte eine gute Führungskraft permanente Impulse und regelmäßiges Feedback an die unterstellten Mitarbeiter geben und diese individuell fördern. Die Steuerung praxisnaher Schulungen zur Vorbereitung von Fachkräften auf neue Aufgaben gehört heute ebenfalls zum Verantwortungsbereich einer modernen Führungskraft. Der Aufbau einer emotionalen Mitarbeiterbindung an das Unternehmen hängt wesentlich vom Verhältnis zum direkten Vorgesetzten ab.
3.: Veränderte Job-Prioritäten der Millenials
Die Generation der sogenannten „Digital Natives“ ist erstaunlich konservativ eingestellt. Entsprechend haben sich die Erwartungen und Wertvorstellungen an den Beruf verändert: Galten für die Vorgängergeneration noch flexible, weitgehend selbstbestimmte Arbeitszeiten, Home Office, BYOD und Facebook am Arbeitsplatz als oberste Prämisse, orientieren sich die Prioritäten der Millenials vorwiegend am Aspekt Sicherheit. Arbeitsplatzsicherheit, nachhaltig fachliche und persönliche Entwicklungsperspektiven, klar strukturierte Karrierepfade und eine angemessene Work-Life-Balance fallen in Umfragen unter dieser Personengruppe als häufigste Stichwörter.
4.: Talent Management für alle Mitarbeiter
Talent Management sollte nicht exklusiv auf Führungskräfte oder junge Talente, die neu zum Unternehmen stoßen, beschränkt sein. Ziel muss vielmehr sein, alle Mitarbeiter einzubeziehen. Denn in der Belegschaft schlummert viel Talent. Vor dem Hintergrund des sich verknappenden Fachkräfteangebots am Arbeitsmarkt kann das Entdecken und die gezielte Förderung bislang ungenutzter Potenziale eine echte Alternative zur Neu-Rekrutierung sein. Und es ist möglicherweise effektiver, vakante Positionen mit „gestandenen“ Fachkräften zu besetzen: Denn Schätzungen zufolge braucht ein neuer Mitarbeiter bis zu 38 Wochen, um sein volles Potenzial in einer neuen Stelle zu entfalten. Hingegen kennen Arbeitnehmer, die bereits längere Zeit im Unternehmen tätig sind, die internen Geschäftsabläufe, Vernetzungen und Gepflogenheiten bereits wesentlich besser.
Ein Talent Management für Alle kann ein wirksames Instrument gegen Frustration und innere Kündigung sein. Dies erfordert jedoch die Entwicklung umfassender Konzepte zur individuellen Mitarbeiterförderung. Zur Erinnerung: Mitarbeiter wünschen sich heute von ihrem Arbeitgeber keine Positionen, an denen sie auf unbestimmte Zeit festkleben, sondern einen strukturierten Plan zur Karriereentwicklung. Laut zitierter Kienbaum Studie können sich Mitarbeiter bislang jedoch nur in jedem 3. Unternehmen abseits der „klassischen“ Karrierepfade entwickeln. Es gilt also mehr denn je, das Potenzial jedes einzelnen Mitarbeiters im Unternehmen zu identifizieren und permanent weiter auszubauen.
5.: Die richtigen Anreize setzen
Für Arbeitnehmer ist die Möglichkeit, das zu tun, was man richtig gut kann, fünf Mal mehr wert als das Gehalt, so die Gallup Studie. Mitarbeiter wollen lernen! Speziell im Hinblick auf digitale Fähigkeiten bilden sich bereits mehr als zwei Drittel aller Arbeitnehmer privat weiter. Denn der digitale Wandel schürt Ängste vor einem Arbeitsplatzverlust. Hier können Unternehmen definitiv punkten, wenn sie ein umfassendes, praxisnahes und diversifiziertes Lernangebot zu digitalen Themen vorhalten, das die persönliche Karriereentwicklung positiv beeinflusst.
Indem digitale Kompetenz aufgebaut und kontinuierlich entwickelt wird, können Arbeitgeber der Verunsicherung ihrer Mitarbeiter entgegenwirken. Dieses starke Signal an die Belegschaft – ‚wir lassen Euch nicht im Regen stehen‘ – kann sowohl die Leistungsbereitschaft und Produktivität der Mitarbeiter signifikant steigern als auch eine hohe emotionale Bindung an das Unternehmen schaffen.
Fazit:
Kontinuität statt starrer Positionen, gestalten statt verwalten, motivieren statt blockieren – damit lässt sich im „War for Talents“ erfolgreich punkten. Gerade Unternehmen, die im Arbeitgeber-Ranking nicht unter den Top 10 ihrer Branche rangieren oder deren Branche per se ein Attraktivitätsproblem hat, sollten die Anforderungen ihrer Mitarbeiter stärker adressieren. 2 Dinge sind festzuhalten: Talent Management ohne Strategie ist wie ein Sportwagen ohne Zugkraft. Und: Talent Management muss endlich zur Chefsache werden. Dann kann es ein machtvolles Steuerungsinstrument sein, um qualifizierte Mitarbeiter zu gewinnen, zu entwickeln und – über Motivations-, Lern- und Anreizsysteme – langfristig im eigenen Unternehmen zu halten.
Weitere Informationen unter:
www.skillsoft.com
Bildquelle Aufmacher: https://www.shutterstock.com/de/image-photo/freelance-work-casual-dressed-man-sitting-289151351 (zur Verfügung gestellt von Skillsoft)
Bildquelle / Lizenz Portrait: Steve Wainwright / Skillsoft