Agile Unternehmenskultur
TREND REPORT im Gespräch mit Frau Christiane Leonhardt, Mitgründerin von SLSplus und Expertin für Kommunikation, über neue Unternehmenskulturen im Zuge der digitalen Transformation.
Frau Leonhardt, im Rahmen der zunehmenden Digitalisierung wird sich auch die Unternehmenskultur ändern. Wie können Unternehmen die notwendige Agilität in ihren gewachsenen Strukturen schaffen?
Während Start-ups auf neue Einflüsse und Entwicklungen flexibel reagieren können, erscheinen Unternehmen mit herkömmlichen Organisationsstrukturen inflexibel, mitunter behäbig bis schläfrig. Eine Möglichkeit, einen Wandel herbeizuführen, ist ein digitales Lab. Diese Einheit im Unternehmen entwickelt in Internet-Geschwindigkeit Produkte und Services. Dabei gehört es zum Prinzip, dass diese Unit bei der Produktentwicklung mit limitierten Ressourcen schnell herausfindet, was am Markt funktioniert. Eine solche Einheit kann man beispielsweise mit digital-affinen Menschen aus unterschiedlichen Geschäftsbereichen eines Unternehmens zusammenstellen. Dieses Team erhält ein Budget und den Freiraum, Lösungen zur Verbesserung der Kommunikation und Zusammenarbeit im Unternehmen zu erarbeiten. Die Ergebnisse können dann die Basis für eine schrittweise stattfindende Veränderung darstellen. In kleinen Schritten digital werden – nicht gleich einen riesigen Masterplan entwerfen, sondern nach und nach einzelne Prozesse optimieren. Die Führungsspitze muss dabei den Wandel vorleben und gute Ideen, die schnell umgesetzt werden sollten, belohnen. Besonders wichtig ist das Sozialkapital. Empathie, Vertrauen in die Fähigkeiten der Mitarbeiter und die Wertschätzung ihrer Leistung gewinnen an Bedeutung. Denn schließlich müssen Arbeitgeber die demographische Situation auf dem Arbeitsmarkt berücksichtigen. Schon jetzt verlassen mehr Menschen altersbedingt den Arbeitsmarkt als junge Menschen nachfolgen. Während die Unternehmen sich früher die Besten unter den Bewerbern aussuchten, sucht sich die Generation Y heute das beste Unternehmen aus. Daher müssen sich Unternehmen als attraktive Arbeitgebermarke positionieren und Arbeitsbedingungen schaffen, die den Bedürfnissen und Werten der Menschen entsprechen. Die Generation Y lebt nach dem Prinzip „You only live once“ – Lebenszeit sinnvoll einsetzen, indem man nur das tut, was den eigenen Werten entspricht. Im Fokus stehen für die Generation Y Unternehmen, die über ein nachhaltig profitables und langfristig ausgerichtetes Geschäftsmodell verfügen, das die Herausforderungen im Umwelt-, Gesellschafts- und Governance-Bereich zum integralen Bestandteil von Unternehmensstrategie und -kultur werden lässt. Es wird für Unternehmen daher immer wichtiger diese Kultur des Integrated Thinking auch nach außen durch mehr Transparenz in der Berichterstattung, wie beispielsweise über das Integrated Reporting zu dokumentieren.
Lohnt in diesem Kontext ein Blick auf Start-ups? Was genau könnte etwa ein Mittelständler hier lernen oder adaptieren?
Alle Unternehmen, unabhängig von der Größe, tragen auf ihre Weise zur digitalen Transformation bei. Daher können alle voneinander lernen. Innovationen kommen überwiegend von Start-ups, die mit der Gründung schon auf Digitalisierung setzen. Sie verfügen nun einmal nicht über gewachsene Strukturen, die unter Umständen bedeuten, dass Milliarden von Euro als Kapital in Form von Maschinen und Standorten gebunden sind. Start-ups wirbeln die Branche mit kalkuliertem Regelbruch und neuen, digitalen Ansätzen durcheinander. Auf diesem Weg bieten sie besseren Service, neue Produkte, höhere Geschwindigkeit und bessere Preise. Und für die Generation Y machen sie sich mit ihrer Innovationskraft, ihren flexiblen Strukturen und flachen Hierarchien interessant.
Große und mittelständische Unternehmen verfügen in der Regel über mehr Marktmacht, Erfahrung und eine finanzielle sowie organisatorische Stabilität. Demgegenüber sind sie durch ihre Größe und klassischen Strukturen natürlich langsamer. Grundsätzlich treiben aber auch diese Unternehmen das Thema stark voran. Beispielsweise errichten sie mit einem separaten Campus oder Innovationszentrum neben den klassischen Strukturen kleine unabhängige Gründerzellen, um Freiräume für Marktanpassungen zu schaffen. Andere Unternehmen holen sich das Know-how aus dem Markt, indem sie einfach ein Start-up kaufen. Oder sie kooperieren, wie Zalando und Telekom, um gemeinsam die digitalen Arbeitsplätze der Zukunft zu schaffen.
Würden Sie heute die HR-Abteilung eines größeren Mittelständlers leiten, welches Selbstverständnis würden Sie dieser Abteilung mitgeben wollen?
Durch die Verknappung auf Talentseite muss sich der Personalbereich von Unternehmen völlig neu ausrichten und vor allem die Anpassung der Organisationsstrukturen initiieren. Dazu gehört, dass die Arbeitszeit- und Arbeitsortgestaltung so verändert werden, dass Arbeitszeit zur Lebenszeit wird und sich ein Gleichgewicht aus privaten und beruflichen Zielen einstellen kann. Die Personalarbeit muss in der geschäftlichen Planung deutlich aufsteigen. Die Mitarbeitergewinnung wird deutlich schwieriger und die Fluktuation steigen. Mitarbeiterbindung erfordert eine ganzheitliche Strategie und die Bereiche Mitarbeitergewinnung und –bindung eigene Verantwortliche mit entsprechenden Kompetenzen. Das wiederum bedingt höhere Budgets als bisher.
Der Begriff „Human Resources“ passt nicht mehr, weil die Generation Y nicht als Ressource gesehen werden möchte, sondern als gleichwertiger Partner. Eine HR-Abteilung hat dabei nach meinem Verständnis die Rolle des Treibers und Gestalters der neuen Arbeitswelt. Nicht mehr Verwalter – sondern Innovator und Partner.
Auf den Mittelstand kommt in den nächsten Jahren eine große Welle an Unternehmensübergaben zu. Kann die Digitalisierung in diesem Hinblick vielleicht eine Chance sein, etwa für einen radikalen Führungsumbau?
Die digitale Transformation kann einen Konfliktpunkt zwischen den Generationen bilden. Nach einer Kienbaum-Studie ist noch nicht einmal die Hälfte der nächsten Generation davon überzeugt, dass ihre Digitalstrategie das Geschäftsmodell optimal unterstützt und fühlen sich auch entsprechend frustriert, wenn es darum geht, die Elterngeneration von neuen Ideen zu überzeugen. Warum dann nicht die Übergabe mit einem Umbau verbinden? Natürlich wie bereits erwähnt, in entsprechend kleinen Schritten – und mit Mitarbeitern, die bereits sind, den Wandel herbeizuführen und vorzuleben.
Vielfach liest man, dass neu in das Berufsleben einsteigende Mitarbeiter, die Millennials etwa, den Beruf wieder mehr als „Berufung“ wahrnehmen und etwas Sinnvolles in ihrer Tätigkeit sehen wollen. Auf alle Fälle sind diese Mitarbeiter in ihrer Denkweise und Kommunikation stark vernetzt und benötigen neue Führungsmethoden. Könnte es ein Weg sein, neue Führungsmodelle in unternehmenseigenen Start-ups zu testen?
Mit Sicherheit eignen sich die unternehmenseigenen Start-ups nicht nur dazu, digitale Strategien zu testen, sondern auch digitale Unternehmenskultur, wobei neue Führungsmethoden und –modelle eine entscheidende Rolle spielen. Die Menschen, die in solchen Organisationen arbeiten, brauchen ein entsprechendes Umfeld, um Innovationen und neue Ideen voranzutreiben. Die Abschaffung strenger Hierarchien hat meines Erachtens den Vorteil, dass innovative Impulse und Wissenstransfer in alle Richtungen stattfinden können. Jeder profitiert von jedem. Zukünftige Modelle sehen den Mitarbeiter eines Unternehmens als Teilhaber oder Teil eines Netzwerks. Netzwerke bestehen aus Menschen mit sehr unterschiedlichen, individuellen Fähigkeiten und Stärken. Die Mitarbeiter wollen eingebunden werden. Wenn sie das Gefühl haben, dass sie etwas mitgestalten, sind sie entsprechend motiviert. In einer solchen Einheit kann dann das flexible Arbeiten getestet werden, mit einer Mischung aus Home-Office und Anwesenheit. Die Digitalisierung ermöglicht es, Dokumente auf allen möglichen Geräten, zu jeder Tageszeit und an jedem beliebigen Ort zu bearbeiten. Videokonferenzen, Chats und Gespräche befreien ebenfalls von einem festen Ort. Doch eine fixe Anlaufstelle halte ich trotz aller flexiblen Strukturen für wichtig – persönliche Ansprechpartner und Betreuung brauchen alle Generationen, auch die Millennials.
Frau Leonhardt, vielen Dank für das Gespräch!
Aufmacherbild / Lizenz / Quelle
„turn page“ (CC BY-SA 2.0) by andy.brandon50
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