Wertschöpfung mit KI

Europa benötigt größere Rechenzentren, mehr Breitbandnetze und vor allem eine bessere Qualität der Dateninfrastruktur, um mehr Wachstum durch KI zu generieren.

 

Die EU-Kommission will Europa zu einem weltweit führenden Standort für künstliche Intelligenz (KI / AI) machen. Im Zentrum der Planungen steht der Aufbau einer leistungsstarken Infrastruktur mit bis zu 100.000 spezialisierten Grafikprozessoren (GPUs), die dem Training großer Sprachmodelle dienen sollen. Die derzeit größten KI-Rechenzentren in Deutschland verfügen lediglich über rund 25.000 GPUs. Das Vorhaben ist eingebettet in den „Aktionsplan für den KI-Kontinent“ der EU-Kommission, der europaweit den Aufbau von fünf KI-Gigafabriken vorsieht. Mit der Maßnahme reagiert die EU auf vergleichbare Investitionsoffensiven, insbesondere auf die US-amerikanische Stargate-Initiative, die ein Investitionsvolumen von bis zu 500 Milliarden Euro vorsieht. Der neue Aktionsplan benennt fünf zentrale Bereiche: Aufbau einer groß angelegten KI-Daten- und Recheninfrastruktur, Förderung der KI-Nutzung in strategischen Sektoren, Stärkung von KI-Kompetenzen sowie Vereinfachung rechtlicher Rahmenbedingungen. Zudem soll der Zugang zu qualitativ hochwertigen Daten und digitalen Ökosystemen verbessert werden. Da KI als Querschnittstechnologie fast alle Branchen und Industrien verändert, müssen wir aufpassen, dass die US-Führungsrolle bei KI nicht ebenso zementiert wird, wie unsere aktuelle, digitale Abhängigkeit.

 

Wir müssen aufpassen, dass die US-Führungsrolle bei KI nicht ebenso zementiert wird, wie unsere aktuelle, digitale Abhängigkeit.

 

Die neue Initiative „Euro Stack“ versucht genau wie die EU-Kommission diesen Trend umzukehren, indem sie den Aufbau einer eigenen, umfassenden digitalen Infrastruktur für Europa anstrebt. Die Akteure hinter „Euro Stack“ sind erfahrene Digitalexperten und namhafte Unternehmer aus deutschen Konzernen und Start-ups. Es sieht fast so aus, als würde „Euro Stack“ das Erbe von GaiaX antreten und mit den gleichen Zielen weiterführen. Wir werden sehen, wie viel Impact die Initiativen haben, um unsere eigene digitale Souveränität zu stärken und um mehr digitale Wertschöpfung in Deutschland und Europa zu generieren.

 

Aktionsplan: Europaweiter Aufbau von fünf KI-Gigafabriken mit je 100.000 GPUs

 

KI für datengetriebene Industrien
KI bietet gerade datengetriebenen Industrien wie z. B. der Finanz- und Versicherungsbranche vielfältige Einsatzmöglichkeiten. Versicherer sehen im Einsatz von künstlicher Intelligenz großes Potenzial: Prozesse lassen sich automatisieren, Kosten senken und Kunden individueller betreuen. „Für den Versicherungssektor ist KI der nächste große Entwicklungsschub“, sagt Jörg Asmussen, Hauptgeschäftsführer des Gesamtverbands der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV). Beispielsweise nutzt die Allianz KI für Bild- und Videoanalysen, um Versicherungsbetrug aufzudecken, und Axa sowie Ergo haben interne Sprachmodelle entwickelt, auf Basis von Mistral und GPT-4. Die KI-Tools und Bots kommen dann zur Übersetzung, Zusammenfassung von Vertragsbedingungen oder im Kundensupport zum Einsatz. Dazu erklärte unserer Redaktion Rainer Holler von der VIER GmbH: „Ein KI-Bot auf einer Webseite beantwortet Fragen, etwa zu wichtigen Reiseunterlagen, zu Versicherungen oder Produkteigenschaften. Er kann Empfehlungen geben und das alles auch nachts um 1 Uhr. Durch automatische Telefongesprächszusammenfassungen mit anschließender Analyse können Versicherungen schneller aktuelle Probleme oder Anliegen erkennen und neue Erkenntnisse gewinnen.“ Der Experte für KI-basierte Kommunikationslösungen entwickelt und betreibt innovative In- und Outbound- Kommunikationslösungen für den effizienten Kundenservice.

Agentic AI / KI-Agenten
Aktuell sind KI-Agenten, quasi autonome, zielorientierte Systeme, die Technologien wie natürliche Sprachverarbeitung (NLP), maschinelles Lernen (ML) und große Sprachmodelle (LLMs) integrieren, en vogue. Agentic AI steht für die nächste Entwicklungsstufe generativer KI – und wird die Art, wie wir arbeiten, in Zukunft grundlegend verändern. Im Gegensatz zu klassischer Software agieren KI-Agenten adaptiv, lernfähig und weitgehend unabhängig. Zum Beispiel übernehmen sie in der Versicherungsbranche komplexe Aufgaben, etwa die Analyse unstrukturierter Daten, die Steuerung mehrstufiger Prozesse und die Risikoprognose in Echtzeit.

 

Der globale Markt für KI-Agenten soll bis 2034 rund 236 Milliarden US-Dollar erreichen.

 

Ein KI-Agent kann Schadensmeldungen prüfen, Policen verifizieren, Betrugsmuster identifizieren und Auszahlungen autorisieren – in wenigen Sekunden. Dadurch leisten sie einen wesentlichen Beitrag zur Automatisierung, Entscheidungsunterstützung und Personalisierung von Kundeninteraktionen. Der globale Markt für KI-Agenten wird im Jahr 2025 auf 7,92 Milliarden US-Dollar geschätzt und soll bis 2034 rund 236,03 Milliarden US-Dollar erreichen, was einer durchschnittlichen jährlichen Wachstumsrate von 45,82 % zwischen 2025 und 2034 entspricht. (GMI. Inc. 2025)

Embodied AI/ Verkörperte KI
Ähnlich wie Agentic AI (KI-Agenten), die sich teilweise nur auf Bilder und Sprache konzentrieren, funktioniert Embodied AI. Verkörperte KI bezieht sich auf Systeme der künstlichen Intelligenz, die physisch verkörpert sind, d. h. sie interagieren mit ihrer physischen Umgebung und lernen von ihr durch Sensoren, Aktoren und andere physische Komponenten. Dieser Ansatz steht im Gegensatz zur traditionellen KI, die oft in abstrakten, virtuellen Räumen arbeitet. Verkörperte künstliche Intelligenz bezeichnet eine jüngere Strömung in der Forschungsdisziplin der künstlichen Intelligenz. Der Theorie des Embodiment folgend wird angenommen, dass Intelligenz im Kontext physischer Agenten, die sich in einer realen physischen und sozialen Welt verhalten, begriffen werden muss. Design und Konstruktion von Robotern sollten von dieser Grundüberzeugung geleitet sein.
Ein Beispiel für Embodied AI ist der Bereich autonomes Fahren. In diesem Kontext hat im Mai 2024 das britische KI-Start-up Wayve, mehr als eine Milliarde Dollar in der dritten Finanzierungsrunde eingesammelt. Wayve ist ein führendes Unternehmen in der Entwicklung von Embodied AI für die Automobilbranche. Das Unternehmen bietet OEMs und Flottenbetreibern innovative Tools und Technologien, um den Übergang vom assistierten zum automatisierten Fahren zu erleichtern. Das System soll sich selbst beibringen, sicher durch den Straßenverkehr zu navigieren. Die Wayve AI Driver-Software lernt das Fahren anhand von Daten und stattet Fahrzeuge mit fortschrittlichen, menschenähnlichen Fahrfähigkeiten aus. Wayve ist bisher das wertvollste junge KI-Unternehmen Europas. Die europäische Aufholjagd gegen China und die USA hat damit gute Chancen zu gelingen, denn das System von Wayve unterscheidet sich grundlegend von Systemen anderer Anbieter. Nun bauen die Briten in Deutschland – und wollen die Technologie in die Serienmodelle hiesiger Autohersteller bringen.

KI und AR in der Industrie
Dass die neuen Technologien rundum KI und ML neue Geschäftsmodelle und Neugeschäft auch für die Industrie generieren können, zeigt zum Beispiel Dr. Serhan Ili, der für das deutsche Chemieunternehmen Renolit SE einen neuen Fassadenmessprozess in kürzester Zeit entwickelt und an den Start gebracht hat.
Die neue App zur Vermessung von Häuserfassaden wurde auf Basis künstlicher Intelligenz und Augmented-Reality-Technologie realisiert. Die KI in der App ist in der Lage, durch Bilderkennung die Fassaden automatisch zu vermessen und den Folienbedarf zu berechnen. Außerdem können verschiedene Fassadenfarben virtuell visualisiert werden. „Die virtuelle Vermessung dient der Erstellung eines Angebots, das direkt über die App mittels ERP-Software an den Kunden versendet wird. „Die aggregierten Informationen aus den einzelnen Projekten ermöglichen Renolit zudem die Optimierung des Produktangebots und des Vertriebs. Durch die umfassende Digitalisierung im Industriebereich kann der Ressourceneinsatz optimiert und der CO2-Fußabdruck von Unternehmen reduziert werden.“, erläuterte Serhan Ili von ILI Digital, im Gespräch mit unserer Redaktion. Serhans Modell ist voll auf Geschwindigkeit und wirtschaftlichen Erfolg ausgerichtet. Das heißt: Nach einem Workshop werden die digitalen Wachstumschancen innerhalb von drei Tagen präsentiert. Nach sechs Wochen steht das Modell und nach zwölf Wochen sieht der Kunde einen ersten Prototyp. Bereits nach 24 Wochen beginnt das Geldverdienen mit einem ersten Produkt, das dann in ein echtes digitales Geschäftsmodell hochskaliert wird.

HR-Transformation für KMU
Allein in Europa gibt es mehr als 23 Millionen kleine und mittelständische Unternehmen (KMU). Diese Unternehmen sind das Rückgrat der europäischen Wirtschaft, werden aber oft von technologischen Entwicklungen übersehen. Weltweit sind 80 % der Arbeitskräfte sogenannte Deskless Worker. Sie sitzen also nicht am Schreibtisch, sondern arbeiten z. B. draußen im Feld oder in der Pflege. Genau dort fehlt es meist an digitalen Verbindungen zum Unternehmen. Diese Lücke schließt gerade recht erfolgreich Frederik Neuhaus von clockin. Die clockin-Lösung setzt genau hier an und bietet eine benutzerfreundliche App zur Erfassung von Arbeitszeiten, zur Dokumentation und zum Management von Aufgaben. Erst letztes Jahr hat sich Frederik mit seinem Team eine weitere siebenstellige Finanzierungsrunde gesichert, um die Digitalisierung von kleinen Unternehmen in Europa zu beschleunigen. „Unsere Mission ist klar: Wir wollen den Arbeitsalltag von Menschen spürbar vereinfachen. KI wird dabei eine wichtige Rolle spielen. Wir setzen KI gezielt dort ein, wo sie einen echten Mehrwert bietet. In clockin kann KI z. B. handschriftliche Notizen in digitalen Text umwandeln. Was wir nie machen werden: KI nur der KI wegen einbauen. Am Ende zählt, dass der Arbeitsalltag reibungsloser, smarter und entspannter läuft“, erklärte Frederik Neuhaus im Gespräch mit der Redaktion.

 

Die neue KI-Fortbildungspflicht betrifft alle Arbeitgeber, unabhängig von Unternehmensgröße oder Umsatz.

 

KI-Fortbildung
Seit Februar 2025 gilt die EU-Verordnung 2024/1689 zum sicheren und transparenten Einsatz von KI. Unternehmen, die KI-Systeme wie z. B. Chat GPT nutzen, sind nun verpflichtet, ihre Mitarbeitenden im Umgang mit diesen Technologien zu schulen. Ziel ist ein ethisch vertretbarer und rechtlich konformer Einsatz von KI. In diesem Kontext erklärte Gert Jan Feick, Director, bei Infomotion: „Künstliche Intelligenz hält Einzug in alle Branchen – doch oft fehlt das nötige Know-how im Umgang damit. Unsere Schulungen bereiten Mitarbeitende und Führungskräfte praxisnah auf den Einsatz von KI im Unternehmen vor – konform zur EU KI-Verordnung. Von Grundlagen mit Lernkontrolle bis zu Intensivtrainings vor Ort: Wir vermitteln relevantes Wissen für einen sicheren und verantwortungsvollen Umgang mit KI.“ Die ca. 600 Mitarbeiter von Gert Jan Feick bringen Daten-Expertise mit und gehören zu den führenden Beratungsunternehmen für Data Management, digitale Transformation und Data Analytics im DACH-Raum. Die neue Fortbildungspflicht betrifft alle Arbeitgeber, unabhängig von Unternehmensgröße oder Umsatz, sofern sie KI entwickeln, betreiben oder anwenden. Schulungspflichtig sind alle Beschäftigten – vom Auszubildenden bis zur Geschäftsführung – die KI im Rahmen ihrer Tätigkeit nutzen. Die Schulungen sollen praxisnah Kenntnisse über Funktionsweise, Anwendungsmöglichkeiten, Chancen und Risiken von KI vermitteln sowie den regulatorischen Rahmen aufzeigen. Sehr wahrscheinlich werden diese Vorgaben eine umfassende Weiterbildungsoffensive in Unternehmen erfordern, um den Anforderungen des AI Acts gerecht zu werden und Sanktionen bei Nichteinhaltung zu vermeiden.