Banken müssen proaktiv werden
Der Analytics-Softwareanbieter FICO hat für seine „Consumer Fraud“-Studie weltweit 12.000 Personen zu ihren Bedenken in Bezug auf die Sicherheit von Finanzdienstleistungen sowie zu ihren Erwartungen und ihrem Umgang im Zusammenhang mit Finanzbetrug befragt. Die Antworten der Verbraucher zeichnen ein spannendes Bild von dem Spagat, den Finanzdienstleister meistern müssen, um einerseits die hohen Erwartungen ihrer Kunden in Sachen Sicherheit bei Finanztransaktionen zu erfüllen, andererseits aber auch ein Höchstmaß an Komfort zu bieten. Wir haben dazu mit Jens Dauner, Vice President und Managing Director Continental Europe bei FICO gesprochen.
Herr Dauner, ein Sprichwort sagt „Beim Geld hört der Spaß auf“. Was waren die denkwürdigsten Ergebnisse Ihrer Studie? Wo stehen Unternehmen in Bezug auf die „gelebte“ IT-Sicherheit und die Erwartungshaltung ihrer Kunden?
Tatsächlich sind die Anforderungen der Verbraucher, wenn es um Finanzdienstleistungen geht, extrem hoch. Faszinierend ist dabei auch das entstehende Spannungsfeld zwischen den Erwartungen an ein Höchstmaß an Sicherheit und einer komfortablen Kundenerfahrung. Die Kunden wollen Finanzdienstleistungen so einfach und reibungslos nutzen wie all ihre anderen Anwendungen – möchten dabei aber natürlich vollkommen abgesichert sein.
Unsere Studie zeigt, dass Bankkunden Abbrüche oder Fehlschläge beim Online-Banking kaum tolerieren. So würden rund 57 Prozent zu einer anderen Bank wechseln, wenn Online-Transaktionen, beispielsweise aufgrund von Sicherheitsmaßnahmen fehlschlagen.
Andererseits will jeder Kunde sein Geld gut aufgehoben wissen. Hier zeigte sich mehr als ein Viertel (26 Prozent) der Befragten unsicher, ob ihre Bank ausreichende Maßnahmen für den Betrugsschutz implementiert. 15 Prozent – und damit mehr als 10 Millionen Kunden – waren sogar der Meinung, dass ihr Finanzinstitut mehr für die Sicherheit ihres Geldes tun müsste.
Ein weiteres Ergebnis der Studie, was mich persönlich wirklich überrascht hat: Taschendiebstahl erscheint vielen Verbrauchern bedrohlicher, als die Möglichkeit, Opfer von Scams zu werden. So machen sich 13 Prozent die größten Sorgen, von einem Taschendieb bestohlen zu werden, während nur 5 Prozent befürchten, sie könnten mit gefälschten E-Mailnachrichten überlistet werden und Betrügern Geld schicken. Bei unserer Umfrage waren Scams die Art von Betrug, über die sich die Verbraucher am wenigsten Sorgen machten, verglichen mit Identitätsdiebstahl, gestohlenen Kreditkarten etc.
Wenn die Verbraucher denken, dass sie zu schlau sind, um auf solche Betrugsmaschen hereinzufallen, stoßen die Warnungen der Banken davor auf taube Ohren. Um die Kunden zu schützen, müssen Finanzinstitute bei der Identifizierung solcher Betrugsfälle deshalb nachjustieren, unter anderem mit Analytik-Lösungen auf Basis von Machine Learning. Die künstliche Intelligenz erkennt auch betrügerisches Verhalten, das keinen bestimmten Mustern folgt. So kann man verhindern, dass Zahlungen an Betrüger geleistet werden.
Eigentlich sitzen Finanzinstitute auf einem riesigen Datenschatz, den sie einerseits absichern müssen, andererseits auswerten sollten, um ihren Kunden komfortable Dienstleistungen und Mehrwertangebote unterbreiten zu können. Wie lässt sich dieser Spagat meistern?
Die Daten der Kunden sind ein wertvolles Gut – und müssen dementsprechend sorgsam behandelt werden. Für Finanzdienstleister ist es eine der größten Herausforderungen, die richtige Balance zwischen maximaler Sicherheit und einem Höchstmaß an Komfort zu finden. Eine proaktive, kanalübergreifende Ansprache der Kunden nach ihren Wünschen kann dazu beitragen, Bedenken auszuräumen und ihnen zeigen, welchen Mehrwert sie im Austausch für ihre Daten bekommen. Oft sind es schon kleine Verbesserungen innerhalb der User Experience – wie das automatisierte Ausfüllen von Adressdaten in Echtzeit – die den Unterschied machen. Machine-Learning-Modelle helfen dabei, Daten über die Kundenakzeptanz von Kommunikationsmaßnahmen zu analysieren und hier ein gutes Maß sowie die richtigen Maßnahmen zu finden.
Kommunikation ist – wie so oft – auch hier das A und O. Wenn die Abfrage von Daten oder sicherheitsbedingte Unterbrechungen im Kundenerlebnis transparent und nachvollziehbar erklärt werden, akzeptieren Kunden diese viel eher. Sie können ihnen sogar ein Gefühl der Sicherheit vermitteln. Allerdings müssen die Banken für eine effektive Kommunikation auf mehr Genauigkeit bei den Kundendaten achten. Unsere Umfrage ergab, dass bis zu 36 % der Daten in Bezug auf Handynummern, E-Mail-Adressen und Privatadressen nicht stimmen. Das bedeutet, dass womöglich Millionen von Gelegenheiten verpasst werden, um Kunden proaktiv anzusprechen und beispielsweise vor Betrug zu warnen.
Wie wichtig ist bei alledem das Zusammenspiel „Online“ und „Offline“? Eine erstaunlich große Menge deutscher Verbraucher möchte seine Finanztransaktionen „post-corona“ tatsächlich wieder in der Filiale erledigen…
Ein Ergebnis unserer Studie ist, dass mehr als 64 Prozent der deutschen Kunden ihre Bankgeschäfte künftig nur noch online erledigen wollen. Das entspricht in etwa dem weltweiten Durchschnitt der Befragten (65 Prozent). Allerdings wollen in Deutschland 12 Prozent nach dem Ende der Corona-Beschränkungen ihre Finanztransaktionen wieder hauptsächlich über die Bankfiliale managen – hier sind es weltweit nur sieben Prozent. Das persönliche Bankerlebnis ist also vielen deutschen Kunden nach wie vor wichtig. Finanzdienstleister müssen dies bei ihren Angeboten berücksichtigen.
Ein weiterer interessanter Unterschied zwischen dem deutschen und dem weltweiten Markt: Nur rund 85 Prozent der befragten Deutschen besitzen ein Smartphone. Damit sind knapp 15 Prozent der Kunden nicht per Whatsapp oder Banking App erreichbar und faktisch vom Online-Banking ausgeschlossen. Im internationalen Vergleich sind nur knapp sieben Prozent der Bankkunden ohne eigenes Smartphone unterwegs. Diese weniger oder nicht digital affinen Kunden dürfen Banken trotz der insgesamt voranschreitenden Digitalisierung nicht aus den Augen verlieren.
Was kann die Branche von anderen Wirtschaftszweigen, etwa vom Online-Handel, lernen? Insbesondere vielleicht, was das Sicherheitsgefühl angeht?
Bankkunden können heute mit nur wenigen Klicks ihren Finanzdienstleister wechseln – und tun dies auch, wenn sie unzufrieden sind. Das hat unsere Studie deutlich gezeigt. Um dem entgegenzuwirken ist eine stärkere Kundenbeziehung ein wichtiger Faktor. Hier sollten sich Finanzinstitute auch mit Digitalisierungsvorreitern aus dem Online-Handel vergleichen. Von der personalisierten Ansprache über individuell zugeschnittene Angebote bis hin zu einer Kommunikation, die perfekt auf die Bedürfnisse und Vorlieben des Kunden ausgerichtet ist – im zunächst unpersönlich erscheinenden Online-Austausch können Banken ihre Kunden mit einer persönlichen Note überraschen und überzeugen. Wenn etwa ein Kunde einen ungewöhnlichen Kauf tätigt, kann der Finanzdienstleister angesichts dieser potenziell betrügerischen Transaktion den Kunden schnell und automatisiert per SMS bitten, den Kauf zu verifizieren. Wenn man es richtig anstellt, wird der Kunde nicht genervt sein, sondern die zusätzliche Sicherheit zu schätzen wissen.
Welche Rolle können dabei Web3-Technologien spielen?
Ich würde sagen, es ist noch viel zu früh für eine Prognose. Kryptowährungen und NFTs haben beide ihre eigenen Sicherheitsprobleme, die besser vor einer breiten Einführung von Web3 gelöst werden müssten. Eine vielversprechende Technologie im Zusammenhang mit Web3 ist Blockchain, die größere Audit-Fähigkeiten bieten kann. Tatsächlich nutzt FICO Blockchain bereits im Bereich Modellentwicklungs-Governance. Klar ist jedoch, dass jede neue Technologie und jede Änderung des Kundenverhaltens auch Kriminellen neue Möglichkeiten bieten, das System zu hacken. So führte die Zunahme von P2P-Zahlungen zu einem dramatischen Anstieg von Scams und autorisiertem Push-Payment-Fraud. Bei der Entwicklung von Web3 ist das nicht anders und es wird viel Sorgfalt und neue Instrumente erfordern, um neue Formen von Finanzkriminalität zu stoppen.
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