Bereitschaft wecken für Veränderung

Miriam Engel plädiert dafür, bei Veränderungsprozessen den Menschen Zeit zu geben.

Miriam Engel ist Kommunikationswirtin, Führungstrainerin und zertifizierte Personalentwicklerin. Fokus ihrer Arbeit ist Führungsentwicklung und Mitarbeiterkommunikation. In ihrem Gastbeitrag zeigt sie auf, warum Veränderungsprozesse immer auch menschliche Ängste auslösen können – und wie aus einem Einschnitt ein positiver Veränderungsmoment werden kann.

Zeiten heraufziehender Gefahren, Krisen, fordern die menschliche Kommunikation besonders heraus. Die letzten Monate haben gezeigt, dass es wichtig ist, Veränderungen in Geschäftsprozessen, in der Zusammenarbeit, im eigenen Mindset proaktiv anzugehen. Nahezu alle Organisationen mussten sich umstellen und die meisten von ihnen sind bis heute in der kulturellen und strukturellen Findungsphase für ein New Normal. Je mehr sich unsere Welt verändert, desto verletzlicher empfinden wir sie. Das erzeugt Ängste, unwillkommene Gefühle; und wer nicht gelernt hat, konstruktiv mit ihnen umzugehen, läuft Gefahr, durch angstgeleitetes Handeln falsche, ungewünschte Wirkungen zu erzielen. Denn je größer die Angst ist, desto höher steigt beispielsweise die Bereitschaft, auf der einen Seite Fehler zu bestrafen und auf der anderen Seite, Fehler zu vermeiden, so dass eine Entscheidungs- und Handlungslähmung daraus entsteht.
Unternehmen müssen also viel mehr zu „Managern von Veränderung“ werden. Wenn wir in der jüngsten Zeit eines gelernt haben, so wissen wir heute, dass es nicht ausreicht, einen Wandel rational zu begründen. Der Verstand entscheidet nicht über die Annahme von Wandel – es sind die Emotionen, die die Veränderungsbereitschaft und das Verhalten steuern. Kurz: Emotionale Betroffenheit führt zur Bereitschaft und Initiative, Verantwortung zu übernehmen. Und Letztere sind wichtig, bei allen Beteiligten zu aktivieren, bei Unternehmerinnen und Unternehmern und allen Mitarbeitenden. Die Fragen, die sich daraus ergeben, lauten also: Wie können Unternehmer und Unternehmerinnen „Ja“ zur Veränderung sagen und ihre jeweiligen Mitarbeitenden so mitnehmen, das auch diese Veränderungen mittragen – sie sogar aktiv fordern / fördern bzw. adaptieren?

Der nicht ganz einfache Drahtseilakt besteht darin, Betroffenheit zu erzeugen, ohne Furcht auszulösen. Furcht führt (noch mehr) zu Unsicherheit und hemmt Entscheidungen und Handlungsvermögen. Wer diffuse Angst oder sogar konkrete Furcht hat, z. B. vor Arbeitsplatzverlust, wird sich schützen und versuchen Fehler zu vermeiden, um nicht unangenehm aufzufallen. Auf Führungskräfte treffen daher Anforderungen von zwei Seiten: einerseits, die eigene „Ohnmacht“ anzuerkennen und mit ihr umzugehen als auch, die ihnen anvertrauten Mitarbeiter auf einen Zukunftskurs zu lenken, der ihnen Orientierung und Sicherheit bietet und darüber hinaus motivierend wirkt.

Veränderungsprozesse vs. Verharrungsmomentum

Während der Eine schon gestaltet, steht die Andere noch unter Schock – oder umgekehrt. Sich von Gewohnheiten, Verhalten oder Sichtweisen zu trennen, erfordert zuerst eine innere Veränderung. Bevor wie einer bestehenden Form eine neue Gestalt geben, müssen wir uns von der alten verabschieden. Der englische Ökonom John Maynard Keynes hat es einmal so formuliert: „Die Schwierigkeit der Welt besteht nicht darin, Leute zu bewegen, neue Ideen anzunehmen, sondern alte zu vergessen.“ Der äußere Wandel verursacht eine innere Transformation. Damit meine ich einen inneren psychologischen Prozess, mit dem sich eine Person an einen äußeren Wandel anpasst.

Tiefgreifende Veränderungen im Leben sind fast immer mit Schwierigkeiten, inneren Schmerzen verbunden. Ein entscheidender Unterschied besteht darin, ob der Wandel ein persönliches Motiv trifft, sprich angestrebt war, oder ob er „von außen“ aufgezwungen wird. Die heutige, durch Corona verstärkte Situation des Wandels trifft ausnahmslos alle Menschen, die in bestimmten wirtschaftlichen und/oder gesellschaftlichen Bereichen aufgefordert sind, sich anzupassen und mit zu verändern. Für die meisten Menschen ist dieser Prozess mit Verlustgefühlen verbunden und die Bereitschaft zum eigenen Umdenken und der eigenen Umorganisation ist sehr unterschiedlich motiviert, bis hin zur Verweigerung.


Buchempfehlung:
Miriam Engel
Besser führen – Mit Haltung und Vertrauen zu Loyalität
UVK, München, 2021, 24,99 Euro
170 Seiten, ISBN: 978-3739830728

Fokus der Arbeit von Miriam Engel ist Führungsentwicklung und Mitarbeiterkommunikation. Die Expertin für loyale Führung und Zusammenarbeit bietet Mentoring und Leadership-Programme mit Zertifizierung in der gesamten D-A-CH-Region an. Ihr Podcast 7-Minuten-loyaler stürmte im Januar 2019 die iTunes Wirtschafts-Charts.

Sie hat neben dem Buch „Besser führen“ auch bereits den praxisorientierten Ratgeber „Royal führen, loyal handeln: Nachhaltige Wertschöpfung für Ihr Unternehmen“ veröffentlicht.


Die Reaktionen auf die vielschichtigen Umstellungen rufen unterschiedlichste Reaktionen hervor, die teilweise übertrieben wirken, zum Beispiel, wenn jemand im Zorn verweilt. Dabei bezieht sich die Reaktion in der Regel nicht auf die Tatsache der veränderten Arbeitswelt, sondern auf die innere Transformation, die mit der Verabschiedung und dem Verlust von Gewohntem verbunden ist. Starke Überreaktionen sind häufig auf diese drei Gründe zurückzuführen:

  1. Die Wachstumsschmerzen sind zu stark
    Setzen wir eine innere Transformation mit dem persönlichen Reifeprozess und Wachstum gleich, können wir die emotionale Last erahnen. Manchem fällt es hier leichter, rational zu bleiben, um schmerzhaften Emotionen aus dem Weg zu gehen. Führungskräfte richten sich an den Verstand der Mitarbeitenden und erhoffen sich, mit weniger Gefühlsausbrüchen konfrontiert zu werden. Doch Appelle an die Vernunft erzielen erfahrungsgemäß nur eine geringe Wirkung, logische Argumente erfassen Ängste und Verlustschmerzen nicht. Das Gegenteil ist oft der Fall, dann nämlich, wenn ein Mangel an Einfühlungsvermögen empfunden und erst recht dagegen rebelliert wird.
  2. Der Verlust ist von höherer Bedeutung
    In Deutschland gab es eine Zeit, in der Unternehmen eine Politik der scheinbar absoluten Arbeitsplatzsicherheit verfolgten. Wer sich nichts zuschulden kommen ließ, wusste sich abgesichert. Dann kamen unvorhergesehene Marktentwicklungen, die solche Unternehmen doch zwangen, Personal abzubauen. Die heftigen Reaktionen der Betroffenen beruhten hier auf deren Kultur der quasi unantastbaren Sicherheit. Der Verlust dieser Gewissheit fand auf einer weit höheren Ebene statt als der Zugehörigkeit zu einer Firma, es kratzte an deren Werte und vielleicht sogar deren Identität.
  3. Schlechte Erfahrungen
    Ein dritter Grund für außergewöhnlich starke Emotionen sind negativ geprägte Erfahrungen mit Veränderungsprozessen in der Vergangenheit. Heute hat nahezu jeder Berufstätige schon einmal Umstrukturierungen, Fusionen oder Unternehmenssanierungen miterlebt. Neurowissenschaftler unterscheiden zwischen dem primären und dem sekundären Emotionssystem. Das primäre Emotionssystem beruht auf den sechs angeborenen Grundgefühlen Freude, Angst, Trauer, Wut, Überraschung und Ekel. Das sekundäre Emotionssystem basiert auf den Verknüpfungen von Emotionen mit spezifischen, autobiografischen Informationen. Mussten Mitarbeitende in Vergangenheit beispielsweise miterleben, wie als „harmlos“ angekündigte Prozessveränderungen eine riesige Umstrukturierung zur Folge hatten, werden sie folglich kaum noch einmal neutral reagieren können, wenn „kleine Anpassungen“ kundgetan werden. Je nachdem, mit welchem starken Gefühl ein früheres unangenehmes Ereignis verknüpft worden ist, wird dieses heute wieder aktiviert, sobald eine Vorhersage auf vergleichbarem Boden fußt.

Es gibt also oft einen „guten“, nachvollziehbaren Grund für ein Verhalten. Spielt sich bei Mitarbeitenden Angst, Zorn, Wut oder Trauer ab, ist es nicht sinnvoll, Druck auf sie auszuüben. Leider erlebe ich das in Wandelprozessen häufig. Als Führungskraft im mittleren Management sollten Sie Druck, der möglicherweise auf Sie ausgeübt wird, nicht ungefiltert nach unten weitergeben. Lassen Sie zumindest den am stärksten betroffenen Mitarbeitenden etwas Zeit, sich mit der veränderten Situation auseinanderzusetzen und planen Sie Gesprächstermine ein. Viele Führungskräfte beschäftigen sich in kritischen Wandelphasen lieber damit, neue Strukturen und Abläufe zu planen, weil sie sich auf diesem Gebiet sicher fühlen. Ihre beste Investition ist so einem Moment jedoch die Zeit in ihre Mitarbeitenden. Mancher Manager mag jetzt denken: Mich fragt ja auch keiner, wie ich das finde.“ Diese Einstellung hat jedoch nichts mit Führung zu tun.
Wir kommen nicht umhin, uns mit der eigenen Haltung auseinanderzusetzen. Gute Führungskräfte bringen die emotionale Intelligenz mit, sich die eigenen Gefühle, und die Gefühle des anvertrauten Teams, bewusst zu machen und damit umzugehen. Das emotionale Eingehen auf die Mitarbeitenden hat dabei nichts mit Händchenhalten zu tun, sondern es baut Widerstände ab und ermöglicht den Wandel in der Praxis erst.

Neben Zufriedenheit im Team und mit dem eigenen Vorgesetzten ist besonders die positive Wirkung psychologischer Sicherheit sowohl auf Leistungsmerkmale als auch auf die Innovationsfähigkeit attraktiv. Ausgangspunkt dafür ist zunächst die eigene innere Haltung, die direkt die Wirksamkeit des gemeinsamen Arbeitens und die Erfolge beeinflusst. Natürlich ist die psychologische Sicherheit des gesamten Teams wichtig, die zum Beispiel durch eine kooperative Entscheidungsfindung gestärkt werden kann. Sammeln Sie zu einem konkret zu verändernden Prozessschritt Zahlen, Daten und Fakten, die Ihre Idee oder Lösung unterstützen und begründen. In Ihrer Teamrunde bewerten Ihre Teammitglieder anhand von transparenten Kriterien, die Sie dann gemeinsam besprechen und ein Fazit ziehen. Folgende Fragen sind dafür nützlich:

  • Welche Vor- und Nachteile sehen wir?
  • Welche Konsequenzen folgen aus dieser Entscheidung?
  • Welche Auswirkung hat das auf die beteiligten Personen?
  • Welche möglichen Risiken müssen beachtet werden?
  • Welche Überzeugungen stehen hinter dieser Entscheidung?

In meinem Buch Besser führen – Mit Haltung und Vertrauen zu Loyalität geht es um psychologische Sicherheit und weitere Erfolgsfaktoren zur Steigerung der Veränderungs- und Leistungsbereitschaft von Mitarbeitenden und was die Führungskraft dazu beitragen kann – lebensnah, konkret und praxiserprobt.

Weitere Informationen unter:
https://loyalworks.de/