Vermögensteuer im Faktencheck

Gastbeitrag von Prof. Dr. Christoph Juhn

Notwendig für die soziale Gerechtigkeit oder Ausdruck einer Neiddebatte und verfassungswidrig?

Reiche werden reicher, Arme werden ärmer – und das auch hierzulande. So oder so ähnlich lassen sich unter anderem die Ergebnisse einer BCG-Untersuchung 2023, einer Studie der Schweizer Bank UBS und von Oxfams Bericht zur sozialen Ungerechtigkeit 2024 zusammenfassen. Kein Wunder also, dass laut ARD-DeutschlandTrend gut drei Viertel der Deutschen die Unterschiede zwischen Arm und Reich als größtes Problem für das Zusammenleben in Deutschland sehen. Eine Vermögensteuer, wie sie etwa Thomas Piketty in Kapital und Ideologie forderte, könnte Ungleichheiten regulieren. Seit 1997 wird eine solche Abgabe jedoch in der Bundesrepublik pausiert. Stattdessen belasten Steuern und Abgaben hierzulande – so die OECD – vor allem Arbeitseinkommen, was laut Bericht vor allem Familien trifft und nicht zuletzt auch Fehlanreize schaffen kann. Kein Wunder, dass sich vergangenen Sommer in einer Forsa-Umfrage eine Mehrheit der Menschen in Deutschland (62 Prozent) für die Wiedereinführung der Vermögensteuer ausgesprochen hat. Aber geht das überhaupt so einfach bei einer vermeintlich verfassungswidrigen Steuer?

Verhärtete Fronten

Bei der Vermögensteuer gibt es keine halben Sachen – in manch hitzigen Debatten noch nicht einmal Nuanciertheit. Es gibt Befürworter, die im Sinne der sozialen Gerechtigkeit, der Vermögensumverteilung und der Reichenbesteuerung auf eine Wiedereinführung pochen – etwa um klamme Länder und Gemeinden zu entlasten. Schließlich führte der Verzicht auf die 1997 ausgesetzte Vermögensteuer bislang zu 380 Milliarden Euro an Mindereinnahmen. Gleichzeitig steigt nicht nur das Privatvermögen der Deutschen jährlich – 2024 auf insgesamt 9 Billionen Euro –, auch die Ungleichheit nimmt zu. Mit Berufung auf EZB-Daten stellt das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz 2023 fest, dass die oberen 10 Prozent der Bevölkerung rund 61,2  Prozent des Gesamtvermögens besitzen, während die unteren 50  lediglich 2,3 Prozent halten.

Auf der anderen Seite stehen die Gegner, die mit Steuer- oder Kapitalflucht und dem internationalen Steuerwettbewerb argumentieren. Und empirische Studien scheinen das zu belegen. Ein Beispiel aus der Schweiz zeigt, dass eine Erhöhung der Vermögensteuer um 0,1 Prozentpunkte zu einem Rückgang des ausgewiesenen Vermögens um 3,4 Prozent führen kann, was auf Kapitalabflüsse hindeutet. Henley & Partners sprach in diesem Zusammenhang von einer beispiellosen Vermögens- und Investitionsmigration, die vor allem für Niedrigsteuerländer wie die Vereinigten Arabischen Emirate eine Chance darstellt. Allein im letzten Jahr, so die Studienmacher, sollen sich 6.700 Millionäre weltweit auf den Weg in dieses Steuerparadies gemacht haben.

Hinzu kommt speziell hierzulande der bürokratische Aufwand, der laut ifo Institut jährlich bis zu 146 Milliarden Euro an Wirtschaftsleistung verschlingt. Die zentrale Herausforderung? Eine genaue und gerechte Bewertung von Vermögenswerten erhöht den administrativen Aufwand und sorgt aufgrund unterschiedlicher Modelle für Unsicherheiten, so das Argument des ifo Instituts. Entsprechend lehnen die Gegner der Vermögensteuer sie kategorisch als Ausdruck einer Neiddebatte, als Zeichen überbordender Bürokratie und überhaupt als verfassungswidrig ab.

Vermögensteuer vs. Verfassung

Vor allem der vermeintliche Verstoß gegen das Grundgesetz wird in Debatten häufig als Totschlagargument vorgebacht – rhetorisch wirksam, aber nicht 100 Prozent faktisch korrekt. 1995 entschied das Bundesverfassungsgericht in einem konkreten Fall – nicht über das Gesetz selbst. Dabei ging es inhaltlich um die steuerliche Ungleichbehandlung von bestimmten Vermögenswerten. Steuerpflichtige, die Vermögensteuer auf Unternehmenswerte zahlen sollten, sahen sich gegenüber jenen benachteiligt, die Abgaben auf Immobilienwerte leisten mussten. Mit Verweis auf den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Artikel 3 GG entschieden die Richter damals, dass die Vermögensteuer in Bezug auf die Bewertung von Immobilien verfassungswidrig sei. Der Grund: Ein veraltetes Bewertungsverfahren schuf eine Bemessungsgrundlage für Immobilienbesitz, die Werte weit unter dem Marktwert ergab. Dadurch wurden Aktien, Unternehmensbeteiligungen und andere Vermögenswerte im Verhältnis mit deutlich höheren Steuern belastet, während Immobilieninvestoren einen Vorteil genossen. An dieser Stelle hätte die Legislative das Vermögensteuergesetz an die neue Rechtsprechung anpassen müssen – etwa durch die Änderung der Bemessungsgrundlage für Immobilienwerte. Die damalige Regierung – das Kabinett Kohl V – unterließ eine solche Änderung jedoch, vor dem Hintergrund interner parteipolitischer Divergenzen, technischer und administrativer Herausforderungen sowie der sich ändernden wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Post Wiedervereinigung schien eine Reform des Vermögensteuergesetzes politisch zu riskant und organisatorisch zu komplex. Stattdessen wurde das Vermögensteuergesetz 1997 insgesamt als verfassungswidrig ausgesetzt und seitdem nicht mehr angewendet.

Pausiert, aber nicht gecancelt

Trotz immer wieder aufflammender Debatten verharrt die Vermögensteuergesetzgebung in der BRD seit etwa 30 Jahren in der Wartehaltung. Sie kann zwar jederzeit wieder reaktiviert werden, bisher bleibt der Pausenknopf jedoch noch gedrückt, obwohl etwa das Bewertungsgesetz in diesem Zeitraum modernisiert wurde, sodass eine der neuen Bewertungsmethoden für Immobilien Pate stehen könnte, um das Vermögensteuergesetz verfassungskonform anzupassen. Außerdem wurde kürzlich auch die Wegzugsbesteuerung mit dem Ziel verschärft, Steuervermeidung durch Abwanderung zu verhindern und versteckte Unternehmenswerte zu besteuern. Anders als bisher betrifft die Neuregelung daher nicht mehr nur im Privatvermögen gehaltene Anteile an Kapitalgesellschaften sowie Genossenschaftsanteile ab einer Beteiligungshöhe von 1 Prozent. Künftig gilt: Halten Steuerpflichtige Anteile an Investmentfonds im Privatvermögen, unterliegen die in dem Investmentanteil ruhenden stillen Reserven bei einem Wegzug aus Deutschland der Wegzugsbesteuerung. Voraussetzung dafür ist, dass der Steuerpflichtige innerhalb der letzten 5 Jahre mindestens 1 Prozent der ausgegebenen Investmentanteile gehalten hat oder die Anschaffungskosten mindestens 500.000 Euro betragen haben. Zwar ist hier das letzte Wort noch nicht gesprochen, Kritiker werfen der Regierung aber vor, die neuen Regeln würden über das Ziel hinausschießen und in der Praxis auch Fälle betreffen, die nicht missbräuchlich sind. Besonders problematisch sei die Verknüpfung mit den Anschaffungskosten, wobei grundsätzliche Zweifel bestehen, ob die neuen Vorschriften mit EU-Recht vereinbar sind.

Steuern im Standortwettbewerb

Mit Blick auf die bevorstehende Bundestagswahl fordern einige Parteien zwar die Wiedereinführung einer Vermögensteuer, allerdings muss auch die nächste Regierung abwägen. Der Eigentumsschutz (Art. 14 GG) sowie der Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) spielen hier eine wesentliche Rolle. Zudem gilt es das Prinzip der progressiven Besteuerung, das der sozialen Gerechtigkeit dient, auch im internationalen Kontext zu bewerten. Hohe Abgaben können den Anreiz zur Reinvestition von Gewinnen schwächen, was langfristig zu einer verminderten Wettbewerbsfähigkeit und zu einem Rückgang des Wirtschaftswachstums führt. Das zeigen nicht nur Studien des ifo Instituts und Berichte der OECD, sondern auch die aktuellen Zahlen des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz. Zum Jahresende 2024 konstatierte die Behörde, dass die hiesige Wirtschaft in der Stagnation verharrt. Das Bruttoinlandsprodukt ging im vierten Quartal um 0,1 Prozent zurück, sodass das vorläufige BIP für das Jahr 2024 einen preisbereinigten Rückgang um 0,2 Prozent aufweist. Angesichts dieser wirtschaftlichen Rahmenbedingungen braucht es also, ähnlich wie in den 1990er-Jahren, gezielte Reformen, um wirtschaftliches Wachstum zu fördern und Investitionen nicht unnötig zu erschweren. Ziel sollte es sein, einen Ausgleich zu finden, der fiskalisch notwendige Einnahmen generiert, aber zugleich Investitionsanreize und die Wettbewerbsfähigkeit sicherstellt. Neben der Prüfung der Verhältnismäßigkeit und des Grundrechtsschutzes müssen dabei auch internationale steuerrechtliche Rahmenbedingungen und die wirtschaftlichen Auswirkungen in den Mittelpunkt der Überlegungen rücken.

Weitere Informationen unter: https://www.youtube.com/watch?v=vnJBmZW7qtU

Zum Autor:

Prof. Dr. Christoph Juhn ist Professor für Steuerrecht, Steuerberater und besitzt einen Master of Laws. Seine Schwerpunkte in der Gestaltungsberatung liegen auf Umwandlungen und Umstrukturierungen, Unternehmen- und Konzernsteuerrecht, internationalem Steuerrecht, Unternehmenstransaktionen (M&A), Beratung für Berater sowie der laufenden Steuerberatung. Nachdem er 2011 seinen LL.M. an der Universität zu Köln erwarb, wurde er 2013 zum Steuerberater bestellt. Im Jahr 2020 promovierte er zum Dr. jur. im internationalen Unternehmen- & Umwandlungssteuerrecht und wurde noch im selben Jahr zum Professor für Steuerrecht an der FOM Hochschule Bonn berufen. Parallel dazu gründete er – nach Anstellungen in zwei Steuerberatungsgesellschaften – im Jahr 2015 die JUHN Partner GmbH und 2017 die JUHN BESAU GmbH. Außerdem betreibt der Steuerprofi unter @juhnsteuerberater einen erfolgreichen YouTube-Kanal.