Transformationskultur
Digitale Transformation – Potenziale für Unternehmen nutzen
Gastbeitrag von Dr. Katja Nagel, Gründerin und Geschäftsführerin der Unternehmensberatung Cetacea in München
Die digitale Transformation ist kein Modewort, sondern unsere neue Realität.
Für die einen ist sie ein Versprechen, für die anderen eine Bedrohung. Und dennoch stellt sie die Welt auf den Kopf. Bei den meisten Arbeitnehmern kommt sie vordergründig an in Form von „New Work“. Für den Erfolg des gesamten Transformationsprojekts ist es dabei von elementarer Bedeutung, dass die Menschen mitziehen.
Seit vielen Jahren kommt Change Management dabei aus der Schmuddelecke der „Weichen Faktoren“ der Betriebswirtschaft nicht raus. Es gibt nicht die eine Lehre, nicht den einen Ansatz, es gibt kaum Messinstrumente, es gibt jede Menge selbsternannter Experten, der Begriff ist als Berufsbezeichnung ein freier Vogel. Was schwer zu greifen ist, übersieht man gerne.
Aber die Dunkelheit geht nicht weg, nur weil man die Augen zumacht. Sie bleibt. Die Menschen, die nicht mitanpacken können, weil sie blockiert sind, besorgt sind, nicht verstehen – sie bleiben. Aber es bleibt eben auch der Bedarf, systematisch und methodisch und zielgerichtet eine Organisation weiterzuentwickeln und Transformationen nicht scheitern zu lassen an den Unfähigkeiten des eigenen Unternehmens. Damit aus der Digitalen Transformation keine Digitalisierungsfalle wird, muss das Unternehmen parallel zu den operativen Einführungsarbeiten den Fokus auf die Menschen im Unternehmen setzen. Sie sollten die Digitalisierung nicht ertragen, sondern mittragen.
Auf der Suche nach der perfekten Lösung? Change of Change Management
Um die Digitale Transformation auch in der Organisation gesamthaft zu verankern, sind Unternehmen auf der Suche nach der perfekten Lösung (die es nicht gibt). Dennoch helfen hier neun Empfehlungen für den Umgang mit der Organisation. Und hier geht es nicht um Basis-Wahrheiten, hier muss es um neue Wege gehen. Wenn die Digitale Transformation Wagnis und Aufbruch in das Neue bedeutet, wie könnte sie dann für Change Management Kontinuität verheißen? Wir kommen aus einer Zeit, in der Change Manager ganz genau wussten (oder glaubten, zu wissen), wie man Organisationen dreht. Wir gehen in eine Zeit, in der auch Change Management sich ein Stück weit neu erfinden muss.
Neun Empfehlungen
Empfehlung 1: Nicht Hofberichterstattung und Wattebäuschchen werfen.
Klar ist: In so einer Transformation läuft nicht alles rund. Was nicht hilft – und doch immer noch so gerne praktiziert wird: Hofberichterstattung. Alles ist wunderbar und wird noch wunderbarer. Das geht auf Kosten der Glaubwürdigkeit. Mehr Mut braucht es in Organisationen im Umgang mit der digitalen Transformation. Auch die Dinge ansprechen, die (noch) nicht funktionieren. Denn am Ende brauchen wir in Organisationen nicht Menschen, die alles immer mit der rosaroten Brille sehen, sondern Menschen, die an den Herausforderungen und Schwierigkeiten wachsen und sie annehmen. Eine stets positive Kommunikation ist Wattebäuschchen werfen und setzt die Belastbarkeit einer Organisation herunter.
Empfehlung 2: Von Anfang an in der vollen Breite der Organisation dabei.
Das Projektteam sollte von Anfang an ergänzt werden um die Aspekte People/Change/Communications. Diese Dimension sollte nicht nur mitgedacht werden, sondern auch begleitend tätig sein. Auf Augenhöhe und mit eigenen Maßnahmen, von Schwierigkeiten bis hin zu Etappenzielen und Erfolgen. Um sicherzustellen, dass man die Organisation nicht verliert vor zu viel Technik, Technologie, Projektmanagement. Von Anfang an versehen mit Zielen, Kennzahlen zur Zielerreichung, Budget und Verantwortlichkeiten, mit einem virtuellen Netzwerk quer über die ganze Organisation des Unternehmens.
Zur Autorin:
Sie ist Top-Managementberaterin und verfügt über mehr als 20 Jahre Erfahrung in Unternehmen und Beratung, unter anderem in den Bereichen Unternehmensentwicklung, Strategie, Marketing und Kommunikation. Sie hat Transformations- und Restrukturierungsprozesse internationaler Konzerne mitgestaltet und war vor ihrer Zeit bei Cetacea unter anderem bei Siemens, T-Systems und O2. Dort hat Katja Nagel zahlreiche Turnaround-, Culture Change- und Restrukturierungsprojekte durchgeführt.
Empfehlung 3: Die Menschen selbst zu Wort kommen lassen.
In der Regel ist unsere Kommunikation voll der Imperative: man soll, muss. Von oben herab. Das ermüdet jede Organisation und auch die motiviertesten Mitarbeiter. Man stumpft ab über die Zeit. Hier braucht es in der Kommunikation selbst einen Quantensprung: Weg von der Belehrung, weg von der Theorie, hin zum Erlebten, hin zu den Betroffenen und Beteiligten selbst. Erste Eindrücke authentisch und unverzerrt teilen, auch erste Sorgen und Vorbehalte. Rückmeldungen an das Projektteam, wo noch nachgebessert werden muss. Klarheit schaffen, dass der Weg das Ziel ist und der perfekte Zustand gar nicht erreicht werden kann.
Empfehlung 4: Tauschgeschäft Sicherheit gegen Emotionen.
Die Transformationskultur in Deutschland ist – da muss man ganz ehrlich sein – extrem minderbemittelt, denn die deutsche Seele liebt Sicherheit, Genauigkeit und Verlässlichkeit. Diese deutsche Mentalität führt zu Verlangsamung jeglicher Digitaler Transformation. Das wahrgenommene Risiko erscheint dadurch nämlich sehr viel größer. Doch jetzt muss es ein Tauschgeschäft geben: Unternehmen können Sicherheit nicht mehr in diesem Ausmaß anbieten, aber sie haben eine andere begehrte Ware: es ist die Emotion, das Zugehörigkeitsgefühl, das gemeinsame Ringen um die neuen Lösungen. Und letztendlich hilft dann auch die Solidarität, das Wir-Gefühl, das Team, um Risiken gefühlt zu reduzieren.
„…hier geht es nicht um Basis-Wahrheiten, hier muss es um neue Wege gehen.“
Empfehlung 5: Top Management ohne Krone auf dem Haupt.
In vielen Organisationen glauben tatsächlich Top Manager immer noch, dass sie alles besser wissen. Kraft ihrer Position und ihrer Macht. Und kaum einer widerspricht ihnen. Wir sind gut beraten, zu glauben, dass wir gut sind – aber das Beste entsteht erst durch das Zusammenspiel mit den anderen Guten um uns rum. Das Top Management muss lernen, mit einer Stimme zu sprechen, interne Zwistigkeiten und Rivalitäten dem größeren Ganzen unterzuordnen und die Digitale Transformation zu bewerben, zu diskutieren, umzusetzen auf allen Ebenen des eigenen Verantwortungsbereiches. Und dabei Tor und Tür öffnen, um auch neu zu verhandeln intern, was gewünscht und gewollt und richtig – und falsch ist. Und schließlich braucht es Vorbilder im Top Management, die für Inspiration sorgen.
Empfehlung 6: Neue Formen des „Enablings“ braucht es.
Viele Menschen hatten schon zahlreiche Trainings in ihrem Berufsleben, die letztendlich spurlos an ihnen vorbeigegangen sind. Spurlos deswegen, weil die betriebliche Realität alle nur Stunden danach wieder eingefangen hatte und man im Hamsterrad des Gewohnten wieder um die eigene Effizienz und damit Wirksamkeit gerungen hat. Hier muss Training, oder „Enabling“, neu gedacht, neu konzipiert werden. Es muss viel mehr in den beruflichen Alltag integriert, kleinteiliger werden, umsetzungsorientierter, praxisnäher, innovativer, dynamischer, kollektiver. Es braucht insbesondere Change Tools, Formate und Hilfsmittel für Führungskräfte und Mitarbeiter, um ihren eigenen Weg in ihren Abteilungen zu gehen.
Empfehlung 7: Mut als zentralen Unternehmenswert etablieren.
Die wichtigste Geisteshaltung, die es für die Digitale Transformation braucht, ist schlicht Mut. Zu vielen Managern und Mitarbeitern fehlt der Mut, das haben wir jahrelang in vielen Organisationen nicht trainiert und nicht sozialisiert als wünschenswert und lohnenswert. Wir müssen die vielzitierte Fehlerkultur uns selbst erarbeiten, experimentieren, Fehler zulassen, Fehler machen, aus Fehlern lernen. Wir müssen die Diskussion rund um Fehler zelebrieren, auch dann loben und belohnen, wenn Fehler gemacht werden. Mut muss gefördert werden als Geisteshaltung, die es zulässt, kalkulierbare Risiken in Kauf zu nehmen, um Neues zu verproben und daran zu wachsen.
„Am Ende heißt das Erfolgsrezept für eine gelungene Digitale Transformation: Transformationskultur. „
Dr. Katja Nagel
Empfehlung 8: Die Vergangenheit war auch cool.
Viele Manager und Kommunikatoren in Transformationen machen den Fehler und erklären am Beispiel bisheriger Prozesse, Strukturen, Verhaltensweisen, was daran nicht (mehr) gut ist. Dabei erklären sie aber nicht deutlich genug, dass das Ablösen des Alten nicht bedeutet, dass es zu seiner Zeit nicht richtig und gut war. Eigentlich keine große Sache, aber mit großen Folgen. Es braucht ganz klare Aussagen, dass das Neue nicht schlechtes Alte ablöst, sondern eine schlüssige Weiterentwicklung ist. Menschen können nicht umgehen mit dem Gefühl, jahrelang etwas falsch gemacht zu haben, wenn sie sich gleichzeitig erfolgreich fühlen. Das führt zur diffusen Ablehnung des Neuen, denn Menschen haben sonst das Gefühl, ihre eigene Vergangenheit abzulehnen.
Empfehlung 9: Konsequenz ist nicht nur in der Erziehung eine Tugend.
Hier geht es um konsequente Sanktionierung von Brandstiftern und Trennung von demonstrativen ewig Gestrigen – allein schon, um ein Zeichen zu setzen und der Organisation zu zeigen, dass das Akzeptieren, Vorantreiben und Umsetzen der Digitalen Transformation im eigenen Arbeitsumfeld nicht nur erbeten wird, sondern auch gewürdigt wird bzw. im gegenteiligen Fall sanktioniert wird. In der Erziehung wird immer wieder Konsequenz angemahnt, nicht zuletzt, um berechenbar zu sein und zu bleiben für die Menschen, die man erziehen will. Wir müssen verstehen, dass eine Digitale Transformation sehr viel zu tun hat mit Erziehung, mit Pädagogik, mit Didaktik.
Was ist das Erfolgsrezept – einfach ausgedrückt?
Am Ende heißt das Erfolgsrezept für eine gelungene Digitale Transformation: Transformationskultur. In Deutschland speziell wird der bisherige wirtschaftliche Erfolg einer ganzen Generation und der Wohlstand einer ganzen Nation zum Fluch für die Gesellschaft, weil sie unser bisheriges Arbeiten zementiert und damit natürlich auch zum Hindernis für Transformationskultur wird. Wir sind saturiert in diesem Land, wir haben eine Verteilungs- und keine Leistungsdiskussion mehr in der Öffentlichkeit. Wir sprechen immer mehr von Teams und handeln doch immer weniger als Team, sondern als Einzelkämpfer. Jeder ist sich selbst der nächste und gleichzeitig schießen die Beiträge in Unternehmen und Öffentlichkeit rund um Integrität in die Höhe. Diese Paradoxien in unserem Denken und Handeln sind Kennzeichen einer Gesellschaft in einem tiefgreifenden Wandel. Wir brauchen neue Ansätze, uns selbst zu hinterfragen, zu reflektieren und neu zu entscheiden.
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