Quantencomputer ‚Made in Germany‘

Gegen die Zeit: Die Weichen für den Quantencomputer ‚Made in Germany‘ werden jetzt gestellt

Das Wettrennen um die Vormachtstellung in der Quantenwelt ist bereits in vollem Gange. Zahlreiche Technologiegiganten vor allem aus den USA und China arbeiten seit längerer Zeit mit Hochdruck daran, dem Quantencomputing zum Durchbruch zu verhelfen. Das beweisen eindrucksvoll deren Investitionen in Grundlagenforschung. Allein Google steckte, wie ein Blick in die letzten Bilanzen zeigt, im vergangenen Jahr gut 27,5 Milliarden Dollar in die Forschung rund um Quantencomputer, aber auch Bereiche wie Künstliche Intelligenz, Bio-Informatik oder Robotik.

Zählt man allein die Ausgaben der amerikanischen Tech-Riesen zusammen, geben sie – über den Daumen gerechnet – so viel Geld für wegweisende Technologien aus wie alle deutschen Unternehmen und Universitäten zusammen. Und es ist auch ein US-Konzern, der jetzt den ersten kommerziellen Quantencomputer nach Europa gebracht hat. In der Nähe von Stuttgart wurde in Zusammenarbeit mit der Münchner Fraunhofer-Gesellschaft ein ultraschneller Rechner der Firma IBM eingeweiht. Der „Quantum System One“ soll dafür sorgen, dass Deutschland bei der nächsten industriellen Revolution an vorderster Front mitspielt und die hiesige Wirtschaft im Wettstreit mit China und den USA bestehen kann.

Autor: Kai Grunwitz, Geschäftsführer der NTT Ltd. in Deutschland

„Wir müssen Menschen zudem befähigen, mit Quantentechnologien umzugehen – Wissen darf kein Geheimwissen bleiben, sondern muss transparent und für alle zugänglich sein.“


Der Hype um die Technologie ist verständlich: Quantencomputer nutzen ein ganz anderes Rechenparadigma und erlauben damit Sachen, die wir uns heute noch gar nicht vorstellen können. Während bei herkömmlichen Computern Bits als kleinste elektronische Recheneinheit zum Einsatz kommen, arbeiten Quantencomputer mit Quantenbits – kurz Qubits. Diese sprengen die Möglichkeiten der gebräuchlichen Binärcodes aus Nullen und Einsen, weil sie beliebig viele Überlagerungszustände einnehmen können.

Dieses Prinzip, Superposition genannt, ist mit nichts aus unserer alltäglichen Welt vergleichbar und lässt sich am besten anhand eines Bildes erklären: Stellt man sich ein Qubit wie eine Kugel vor, an deren Nordpol die Eins und deren Südpol die Null steht, kann es – im Gegensatz zu einem Bit bei einem klassischen Rechner – alle Zwischenzustände, die sich auf der Kugeloberfläche befinden, annehmen.

Damit steigt die Performance eines Quantencomputers exponentiell, besonders für Simulationen wären solche Leistungen perfekt geeignet. Auf der Suche nach neuen Medikamenten könnten beispielsweise Forscher, anstatt die Zusammensetzung aufwendig im Labor zu testen, molekulare Strukturen nachbilden und so die Zusammensetzung von Wirkstoffen berechnen.

Im Ergebnis könnte die Pharmaindustrie Medikamente mit besserer Wirkung entwickeln, und zwar um ein Vielfaches günstiger und schneller. Quantencomputer würden aber auch völlig neue Chancen für das Klima und die Umwelt eröffnen – indem sich Wetterveränderungen genauestens messen und vorherberechnen lassen, neue Produkte auf Basis komplett nachhaltiger Materialen entwickelt sowie Mobilitätskonzepte inklusive autonomen Fahren optimiert werden und damit der Verkehrskollaps in den Städten der Vergangenheit angehört.

Stand heute

Stand heute lässt sich nur erahnen, was möglich sein wird – denn der Quantencomputer, der das alles kann, steht noch lange nicht vor der Tür. Mit allen bisherigen Systemen sind erst kleine Rechnungen gemacht worden, zudem müssen die fragilen Quanten gegen sämtliche Umwelteinflüsse abgeschirmt werden: Die Chips benötigen mit etwa minus 273 Grad eine Temperatur niedriger als im All, arbeiten nur unter Vakuumbedingen und müssen elektromagnetisch abgeschirmt sein – ansonsten sinken die Chancen auf brauchbare Berechnungen.

Allerdings war, als die heutigen Computer am Anfang standen, genauso fraglich, ob und welche Grenzen sie überwinden werden. Der erste funktionsfähige Digitalrechner weltweit, der vor 80 Jahren von Konrad Zuse vorgestellt wurde, hat nicht weniger als den Grundstein für eine Vielzahl von technischen Hilfsmitteln gelegt, die wir heute ganz selbstverständlich einsetzen. Bis ein vollständig Fehler-korrigierter, programmierbarer Quantenrechner stabil in Unternehmen eingesetzt werden kann, wird es zwar noch eine ganze Weile dauern. Die Weichen dafür werden aber jetzt gestellt und Deutschland darf keinesfalls den Fehler begehen, diese Entwicklung zu verschlafen.

Ein erster Schritt ist mit dem Förderpaket der Bundesregierung erfolgt. Die Politik hat im Sommer 2020 zwei Milliarden Euro bereitgestellt, für die vor Kurzem grünes Licht gegeben wurde. Das heißt aber auch: Ein ganzes Jahr lang wurde darüber debattiert, ob und wie Wissenschaft und Wirtschaft bei den Quantentechnologien kooperieren sollen. So viel wertvolle Zeit dürfen wir nicht noch einmal verlieren.

Wir müssen jetzt die verstreuten Kompetenzen in unserem Land vernetzen und die Wirtschaft von Anfang an integrieren. Strukturelle Maßnahmen müssen den Aufbau von Hubs, also Verbünde von unterschiedlichen Akteuren, einschließen. In diese Richtung geht die jüngste Allianz von zehn großen Industrieunternehmen, die die Erforschung industrieller Anwendungen vorantreiben wollen. Denn wir brauchen Geschäftsmodelle, die am Ende für Wertschöpfung sorgen, und damit ein Ökosystem mit potenziellen Anwendern.

Wir müssen Menschen zudem befähigen, mit Quantentechnologien umzugehen – Wissen darf kein Geheimwissen bleiben, sondern muss transparent und für alle zugänglich sein. Wenn alle Faktoren ineinandergreifen, hat der Standort Deutschland im internationalen Wettbewerb eine echte Chance.

Das Wettrennen um einen universell einsetzbaren Quantencomputer, der zahlreiche der heutigen gesellschaftlichen Herausforderungen lösen kann, hat gerade begonnen. Wir müssen jetzt aufpassen, uns bei diesem Schritt hin zu einer völlig neuen Generation von Technologie nicht die exzellente Grundlagenarbeit der letzten Jahre in der Umsetzung wegnehmen zu lassen.