Megatrend Software: Programmierer werden knapp

Wettbewerbsvorteile entstehen immer häufiger softwareseitig. Daher beschäftigt sich Edward Lenssen, CEO der Beech IT mit der Frage, wie Unternehmen den „Engpass“ Software-Programmierung bestmöglich meistern können. An Profis auslagern, kann eine Option sein – wenn der Partner das eigene Geschäftsmodell versteht.

Software wird sich als die wichtigste Waffe für die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen in den 2020er und 2030er Jahren erweisen. Unternehmen, die die bessere Software haben, werden ihre Kunden besser kennen und besser bedienen können als die Konkurrenz, und sie werden ihre Kosten besser kalkulieren und ihre Ressourcen effizienter nutzen können. Damit ist abzusehen, dass Programmierer in den nächsten Jahren ein extrem knappes Gut sein werden.

Dabei gehören steigende Komplexität und erhöhte Sicherheitsanforderungen zu den Schlüsseltrends in der Softwarebranche. Eine Umfrage von Beech IT unter 100 IT-Spezialisten hat ergeben, dass 96 Prozent der Fachleute zunehmend kompliziertere Computerprogramme erwarten. 98 Prozent mahnen an, dass die Software stärker gegen Cyberangriffe geschützt werden muss.

Als weitere Trends für 2022 und danach werden genannt: Agile Software Development (68 Prozent), KI-assisted Development (67 Prozent), extrem hohe Skalierbarkeit (66 Prozent), Rapid Prototyping & Innovation (65 Prozent), performanter Code (59 Prozent), Platform-as-a-Service (57 Prozent), Software-as-a-Service (52 Prozent), Dual Speed Development (52 Prozent), Enterprise Integration von Content-Management-Systemen (47 Prozent), Lean Software Development (42 Prozent), Typo3-Standardisierung (41 Prozent), generische Softwareentwicklung (39 Prozent), Continuous Integration & Delivery (39 Prozent), Web-Apps (38 Prozent), integrierte CMS/CRM/Shop/PIM/Intranet-Entwicklung (37 Prozent), Softwareentwicklung mit Design Sprints (34 Prozent), stärkere Verknüpfung von Backend/Website/App (32 Prozent) und Function-as-a-Service (31 Prozent).

Software lässt sich nicht industriell herstellen

Es wird selbst für Konzerne mit großen IT-Abteilungen zusehends schwieriger, die Vielzahl der Trends bei der Softwareentwicklung zu beherrschen. Die Unternehmen sollten sich zügig externe Programmierkapazitäten sichern, um der wachsenden Bedeutung für ihre Wettbewerbsfähigkeit Rechnung zu tragen.

Es gibt kein relevantes IT-Thema, von Big Data mit bislang unvorstellbaren Datenmengen bis hin zur Künstlichen Intelligenz, das nicht vor allem durch Software geprägt wird. Die Chips werden immer kleiner, die Speicherkapazitäten immer billiger, die Datenübertragungsraten immer höher und die Software immer komplexer. Doch im Unterschied zu Chips, Speichern und Übertragungstechniken lässt sich Software bis heute nicht industriell herstellen. Natürlich gibt es viele Methoden und Verfahren zur Erstellung und Qualitätssicherung von Software, aber am Ende werden die Programme von klugen Männern und Frauen im Kopf erdacht und mit flinken Fingern als Programmcode eingetippt, getestet und optimiert, bis ein fertiges Programm entsteht.

Üblicherweise rechnet man mit einer Produktivität von 10 bis 50 Codezeilen je Mitarbeiter und Tag. Ein Softwareentwicklungsprojekt mit einem Aufwand von 1.000 Personentagen, also in etwa fünf Personenjahre, produziert somit zwischen 10.000 und 50.000 Codezeilen. Um das einzuordnen, muss man einen Blick auf die stark wachsenden Programmgrößen werfen. Die Weltraummission Space Shuttle benötigte im Jahr 1981 Software von rund 400.000 Codezeilen. Ein heutiges Android-Smartphone wird von rund 14 Millionen Programmzeilen zum Leben erweckt, hinter Facebook stecken mehr als 60 Millionen Codezeilen, die komplexe Funktionalität der Google-Dienste benötigt insgesamt mehr als 2 Milliarden Programmzeilen.

Die Diskrepanz zwischen dem notwendigen Aufwand einerseits und den stark wachsenden Programmgrößen andererseits verdeutlicht die immense Lücke bei der Softwareentwicklung. Die Entwicklung von Software wird sich daher als der größte Flaschenhals beim technischen Fortschritt in den 2020/30er Jahren herausstellen.

Zwei Drittel für die Zukunft ungeeignet

Rund zwei Drittel der heute in der Wirtschaft eingesetzten Software ist für den Eintritt in die 2030er Jahre nicht geeignet, wenn sie nicht gravierenden Änderungen unterzogen wird. Manchmal genügt es im ersten Schritt, einer alten Anwendung eine neue Benutzeroberfläche zu verschaffen, damit sie vom Verbraucher als modern empfunden wird. Aber auf Dauer ist es unumgänglich, die Hintergrundsysteme fit für die Zukunft zu machen. Dazu wird in den 2030ern zweifelsohne der Einsatz von Künstlicher Intelligenz (KI) gehören. So lässt sich durch die verstärkte Integration von KI-Technologien die Flexibilität und damit die Wettbewerbsfähigkeit von Unternehmen massiv erhöhen. KI kann zu deutlich zuverlässigeren Datenanalysen und signifikant besseren Prognosen führen. Nachfrage, Absatzerwartungen, Produktionsmengen und Ressourcen können mittels KI-Software deutlich präziser gesteuert werden als mit althergebrachten Warenwirtschaftssystemen.


Es wird selbst für Konzerne mit großen IT-Abteilungen zusehends schwieriger, die Vielzahl der Trends bei der Softwareentwicklung zu beherrschen. Die Unternehmen sollten sich zügig externe Programmierkapazitäten sichern, um der wachsenden Bedeutung für ihre Wettbewerbsfähigkeit Rechnung zu tragen.


Personal-IT wie vor 20 Jahren

Dringender Handlungsbedarf besteht auch bei Software für das Personalmanagement. Die meisten Unternehmen wissen praktisch nichts von ihren Beschäftigten, weil die Personalakten im Computer noch wie die Aktenordner vor 20 Jahren einfach nur aufbewahrt werden. Viele Unternehmen kennen nicht einmal die Schwerpunkte und Lücken ihres Personals und haben daher auch kaum eine Ahnung, welche Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen erforderlich sind. HR-Analytics ist daher das Gebot der nächsten Jahre, um die Leistungsfähigkeit und die Kompetenzen des Personals einschätzen zu können.

Letztendlich gilt über alle Branchen und alle Unternehmensbereiche hinweg: Firmen, die zu wenig in Software investieren, werden den Anschluss an die Zukunft verlieren.

Weitere Informationen unter:
https://www.beech.it/de


Über den Interviewpartner

Der Softwareunternehmer Edward Lenssen ist CEO der niederländischen Firma Beech IT, die auf die Erstellung hochkomplexer Softwaresysteme, Websites und Apps spezialisiert ist. Seit 2021 gehört er dem Business Control Committee (BCC) der Typo3 Association an.