Handel mit Zukunft

Tausende Unternehmen stehen ab 2023 in der Pflicht, ein ESG-Reporting zu generieren.

Der globale Handel von morgen muss lean, clean und green werden, sonst wird es schwierig für unsere Welt. In diesem Kontext treibt auch der Trend zu mehr Nachhaltigkeit den Einzelhandel, den Onlinehandel und die Konsumgüterindustrie vor sich her. Sicherlich heizen momentan in unserer westlichen Welt die Verbraucher:innen diesen Wandel an, indem sie verstärkt Wert auf nachhaltige Produkte legen. Ziel für den Handel und die Hersteller sollte es sein, diese Nachfragen in ihr unternehmerisches Handeln mit einzubeziehen.

Shopping der Zukunft:
Die digitale Transformation ist
der wichtigste Trend
im Einzelhandel.

Die größte Herausforderung, die von der Branche gemeistert werden muss, ist dabei die Nachhaltigkeit und die Wettbewerbsfähigkeit unter einen Hut zu bringen. Der Handel hat die anspruchsvolle Aufgabe, mehr Transparenz in die Lieferkette zu bringen und Nachhaltigkeit im eigenen Lieferanten- und Vertriebsnetz sichtbar und messbar zu gestalten. In diesem Kontext hat der Bundestag im Juni 2021, den Gesetzentwurf der Bundesregierung über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten angenommen. Wie die Bundesregierung schreibt, würden im Handel und der Produktion regelmäßig grundlegende Menschenrechte verletzt und die Umwelt zerstört. Mit dem verabschiedeten „Gesetzentwurf über die unternehmerischen Sorgfaltspflichten in Lieferketten“, dem Lieferkettensorgfaltspflichtgesetz (LkSG), will sie deutsche Unternehmen deshalb verpflichten, ihrer globalen Verantwortung für die Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards besser nachzukommen.

„Nachhaltigkeit und Digita­lisie­rung ist die richtige Formel für mehr Resilienz.“

Das Gesetzgebungsverfahren ist somit nun formal abgeschlossen und das LkSG wird am 1. Januar 2023 in Kraft treten. Ab dann zunächst für Unternehmen mit mehr als 3 000 Mitarbeitenden – das betrifft rund 900 Unternehmen in Deutschland. Ab 2024 für Unternehmen mit mehr als 1 000 Mitarbeitenden – das betrifft rund 4 800 Unternehmen in Deutschland. Zeitgleich arbeitet die EU an einem umfangreicheren Lieferkettengesetz.

Deutschland muss in dem Fall mit hoher Wahrscheinlichkeit das 2021 verabschiedete Lieferketten sorgfaltspflichtgesetz anpassen. „Der Anwendungskreis für die EU-Richtlinie wird größer sein als der des LkSG, da für EU-Unternehmen der Anwendungsbereich bei mehr als 500 Beschäftigten und einem weltweit erwirtschafteten Nettoumsatz von 150 Mio. EUR liegt und bei Unternehmen aus Risikosektoren sogar nur bei mehr als 250 Beschäftigten und einem weltweit erzielten Nettoumsatz von 40 Mio. EUR. Es werden sich also deutlich mehr Unternehmen mit ihrer Lieferkette unter ESG-Gesichtspunkten auseinandersetzen müssen“, berichtet Benjamin Lüders von Ernst & Young, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Benjamin Lüders im Interview
Regulatorischer Druck oder Wertetransformation?
Benjamin Lüders von Ernst & Young

Laut Lüders soll­ten sich Unternehmen frühzeitig mit dem Richtlinienentwurf auseinandersetzen und ähnlich wie beim LkSG mit allen Beteiligten die Herausforderung angehen. „Es macht auch Sinn, schon heute bei der Diskussion des LkSG skalierbare Lösungen im Sinne der EU-Richtlinie zumindest mit ins Auge zu fassen“, erklärt Benjamin Lüders.
Für das Jahr 2022 müssen viele in der EU ansässige Unternehmen offenlegen, wie sich ihre Wirtschaftsaktivitäten auf Umwelt, Sozialwesen und Unternehmensführung auswirken. Viele Tausend weitere Unternehmen stehen ab 2023 zusätzlich in der Pflicht, ein ESG-Reporting zu generieren, auch weil sich die Anforderungen mit der Überarbeitung der Non-Financal Reporting Directive (NFRD) zur Corporate Sustainibility Reporting Directive (CSRD) ändern.

„Durch aktuelle regulatorische Entwicklungen – neben dem LkSG sind hier auch die CSRD und die EU-Taxonomie zu nennen – steht das Thema Nachhaltigkeit seit einiger Zeit stark im Fokus. ESG-Themen werden durch die gesetzlichen Erfordernisse zukünftig strukturierter und transparenter bearbeitet und berichtet werden. Das führt zu aktivem Wandel“, verdeutlicht Benjamin Lüders. Die ESG-Kriterien und die von ihnen abgeleiteten KPIs (Key Performance Indicators) stellen im Fi­nanz­bereich gleichzeitig Anlagekriterien dar, die von Investoren berücksichtigt werden, um ein möglichst nachhaltiges Investment zu garantieren. Nachhaltigkeit gehört also künftig zum Standard beim Reporting und bei der Finanzierung. Unternehmen sollten sich in diesem Kontext mit ESG-Software auseinandersetzen, denn ohne die passende Corporate-Performance-Management-Lösung und ohne die EU-Taxonomie in ERP-Systemen zu implementieren, steigt das Risiko Geschäftspartner und Aktionäre zu ver­lieren sowie Strafen zu riskieren. „Denn Nachhaltigkeitsrisiken sind keine Randaspekte mehr“, betont Benjamin Lüders.


Lieferkette: permanente Disruptionen

Inflation, Lieferengpässe, Gasnotstand:
74 Prozent der befragten Unternehmen sagen, dass ihre Lieferketten auf Dauer gestört sind.
Quelle: Disruption der Lieferketten: FTI Resilience Barometer 2022Shopping


Am Rande notiert:
Subscription-Geschäftsmodelle

Nachhaltigkeit und damit eine Reduzierung
der eingesetzten Ressourcen stehen häufig
im Widerspruch zu den angestrebten Wachstumszielen.
Neugeschäft und Serviceleistungen bauen meist auf
dem Verschleiß und Ausfall der Maschinen und Anlagen auf.
Mehr Verschleiß bedeutet somit mehr Umsatz.
Hier bedarf es ein Umdenken, einen neuen Geschäftsmodellansatz.
Warum Subscription-Geschäftsmodelle hier ein Weg
in eine grünere Zukunft sind, beschreiben die Experten
vom Institut FIR an der RWTH Aachen
in Ihrem Gastbeitrag unter:
https://www.trendreport.de/wachstum-durch-reduzierung/
 

„Nachhaltigkeit und Digitalisierung“, das ist die richtige Formel für den Handel der Zukunft. Ob ESG-Kriterien und Reporting oder das LkSG, das alles kann mit der Blockchain-Technologie in Zukunft viel digitaler und nachhaltiger gelöst werden. Carrefour z.B. nutzt schon seit 2018 die Blockchain-Techno­logie, um Kunden und Kundinnen zu ermöglichen, über einen QR-Code Butter, Fleisch und Gemüseproduktion vom Erzeuger bis zum Supermarkt zu verfolgen. Der Code zeigt auf, wo und wann Lebensmittel geerntet und sogar, ob diese mit Pflanzenschutzmitteln behandelt sind.

Retailer aus der Textilindustrie können nun auch auf Blockchain-basierte Sicherheit und Transparenz zugreifen. Das Düsseldorfer Start-up Retraced bietet für Marken und sowie Endkonsumenten und Endkonsumentinnen eine digitale Lösung basierend auf der Blockchain-Technologie an, um Lieferkettendetails zu kommunizieren und Nachhaltigkeitsbemühungen von Marken und Händlern zu überprüfen.

Die digitale Transformation ist der wichtigste Trend im Einzelhandel, der durch die Pandemie, Krieg und Energieknappheit immer mehr in den Fokus rückt. Viele Händler mussten schmerzlich erkennen, wie handlungsunfähig sie während des Lockdowns aufgrund fehlender Onlinekanäle und digitaler Strategien waren. Dabei werden heute bereits über Social Media sogar komplette Verkaufsevents inklusive Beratung live gestreamt. Deutsche Einzelhändler und die verantwortlichen für den Netzausbau sollten sich bei diesem Thema ein Beispiel an China nehmen. „In China ist das Morgen im Handel – das neue Einkaufserlebnis – schon heute zu sehen“, schreibt Dr. Gerd Wolfram in seiner Shoppingstory auf trendreport.de.


Unsere Reportage-Teilnehmer im Interview

Virtual Production   Wissen was der Kunde morgen will
 
Holger Berthues von Laudert   Andreas Hoogendijk und Emanuel Hoch (v.l.) von Compado

Am Rand notiert:
Social-Media-Automatisierung
Dos and Don’ts der Social-Media-Automatisierung:
Soziale Netzwerke sind beliebter als je zuvor,
doch die Social-Media-Welt ist im stetigen Wandel.
Immer wieder stellen neue Netzwerke die Unternehmens-
kommunikation vor die Herausforderung, auf vielen Kanälen
parallel zu kommunizieren. Social-Media-Automatisierung
kann helfen, den Aufwand zu minimieren.
Doch es gibt Regeln, die man dabei unbedingt beachten sollte.
https://www.trendreport.de/social-media-automatisierung
 
Shoppen in China
Digitalisierung ermöglicht viele neue Einkaufserlebnisse.
Im chinesischen Handel ist die Digitalisierung
weit vorangeschritten. Digitales Einkaufen besteht
nicht nur aus Zahlungsmitteln,
sondern ist auch ein neuer Lebensstil.
„In China ist das Morgen im Handel
– das neue Einkaufserlebnis –
schon heute zu sehen“, schreibt Dr. Gerd Wolfram
in seiner Shopping Story unter:
https://www.trendreport.de/einkaufserlebnis-in-china

Chinas Digitalwelt bildet die Basis für das digitale Einkaufserlebnis. Die stark ausgebaute digitale Infrastruktur mit Internetanschlüssen und dem Ausbau des 5G-Netzes machen ein digitales Leben komfortabel. Staatliche, wie auch lokale Behörden sind stark digitalisiert. Nicht umsonst hat China knapp eine Milliarde Inter­net­nut­zer:innen und über eine Milliarde Smartphone-Nutzer:innen. Zusätzlich ist der flächendeckende Einsatz von Schlüsseltechnologien mitverantwortlich für das digitale Einkaufserlebnis: künstliche Intelligenz, Social Media, Videokommunikation, Electronic Payment und Robotik. In China wurden bis Ende 2021 52,1 Prozent aller Einzelhandelsumsätze online abgewickelt. Das ist eine Steigerung von 7,3 Prozent gegenüber 2020.

Da man Datenschutz in China kaum kennt, haben deutsche Händler im Gegensatz dazu beim Onlinemarke­ting viel zu beachten und zu tun. Das Internet befindet sich im Umbruch: Chrome, der meist verbreitete Browser, verbannt 2024 endlich Third-Party-Cookies. Cookies wurden bisher zur Nutzer:innenwiedererkennung ver­wendet. Es war bspw. möglich, auszulesen, auf welchen Webseiten ein:e Nutzer:in vorher war. Diese Möglichkeit gibt es bald nicht mehr: ohne Cookies keine Nutzer:in­nen­wieder­er­kennung. Ferner gewinnt Privacy rasant an Bedeutung. Endgeräte verbieten zunehmend das Tracking und neue Gesetze steuern in Richtung Stärkung der Privatsphäre.

Vor diesem Hintergrund erklärt uns Andreas Hoogendijk von Compado: „Contextual Advertising, also kontextbezogene Werbung, ist die Werbung der Zukunft. Eine Werbung, die Privatsphäre unterstützt; denn die Werbung basiert darauf, was der Nutzer sieht; nicht darauf, was man über den Nutzer weiß. Für den Nutzer ist das positiv: thematisch passende Werbung, von vertrauenswürdigen Marken, bei maximalem Schutz der Privatsphäre.“

Gerade Medienhäuser haben es sich zuletzt zur Gewohnheit gemacht, mithilfe von Third-Party-Cookie-Werbelösungen Geld zu verdienen. Andreas Hoogendijk ergänzt dazu: „Medienhäuser sollten sich Contextual-Advertising-Partner suchen oder selber wieder näher mit inhaltsnahen Anzei­genkunden zusammenarbeiten. Die Verbesserung der Nutzererfahrung, kombiniert mit der richtigen Technologie, wird dabei helfen, die anstehenden Umbrüche zu meistern.“

Innovative digitale Technologien helfen heute bereits der Umwelt und dem Handel beim Marketing Kosten einzusparen. „Virtual Production“ beschreibt zum Beispiel die Integration eines Studiosets in eine 3D-Szene in Echtzeit. Ein reales Model oder Produkt wird live mit einer virtuellen Szene zusammengeführt, woraus Produktbilder und Produktpräsentationen entstehen.

„Rein als Substitut für die Location-Fotografie betrachtet, werden durch die Virtual Production bereits zahlreiche Vorteile in den Bereichen der Flexibilität, Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit – je nach Projekt – spürbar. Shootings sind komplett wetter- und jahreszeitunabhängig möglich. Logistik und Transportaufwände werden minimiert – was auch eine Kostenreduktion sowie eine Reduktion des CO2-Ausstoßes bedeutet“, berichtet Holger Berthues von Laudert. Der Spezialist für Marken- und Produktkommunikation ergänzt abschließend: „Wir sind davon überzeugt, dass die Virtual Production einen sehr großen Teil der Location-Fotografie in kürzester Zeit ablösen wird“.

von Bernhard Haselbauer