Goldrausch im Metaversum

Zeit, seine Claims abzustecken? Dieser Frage geht Markus Birke in seinem Gastbeitrag für uns nach.

Spätestens seit Mark Zuckerberg den Facebook-Konzern in „Meta“ umbenannt hat, ist ein wahrer Hype rund um das Metaverse oder Hochdeutsch „Metaversum“ entstanden. Mit Zuckerberg hat das Metaversum dann auch gleich seinen prominentesten Fürsprecher. Wenn einen allerdings die Peinlichkeit Zuckerbergs eigener Auftritte in einer Art Frühform des von ihm propagierten Metaversums nicht schon an dem Hype zweifeln lassen, könnten dies die Kritiker und Zyniker erledigen, die jeder Hype auf den Plan ruft. Was also ist dran am Hype und wie können PR- und Marketingbranche ihn nutzen?

Wovon reden wir

Es ist zunächst einmal gar nicht so einfach, sich darauf zu verständigen, was das Metaversum ist oder besser gesagt sein soll. Mir gefällt die Definition von Frank Steinicke, Professor für Human-Computer Interaction an der Universität Hamburg, weil sie so schön „down to earth“ ist. Für seinen Artikel auf t3n hat Matthias Kreienbrink mit dem Professor gesprochen: „Ich verstehe unter dem Metaverse einen virtuellen Raum, der konsistent und persistent ist“, sagt er. Also eine große, zusammenhängende Welt, die zwar aus mehreren Teilen bestehen mag, es aber erlaubt, diese Teile ohne Einschränkungen zu betreten und zwischen ihnen zu wechseln – eben konsistent ist. Diese Welt darf jedoch nicht nur Bestand haben, während die Nutzer:innen eingeloggt sind. Sie lebt fort, unabhängig davon, wer mit ihr interagiert – ist also persistent. „Die Idee des Metaverse ist, dass all die digitalen und webbasierten Anwendungen und Plattformen zusammenwachsen. Games, Handel, Social Media, virtuelle Realität”, sagt Steinicke.

(Virtual) Reality Check – Second Life

Ein solches Metaversum besteht offenbar noch nicht. Aktuell bestehen lediglich die „digitalen und webbasierten Anwendungen und Plattformen“ – und das zum Teil schon recht lange. Darüber hinaus haben sich schon Millionen Menschen in diesen Vorstufen des Metaversums aufgehalten ohne sich dessen bewusst zu sein. Doch dazu später mehr. Zunächst lohnt ein Blick zurück ins Jahr 2003. Damals ging Second Life online und sorgte für einen ähnlichen Hype wie heute das Metaversum. Second Life ist eine virtuelle Welt, in der Menschen durch Avatare interagieren, spielen, Handel betreiben und anderweitig kommunizieren können. Schnell versuchten damals kleine und große Marken, auf den Hype zu reagieren und in Second Life aktiv zu werden. Sie waren z.B. mit Werbung und/oder Filialen in der virtuellen Welt vertreten. Nicht wenige Auguren sahen damals voraus, dass eine Präsenz in Second Life für das Überleben einer Marke ausschlaggebend sein könnte. Allerdings verschwand Second Life dann relativ schnell in der medialen Versenkung und wird seitdem von vielen nur noch als Musterbeispiel eines überhypten Flops benutzt.

Allerdings handelt es sich um einen wirtschaftlich sehr erfolgreichen Flop. So konnte die virtuelle Welt 2021 ein Bruttosozialprodukt von 600 Millionen US-Dollar vorweisen. Täglich betreten etwa 200.000 Menschen aus rund 200 Ländern die virtuelle Welt. Aktuell verfügen ca. 70 Millionen Menschen über ein Second Life-Konto und monatlich kommen ungefähr 350.000 neue Konten hinzu. Das ist im globalen Maßstab nicht enorm, kann aber letztlich doch nicht als Flop betrachtet werden. Für einige Menschen ist Second Life zu einem wichtigen Teil ihres Lebens geworden. So berichtet die Tageszeitung Algemeen Dagblad von einer niederländischen Frau, die seit 15 Jahren eine Second Life-Beziehung mit einem Schotten pflegt, den sie in der realen Welt nie getroffen hat.

In den Sand gesetzt

Dem Ansatz von Second Life entsprechen am ehesten die beiden neueren virtuellen Welten Decentraland und The Sandbox. In beiden Welten besteht die wichtigste wirtschaftliche Aktivität aktuell im Handel mit Grundstücken. Die Anzahl verfügbarer Parzellen ist streng limitiert und es werden zuweilen horrende Summen für Grundstücke bezahlt. Ähnlich wie in den frühen Jahren von Second Life haben sich bereits große Marken in Decentraland und The Sandbox eingekauft. So hat JP Morgan eine Filiale in Decentraland eröffnet, das Auktionshaus Sotheby’s ist mit einer Galerie vertreten und der Elektronikhersteller Samsung organisiert Veranstaltungen, um seine neuesten Produkte zu bewerben. Gut angelegtes Geld? Das darf bei durchschnittlich rund 2000 Menschen, die gleichzeitig in Decentraland unterwegs sind, bezweifelt werden. Da scheint noch viel Phantasie über die künftige Entwicklung dieser Metaversen im Spiel zu sein, um es im Börsensprech auszudrücken, oder FOMO (The Fear of Missing out).

Erfolgreich im Metaversum

Auf der Suche nach erfolgreichen PR- und Marketingaktivitäten wird man eher in virtuellen Welten fündig, die nicht originär als Metaversum gedacht waren, vor allem in der Gaming-Welt. Ein besonders beeindruckendes Beispiel stammt von der Fast-Food-Kette Wendy’s, die mit einer wahrhaften Guerilla-Taktik in Fortnite für Furore gesorgt hat. Andere Marken versuchten, den enormen Erfolg von Fortnite vor allem auf der Streaming-Plattform Twitch für sich zu nutzen, indem sie Fortnite-Gamer via Social Media adressierten oder viel Geld für Sponsorship in Fortnite bezahlten.

Wendy’s hingegen mischte sich in einen von Fortnite organisierten „Food Fight“ zwischen den Teams „Pizza“ und „Burger“ ein. Wendy’s machte sich die Tatsache zunutze, dass Team Burger sein Fleisch in Tiefkühlschränken aufbewahrte. Wendy’s zeigt sich stolz darauf, nur frisches Fleisch zu verkaufen. Also kreierte Wendy’s einen eigenen Avatar für den Food Fight. Dieser zog jedoch nicht gegen andere Avatare zu Felde, sondern richtete sich stundenlang einzig und allein auf die Zerstörung der Tiefkühlschränke. Begleitet von Kommunikation über Social Media sorgte diese Aktion für Aufsehen unter anderen Gamern. Viele Gamer schlossen sich gar dem Kampf gegen die Tiefkühlschränke an und auf Social Media herrschte helle Aufregung. Das Unternehmen konnte eine Steigerung der Wendy’s-Namensnennung auf Social Media um 119 Prozent verbuchen und schaffte es mit dieser Aktion auch in die traditionellen Medien. Fortnite entfernte schließlich die Tiefkühlschränke aus dem Spiel – ein netter Nebeneffekt.

Erfolgsrezept

Eine wesentliche Voraussetzung für den großen Effekt, den Wendy’s mit geringem Aufwand erreichen konnte, ist die enorme Popularität von Fortnite, es halten sich einfach hunderttausendfach mehr Menschen in Fortnite auf als in Decentraland. Und aktuell bieten Games und andere Online-Welten Unternehmen sicherlich viel bessere Möglichkeiten für smartes Marketing als Welten, die dezidiert als Metaversum gegründet wurden. Das gilt selbst für weniger smarte Kampagnen, die mehr Mittel erfordern.

Für einen Fahrradhersteller beispielsweise ergibt es Sinn, sich auf Plattformen wie Zwift zu engagieren, wo sich täglich abertausende von Radsportlern in verschiedenen virtuellen Welt treffen, um zu trainieren. Nicht nur erreicht er hier mehr Menschen als etwa in Decentraland, er adressiert auch genau seine Zielgruppe.

Kommt das Metaversum?

Es bieten sich PR- und Marketingtreibenden zahlreiche Möglichkeiten, in virtuellen Welten erfolgreich zu sein, die mit ihrer Nutzung von 3D-Technologien, einem immersiven, interaktiven Erlebnis und der von Professor Steinicke genannten Persistenz dem von Zuckerberg propagierten Zukunftsversprechen ähnlich genug sind um als Metaversum durchzugehen. Die Möglichkeiten in den diversen Metaversen zu nutzen, ist übrigens in den meisten Fällen technisch alles andere als trivial. Darum hat beispielsweise das Agentur-Netzwerk WPP eine Partnerschaft mit Epic Games gestartet, dem Unternehmen hinter Fortnite und der Unreal Engine. Die Partnerschaft umfasst ein neues Schulungsprogramm, das Tausende von WPP-Kreativen und -Technikern lehrt, wie man in Fortnite Markenerlebnisse schafft und wie man die Unreal Engine für Echtzeit-3D-Erstellung und virtuelle Produktion nutzt.

Nach dem Gesagten kann die Frage, ob die „digitalen und webbasierten Anwendungen und Plattformen“ aus dem Zitat von Professor Steinicke jemals zusammenwachsen werden, als beinahe rein akademische betrachtet werden. Trotzdem sei ein kurzer Antwortversuch gestattet. Selbst abgesehen von zahlreichen technischen Problemen der Interoperabilität, die einem einheitlichen Metaversum im Wege stehen, ist es unwahrscheinlich, dass Zuckerbergs feuchter Traum Realität wird. Schließlich betreten Menschen die bereits existierenden virtuellen Welten zu einem klar definierten Zweck. Sie wollen beispielsweise Zombies killen oder ihre anaerobe Schwelle anheben. Der Anreiz, eine virtuelle Welt zu betreten, nur um dort zu sein und sich von Unternehmen Produkte verkaufen zu lassen, die man auch in der realen Welt nicht braucht, ist hingegen sehr gering. Zudem wissen die Betreiber der verschiedenen virtuellen Welten sehr gut, dass sie auf einer Goldmine sitzen. Ihre Motivation, sich einem einzigen Metaversum anzuschließen, das durch nur ein Unternehmen kontrolliert wird, geht gegen Null. Auch die Begeisterung der Verbraucher, sich in der virtuellen Welt dem Diktat nur eines Unternehmens zu unterwerfen, sollte gering sein.

Über den Autor:

Dr. Marcus Birke ist ein international erfahrener PR-Berater. Seit über 20 Jahren arbeitet er für AxiCom. Der promovierte Philosoph entwirft, leitet und realisiert Kommunikationskampagnen vorwiegend für Technologieunternehmen. Das Unternehmen ist eine auf Technologiethemen spezialisierte internationale B2B- und B2C-Kommunikationsagentur. Seit 1994 agiert sie am Puls der Zeit und hat geholfen, viele neue Technologien zu etablieren, vom Thin Client über Virtualisierung bis zu Cloud Computing


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