Digitalisierung ist mehr als pure Effizienzsteigerung
Wir sprachen mit Herrn Dr. Wenzel und Herrn Dr. Schulz, beide Geschäftsführer von 3DSE Management Consultants, über die Digitalisierung in Forschung und Entwicklung. Wichtig, so betonen beide, ist es, zu verstehen, dass Digitalisierung nicht bedeutet, pure Effizienzsteigerung zu betreiben. Vielmehr ginge es darum, neue Services in Produkte zu integrieren und dies schon direkt beim Produktkonzept zu bedenken. Diese neuen Services verlangen nach einem neuen Verständnis der Digitalisierung und einer entsprechenden Integration im Produktentwicklungsprozess. Die Digitalisierung der Produktion ist also Voraussetzung für die Digitalisierung im Produkt.
Herr Dr. Wenzel, welche typischen Fehler machen Unternehmen bei der Entwicklung im Kontext der Digitalisierung?
Der erste und größte Fehler besteht darin, Digitalisierung als reines Effizienzthema zu betrachten. Wer lediglich die Entwicklungsprozesse automatisiert, um dadurch Geld zu sparen und die Profitabilität zu steigern, der vergisst den Kern der Digitalisierung. Neue disruptive Geschäftsmodelle können das ganze Spiel verändern. Sie kennen vielleicht den Begriff „Innovators Dilemma“: Führende Unternehmen scheitern teilweise daran, dass sie das, was sie machen, richtig gut machen. Sie achten zu sehr auf Effizienzsteigerung und vergessen dabei das Marktumfeld auf der Geschäftsmodellebene. Der zweite typische Fehler ist, dass Unternehmen in der Entwicklung entweder sehr operativ getrieben sind oder total strategischen Visionen hinterherlaufen und keine Taktik entwickeln, mit der sie Digitalisierung erfolgreich umsetzen können. Das führt dann manchmal zu „Dream-on“-Themen, also nicht umsetzbaren Visionen, da die Sprünge viel zu groß sind. Taktik heißt z.B., man identifiziert Zwischenschritte bei denen die notwendige Kompetenz vorhanden ist. Schritte, auf die man Einfluss nehmen kann, mit denen man lernen kann, um dann erst den nächsten Schritt zu gehen. Der dritte typische Fehler besteht darin, Digitalisierung als rein methodisches, toolgestütztes Thema zu betrachten. Dabei werden die Aspekte, die wir unter dem Stichwort Strategie und Innovation besprochen haben – wie Kultur, Change-Management und Leadership – einfach vergessen oder nicht hoch genug priorisiert.
Wie helfen Sie Unternehmen, Entwicklungsrisiken zu vermeiden bzw. früh genug zu erkennen?
Zunächst definieren wir mit den Unternehmen gemeinsam einen Nordstern, also einen Fix- oder Orientierungspunkt, zu dem die Reise hingehen soll. Dann erarbeiten wir die kritischen Erfolgsfaktoren und Stellhebel für die Unternehmen sowie „Frühindikatoren“, an denen wir später feststellen, ob wir noch auf dem richtigen Weg sind. Wir nennen das den „inneren Kompass“ – die Menschen müssen spüren, ob sie noch auf dem richtigen Weg sind, oder nicht. Das müssen keine harten Kennzahlen sein, sondern können durchaus qualitative Kenngrößen sein. Dann erarbeiten wir mit dem Kunden die strategischen Stoßrichtungen, die alle relevanten Veränderungsbereiche berücksichtigen. Das sind in der Regel drei bis sechs Stoßrichtungen, über die wir die Veränderung einläuten können. Des Weiteren erarbeiten wir mit dem Kunden eine stimmige Roadmap. Stimmig heißt, basierend auf den Fragestellungen: „Was kann das Unternehmen? Wo steht das Unternehmen? Was sind die Einstiegsthemen? Was ist die mittelfristig mögliche Ziellösung? Und was ist die Vision, auf die wir langfristig zusteuern?“ Darüber hinaus bieten wir Best-Practice-Austausch – Unternehmen lernen, was andere machen. In Zukunft werden wir ein Lab aufbauen, in dem Mittelständler die Möglichkeit haben, in einem horizontalen Netzwerk Produkte zu entwickeln und wir geben ihnen eine passende Entwicklungsmethodik dazu.
Herr Dr. Schulz, was bedeutet für Sie die agile Produktentwicklung?
Vor allem Risikominimierung, die man im Wesentlichen durch drei Ansatzpunkte erreichen kann.
Erstens: Durch eine agile Produktentwicklung kann sehr flexibel auf kurzfristigen Marktbedarf in hoher Geschwindigkeit reagiert werden. Man muss nicht drei, vier Jahre warten, bis man eine Lösung für ein Kundenbedürfnis hat. Der zweite wesentliche Ansatzpunkt besteht darin, neue Features quasi „testweise“ in den Markt zu bringen und zu lernen, ob beim Kunden ein Bedarf besteht und wie diese Features angenommen werden. Über die Datenrückführung und die damit verbundenen Insights über den Kunden und sein Nutzungsverhalten wird eine solche nachgeschobene Funktionalität in kurzen Zyklen verbessert. Dies ist vollkommen konträr zur bisherigen Praxis mit langen und frühen Konzeptphasen und sehr viel Planung zum Zweck einer komplett ausentwickelten Funktionalität. Dafür besteht nicht mehr das große Risiko, dass man nach langer Vorlaufzeit erst spät erkennt, etwas entwickelt zu haben, was der Kunde gar nicht haben wollte.
Der dritte Ansatzpunkt sorgt dafür, dass man in sehr kurzen Iterationen arbeitet, an deren Ende man immer wieder anhand eines – in der Fachsprache sogenannten – „working prototypes“ versucht, den kompletten Funktionsumfang auslieferungsfähig zu erzeugen. In allen drei Ansatzpunkten ist die entscheidende Voraussetzung, von monolithischen Produkten wegzugehen und stärker zu modularisieren und in Features zu denken.
Herr Dr. Wenzel, welche Bedeutung hat in Zukunft die künstliche Intelligenz im Innovationsprozess?
Ich glaube, sie hat einen sehr hohen Einfluss. Hierzu möchte ich auf zwei sehr interessante Aspekte eingehen: Wir sind uns sicher, dass schlaue Computer in vielen Unternehmen Arbeiten übernehmen werden, die bisher Menschen und Ingenieure gemacht haben. Dabei meine ich nicht nur banale Aufgaben, sondern beispielsweise auch Bots, die Antworten auf Kunden und Lieferanteanfragen geben. Mittlerweile gibt es schon Programme, die Teile von Produkten entwerfen oder ganze Produkte auslegen können. Stichwort: generative design. Ein Kotflügel kann so von einem Computer gestaltet werden. Vielleicht brauchen wir in Zukunft keine Controller mehr in der Entwicklung – das können Computer irgendwann sicher auch. Sie werden wahrscheinlich sogar den Budget- und Ressourcenfluss besser managen können als einzelne Menschen.
Wir werden Sprachcomputer, wie wir sie heute im Smartphone mit Siri oder zu Hause mit Alexa haben, auch in der Entwicklung sehen. Das wird Meetings verändern, da man Fragen an den Computer stellen kann und direkt im Meeting Antworten parat hat. Man wird Termine und Schnittstellen, auch technische, über den Computer organisieren können.
Der zweite Aspekt: Natürlich wird KI dazu genutzt werden, das Kundenverhalten zu prognostizieren, wie wir es auch von Google kennen. Bei der Entwicklung neuer Produkte wird das immer wichtiger werden.
Worauf müssen Unternehmen in diesem Kontext achten?
Zunächst benötigen sie die Kompetenz, solche Technologien und ihren Nutzen einzuschätzen. Es gilt jetzt, die Begriffe KI, AI, Machine Leraning, Deep Leraning, etc. nicht mit Träumereien, Dream-Ons, zu belegen, sondern harte Kompetenzen aufzubauen und zu lernen. Diese Themen müssen jetzt im Unternehmen etabliert werden. Des Weiteren benötigt KI Daten, aus denen sie lernen kann – gerade beim Thema Kundenverhalten. Das heißt, ich brauche eine Entwicklungsumgebung, eine Cloud, worin ich die Daten sammle und ich benötige Experten, die die Algorithmen entwickeln um gute Ableitungen zu treffen.
Außerdem müssen Unternehmen darauf achten, überhaupt die Kundenschnittstelle zu besetzen und das nicht einem Smartphone zu überlassen. Um User-Nutzerdaten überhaupt generieren zu können, reicht es nicht, nur zum Googlen zu animieren.
Welche Rolle wird Augmented Reality in Zukunft im Product Lifecycle einnehmen?
AR bzw. die computergestützte Erweiterung der Realität wird heute schon in der Entwicklung eingesetzt. Sie ermöglicht einen Wissenstransfer. Im Prinzip hängen dabei an Prototypen oder Fahrzeugen virtuelle Informationen, die dem Entwickler helfen, schnell zu wissen, was sich hinter dem Produkt versteckt. Vergleichbares gilt auch für den Service. Darüber hinaus können wir AR für den Test von Produkten nutzen und durch sie den Kunden leichter einbinden – Produkte frühzeitig zu verifizieren und zu bewerten..
Herr Dr. Schulz, wie schafft man es, eine gemeinsame Entwicklung mit unterschiedlichen Projektpartnern und mit deren unterschiedlichen Zielen erfolgreich aufzusetzen?
Man muss von den häufig eher „vertikal“ geprägten Beziehungen zwischen Kunden und Lieferanten wegkommen und versuchen, eine gemeinsame Perspektive für alle Beteiligten zu schaffen. Alle benötigen in irgendeiner Art und Weise einen Mehrwert aus dieser Kooperation bzw. den Ergebnissen, wobei die Mehrwerte der Partner sich durchaus unterscheiden dürfen. Wir glauben, dass sich die Zusammenarbeitsverhältnisse zukünftig stark verschieben werden, weg von den klassischen OEM-Lieferantenbeziehungen hin zu partnerschaftlichen Beziehungen. Zum einen lassen sich durch partnerschaftliche Beziehungen die notwendigen Investitionen besser schultern, zum anderen ist nur noch auf diese Weise der Zugang zu bestimmten Schlüsseltechnologien möglich, da Unternehmen, die diese Schlüsseltechnologien besitzen, sehr wohl um ihren Wert wissen und nicht mehr bereit sind, sich in eine klassische Lieferantenbeziehung zu begeben.
Was müssen deutsche Hightech-Unternehmen machen, um ihren Forschungsvorsprung nachhaltig zu festigen?
Zunächst müssen sie aus den eben genannten Gründen stärker in Netzwerken und Kooperationen denken. Der zweite wichtige Punkt ist die Bereitschaft, in „Erkenntnisgewinn“ zu investieren – also die Bereitschaft Dinge zu testen und zu akzeptieren, dass dabei möglicherweise Investitionen verloren gehen, aber dadurch Klarheit entsteht, dass diese Richtung nicht die richtige ist. Sie müssen bereit sein, entsprechende Ausdauer zu haben und nicht auf kurzfristige Erfolge zu hoffen. Zudem müssen Unternehmen sich sehr stark selber in Frage stellen können, was ihre Abläufe und Strukturen, aber auch was ihre Produkte und Services betrifft. Das ist ein ganz wesentlicher Punkt des digitalen Mindsets, der digitalen DNA. Sie müssen immer wieder prüfen, wo Disruption entstehen und sie gefährden kann. Auf diese Felder müssen sie dann selbst gehen, also an der eigenen Disruption arbeiten. Außerdem muss man jetzt konsequent und sehr zügig in den digitalen Wandel investieren und darf nicht weiterhin in einer abwartenden Position verharren. Alles muss daran gesetzt werden, das Thema für sich selbst passend auszugestalten. Dabei ist entscheidend, sich mehrere Optionen offen zu halten und sich nicht zu früh zu eng festzulegen. Man benötigt mehrere Pfade und sollte bewusst die Erfolgsmuster anderer digitaler Spieler studieren und, wenn sinnvoll, auf sich übertragen.
Inwieweit können Sie den Technologietransfer zwischen Universitäten und Unternehmen beratend unterstützen?
Wir agieren branchenübergreifend in unterschiedlichsten Industrien und sehen woran gearbeitet wird. Wir kennen daher den Bedarf der Industrie und wissen, welche Schwierigkeiten es in der Anwendung und Umsetzung gewisser Dinge gibt. Das können wir in Richtung Universitäten zurückspiegeln. Die Universitäten erhalten so Aufschluss hinsichtlich der Umsetzungsreife und des Umsetzungsgrads gewisser Ansätze und bzgl. bestimmter Handlungsfelder der Industrie. Andersherum sehen wir in Technologie- und Forschungsinstituten an welchen Themen gearbeitet wird, was wir natürlich als Impuls an unsere Kunden weitergeben können.
Weitere Informationen unter:
www.3dse.de
3DSE hat eine Leitstudie zur Digitalisierung der F&E herausgebracht und veranstaltet dazu am Do, 13. Juli, 10:30 ein Webinar. Weitere Informationen hierzu unter: http://fue-leitstudie.de/