Digital & International
Internationalisierung im Netz
Wenn ein Start-up im Silicon Valley ein gutes Produkt entwickelt, könne es im riesigen US-Markt sofort so stark wachsen, dass es danach auch global Erfolg habe. „In Europa dagegen müsste dasselbe Start-up schon in einer frühen Phase so viele Juristen beschäftigen, die sich mit ausländischem Steuer- oder Verbraucherrecht auskennen, dass eine Internationalisierung sich kaum lohnt oder zumindest viel, viel langsamer verläuft“, erklärte der Deutsche-Bank-Chef Christian Sewing in seiner Rede auf dem diesjährigen Petersberger Sommerdialog laut Handelsblatt-Bericht vom 9. Juli 2021. Dabei spricht er sich für eine neue Wirtschaftsstrategie aus, damit Europa im internationalen Wettbewerb nicht weiter zurückfalle. Trotz der bekannten europäischen Regulierungswut und der vielfältigen Kulturen stehen für Unternehmen neue Technologien rund um künstliche Intelligenz (KI), IoT und Blockchain zur Verfügung, um neue digitale Geschäftsmodelle an den Start zu bringen. Die Digitalisierung und die digitale Transformation bilden die Grundlage, um Produkte, Services und Lösungen auf internationalem Parkett zu vertreiben.
Absatzmärkte mit neuen Kunden erschließen, strategische Wettbewerbsvorteile sichern, weniger Abhängigkeit vom deutschen Markt – die Chancen der Internationalisierung sind riesig. Digitale Technologien verändern dabei die gesamte Wertschöpfungskette sowie die Art und Weise unserer Zusammenarbeit. Durch die zunehmende Vernetzung ist das grenzüberschreitende Zusammengehörigkeitsgefühl heute so stark wie noch nie. Zum Erfolg gehört dabei auch das richtige Mindset: Neugier und Offenheit gegenüber neuen Technologien sowie anderen Kulturen sind die Grundvoraussetzung für international erfolgreich agierende Unternehmen.
Die Mittelständler, die über die inkrementellen digitalen Innovationen hinaus schon ihren digitalen Reifegrad erhöht haben, sollten in neue digitale Geschäftsmodelle investieren. Die Zeit und die technologischen Möglichkeiten waren noch nie besser.
„Open Source sorgt als
Seele für die notwendige
Offenheit und Transparenz.“
Neue Technologien
Beispielsweise ist kaum etwas digitaler und internationaler als die Blockchain. Die Technologie ist gerade dabei, einen digitalen Kulturwandel auszulösen, und hat die Macht, tradierte Intermediäre abzulösen. Dies bedeutet auch eine Veränderung in der Zusammenarbeit von Unternehmen. In globalen Lieferketten wird sich das Gefälle zwischen Mächtigen und Kleinen verringern. Unternehmen brauchen keine Angst zu haben, mit anderen zusammenzuarbeiten, weil keines mehr einen Vorteil durch die Hoheit über Daten haben wird. Blockchain-Transaktionen gehören niemandem und damit allen. Die privaten, sicherungswürdigen Informationen darin können nur von den rechtmäßigen Akteuren eingesehen werden. Smart Contracts sind offen lesbar und können nicht unabgestimmt geändert werden.
„Daher brauchen wir keine Treuhänder, häufig keine Versicherung und keine Kontrolleure für einfache, automatisierte Abmachungen. Es wird zu einem ‚vertrauenslosen‘ System, wo niemand niemandem miss- oder vertrauen muss, weil alle wissen, was passieren wird und passiert ist“, erklärte uns Gero Grebe, der bei der internationalen Digitalagentur Valtech als „Director Product Strategy“ für die Verfolgung von Trends im Bereich des digitalen Kulturwandels zuständig ist. Eventuell sind Sie schon über den neuen Begriff „DeFi“ gestolpert? Wer an Blockchain und Kryptowährungen interessiert ist, sollte den Begriff unbedingt kennen. DeFi steht für die Dezentralisierung der Finanzmärkte und wird häufig als die Zukunft der Finanzwirtschaft bezeichnet. Der Sektor ist immer noch neu und schnell wachsend, weswegen kaum zuverlässige Daten für eine Marktanalyse verfügbar sind. Genau hier lohnt es sich aber, nach neuen disruptiven Geschäftsmodellen Ausschau zu halten.
Zu den Beiträge der Reportageteilnehmer: | ||
Smartes Vertragsmanagement | Daten teilen – Geschäftschancen nutzen | Innovationen aus Tradition für Europa |
https://www.trendreport.de/smartes-vertragsmanagement | https://www.trendreport.de/daten-teilen-geschaeftschancen-nutzen | https://www.trendreport.de/innovationen-aus-tradition-fuer-europa |
Internationalisierung findet heute immer mehr im Netz statt. So stehen zum Beispiel Open-Source-Datenbestände für eine erfolgreiche Lokalisierung von Zielmärkten zur Verfügung. Die eigenen erhobenen Verkaufs- und Vertriebsdaten können mit den jeweiligen länderspezifischen Daten ins Verhältnis gesetzt werden, um Umsätze und Wettbewerbschancen zu erhöhen. Zielmärkte können bezüglich der eigenen Produkte und Lösungen analysiert werden. Unter Location Analytics versteht man die Kombination der Auswertungen Ihrer Unternehmensdaten mit ortsbezogenen Informationen. Dabei kann jedes Ereignis oder Ergebnis ihrer Datenanalyse mit einem geografischen Ort in Bezug gebracht werden. Location Analytics eröffnen damit eine neue Dimension im Kontext von Geschäftsanalysen.
„Freie
Datenbestände
finden und veredeln“
Das neue Motto heißt: Freie Datenbanken und -bestände (Open Content, Open Source) entdecken, analysieren und zum neuen Smart Service veredeln. Smart Services sind digitale Dienstleistungen, die aus den (Betriebs-)Daten eines physischen Produkts einen Mehrwert für Kunden generieren. Sie beeinflussen die Wertschöpfung und Arbeit produzierender Unternehmen. Ziel könnte es sein, sich vom Produkt- zum Smart-Service-Anbieter zu entwickeln.
Ein Beispiel dafür sind unsere Wetterdaten. Zurzeit stehen viele Geodaten – wie Modellvorhersagen, Radardaten, aktuelle Mess- und Beobachtungsdaten sowie eine große Zahl von Klimadaten – auf dem Open Data Server https://opendata.dwd.de zur Verfügung. Der Deutsche Wetterdienst macht es möglich. Zudem stehen freie Geodaten von Bund und Ländern zum Download als Open Data bereit. Durch Open-Source-GIS (geografische Informationssysteme) können die Daten visualisiert und in Bezug zu diversen Standorten und Produkten gebracht werden. An dieser Stelle können nun zum Beispiel Wetterdaten eingebunden werden und zum Micro- oder Smart Service ausgebaut werden.
Digital Riser Report
Internationalisierung bedeutet für moderne Unternehmen Datenbestände gemeinsam zu benutzen, um neue Erkenntnisse zu gewinnen oder neue Smart Services zu etablieren. Daten werden in Ökosystemen „zusammengelegt“ und ausgetauscht. So sind einige Autos schon heute komplexe Datenökosysteme, Immobilien und Industrieanlagen ebenso. In diesem Kontext sprachen wir mit Alison Tierney von Snowflake darüber, wie Unternehmen mit übergreifenden Datenplattformen Wettbewerbspotenziale erschließen können. Dazu gehört ihrer Meinung nach in jedem Fall die unternehmensübergreifende Kooperation bei Datenpools. Gründe dafür gibt es viele: Zum einen können Unternehmen auf diese Weise darauf verzichten, selbst einen entsprechenden Datenpool aufzubauen. Das wäre extrem zeit- und kostenintensiv, weshalb es vor allem für Start-ups, aber auch für etablierte Firmen, die vielleicht in neue Geschäftszweige investieren möchten, eine praktische Option darstellt, auf die bereits bestehenden Daten anderer zurückzugreifen.
Zum anderen bietet dies die Chance, über den eigenen Tellerrand hinauszublicken – und das ist es, was es braucht, um wirklich effektiv und fortschrittlich sein zu können. Alison Tierney betonte dabei: „Wer immer nur in seinem eigenen Dunstkreis agiert und dieselben Daten nutzt, wird auch mithilfe der schlausten Technologien zu keinen neuen Erkenntnissen gelangen.“ Snowflake ist ein 2012 gegründeter cloudbasierter Anbieter von Data-Warehouse-Diensten und bietet Firmen eine Software zur Analyse ihrer Daten an. Der Konzern beschäftigt rund 1900 Mitarbeiter:innen, die im ersten Quartal des Jahres einen Produktumsatz von 213 Millionen Dollar (175 Millionen Euro) erwirtschafteten.
Die internationale Zusammenarbeit von Unternehmen, wie im Falle der gerade beschriebenen gemeinsamen Benutzung von Datenpools, muss natürlich auch über Vereinbarungen und Verträge abgesichert und geregelt werden.
An der Digitalisierung des Vertragsmanagements führt in diesem Kontext kein Weg vorbei. Zwei Aspekte sind hierfür maßgeblich: Erstens zeigen aktuelle Studien, dass Unternehmen mit einem hohen Digitalisierungsgrad krisenresilienter sind und bis zu dreimal höhere Wachstumsraten erzielen. Zweitens definieren Verträge jegliche wirtschaftliche Beziehung und die damit verbundenen Potenziale, wodurch sie zentrale Bedeutung erlangen. „Das Vertragsmanagement muss ein Höchstmaß an Kontrolle, die effektive Steuerung und transparente Prozesse sicherstellen. Angesichts steigender Anforderungen – aktuell beispielsweise aufgrund des Lieferkettengesetzes – gestaltet sich das zunehmend schwieriger. Herkömmliche Werkzeuge stoßen dabei an ihre Grenzen. Der Einsatz künstlicher Intelligenz beschleunigt die Tätigkeiten und Prozesse im Vertragslebenszyklus erheblich und reduziert gleichzeitig die Risiken. Wettbewerbsvorteile, die sich direkt auf den Unternehmenserfolg auswirken“, erklärte uns Robin Schmeisser von Fabasoft.
Wer also mit dem neuen Geschäftsmodell erfolgreich sein möchte, kommt an innovativen Tools, Data Science und an der Cloud nicht mehr vorbei. Erst die konsequente Nutzung aller verfügbaren Daten schafft die Basis für eine wirkungsvolle Digitalisierung und Automatisierung. Immer mehr Unternehmen wollen von der intelligenten und automatisierten Datenanalyse und -verarbeitung profitieren. Damit zielen sie mitunter auf mehr Umsatz, weniger Personaleinsatz, bessere Entscheidungsfindung oder einen höheren Automatisierungsgrad ab. Die Bereiche, in denen Machine-Learning-Technologien dabei zum Einsatz kommen, werden immer breiter und die Anzahl der Proofs of Concept und Projekte nimmt in Deutschland rasant zu.
Aber wie kommt man nun zu neuen Geschäftsmodellen, Ideen und Innovationen? Der Blick in die Portfolien aktiver Angel-Investorinnen und -Investoren ist dabei recht aufschlussreich. In diesem Kontext kann man die eigenen Ideen vergleichen und sich eventuell daran ausrichten. Business Angels sind auf der ständigen Suche nach innovativen Geschäftsmodellen. Sie sind Deutschlands wichtigste Frühphasenfinanzierer, investieren Kapital und Know-how in junge, innovative Unternehmen, und zwar dann, wenn das Risiko am größten ist, denn so haben sie die Chance, als First Mover vom Wachstum einer disruptiven Geschäftsidee zu profitieren und ein veritables ROI einzufahren. Der Exiterlös kann dann wieder in neue innovative Unternehmen investiert werden. „Im ersten Quartal 2021 sah die Rangfolge im Blick auf Branchentrends und Technologien wie folgt aus: Softwareentwicklung, Umwelttechnik und Webservice machten die Podiumsplätze unter sich aus. Auf Platz 4 folgte Industrieautomatisierung“, erklärte unserer Redaktion Dr. Ute Günther vom Business Angels Netzwerk Deutschland e. V, die u. a. das Bundesforschungsministerium hinsichtlich Zukunftstrends berät.
Das Programm „Digitales Europa“
Das Programm „Digitales Europa“ 2021 – 2027 soll die strategischen digitalen Kapazitäten in Europa entwickeln und stärken. Aktuell sind 9,2 Milliarden Euro für das Programm im neuen EU-Haushalt vorgesehen.
Folgende Bereiche werden im
Rahmen des Programms „Digitales Europa“ gefördert:
- Supercomputer (2,2 Mrd. Euro)
- Kauf bester Supercomputer bis 2022/2023
- Ausbau der Nutzung von Supercomputern in den Bereichen Gesundheit, Umwelt, Sicherheit und Industrie (KMU)
- Künstliche Intelligenz (KI) (2,1 Mrd. Euro)
- Stärkere Nutzung von KI in Unternehmen und in der öffentlicher Verwaltung
- Einrichten eines Europäischen Datenraums
- Förderung der Entwicklung von KI-Anwendungen in den Bereichen Gesundheit und Mobilität
- Cybersicherheit (1,7 Mrd. Euro)
- Koordination zwischen EU-Mitgliedsstaaten
- Förderung und Training digitaler Fähigkeiten in allen Mitgliedsstaaten
- Förderung von Infrastruktur für Quanten-Kommunikation
- Stärkung der Kapazitäten für europäische Cybersicherheit
- Fortgeschrittene digitale Fähigkeiten (580 Mio. Euro)
- Neue Programme und Trainings zur Förderung zukünftiger Expert*innen in KI, Cybersicherheit, Quantentechnologien und Hochleistungsrechnern (high-performance computing – HPC)
- Kurztrainings zur Förderung von Arbeitskräften
- Umfassende Nutzung digitaler Technologien in Wirtschaft und Gesellschaft (1,1 Mrd. Euro)
- Fokus der Anwendungen auf Gebieten wie Gesundheit, Klima und Kultur
- Digital Innovation Hubs
- Stärkere Nutzung digitaler Technologien wie Blockchain in KMU und öffentlicher Verwaltung
Digital wachsen in Europa
Am 9. März 2021 präsentierte die Kommission eine Zielvorstellung und Wege für den digitalen Wandel in Europa bis 2030. Die Europäische Kommission hat damit eine Zielvorstellung vorgelegt. Ziel der EU ist es, digital souverän zu sein in einer offenen, vernetzten Welt. Außerdem will die EU eine Digitalpolitik betreiben, die Menschen und Unternehmen in ihrer Handlungskompetenz stärkt, damit sie die Chancen einer auf den Menschen ausgerichteten, nachhaltigen und florierenden digitalen Zukunft voll nutzen können. Mit dem neuen EU-Programm „Digitales Europa“ soll der digitale Wandel vorangetrieben werden, indem Finanzmittel für die Einführung von Spitzentechnologien in Schlüsselbereichen wie künstliche Intelligenz, Supercomputer und Cybersicherheit bereitgestellt werden. Das Programm ist für den Zeitraum 2021 bis 2027 angelegt und wird über eine beträchtliche Mittelausstattung in Höhe von 9,2 Mrd. Euro verfügen.
Das Programm soll die Lücke schließen, die zwischen der Digitaltechnik-Forschung und deren Anwendung besteht, und wurde darauf ausgerichtet, dass die Forschungsergebnisse – zum Nutzen der europäischen Bürger und Unternehmen, insbesondere der KMU – auf dem Markt eingeführt werden. Die Investitionen im Rahmen des Programms „Digitales Europa“ sollen die beiden Ziele der Union „grüner und digitaler Wandel“ unterstützen und die Resilienz sowie eine offene strategische Autonomie der Union stärken.
Dass Europa einen interessanten Markt mit Wachstumschancen bietet, unterstreicht auch Yusuke Mizukami, Präsident der Kyocera Europe GmbH, im Gespräch mit unserer Redaktion. In den letzten Jahren hat sich der Konzern zunehmend auf die Entwicklung von Hightech-Innovationen fokussiert, um auf die Nachfrage einer zunehmend technisierten Gesellschaft einzugehen. „Dazu zählen beispielsweise ADAS-Komponenten („Advanced Driver Assistance Systems“), um Sicherheitsaspekte in der Automobilindustrie zu intensivieren, sowie feinkeramische Komponenten und elektronische Bauteile, deren Nachfrage mit dem Ausbau von IoT- und KI-Technologien stetig steigt“, erklärte uns Mizukami. Zudem konzentriert sich Kyocera auf die Entwicklung von Produkten und Systemen in Bereichen der Telekommunikation, um auch bei zukünftigen Themen rund um 5G relevante Innovationen zu liefern.
Das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWi) rief 2019 die Initiative Gaia-X ins Leben. Es ist das Ziel, die Abhängigkeit von amerikanischen und chinesischen IT-Anbietern und datengetriebenen, marktbeherrschenden Plattformen zu reduzieren. Mittlerweile ist das Projekt so erfolgreich angelaufen, dass es von mehreren europäischen Staaten und Unternehmen weltweit unterstützt wird. Unternehmen sowie Nutzerinnen und Nutzer sollen Daten sammeln und miteinander teilen – und zwar so, dass sie darüber die Kontrolle behalten. Sie selbst sollen festlegen, was mit ihren Daten passiert und wo sie gespeichert werden, sodass in jedem Fall die Datensouveränität gewährleistet ist. Die Architektur von Gaia-X basiert auf dem Prinzip der Dezentralisierung. Es ist das Zusammenspiel zahlreicher individueller Plattformen, die alle einem gemeinsamen Standard folgen – dem Gaia-X-Standard.
Gemeinsam wird so eine Dateninfrastruktur entwickelt, die auf den Werten Offenheit, Transparenz und Vertrauen basiert. Es entsteht also nicht nur eine Cloud, sondern vielmehr ein vernetztes System, das viele Cloud-Service-Anbieter miteinander verbindet, und Open Source sorgt als Seele für die nötige Offenheit und Transparenz.
von Bernhard Haselbauer