Auf geht´s Standort Deutschland
„Bounce Forward“
Es wird Zeit, die Dinge neu zu sehen, und das Thema „Resilienz“ macht die Runde. Widerstandsfähigkeit scheint das Gebot der Stunde zu sein. Kurz gesagt, je schneller das betroffene System seine normale Funktionsweise zurückerlangt, desto resilienter ist es. Die Resilienz-Forschung spricht dann von der Fähigkeit zum „bounce back“.
Sinnvoller für unseren Standort Deutschland wäre jedoch der „bounce forward“, bei dem das System nach einer Krise noch leistungsfähiger und langlebiger ist als davor. Hier steht die Fähigkeit im Zentrum, langfristig zu überleben und zu prosperieren. Ziel ist entsprechend nicht notwendigerweise die Rückkehr in den Systemzustand vor einem Schockereignis, sondern eine kontinuierliche Anpassung unter sich verändernden Bedingungen zu gewährleisten. (Resilienz-Ansatz / C. S. Holling)
Wie sieht aber das „New Normal“ aus? Social Distancing als neue Herausforderung? Und was kommt auf Unternehmen und Wirtschaft jetzt zu? Was bedeutet ein Betriebsstillstand und welches sind die adäquaten Reaktionsmöglichkeiten?
„Genau damit beschäftigen wir uns täglich ungefähr alle 1,5 Minuten , sagt Elvir Kolak, CEO bei Belfor Europe. So oft wird dem Unternehmen weltweit ein Schaden gemeldet. Seit vielen Jahren ist das Unternehmen verlässlicher Partner für namhafte Unternehmen und bereitet deren Risk Manager auf den Ernstfall vor. Der Schadensanierer hat für seine Kunden eine sichere und effiziente Kombinationsmethode entwickelt, die Unternehmen auf der ganzen Welt hilft, im Verdachtsfall einer Kontamination mit Covid-19 Sozialräume und Produktionsbereich z. B. nachts oder zwischen Schichtwechseln zu desinfizieren und so eine Betriebsschließung zu vermeiden.
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„Eine weitere Maßnahme, um die Ausbreitung im eigenen Unternehmen zu minimieren, ist die Einteilung des Arbeitsplatzes in Zonen. Mit einer Einteilung in beispielsweise rote, gelbe und grüne Zonen kann man den Arbeitsplatz entsprechend bewerten und Schutzmaßnahmen oder -vorrichtungen etablieren. Die Kombination von Desinfektion und einer intelligenten Raumbelegungsplanung minimiert somit das Ansteckungsrisiko und die Gefahr einer Betriebsunterbrechung. Bereits 30 bis 90 Minuten nach Beendigung der Desinfektion kann die Arbeit wieder aufgenommen werden“.
Die Post-Corona-Gesellschaft wird wohl auch eine neue Einstellung im Kontext unserer täglichen Büroarbeit hervorbringen. Die Krise ist ein Stresstest für die Wirtschaft – und eine Blaupause für die Arbeitswelt der Zukunft. Der Ruf nach „Heimarbeit“ wird jetzt schon lauter. Unternehmen sollten sich darauf einstellen, dass in Zukunft „Remote Work“ viel häufiger von der Belegschaft nachgefragt wird. Ein paar Tage im Monat vom Homeoffice aus zu arbeiten scheint, da wo es geht, zur neuen Normalität zu werden.
„Es gibt viele Unternehmen, die im Zuge der Krise weit über ihre Komfortzone hinausgehen mussten und dabei festgestellt haben, dass Remote-Arbeit viel besser funktioniert als jemals gedacht. Da ist so mancher Glaubensgrundsatz innerhalb weniger Wochen weggebröckelt. Dies beobachten natürlich auch die eigenen Mitarbeiter, wodurch sich bei vielen eine neue Erwartungshaltung an den Arbeitsplatz zu formieren scheint. Je mehr sich der Krisenzustand verfestigt und zum Dauerzustand wird, umso weniger kommt ein Unternehmen an der Digitalisierung und ‚New Work‘ vorbei“, erklärte uns Dr. Bernhard Braunmüller von der Unternehmensberatung Q_Perior.
„Durch Remote-Work-Angebote verliert der Sitz des Unternehmens an Bedeutung.“
Egal ob Manager oder Heizungsbauer, wenn Sie glauben, nach der Pandemie geht es beruflich weiter wie zuvor, werden Sie enttäuscht sein. Der Karriereverlauf ähnelt künftig mehr einer Spirale als einer Leiter. Durch Remote-Work-Angebote wird der Sitz des Unternehmens an Bedeutung verlieren und die Unternehmenskultur wird weniger erlebbar. Im Hinblick darauf sinkt die Bindung zum Arbeitgeber und Mitarbeiter. Häufigere Arbeitgeberwechsel sind die Konsequenz.
Die Krise könnte sich auch als wichtiger Katalysator für zentrale wirtschaftliche und gesellschaftliche Transformationsprozesse wie die Digitalisierung und künstliche Intelligenz, den Strukturwandel in wirtschaftlich schwachen Regionen oder die Dekarbonisierung erweisen. Damit der Standort Deutschland gestärkt aus der Krise kommt, müssen nun Aufbau- und Fördergelder zielgerichtet investiert werden. Europas Hilfe zur Selbsthilfe sieht vor, dass ab Oktober Regierungen Mittel für Reformprojekte beantragen können.
Die Pandemie fährt die Wirtschaft herunter: Für fast ein Drittel der Betriebe (29,2 Prozent) wäre bei anhaltenden Anti-Pandemie-Maßnahmen nach spätestens drei Monaten Schluss, im Einzelhandel gilt dies sogar für 44,9 Prozent. (links) Die Grafik rechts zeigt hingegen, wie die Bundesregierung die Wirtschaft wieder ankurbeln will.
310 Milliarden stehen in den nächsten sieben Jahren zur Verfügung. Die nicht rückzahlbaren Transfers müssen jedoch im Kontext der Reformprojekte gut begründet werden. Nachhaltige Technologien sind en vogue und wir können das gut in Deutschland. Hier vor allem im Hinblick auf grünen Wasserstoff. So kommt die aktuelle Wasserstoffstrategie der Bundesregierung gerade ganz recht. Deutschland soll nun Weltmarktführer werden. Leider wurde der Technologie bisher nicht die Beachtung geschenkt, die sie verdient hätte. Die große Koalition konnte sich nun auf eine klare Vision für diesen Energieträger einigen. Die Streitpunkte scheinen nun geklärt. Der deutsche Wasserstoff-Plan sieht vor, mit ca. neun Milliarden Euro am Standort an den Start zu gehen, um der jungen Branche zu helfen.
Auf Normalität müssen wir wahrscheinlich noch Jahre warten. Impfstoffe stehen im Fokus, doch keiner weiß, wann genau die ersten Ergebnisse global zur Verfügung stehen. Nach der Pandemie ist vor der Pandemie und die Auguren warnen schon vor einer zweiten Welle, obwohl sich die Börse und der Aktienhandel just erholt haben. Auch die geplante Mehrwertsteuersenkung wird wohl den „Wumms“ für die Wirtschaft am Standort Deutschland nicht auslösen. Ein Strohfeuer, das dem stationären Handel viel Arbeit macht, aber ein Baustein der im Gesamtkontext des Krisenplans beachtet werden muss.
Die Chancen der Digitalisierung
Im Kontext der aktuellen Situation erfährt der digitale Standort Deutschland gerade eine positive Entwicklung. Viele mittelständische Unternehmen mussten in digitaler Hinsicht in kurzer Zeit die Situation meistern, um den eigenen Laden am Laufen zu halten und auf den Kundenbedarf flexibel zu reagieren. Vom KMU bis hin zum Konzern, haben alle branchenübergreifend ihren eigenen Digitalisierungsgrad von heute auf morgen auf den Prüfstand stellen müssen, um schnell alltagstaugliche Lösungen für Mitarbeiter und Kunden zu finden.
Kommt wirklich eine zweite Welle, sollten IT-Verantwortliche und Enterprise-Architekten die Verschnaufpause nutzen, um die Infrastruktur im Kontext der dezentralen Arbeit sicher aufzubauen, und die Mitarbeitenden mit innovativen Collaboration-Tools über die Cloud auszustatten. „Die zu Beginn der Krise vielfach ad hoc umgesetzten Maßnahmen sollten nun erhärtet werden und nach einer intensiven Prüfung gegebenenfalls in den Regelbetrieb einfließen. Das betrifft insbesondere die Steuerung der IT aus dem Homeoffice heraus, was als relevantes Szenario fest etabliert werden sollte. Hierbei geht es um Themen wie IT-Governance und IT-Sicherheit, sowie ‚softe Themen‘ wie Wissensaustausch, Mitarbeitermotivation oder virtuelle Teamführung.“, betonte Dr. Bernhard Braunmüller von der Unternehmensberatung Q_Perior.
In diesem Zusammenhang ist die Pandemie ein echter Digitalisierungsbeschleuniger, wäre da nicht der mangelhafte Netzausbau am Standort Deutschland. Es ist schon peinlich, was bei uns bisher passiert ist. Doch nun ist Land in Sicht. Nach eigenen Angaben liegt dem Handelsblatt ein Entwurf eines neuen Telekommunikationsgesetzes vor, in dem die Bundesregierung die Netzbetreiber dazu bringen will, ihre Netze flächendeckend auszubauen. Demnach sollen alle Bürger und Unternehmen bis 2025 einen rechtlich abgesicherten Anspruch auf schnelles Internet haben. Das Telekommunikationsgesetz wird demnach umfassend überarbeitet und neu gefasst. Frankreich hat zum Beispiel dahingehend das Problem der „Rosinenpickerei“ schon längst gelöst. Alle ersteigerten TK-Lizenzen waren an den flächendeckenden Infrastrukturausbau gesetzlich gebunden. Paradox, aber durch den Netzausbau profitieren momentan hauptsächlich US-amerikanische Unternehmen. In diesem Sinne schreitet der digitale Kolonialismus durch die Krise weiter voran.
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Google, Amazon, Facebook, Apple und Microsoft sind die Gewinner der Covid-Krise. Allein Amazon möchte in naher Zeit 75 000 neue Stellen schaffen. Deutschland und Europa werden sich warm anziehen müssen, denn die Tech-Konzerne bauen ihre Macht mit enormen finanziellen Ressourcen weiter aus. Ein Lichtblick für den Standort Deutschland und Europa in dieser Zeit der digitalen Monopole ist „Gaia-X“. Wir können uns damit von den Datenkraken unabhängiger und resilienter machen. Die durch Peter Altmaier angeregte Daten-Initiative nimmt langsam Form an und soll ein europäisches Projekt werden. Dem laufenden Bundeshaushalt ist Gaia-X 27 Millionen Wert. Die neue Cloud für Europa kommt so langsam in Fahrt, nach sechs Monaten Arbeit, an der sich rund 300 Unternehmen und Organisationen beteiligt haben, sind jetzt konkrete Ergebnisse vorgestellt worden. Im Kampf um die digitale Souveränität wird es Zeit für Europa, die Datenpolitik voranzutreiben. Gerade für Unternehmen am Standort Deutschland ist das Projekt wichtig, um die digitale Transformation im Hinblick auf neue Geschäftsmodelle zu meistern und voranzutreiben.
Effizienzgewinne können in Zukunft nur durch überlegene Software und IT generiert werden. Diese Erkenntnis scheint sich in der Politik breit zu machen. Gut so! Brüssel will zudem bis Ende 2022 einen neuen Marktplatz für Cloud-Dienste schaffen. Hier können in Zukunft auch kleinere Unternehmen und Behörden auf diverse Speicher- und Softwaredienste zugreifen, um die Standards für Datensicherheit und Energieeffizienz zu erfüllen.
Viren sind allgemein auf dem Vormarsch, hoffen wir, dass die nächste Pandemie nicht online stattfindet. Hacker und Cracker machten sich immer schon die neuesten Technologien rund um Automatisierung zunutze. Der Mensch bleibt auch 2020 das größte Cyberrisiko für Unternehmen. Social Engineering und veraltete Software werden die Hauptursachen für erfolgreiche Cyberangriffe bleiben. Dazu ergänzt Kai Grunwitz, Geschäftsführer der NTT Ltd. in Deutschland, die aktuelle Lage so: „Künstliche Intelligenz dominiert längst die Diskussion rund um Cybersecurity. Fakt ist: Cyberkriminelle haben aufgerüstet, KI gehört nun zum Standardrepertoire der Kriminellen. Sie erhöht den Grad der Automatisierung von Cyberangriffen und erstellt polymorphe Schadsoftware, die der Cyberabwehr entgeht. Am Ende werden Innovation und Anpassungsgeschwindigkeit entscheiden, wer den Kampf gewinnen wird.“
Das Beherrschen diverser Change-Management-Strategien ist gefragt wie nie, denn wir leben in einer Zeit des Umbruchs, aber auch in einer Zeit neu justierten, digitalisierten Unternehmertums. Der aktuelle Digitalisierungsbedarf, den wir gerade beobachten, ist für viele Betriebe auch eine unternehmerische Chance.
Übrigens: Optimisten, die Krisen als Herausforderungen sehen, sind resilienter. Auch weil sie wissen, dass sie ihr Leben in die Hand nehmen können und Schwierigkeiten vorübergehen.
von Bernhard Haselbauer
b.haselbauer@trendreport.de