Digitale Transformation braucht Flexibilität und Willen

Die Trend-Report-Redaktion im Gespräch mit Christian Sallach, Geschäftsführung Marketing und Digitalisierung der WAGO Kontakttechnik GmbH & Co. KG über Industrie 4.0 und Automatisierungsstrategien.

Herr Sallach, welche strategischen Aufgaben übernimmt Ihr neues „Digital Transformation Office“?

Der erste Schritt bestand darin, aus unserer Unternehmensstrategie den bereits angelegten Erfolgsfaktor „Digitalisierung“ als eigene Digitalisierungsstrategie auszuformulieren. Heute sind wir bereits mitten in der taktischen Umsetzung der daraus abgeleiteten Maßnahmen und Projekte, gemeinsam mit allen Unternehmensbereichen.

Begonnen haben wir mit dem „Digitalisierungspiano“ als theoretischem Konstrukt in Anlehnung an das vorhandene Modell von Michael Wade, Professor of Innovation and Strategy an der IMD Business School. Dieses haben wir zur Analyse des Ist-Zustandes, zur Konsolidierung der schon vorhandenen Digitalisierungsaktivitäten und schlussendlich zur Ableitung von Zielen genutzt. Mit einem Blick zurück auf die Anfangsphase können wir heute sagen, dass Theorie und Praxis mit der Zeit Hand in Hand gehen. Zum Glück sind wir agil genug, auch mal nachzujustieren, wenn Umstände und Anforderungen sich geändert haben. In der VUCA-Welt, in der wir leben, ist Flexibilität elementar wichtig. (VUCA = Volatility (Flüchtigkeit), Uncertainty (Unsicherheit), Complexity (Komplexität) und Ambiguity (Mehrdeutigkeit))

Christian Sallach, Geschäftsführung Marketing und Digitalisierung der WAGO Kontakttechnik GmbH & Co. KG

Unser Digital Transformation Office (DTO) versteht sich als eine Art Inhouse Berater und arbeitet als Partner mit den jeweiligen Abteilungen an Projekten und Maßnahmen. Uns war die Nähe zu unseren internen Kunden wichtig, deshalb haben wir eine feste Einheit im Unternehmen etabliert und nicht ausgegründet. Aufgabe des Teams ist es außerdem, Zukunftsvisionen zu entwickeln sowie Trends und Marktentwicklungen zu scouten. Diese werden dann durch die „WAGO-Brille“ bewertet und auf Umsetzung geprüft. So haben wir beispielsweise ein Reifegradmodell implementiert, das zur Standortbestimmung in Zusammenhang mit digitalen Themen dient.

Wir haben uns bewusst für ein sehr heterogenes Team entschieden, das unterschiedliche Kenntnisse und Erfahrungen mitbringt. Eine Kollegin kommt etwa aus dem Bereich Data Science. Wir haben einen Experten für Methoden, Workshop-Moderationen und Ideenmanagement, um den Wissensaustausch und die Ideenentwicklung im Unternehmen zu fördern. Ein weiterer Kollege beschäftigt sich mit neuen (datengetriebenen) Geschäftsmodellen oder dem Thema Corporate Venturing.

Digital Leadership ist ein Stichwort, das unsere gesamte Arbeit prägt. Wir begleiten aktiv den digitalen (Kultur-)wandel, in dem wir dazu beitragen, den Wissenstransfer und die Transparenz zu erhöhen, Hierarchien aufzubrechen und das Ideenmanagement zu fördern.

Welche Chancen bieten die fortschreitende Digitalisierung von Geschäftsbeziehungen für Ihr Haus, Ihre Kunden und für Ihre Partner?

Kundenorientierung hat für uns oberste Priorität. Die Einführung des Customer-Centric-Ansatzes bedingt zeitgleich die digitale Transformation von Strukturen und Prozessen, denn nur so können wir die perfekt zugeschnittenen Produkte und Services liefern und unsere Kunden noch besser in die Wertschöpfungskette einbinden.

Für datengetriebene Geschäftsmodelle, Plattformökonomien und Smart Services braucht es oft die richtigen Kooperationen. Als Partner der Hinterland Alliance OWL stellen wir fest, dass Unternehmen darin mehr und mehr die Chancen erkennen, voneinander zu lernen. Konferenzen wie die Hinterland of Things in OWL sind ein gutes Beispiel dafür, dass ein offener Austausch untereinander und mit Start-ups wichtig und richtig ist.

Die Vernetzung und Steuerung von Produktionsanlagen im Sinne der Industrie 4.0, zu der WAGO mit seinen Produkten entscheidend beiträgt, erhöht die Effizienz. Das Internet of Things optimiert logistische Abläufe. Plattformökonomien erhöhen Reichweite und bieten Transparenz bei enormer Skalierbarkeit. 

Intern entwickelt sich durch fortschreitende Digitalisierung der „New Work“ Ansatz immer weiter. Hier gilt es die richtigen Rahmenbedingungen für mehr Flexibilität und Eigenverantwortung, dezentrales Arbeiten, neue Formen der Zusammenarbeit und lebenslanges Lernen zu schaffen.

Welche Herausforderungen müssen noch gemeistert werden?

Eine Herausforderung ist sicherlich die, dass Unternehmen derzeit alle Bälle gleichzeitig in der Luft halten müssen. Sämtliche neu aufgesetzten digitalen Maßnahmen werden mehr oder weniger parallel umgesetzt, das Kerngeschäft muss natürlich ebenfalls weiterlaufen. Ich beschreibe das gern mit dem Versuch, am fahrenden Auto die Reifen zu wechseln. Dabei gilt es, die Aktivitäten zusammen zu führen und aufeinander abzustimmen. Allein schon, um das Fahrzeug in der Spur zu halten.

„Die Fabrik der Zukunft ist kein in sich geschlossenes System. Durch Technologien wie Virtual Reality oder Mixed Reality ist die Connected Factory mit Kunden, Herstellern, anderen Standorten oder Zulieferern vernetzt.“

Nach unserer Definition teilt sich „Digitalisierung“ in drei Bereiche auf: Digitization (derzeit noch analoge Prozesse werden digitalisiert), Digitalization (das Sammeln und Weiterverarbeiten von Daten aus sämtlichen Bereichen) und Digital Transformation (welche neuen Möglichkeiten ergeben sich daraus, kombiniert mit Trends und Anforderungen von außen). Die ersten zwei Prozesse sind quasi die Hausaufgaben – und laufen bereits gut.

In der Digitalen Transformation liegt die größte Herausforderung. Wir sehen hier ganz klar Chancen, neue Geschäftsfelder zu erschließen, sind aber als Familienunternehmen auch sehr umsichtig und prüfen genau, welchen Weg wir hier gehen sollten und wo unsere Prioritäten liegen. Generell kann man sagen, dass das Buch der Digitalisierung noch nicht geschrieben worden ist, das kann jedes Unternehmen nur für sich ganz persönlich tun.

Inwiefern wird sich Ihr Geschäftsmodell im Hinblick darauf verändern?

WAGO bedient seit langem den Bereich Industrie 4.0 und Digitalisierung. Mit unserer Verbindungs- und Automatisierungstechnik, den offenen Schnittstellen und dem Gedanken der offenen Infrastruktur legen wir mit unserem Portfolio den Grundstein für jegliche Vernetzung inklusive Cloud-Lösungen. Somit passt unser Geschäftsmodell sehr gut zu den derzeitigen Anforderungen am Markt. Mit Hinblick auf unseren Kundenfokus müssen wir aber zukünftig noch individuellere Services und Unterstützung bieten, um jeden einzelnen Kunden ganz im Sinne unserer Mission empowern zu können. 

Digitalisierung bedeutet neben der Technologie aber auch, dass der Mensch und seine Bedürfnisse mehr und mehr in den Mittelpunkt rücken. Wir erleben ein Umdenken und einen Kulturwandel. Und das wirkt sich sehr positiv auf die Unternehmenskultur aus – etwa bei der Zusammenarbeit und den Möglichkeiten für jeden einzelnen. Ein gutes Beispiel ist unser WAGO Kick-Box Projekt: Kolleginnen und Kollegen aus allen Bereichen können sich beispielsweise an Digitalisierungskonzepten beteiligen und erhalten auf Vertrauensbasis ein Budget für die erste Konzeptphase zur freien Verfügung. In einem Pitch vor der Geschäftsführung kann dann jede Idee in die nächste Phase gewählt werden und die Umsetzung wird weiter budgetiert und unterstützt. 

„Die Überwachung der Betriebsmittel einer Anlage auf Grundlage einer vollständigen digitalen Erfassung der Produktion,
das sogenannte Plant Asset Management, ist Grundlage der Smart Factory.“

Christian Sallach von Wago.

Wir sehen Digitalisierung als mächtiges Tool, das dazu beiträgt, unsere Industrien effizienter und ressourcenschonender und somit nachhaltiger zu betreiben. Sicherlich werden sich Geschäftsmodelle in Zukunft so ausrichten oder verändern, dass sie neben den wirtschaftlichen Anforderungen auch mehr und mehr denen von Gesellschaft und Umwelt gerecht werden. Dass wir dabei ein Teil der Lösung sein dürfen, generiert eine innere Stärke und Haltung. Verantwortung zu übernehmen gibt unserer täglichen Arbeit einen Sinn; unsere Mitarbeiter spiegeln das durch ihren kreativen Input und gesteigerte Eigenverantwortung.

Fragen zur Technologie

Welche Chancen und Vorteile bieten sich durch die Optimierung Ihrer eigenen Produktionsprozesse?

Als fertigendes Unternehmen setzen wir die Technologien der Digitalisierung bereits intensiv in unserer Fertigung ein und haben dabei einen hohen Standard erreicht. So können wir beispielsweise in Echtzeit auf die Fertigungsdaten aus China und anderer Standorte zugreifen. Wir haben viele Prozesse digitalisiert. Aufgrund unseres umfangreichen Know-hows können wir deshalb auch beraten. Die Zusammenarbeit und die Informationsflüsse werden sich zukünftig auch bei WAGO weiter ändern. Die Digitalisierung wird es ermöglichen, die Prozesse weit effizienter zu gestalten und auf diese Weise nicht zuletzt auch ressourcenschonender und nachhaltiger zu agieren. Generell gesprochen: Die Fabrik der Zukunft ist kein in sich geschlossenes System. Durch Technologien wie Virtual Reality oder Mixed Reality ist die Connected Factory mit Kunden, Herstellern, anderen Standorten oder Zulieferern vernetzt. Derartige Entwicklungen sind auch bei uns zu erwarten.

Worin sehen Sie die größten Chancen hinsichtlich der Umsetzung von IoT-Anwendungen?

Das Zielbild für eine Smart Factory sieht so aus: Produktionsanlagen sind flexibel in der Produktionsplanung und lassen sich problemlos an immer kürzere Produktionszyklen anpassen, produzieren vollautomatisiert mit einem maximalen Grad an Qualität und Fehlersicherheit, sind bis zur kleinsten Komponente kommunikativ erreichbar und organisieren Wartungen und Instandhaltungen optimal selbst. Und das alles möglichst ohne menschlichen Eingriff. IoT-Anwendungen können hierbei eine entscheidende Rolle spielen.

So lassen sich zum Beispiel Wartung und Instandhaltung von Anlagen mit Hilfe von Künstlicher Intelligenz optimieren. Die Überwachung der Betriebsmittel einer Anlage auf Grundlage einer vollständigen digitalen Erfassung der Produktion, das sogenannte Plant-Asset-Management, ist Grundlage der Smart Factory.
Gerade bei verschleißenden Anlagenteilen wie Pumpen, Motoren, Wärmetauschern, etc. gibt es einen großen Bedarf an optimierter Wartung, die im Produktionsablauf planbar und unabhängig vom Ausbildungsgrad des Personals ist. Dieser Bedarf lässt sich decken, indem ein Plant-Asset-Management-System mit selbstlernenden und selbstoptimierenden KI-Applikationen kombiniert wird. WAGO bietet die Produkte und Lösungen, um Kommunikationsknotenpunkte im Plant-Asset-Management-System zu realisieren. Die Lösungen basieren auf einer offenen Linux®-Plattform. Die KI-Applikationen können im WAGO-Ansatz entweder dezentral in den Controllern oder der Cloud ablaufen.

Welche Rolle spielt die Cloud dabei und wozu dient in diesem Kontext Ihre IoT-Box?
Die Cloud bietet die Möglichkeit der übergeordneten Vernetzung und des dezentralen Zugriffs auf die Produktion. Das Problem ist oft, dass der Kunde nicht weiß, welche Daten er sammeln soll und woher er diese bekommt, wenn er mit der Herausforderung der Digitalisierung seines Standorts konfrontiert wird. Die IoT-Box von WAGO ist die erste Basis: Daten werden gesammelt, erfasst, visualisiert und ausgewertet. Die komplett vorgefertigte Lösung lässt sich mit minimalem Aufwand nachträglich ohne Produktionsstopp an bestehende Maschinen und Anlagen andocken. Dank der offenen Automatisierungstechnik ist die IoT-Box universell einsetzbar und optimal geeignet, um unter anderem Ströme, Spannungen, Produktionszyklen und Anlagenzustände zu erfassen.

Die Anbindung an die IT-Infrastruktur kann per ETHERNET und WLAN oder komplett ortsunabhängig über das Mobilfunknetz erfolgen. Die Trennung von IT- und OT-Netzwerk (OT = Operational Technology) sowie weitere standardmäßig in den PFC-Controllern integrierte Maßnahmen wie TLS-Verschlüsselung oder VPN-Tunnel sorgen für die notwendige Sicherheit. Die IoT-Box basiert auf dem WAGO-I/O-SYSTEM 750 und bietet daher eine hohe Schnittstellenvielfalt: Um sie individuell an die eigenen Produktionsumgebungen anpassen zu können, stehen mehr als 500 I/O-Module zur Verfügung. Die erfassten Signale lassen sich flexibel weiterverarbeiten und zum Beispiel an Cloud-Systeme oder eine bestehende Leittechnik weiterleiten.

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Aufmacherbild / Quelle / Lizenz
https://www.wago.com/de/automatisierungstechnik/io-systeme-entdecken

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