Künstliche Intelligenz braucht intelligente Menschen
Dies ist ein Gastbeitrag von Stefan Gössel, Partner Leadvise Reply und Kai Uwe Ernst, Partner Cluster Reply
Die Intelligenz hält Einzug in die Welt der Maschinen. Was früher Vision war, wird Wirklichkeit – und ist es in Teilen bereits. Nicht mehr nur der menschliche Geist zieht logische Schlüsse und entsprechende Konsequenzen auf vergleichsweise hohem Niveau. Zwischen Künstlicher Intelligenz (KI) und Machine Learning (ML) besteht ein enger Zusammenhang, beide basieren auf der anspruchsvollen Auswertung großer Datenmengen. Eine Maschine verfügt über KI, wenn sie in der Lage ist, kognitive Funktionen nachzuahmen – etwa in Form einer „spontanen“ Problemlösung. Basis dafür ist ihre Lernfähigkeit: Sie kann vergangene Ereignisse einordnen und Schlüsse ziehen, die zu einer neuen Lösung führen. Hier liegt die natürliche Verbindung beider Begriffe: Auch das viel konkretere ML setzt auf den Lerneffekt. Algorithmen sorgen für die Lernfähigkeit, indem sie automatisierte Analysemodelle ermöglichen. Diese wiederum erlauben einen Erkenntnisgewinn der Maschine, der nicht auf einer vorhergehenden Programmierung beruht. Ein weiterer wichtiger Begriff in diesem Zusammenhang ist Data Robotics: sämtliche Technologien und Anwendungen, die zur Entwicklung von Automatisierungsprozessen erforderlich sind. Zum Framework von Data Robotics gehören die Instrumente der Robotic Process Automation (RPA) sowie die Intelligent Process Automation (IPA).
Momentaufnahme Arbeitsabläufe in Unternehmen
Ein konkretes Beispiel aus der Praxis: In Versicherungen und Banken gibt es viele Prozesse, die von tausenden Sachbearbeitern übernommen werden, um die Geschäftsabläufe voranzutreiben – wie beispielsweise die Bearbeitung von Schadensfällen oder Kreditanträgen. Vielerlei manuell durchgeführte Schritte sind nötig, um die Daten von A nach B zu übertragen. Viele Aufgaben erfordern, große Mengen an Informationen aus verschiedenen Quellen zu analysieren. Die Effizienz der realen Arbeitsabläufe ist oftmals nicht transparent und schwer zu überwachen. Ein wesentlicher Teil der menschlichen Arbeit sind alltägliche Aufgaben mit geringer Wertschöpfung und dennoch unerlässlich für den Arbeitsprozess.
Digital Workforce: Kombination aus Process Mining, RPA und ML
An dieser Stelle setzt die Digital Workforce an – ein Dreiklang aus Process Mining, Robotic Process Automation und Machine Learning. Zu Beginn werden alle Tätigkeiten analysiert, die die Angestellten übernehmen. Ziel ist, wiederkehrende Prozesse, entstehende Verzögerungen und Automatisierungspotentiale zu ermitteln. Dies kann auf mehreren Wegen erfolgen: beispielsweise über den klassischen, nicht-digitalen Ansatz. Hier prüfen Unternehmensberater den Zeitaufwand der Tätigkeiten, um eine Bestandsaufnahme eines singulären Zeitpunkts zu ermitteln. Nachteile dieser Vorgehensweise: Es ist kosten-, zeitintensiv und fehleranfällig, da es nur eine subjektive Momentaufnahme erfasst.
Analyse der Prozessabläufe mit Process Mining
Der digitale Ansatz des Process Mining greift an der Wurzel an: Die Daten werden aus den Systemen extrahiert, um automatisch ein Prozessbild zu generieren. Es ist vergleichbar mit dem Browsen durch Prozesse bis hinab auf feingranulare Aktivitäten: welche Daten fallen an, welche Systeme werden genutzt und welche Abteilungen sind involviert. Aus den wesentlichen eingesetzten Kernsystemen werden diese Transaktionsdaten extrahiert. Anschließend läuft eine automatische Auswertung über das System. Im Falle der Schadensbearbeitung ist es beispielsweise die Ermittlung von Iterationsschleifen, Sequenzen, die bearbeiten und weiterleiten. So ist es möglich, die Prozesse miteinander zu vergleichen, also ein Benchmarking zu betreiben: Wie arbeitet Abteilung 1 und 2, welche Varianten gibt es? Haupttreiber sind in diesem Fall der Kunde, Lieferant oder einzelne Positionen, um Schwachstellen herauszufinden. Die Vorteile sind klar ersichtlich: Der Analyseprozess läuft automatisch ab, streckt sich über einen definierten Zeitraum wie beispielsweise die letzten 12 Monate, um das Monitoring kontinuierlich in Echtzeit auswerten und bewerten zu können.
Automatisierte Prozesseinblicke sind der Ausgangspunkt für jede Initiative zur digitalen Transformation in Unternehmen. Praxisbeispiel: Daten von A nach B zu übertragen, dauert eine gewisse Zeit. Eine Analyse liefert das Ergebnis, dass System 1 nicht mit System 2 vernetzt ist und daher die Zeitverzögerung verursacht. Process-Mining-Systeme sind vergleichbar mit einem „Digital Manager“, der KPIs liefert, die auf Ineffizienzen in der Prozesslandschaft hinweisen. Basierend auf Daten aus operativen Systemen visualisiert Process Mining automatisch Prozessabläufe – wie ein Röntgenbild der Geschäftsaktivitäten. Damit wird Lean Management erstmals digital: Es findet eine kontinuierliche Verbesserung in Echtzeit statt, die alle spezifischen Aktivitäten in den Unternehmen abdeckt.
Schnelles und einfaches Automatisieren mit RPA
Der nächste Schritt der Digital Workforce ist Robotic Process Automation. Hierbei handelt es sich um Technologien bzw. Tools, mit deren Hilfe virtuelle Data Robots neue Fähigkeiten entwickeln, Entscheidungen treffen sowie Bewertungen vornehmen können. Ein Vorteil, RPA einzusetzen: Es kann ohne tiefe Integration in zentrale Systeme eingesetzt werden und lässt sich somit schnell und einfach durchführen. Die zukünftige Belegschaft eines Unternehmens wird sowohl aus Menschen bestehen als auch aus virtuellen Robotern und Maschinen, die in der Cloud leben. Das Zusammenspiel zwischen Mensch und Maschine sieht konkret so aus: Virtuelle Roboter im Rahmen der RPA erledigen rund um die Uhr die sich wiederholenden alltäglichen Aufgaben mit geringer Wertschöpfung. Bots werden wie die Sachbearbeiter zuvor mit Systemen arbeiten, einen Befehl erhalten, eine Maske im System öffnen und Daten übertragen. Dies ist besonders gut geeignet bei repetitiven und wenig anspruchsvollen Tätigkeiten, bei denen keine Beurteilung nötig ist. Dies kann Mitarbeiter entlasten, die Prozesse beschleunigen und Fehleranfälligkeit minimieren. Zudem arbeitet ein Bot fehlerfrei und ohne Ausfallzeiten – ein weiterer Vorteil gegenüber den menschlichen Kollegen. Da die digitalen Roboter mit Arbeit versorgt und verwaltet werden müssen, übernehmen Menschen die Steuerung. Unsere These: Menschen werden Menschen und Roboter managen, und darüber hinaus werden Roboter auch Menschen und Roboter managen. Hierbei geht es nicht um eine Ablösung der Angestellten – es ist vielmehr eine wertschöpfende Kombination aus menschlicher und digitaler Arbeitsleistung.
Machine Learning sorgt für mehr Intelligenz
Um auch anspruchsvolle Tätigkeiten managen zu können und die Reichweite der Automatisierung zu erhöhen, kommt im letzten Schritt der Digital Workforce Machine Learning zum Einsatz. Insbesondere die Herausforderung unstrukturierte Daten wie Video, Audio oder auch handschriftlichen Dokumenten in strukturierte Daten zu überführen, wird durch Machine Learning erst möglich. Damit übernimmt Maschine Learning die Rolle einer Brücke zwischen der realen physischen und der digitalen Welt, wie beispielsweise in der Posteingangsbearbeitung. Weiterhin wird es in der komplexen Verarbeitung von Daten eingesetzt und schließlich auch in der Ausgabe der Ergebnisse an Mensch und Maschine, wenn auf eine Spracherkennung auch die Sprachausgabe folgt. Machine Learning-Algorithmen können Aufgaben wie Betrugskontrolle, Beantwortung von Kundenfragen oder die Analyse von Finanzdokumenten übernehmen. Über Textmining-Verfahren können Dokumente kategorisiert und in den richtigen Kanal gesteuert werden. Die Kombination Datenabfrage und Algorithmus kann beispielsweise bei der Kreditvergabe bewerten, ob der Antragsteller kreditwürdig ist. Oder es können auf Basis der Erfahrungen der besten Ärzte präzise Diagnosen durch die Maschine erstellt werden. Sind die virtuellen Roboter in den Händen ihrer digitalen Mitarbeiter, werden maschinelle Lernalgorithmen zu „Gehirnen“. Das digitale Gehirn erweitert den Arbeitsumfang der Roboter und leistet hochwertige Arbeiten besser und schneller als jeder Mensch.
Kapazitäten für wertschöpfende Tätigkeiten und Insourcing
Grundsätzlich entlastet die Digital Workforce Mitarbeiter von Standard-Tasks, Kapazitäten für anspruchsvollere Tätigkeiten werden frei. Ein weiterer Schritt, der wichtig für Unternehmen sein kann, ist das Insourcing von ehemals ausgelagerten Standardprozessen. Unternehmen können durch die Kombination von Robotern und Mitarbeitern wieder Prozesse inhouse abdecken und erhalten dadurch Transparenz sowie Kontrolle über diese Schritte. So ist es möglich, diese gezielt zu optimieren und ihr Innovationspotenzial zu nutzen.
Digital Workforce großflächig in Unternehmen eingesetzt
Wie dieses Szenario anschaulich zeigt, geht es letzten Endes um eine maximal effiziente Zusammenarbeit von Mensch und Maschine. Das gilt auf der operativen Ebene, wo bestimmte menschliche Eigenschaften auf mittlere Sicht dem Menschen vorbehalten bleiben, als auch auf der strategischen. Nicht zuletzt bleibt das Problem der „übergeordneten Instanz“, also derjenigen, die Maschinen (ebenso wie Menschen bzw. deren Leistung) überprüft, bewertet, evaluiert – und gegebenenfalls korrigierende Maßnahmen trifft. Hier hat in der Regel der Mensch das letzte Wort – dennoch können intelligente Maschinen ein wichtiges Korrektiv und eine entscheidende Unterstützung sein. Die Digital Workforce kann großflächig in Unternehmen aller Branchen eingesetzt werden. Insgesamt gibt es einen hohen Prozentsatz an Prozessen, die sich automatisieren lassen. Das Potential der Technologien ist enorm. Es lohnt sich immer, sich Unterstützung in Form der Workforce zu holen, um wettbewerbsfähig zu bleiben, Zeit wie Kosten zu sparen und Innovationen zu beschleunigen. Reply bietet durch die Kombination der technischen Expertise in Bereichen Machine Learning, RPA und prozessorientierter Beratung Unternehmen aller Branchen ein sehr gutes Angebot.
Weitere Informationen unter:
www.reply.com
Über die Autoren:
Stefan Gössel ist Gründer und Geschäftsführer (Partner) der Leadvise Reply Managementberatung. Geboren 1975 in Brühl, arbeitete er nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaften in Karlsruhe, Harvard und St. Gallen zunächst als Senior Consultant für die Gruppe Deutsche Börse. 2006 wurde er Partner bei der IT-Beratung EXXETA und baute dort die Einheit für IT-Strategie Beratung in Deutschland und der Schweiz auf. 2010 entwickelte er als Partner das Strategic Technology Office bei Muecke, Sturm & Company. Ende 2011 gründete er mit seinem Kollegen Tobias Gericke die Managementberatung Leadvise und berät DAX Unternehmen und andere Marktführer zum Einfluss von Technologie und Innovation auf Wirtschaft und Gesellschaft.
Schon am Anfang seines Berufslebens hat Kai Uwe Ernst sich beim Fraunhofer Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation mit Lean Management in der Fertigung beschäftigt. „Die fertigende Industrie folgt schon seit langem den Prinzipien von Lean Management und nutzt Robotik“, so Ernst. Mit BPM-Ansätzen konnte Kai Uwe Ernst auf seinen Zwischenstationen acando und adesso auch die Prozessoptimierung in den administrativen Bereichen vorantreiben. Nun finden im nächsten Entwicklungsschritt Lean Management und Robotik zunehmend auch im nicht-fertigenden Sektor Anwendung und ermöglichen die effiziente Nutzung knapper Ressourcen durch den Aufbau einer Digital Workforce. „Mit Process Mining verfügen wir heute quasi über einen Röntgenapparat für Unternehmensprozesse und können gezielt optimieren“. Der
Digital Twin einer Organisation rückt in greifbare Nähe. Heute ist Kai Uwe Ernst Geschäftsführer von Cluster Reply, dem Unternehmen der Reply-Gruppe, das sich auf die Beratung und Systemintegration von Microsoft-Technologien spezialisiert hat.
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