Von IT-Silos zur neuen Unternehmenskultur
Bei jeder Transformation muss die IT auf den Prüfstand gestellt werden. Digitalisierung und Automatisierung von Prozessen erfordern zwangsläufig ein Aufbrechen von IT-Silos. Damit ist es aber bei Weitem nicht getan, es geht dabei immer auch um die Adaption der Unternehmenskultur. Im Interview erläutern Jens Kassert, Subject Matter Expert Enterprise Open Source, und Christoph Steinhauer, Geschäftsfeldleiter Agile Methoden und Digitalisierung, bei der PROFI Engineering Systems AG, wie das gelingen kann.
Herr Kassert,warum darf eine IT-Modernisierung nicht nur aus technischem Blickwinkel betrachtet werden?
Treiben Unternehmen die Digitale Transformation und Prozessautomatisierung voran, rücken zunächst technologische Aspekte ins Blickfeld, etwa die Einführung neuer IT-Lösungen oder die Nutzung von Cloud-Services. Allerdings haben solche Veränderungen unweigerlich auch Auswirkungen auf die Arbeitsweisen und den Aufbau einer agilen Organisationsstruktur. Hierfür muss sich in der Regel auch die zugrundeliegende Unternehmenskultur anpassen.
Veränderungen – und seien sie technisch getrieben – betreffen immer die Aspekte Mindset, Menschen sowie Tools und Prozesse. Beim Mindset geht es sowohl um den Unternehmens- als auch das persönlichen Mindset, also um das Selbstverständnis, organisatorische Regelungen und Prozesse auf Unternehmensseite und um die Selbstorganisation und intrinsische Motivation des Einzelnen.
Herr Steinhauer, welche zentralen Herausforderungen bestehen?
Will man Digitale Transformationen vorantreiben und agile Organisationsstrukturen aufbauen, sind vielfach die existierenden hierarchischen Strukturen ein Hindernis. Vorbehalte bei Führungskräften, die die Gefahr eines Verlustes von Zuständigkeit und Verantwortlichkeit sehen, sind nicht selten. Alte Hoheitsgebiete werden verteidigt. An dieser Stelle, das heißt bei den Menschen, muss man ansetzen. Auch die Führungsebene muss dabei abgeholt werden. Klar ist aber auch, dass agile Strukturen geeignete Mitarbeiter erfordern. Nicht jeder Mensch wird sich in einer solchen agilen Umgebung wohlfühlen, da sie vielleicht nicht seiner Arbeitsweise entspricht. Dieser Umstand ist zu akzeptieren.
Um einem Missverständnis vorzubeugen: Für die Nutzung hierarchischer Strukturen gibt es viele – und zwar gute – Gründe. Dem agilen und teamorientierten Ansatz stehen solche Strukturen allerdings im Weg.
Bedeutet dies, dass hierarchische Organisationsmodelle und herkömmliche IT-Strukturen obsolet geworden sind?
Keineswegs. In der Regel werden hybride Organisationsmodelle dominieren. Das heißt: Die vollständig agile Organisation wird die absolute Ausnahme bleiben. Und auch in technologischer Hinsicht wird die hybride IT das gängige Modell sein, also werden beispielsweise virtuelle Maschinen und Container weiter koexistieren.
Herr Kassert, wie begegnet man den anzutreffenden Herausforderungen?
Das A und O ist das Abholen der Menschen – von der Führungsebene über die IT und Fachbereiche bis hin zum einzelnen Mitarbeiter. Dies erfordert viel Interaktion und eine zielgerichtete Kommunikation der Vorteile einer agilen Organisation – etwa hinsichtlich der Überwindung eines Silodenkens. Schafft man es, den Open-Source-Leitgedanken „gemeinsam erreicht man mehr“ organisationsweit zu verfolgen, kann dies ein entscheidender Schritt zum gemeinsamen Unternehmens-Mindset sein.
In Workshops etwa müssen zum einen die konkreten Hürden und Herausforderungen ermittelt und zum anderen die klaren – organisatorisch-kulturellen und technologischen – Zielvorgaben definiert werden. Weitere Formate wie Roundtables oder Meetups bieten sich ebenso an. Bei der Umsetzung von strukturellen Veränderungen ist eine iterative Vorgehensweise zu empfehlen.
Welche Rolle spielt die Technologie?
Ein wesentlicher Punkt darf nie außer Acht gelassen werden: Technologie hat vor allem einen unterstützenden Charakter. Das heißt, bei der Auswahl einer Plattform sollten nicht nur die technische Ausprägung und der konkrete Funktionsumfang Berücksichtigung finden. Vielmehr sollte vor allem darauf geachtet werden, dass eine Technologieplattform im Kundenkontext optimal nutzbar ist. Die Wertschöpfung ist schließlich das Entscheidende.
Herr Steinhauer, noch ein Wort zur Technik? Was ist in ihren Augen besonders wichtig?
Von elementarer Bedeutung ist das Thema Automatisierung. Es geht dabei um Geschwindigkeit, Belastbarkeit, Sicherheit und Auditierbarkeit. Automatisierung bedeutet eine durchgängige End-to-End-Automatisierung, also auch ein Aufbrechen von organisatorischen und IT-Silos. Letzteres betrifft zum Beispiel auch das Auflösen von häufig vorhandenen Werkzeug-Silos: Wenn eine Abteilung Ansible und die andere Puppet nutzt, kann das kaum zielführend sein.
Herr Kassert, betrachtet man das Ganze eher auf der Metaebene:
Was bedeuten die Veränderungen dann?
In einen größeren Kontext eingebettet, betrifft das Kultur- und Veränderungsthema typischerweise das eigene Unternehmen, die Partner und die Kunden. Das heißt, die künftige Entwicklung wird von diesen drei Gruppen geprägt – und jede Gruppe kann letztlich ein entscheidender Treiber sein, technologische Veränderungen einschließlich eines Kulturwandels konsequent voranzutreiben. Und dieses Beziehungsgeflecht wird auch dazu beitragen, dass kaum ein Unternehmen an einem kulturellen Wertewandel vorbeikommen wird.
Die Interviewpartner
Jens Kassert ist bei der PROFI Engineering Systems AG als Subject Matter Expert Enterprise Open Source tätig und verantwortet dabei auch die strategische Partnerschaft mit Red Hat. Seine bunte IT-Karriere begann vor 25 Jahren und führte ihn aus ersten selbständigen “Fingerübungen” über Stationen bei Herstellern (SUSE/Red Hat), großen und kleineren IT-Dienstleistern bis in die Start-Up-Szene. Dabei hat er schon früh sein Herz an alles, was mit Open Source zu tun hat, verloren. Als „Netzwerker-aus-Überzeugung“ hat er stets das große Ganze im Auge und verbindet Kultur, Menschen und Technologie. #beopen!
Christoph Steinhauer verantwortet bei der PROFI Engineering Systems AG den Bereich Digitalisierung und agile Methoden. Das Ziel ist es, Kunden bei ihren Aktivitäten zur Digitalisierung im Mix aus Fachbereichen und IT, aus Methoden zur Geschäftsmodellentwicklung und anwenderfokussierten Umsetzung und in der disziplinübergreifenden Zusammenarbeit zu unterstützen. Bevor er zur PROFI AG stieß war Christoph Steinhauer bei einem der großen deutschen Energieversorger für Produktentwicklung und Innovation zuständig. Davor war er in verschiedenen IT-Unternehmen in verantwortlichen Rollen im Marketing. Er vereint in seiner Rolle sechs Jahre Erfahrung im Energiesektor als Fachanwender und über 25 Jahre an der Kundenschnittstelle im Marketing.
Weitere Informationen: https://www.profi-ag.de