Digitale Unternehmenskultur & Transformation

Cultural Change: Voraussetzung für Innovationen schaffen

von Andreas Fuhrich

 

Neben künstlicher Intelligenz und Quantencomputing, worauf an anderer Stelle in diesem Heft weiter eingegangen wird, markieren Schlagwörter wie Low-Code und No-Code, Cloud Computing, Mixed Reality (MR), Plattformökonomie, Industrie 4.0 sowie Blockchain den technologischen Fortschritt unserer Zeit. All diese Begriffe – und die Liste ließe sich noch lange fortführen – werden oft unter dem Begriff der Digitalisierung subsumiert. Durch sie sind Informationen und Wissen an jedem Ort und zu jeder Zeit verfügbar. Nicht nur, dass Waren beim Online-Shopping mit nur einem Klick verfügbar sind, digitale Technologien verbessern auch die Logistik und ermöglichen eine Lieferung noch am gleichen Tag. Die Digitalisierung eröffnet zahlreiche neue Möglichkeiten für Konsumenten, im Bereich der Bildung und Ausbildung und vor allem bei der Organisation und Durchführung von Arbeit. Präzise, hoch automatisiert und fehlerfrei übernehmen Maschinen immer mehr menschliche
Aufgaben und teilweise auch ganze Jobs. Die enorm beschleunigten Prozesse verändern dabei auch die Bedürfnisse und Erwartungshaltung der Kunden und der Wettbewerbsdruck steigt. Ein Festhalten am Status quo kommt für Unternehmen daher nicht infrage. Soll die Organisation samt ihrer Mitarbeitenden erhalten bleiben, muss die Flucht nach vorn ergriffen und die digitale Transformation aktiv gestaltet werden. Nicht zuletzt auch deshalb, weil neue Geschäftsmodelle entstehen und alte obsolet werden.

Eine unlängst veröffentlichte Bitkom-Studie, zeigt dabei einen regelrechten Digitalisierungsgraben, der sich durch die deutsche Unternehmenslandschaft zieht und durch Corona noch vergrößert wird. In 47 Prozent der Unternehmen wurden längst überfällige Digitalisierungsvorhaben pandemiebedingt angeschoben, während 52 Prozent angaben, dass Digitalisierungsprojekte auf Eis gelegt wurden. 46 Prozent sehen sich als Vorreiter bei der Digitalisierung der Geschäfts- und Verwaltungsprozess und 50 Prozent als Nachzügler.

Agilität durch Low-Code


Wer bei der Digitalisierung nicht länger hinterherhinken will und träge interne Prozesse erheblich beschleunigen will, ist mit der Einführung einer Low-Code- oder No-Code-Development-Plattform gut beraten. Dabei handelt es sich um Produkte oder Cloud-Dienste für die Anwendungsentwicklung, die statt Programmierung visuelle, deklarative Techniken verwenden. Selbst User mit nur wenig (Low-Code) oder gar keinen (No-Code) Programmierkenntnissen werden so in die Lage versetzt schnell und unabhängig Lösungen zu entwickeln.

Für Dr.-Ing. Gerd Staudinger, Geschäftsführer der Stella Systemhaus GmbH, sind das genau die Eigenschaften, die eine Software agil machen. Mit G2 bietet sein Unternehmen eine No-Code-Technologie an, die speziell auf die Anwendungsentwicklung von Client-Server-Lösungen zur Verwaltung von Daten zugeschnitten ist. Sie stellt Mitarbeitenden nicht nur einen Baukasten an Funktionen und Operationen zur Verfügung, sondern ist durch ihre Server-Anbindung auch in der Lage, aus Excel und anderen Dateien eine eigene professionelle Datenbank zu bauen und zu verwalten. „Bei uns muss nichts programmiert werden. In Formularen wird festgelegt, welche Daten zu erfassen sind und welche Eigenschaften diese Daten haben. Die Beziehungen, also die Geschäftsregeln zwischen diesen Daten, werden wie bei Excel in Formeln hinterlegt“, erläutert Dr. Staudinger. „Die Anwender können klein mit einem Formular beginnen und ihre Lösung Schritt für Schritt erweitern. Sie müssen also nicht schon zu Beginn alle Anforderungen im Kopf haben. Dennoch entsteht am Ende eine ganzheitliche Lösung.“ Im Ergebnis verspricht er damit eine Zeiteinsparung von 90 Prozent gegenüber herkömmlicher Software.

Cloud Computing und das vernetzte Arbeiten

Dass auch das Thema Cloud Computing mit dem Begriff der Agilität eng verwoben ist, machte Covid-19 klar. Unternehmen, die Daten und Services für ihre Mitarbeiter über die Cloud anbieten, konnten wesentlich flexibler und agiler mit der neuen Situation umgehen. Die Cloud entpuppte sich dabei als zentraler Baustein für ein widerstandfähiges Unternehmen. Wer die Cloud optimal nutzen will, muss auch seine Unternehmenskultur daran ausrichten. „Digitale Arbeitsweisen funktionieren nicht in starren Hierarchien und abgeschotteten Silos“, konkretisiert Ertan Özdil den Gedanken. Der Mehrwert der Digitalisierung erschließt sich erst, sobald teamorientiertes Arbeiten in agilen Workflows Erfolgserlebnisse verschafft. „Als Unternehmer werde ich also die Weichen Richtung Teams und schlanke Prozesse stellen und gleichzeitig die digitalen Werkzeuge bereitstellen und verbindlich machen müssen, die es dafür braucht“, so der CEO und Gründer der CRM- und ERP-Plattform weclapp. „Die Plattform lässt sich von Anfang an intuitiv bedienen. Lange Einarbeitungsprozesse, wie wir sie von anderen Systemen her kennen, fallen komplett weg. Das ermöglicht ein schnelles Onboarding und umgehendes Arbeiten mit dem ERP-System. Hohe Investitionskosten am Anfang gibt es ebenfalls nicht.“ Cloud Computing stellt für Özdil so den entscheidenden Schritt in die Zukunft dar: „Insbesondere für kleinere und mittlere Unternehmen sind Cloud-Lösungen eine gute Möglichkeit, kostengünstig Geschäftsprozesse zu digitalisieren, automatisieren und an neusten technischen Entwicklungen teilzuhaben.“

Die zwei Arten der Digitalisierung

Die digitale Transformation lässt sich grob in zwei Bereiche unterteilen: einerseits die Digitalisierung von Geschäftsprozessen, andererseits die von Geschäftsmodellen. Geschäftsprozesse sind dabei alle Vorgänge, die im Unternehmen bereits stattfinden und durch Digitalisierung und Automatisierung nun optimiert, angepasst oder verändert werden. Das beginnt bei der Bereitstellung schnellerer Systeme und endet bei der Einführung neuer, innovativer Technologien.

„Wir fokussieren uns auf unser über viele Jahre bewährtes Geschäftsmodell der individuellen Zuhauseplanung, die wir technologisch immer weiterentwickeln“, macht Daniel Haberkorn, Managing
Director bei küchenquelle keinen Hehl aus diesem Ansatz. Mit Mixed Reality hat sein Unternehmen jetzt eine neue Technologie in den Beratungsprozess eingeführt und so selbst die Jury des German Innovation Award überzeugt. „Seit jeher revolutionieren wir die Beratung beim Küchenkauf. Mit dieser Technologie sind wir erneut Pionier“, freut sich Haberkorn über die Anerkennung. Als bisher einziger Anbieter auf dem deutschen Küchenmarkt nutzt küchenquelle Mixed Reality, um dem Kunden optimale Planungssicherheit zu geben. „Die MR-Technologie hilft, den Beratungstermin noch anschaulicher zu gestalten – mit echtem Wow-Effekt für die Beteiligten.“

Unternehmen fehlen vor allem Fachkräfte zur Digitalisierung. Nur 54 Prozent glauben, ihr Management verfüge über den nötigen Sachverstand. (2021 erstmals erhoben)

Die zweite Form der Digitalisierung betrifft die Geschäftsmodelle, die ausgeweitet, verändert oder neu erstellt werden. Neue Produkte und Dienstleistungen entstehen, die das gesamte Unternehmen und nicht selten auch den gesamten Markt umkrempeln. Erfolgsbeispiele gibt es vor allem aus dem Bereich der Plattformökonomie. Uber, als Taxiunternehmen ohne eigene Autos, und Airbnb, als Übernachtungsanbieter ohne Immobilien, verdeutlichen das disruptive Potenzial. Laut einer Studie des Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie hat die Digitalisierung für 62 Prozent der Unternehmen in Deutschland Auswirkungen auf das Geschäftsmodell.

Disruptives Potenzial bietet in diesem Zusammenhang auch die Blockchain-Technologie, wie der Deloitte Global Blockchain Survey 2020 belegt. Neben der Finanzbranche offenbart er insbesondere im Manufacturing-Sektor – der Industrie 4.0 – große Potenziale, die über die Steigerung der betrieblichen Effizienz hinausgehen und die Art und Weise der Zusammenarbeit aller Organisationen entlang der Lieferkette nachhaltig verändern können. Zielführende Anwendungsfälle sind bspw. die Schaffung von Transparenz zum Status und der Herkunft einzelner Waren entlang der Lieferkette; die Erleichterung des Rückrufs einzelner Produkte durch eine einfache Nachvollziehbarkeit der gesamten Verarbeitungskette sowie die Nutzung sogenannter „digitaler Zwillinge“ der Produkte und Güter, um Produktpiraterie und Plagiate zu verhindern.

„Mikroversicherungen ohne Versicherer; ein Verkaufsportal wie Amazon, aber von Herstellern gemeinschaftlich geführt; E-Commerce, bei dem keine persönlichen Kundendaten gespeichert
werden; Musiker oder Autoren, die ihre Kunst direkt verkaufen und dabei Tantiemen ohne Verleger oder GEMA automatisiert ausgeschüttet bekommen sowie weiterempfehlende Kunden, die zu Mitverdienern werden“, gibt Gero Grebe, Director Strategy & Consulting der Digitalagentur Valtech, weitere Anwendungsmöglichkeiten aus einer langen Liste zu Protokoll. „Blockchain und Crypto ist ein sagenumwobenes, schwer zu durchblickendes Feld. Da helfen wir unseren Kunden bis hin zu ersten Prototypen. Oder wir vernetzen verschiedene Kunden untereinander. Denn dies ist eine Technologie, die vor allem für den Austausch geeignet ist – nichts, was man als Unternehmen allein im Keller zum Erfolg bringt.“

Innovation ist Trumpf

Ganz gleich ob neue Technologien die Geschäftsprozesse ändern oder gleich ganz neue Geschäftsmodelle entwickelt werden, eine Innovationen fördernde Unternehmenskultur ist der wohl stärkste Beschleuniger der digitalen Transformation. Eine Vorbildfunktion sowohl für große Konzerne als auch mittelständische Unternehmen nehmen Start-ups ein. Sie gelten als besonders agil und anpassungsfähig. Ideale Voraussetzungen, um in einem dynamischen Marktumfeld auf Veränderungen zu reagieren. Der Cultural Change, lockere Hierarchien und neue Organisationsformen sind hier
gelebte Praxis und bieten ideale Rahmenbedingungen, um Innovationen schnell umzusetzen, neue Geschäftsmodelle hervorzubringen und das Unternehmen so fit für die Zukunft zu machen. Zahlreiche Konzerne haben das Potenzial einer Start-up-Kultur mittlerweile erkannt und gründen innerhalb ihrer Konzernstruktur einzelne Geschäftsbereiche neu aus.

Die rready AG, ein Spin-off der Swisscom AG, ist hierfür ein gutes Beispiel. Aus dem explorativen Ansatz der Kickbox-Methode von Adobe schuf das Start-up die Softwareplattform Getkickbox, womit Innovationsprozesse einfach und effizient skaliert werden können. „Unsere Erfahrung zeigt, dass Mitarbeitende das größte Kapital einer Firma sind. Deshalb bietet rready Softwarelösungen an, um Innovation von Mitarbeitenden zu fördern“, begründet der CEO Dave Hengartner seine Motivation. Silicon-Valley-Unternehmer Mark Randall, Erfinder der Kickbox-Methode und ehemals Chief Strategist und VP of Creativity bei Adobe, ist als Mentor aktiv involviert: „Das rready-Team hat aus der Kickbox-Methode auf beeindruckende Weise eine Innovationslösung für Unternehmen in der ganzen Welt geschaffen.“ Die Lösung bietet Mitarbeitenden einen niederschwelligen Zugang zum unternehmenseigenen Innovationsprozess, der mit der Software strukturiert werden kann: Egal ob ein Gedankenblitz oder eine ausgeklügelte, durchdachte Innovation – alles kann direkt eingespeist werden.


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Innovationen fördern

Um innovative Ideen in neue Technologien zu verwandeln, reichen guter Wille und Arbeitseifer nicht aus. Ohne entsprechende finanzielle Mittel ist jedes Innovationsprojekt von vornherein zum Scheitern verurteilt. „Unternehmerischer Mut, Weitblick und Aufgeschlossenheit für neue Ideen dürfen keine Frage der Unternehmensgröße sein“, heißt es in einem Prospekt des Bundesministeriums
für Bildung und Forschung. „Doch die Risiken von Forschung und Innovation sind gerade für kleine und mittlere Unternehmen (KMU) nicht leicht zu tragen. Ziel der Innovationsförderung der Bundesregierung ist es, größenbedingte Nachteile bei KMU auszugleichen und Entwicklungspotenziale zu erschließen.“ Da es „in der Förderung keine Einheitslösung“ gibt, soll der Prospekt „ein Wegweiser über die vielfältigen Unterstützungsangebote für KMU“ sein. „Aktuell, mit Fördertipps, Checkliste und Weblinks“ wirbt die Titelseite mit einem kleinen Button. De facto ist das Papier allerdings noch auf dem Stand vom April 2018 und wurde lediglich im Februar 2021 unverändert nachgedruckt, wie das Impressum verrät.

In der Förderlandschaft hat sich seither einiges getan. Das 2020 verabschiedete Gesetz zur steuerlichen Förderung von Forschung und Entwicklung, kurz Forschungszulagengesetz, schafft nicht nur einen rechtlichen Anspruch auf Förderung, sondern ist auch anders als die meisten der existierenden Förderprogramme nicht gedeckelt. „Mit diesem Gesetz können Unternehmen staatliche Unterstützung für ihre Forschungs- und vor allem auch Entwicklungsaufwendungen erhalten“, erläutert Marcus Arens, Director Sales & Business Development bei Ayming. Gemeinsam mit seinen Kunden analysiert er deren Forschungs- und Entwicklungsprojekte und unterstützt diese bei der Antragstellung. „Das heißt, wir müssen für die Forschungs- und Entwicklungsprojekte das technische Verständnis besitzen, um dieses dann in die Anträge einfließen zu lassen“, präzisiert Arens. „Entsprechend besteht unser Team bei Ayming zum überwiegenden Teil aus technischen Experten, Ingenieuren und Naturwissenschaftlern, die komplexe Zusammenhänge quasi in die Sprache des Fördermittelgebers übersetzen. Sie müssen wissen, dass der Antrag auf die Bescheinigung maximal
4 000 Zeichen beinhalten darf.“

Eine weitere Methode, die vor allem von Start-ups häufig genutzt wird, ist das Crowdfunding, das oft auch als Schwarmfinanzierung bezeichnet wird. Dabei unterstützt eine Vielzahl von Menschen Projekte finanziell. Die Projektinitiatoren wenden sich über eine Plattform direkt an die Öffentlichkeit, um möglichst viele Interessenten für eine gemeinschaftliche Finanzierung zu gewinnen. Häufig werden auf diese Weise auch Projekte realisiert, die weder eine Bank noch einen Venture Capitalist oder Business Angel überzeugten. 2019 konnte dieses wachsende Investmentsegment 292 Unternehmervisionen realisieren. Was die Investoren im Gegenzug erhalten, hängt von den einzelnen Plattformangeboten ab: Spenden, Kredite, oder eine Bevorzugung beim Vorverkauf – alles ist möglich.

So kann es auch bei der Finanzierung von innovativen Projekten helfen, eingetretene Pfade zu verlassen und offen für sich bietende neue Lösungen zu sein. Besagte Offenheit ist so von Anfang an eine wichtige Komponente des viel beschworenen Cultural Change, ohne den eine digitale Transformation im Unternehmen nicht gelingen und Innovationen nur schwer angestoßen werden können.

Dabei sollten sich Unternehmen vor Augen führen, dass sich nicht nur die Erwartungshaltung von Kunden durch neue Technologien ändert, sondern insbesondere auch die der Mitarbeitenden. 97 Prozent der für die digitale Transformation notwendigen Fachkräfte geben laut einer von Step-Stone durchgeführten Studie an, dass ihnen die Unternehmenskultur wichtig ist. Nur Unternehmen, die das passende Cultural Fit bieten, werden entsprechend als Gewinner aus dem digitalen Wandel mit optimierten Prozessen oder neuen Geschäftsmodellen hervorgehen können.