Seelische Gesundheit im digitalen Zeitalter
Die Digitalisierung bringt viele Vorteile mit sich. Wir können miteinander kommunizieren, ohne dass die Entfernung dabei eine Rolle spielt. Informationen, Daten und Wissen sind frei zugänglich und geschäftliche Beziehungen unproblematisch weltweit möglich – dank moderner Kommunikation und digitalen Zahlungsmethoden. Ortsunabhängiges Arbeiten in einem internationalen Team, das in mehreren Ländern sitzt, über verschiedene Zeitzonen hinweg ist keine Seltenheit mehr.
Unternehmen profitieren von digitalen Arbeitsweisen: Dienstreisen werden durch digital unterstützte Video-Meetings obsolet, dank Hotspots ist der moderne Arbeitnehmer auch unterwegs erreichbar und Cloud-Systeme ersetzen volle E-Mail-Anhänge sowie Papiermüll. Doch ein System ist stets nur so gut wie sein schwächstes Glied – der Mensch.
Denn um mit den gesteigerten Anforderungen im Beruf Schritt zu halten, nehmen wir immer mehr Arbeit (und Stress) mit nach Hause. E-Mails werden abends noch schnell gecheckt, der Report noch schnell fertiggestellt. Die Zeiten, in denen 17 Uhr Feierabend bedeutete, der PC heruntergefahren und bis zum nächsten Tag nicht mehr an Arbeit gedacht wurde, sind zum größten Teil vorbei. Besonders die ständige Erreichbarkeit (auch im Urlaub), die Erwartungshaltung, dass E-Mails sofort beantwortet werden müssen (auch nach Feierabend) setzt Arbeitnehmer unter immer größeren Druck. Fast jeder Fünfte leidet unter digitalem Stress im Büro, so eine gemeinsame aktuelle Studie der Universität Bayreuth, der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin und des Fraunhofer-Instituts.
Wie wirkt sich digitaler Stress auf das Wohlbefinden von Arbeitnehmern aus?
Die digitale Arbeitswelt führt zu immer längeren Arbeitszeiten, in denen wir immer mehr Zeit am PC und somit an einem festen Platz verbringen. Besonders die Generation der Millennials ist davon betroffen. Sie ist an lebenslanges, selbständiges Lernen gewöhnt und versucht, durch harte Arbeit und viel Initiative Probleme selbständig zu lösen. Das führt oft dazu, dass Arbeit mit nach Hause genommen wird, auch an Wochenende nicht abgeschaltet wird und so nicht genug Zeit bleibt, sich zu regenerieren.
Wer sich über eine längere Zeit nicht entspannen kann, die Batterien nicht wieder auftanken kann und Beruf und Arbeit nicht voneinander trennt, wird früher oder später ausbrennen. „Burnout“ und „Depression“ sind mittlerweile Volkskrankheiten. Die Zahl der Fehltage in deutschen Firmen aufgrund von psychischen Leiden ist alarmierend hoch. Laut dem aktuellen DAK-Psychoreport 2019 kamen 2018 auf 100 deutsche Arbeitnehmer 236 Fehltage. Die Langzeitstudie warnt, dass dies drei Mal so viele Fehltage wie noch vor 20 Jahren seien. Vor allem mehr Stress am Arbeitsplatz wird dafür verantwortlich gemacht. Forderungen nach einer Anti-Stress-Verordnung sowie besseren Schutzmaßnahmen von Seiten des Arbeitgebers wären probate Mittel, um dem entgegenzuwirken.
Neben den psychischen Folgen leiden Arbeitnehmer auch körperlich unter Stress. Denn bei 10- bis 12-Stunden-Tagen bleibt nicht mehr viel Zeit zum Einkaufen oder Kochen, oftmals fehlt dazu auch die Motivation, sondern es wird sich schnell etwas auf die Hand geholt. Freizeitaktivitäten, die den Bewegungsmangel am PC ausgleichen würden, fallen oftmals aufgrund des angesprochenen Motivationsmangels weg. Zusätzlich sorgt das Stresshormon Cortisol auf Dauer für einen erhöhten Blutdruck und Zuckerwert im Blut, es hemmt die Fettverbrennung und sorgt für Gewichtszunahme, Osteoporose und depressive Verstimmungen.
Der Druck, sowohl im Job als auch im Privaten perfekt zu sein, wird durch die Digitalisierung verstärkt
Millennials und die Generation Z gelten als Selbstoptimierer, sie versuchen ein immer größeres Arbeitspensum zu stemmen – je höher der Druck von außen, umso höher der Druck, unter den sie sich selbst setzen. Das fängt bei der Ernährung an und zieht sich über den Besuch im Fitness-Studio bis zur Selbstdarstellung in den sozialen Medien. Denn für diese Generationen ist es durch die Digitalisierung fast schon obligatorisch, sich gut nach außen hin zu präsentieren. Gesund und fit in den sozialen Medien aufzutreten, gehört für viele einfach zum Leben dazu. Entspricht man dem Schönheitsideal nicht, vergrößert dies den persönlichen Druck. Denn wer dick ist, gilt als faul und undiszipliniert und muss sich in den sozialen Medien viele kritische Bemerkungen gefallen lassen. Laut einer DAK Umfrage gaben 71 Prozent der Befragten an, dicke Mitmenschen unästhetisch zu finden, und 15 Prozent vermieden bewusst den Kontakt zu korpulenten Menschen.
Mit anderen Worten: Diejenigen, die durch ihren stressigen Job sowieso schon nicht genügend Ruhepausen bekommen und stressbedingt an verschiedenen gesundheitlichen Folgen leiden, müssen zusätzlich mit der Stigmatisierung dieser Folgen leben – sei es Übergewicht (also körperliche Beschwerden) oder psychische Leiden (wie Stress, Burnout oder Angststörungen). Um aus diesem Kreislauf auszubrechen, braucht es mehr als nur die ‚guten‘ Ratschläge, doch mal ein bisschen mehr Sport zu machen, oder, im Falle von Depressionen, sich doch einfach zusammenzureißen. Denn die eigentliche Ursache – Stress – muss bekämpft werden.
Was können Arbeitgeber tun, um Stress bei Mitarbeitern zu vermeiden?
Keine Arbeit mit nach Hause nehmen: Arbeitgeber können beispielsweise dafür sorgen, dass Arbeitnehmer keine (zumindest nicht regelmäßig) Arbeit nach Hause mitnehmen. Das geht natürlich nur, wenn die Erwartungen und das Arbeitspensum angemessen sind. Regelmäßige Gespräche über mögliche Überlastung und Stressbewältigung sind ein gutes Frühwarnsystem.
Überstunden sind nicht die Lösung für schlechte Planung: Grundsätzlich sollte eine Überstunde hier und da kein Problem darstellen, aber es sollte nicht regelmäßig erwartet und von Vorgesetzten vorgelebt werden. Was sich hier besser bewährt, sind genaue Planung und Entlastung eines Mitarbeiters durch Teamkollegen, damit dauerhafte Leistungsfähigkeit gegeben ist.
Offene Unternehmenskultur und Feedbackschleifen: Wer ständig nur gegen die E-Mail-Flut kämpft und von Deadline zu Deadline rennt, wird auf keinen Fall auf lange Zeit ein profitabler Mitarbeiter sein können. Arbeitgeber sollten dies erkennen und Strukturen sowie eine Unternehmenskultur schaffen, in denen eine Aufgaben-Überlastung angesprochen werden kann und in der gemeinsam proaktiv nach Lösungen gesucht werden.
Urlaub ist Urlaub: Wer erholte Arbeitnehmer möchte, muss dafür sorgen, dass sie sich im Urlaub auch erholen können. Den Kollegen (oder auch den Chef) im Urlaub anzurufen, sollte daher wirklich nur im absoluten Notfall geschehen. In 99,9 Prozent aller Problemfälle kann der Urlauber aus der Ferne sowieso nicht helfen bzw. jemand anderes könnte es genauso gut.
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