Risikofaktor Grün: Wenn Nachhaltigkeit zum KO-Kriterium wird
Dies ist ein Gastbeitrag von Alexander Kovrigin, Marken- und Innovationsstratege sowie
Standortleiter von Grabarz JMP
Ihr Telefon klingelt. Es ist der Chef. Sie hören: „Wir müssen was tun!”. Vielleicht auch: „Wir müssen noch mehr tun!” Dann fallen Begriffe wie „Zertifizierung”, „Verpackung”, „Footprint”, „CO2”. Und Sätze wie: „Der Wettbewerb hat schon…”, „Der Vorstand möchte…”. Auch Sie wollen etwas bewegen, verändern, verbessern. Die Marke soll sich im Wettbewerb differenzieren – genau dafür wurden Sie eingestellt. Doch so richtig kam bisher kein Zug auf das Thema. Viele Nachhaltigkeitsprojekte mussten angeblich „wichtigeren”, „geschäftsrelevanten” Veränderungen den Vortritt lassen. Warum also der plötzliche Kurswechsel?
Nachhaltigkeit wird zum KO-Kriterium für Verbraucher, Talente und Gesetzgeber
Nachhaltigkeit spielte bei Kaufentscheidungen lange eine untergeordnete Rolle. Viele Menschen sahen im nachhaltigen Konsum einen Luxus, andere ein Taschenspielertrick der Wirtschaft. Doch seit Corona erfährt die Gesellschaft eine Neu-Priorisierung der Werte. Die Studie „Konsumgüter und Einzelhandel“ von Capgemini aus dem Jahr 2020 zeigt: „Nachhaltigkeit” hat sich als kaufrelevantes Entscheidungskriterium fest etabliert.1 Inzwischen wird auch der Zugang zum Kapital an die „Green Performance” geknüpft. Fonds-Giganten wie Blackrock wollen Kredite an messbare, ökologische Erfolge knüpfen 2. Auch Regierungen regulieren Unternehmen verstärkt entlang ökologischer Anforderungen 3. Und immer mehr Bewerber möchten wissen, wie und was ihr Arbeitgeber zu einer besseren Welt beiträgt 4.
Die vier häufigsten strategischen Fehler
Die Lage ist also ernst. Kunden suchen nach grünen Alternativen, sustainable Startups drängen auf den Markt, wichtige Human- und Kapitalströme drohen zu versickern. Jetzt heißt es, positiv bleiben und die guten Seiten dieser Forderungen sehen. Zumindest sind alle an Bord: Kunden, Vorstand, die Finanz- und die HR-Abteilung wollen alle das Gleiche. Sie machen sich an die Arbeit. Die Frage ist, was sollten Sie jetzt tun. Vor allem aber, was sollten Sie lieber NICHT tun? Zu den häufigsten strategischen Fehlern zählen die folgenden:
#1 Quick Fixes
Wäre es nicht schön, wenn man mit einer Aktion, mit einem Projekt, mit einer Kampagne, oder besser noch – mit einer einzigen Anzeige – der Welt zeigen könnte, dass Ihr Unternehmen Nachhaltigkeit ernst nimmt. Die Farbe des Logos zum ‚Earth Day‘-Tag auf grün ändern 5, den Schalter bei der Stromversorgung der Produktionsanlagen auf Windenergie umlegen, die Plastikverpackung mit Papierfasern anreichern. Das klingt gut, verschiebt die substanzielle Auseinandersetzung mit der eigenen Nachhaltigkeitsstrategie aber nur nach hinten.
#2 Größenwahn
Dann gibt es noch den Größenwahn – für Außenseiter am großen PR-Statement erkennbar. Es fängt mit den Worten „Bis zum Jahr 2030 wollen wir …” an. Die Ankündigung klingt nobel, doch die natürliche Trägheit und Lernkurve des eigenen Unternehmens wird brutal unterschätzt. Das Ergebnis: viele Unternehmen verzetteln sich auf dem Weg zum Ziel, lösen das Versprechen auf Nebenschauplätzen ein oder kehren gar die große Ankündigung nach ein paar Jahren einfach unter den Tisch6.
#3 Aktionismus
Ein anderer häufiger Fehler: der blinde Aktionismus. Ein willkürliches Thema wird zum Nachhaltigkeitsthema Nr. 1 auserkoren. Auslöser dafür sind oft persönliche Vorlieben des Chefs, kritische Social Media-Kommentare, Artikel über neue Zukunftstechnologien. So versteift sich manch ein Unternehmen z.B. auf Circular Economy oder nachhaltige Verpackungen7 und kommt damit nicht weiter, weil es sich im eigenen Business Model nicht umsetzen lässt. Und hat man doch tatsächliche Erfolge in einem Bereich erreicht, ruht man sich darauf aus, während ein Wettbewerber links vorbeizieht.
#4 Innensicht
Es gibt grüne Hebel, die kann nur Ihr Unternehmen erkennen und bewegen. Zum Beispiel, dass man 300 Tonnen CO2 im Jahr sparen kann, wenn man die Paletten im LKW quer und nicht mehr längst stapelt. Oder, dass eine Plastikverpackung unter Umständen eine bessere Ökobilanz hat als eine Glasflasche 8. Doch wenn der Endkunde die Optimierung nicht versteht, oder als Verschlechterung empfindet, kommt man auch nicht richtig voran – egal ob man recht hat oder nicht. Schließlich wird Ihr Produkt von Kunden gekauft.
Ein Lösungsansatz: Ein Framework in drei Schritten
Was können Sie nun also tun? Wie bringt man alle Perspektiven zusammen?
Ein einfaches, datenbasiertes Framework hilft dabei, eine langfristige Nachhaltigkeitsstrategie abzuleiten. Das Motto dabei: „Machbares machbar machen.” Das heißt, datenbasiert und strategisch denken, taktisch und praktisch umsetzen.
- Daten aus unterschiedlichen Perspektiven erheben
Zunächst gilt es eine gute Datenbasis zu legen. Schließlich wollen Sie Ihre aktuelle Nachhaltigkeitsperformance objektiv einschätzen. Beziehen Sie dafür alle wichtigen Nachhaltigkeitsdimensionen ein. Am besten funktioniert eine Mischung aus branchenübergreifenden und branchenspezifischen Faktoren. Diese werden nun aus unterschiedlichen Perspektiven bewertet. Eine Perspektive, die oft vergessen wird, ist die Kundenperspektive. Was ist den Kunden wichtig? Was erwarten Sie von Produkten in Ihrer Branche oder ganz spezifisch von Ihrem Unternehmen oder Ihrer Marke? Eine andere die Marktperspektive. Wo steht der Wettbewerb und wo stehen Sie? Die dritte: die eigene Unternehmenssicht. - Über eine Gap- & Chancen-Analyse zur effektiven grünen Strategie
Jetzt heißt es von oben auf die Ergebnisse schauen. Wie grün werden Ihre Marke und Ihr Unternehmen wahrgenommen? Was ist relevant für Ihre Kunden? Wo ist der Wettbewerb besonders stark und wo schwach? Ist eine nachhaltige Fischerei für Sie ein ‚Nice-to-Have‘ oder ein Risikofaktor, da Ihr Unternehmen die Kundenerwartungen nicht erfüllen kann? Und was können Ihre Produktion oder Einkauf tatsächlich leisten? Sie werden schnell erkennen, wo Ihre relativen Stärken und Schwächen liegen. Mit einem Blick auf die Trends baut sich so nach und nach eine Klarheit über die eigene, differenzierende grüne Strategie auf. - Dran bleiben und tracken
Ein überraschender Nebeneffekt des strukturierten, strategischen Vorgehens: Sie haben nun ein Tool, mit dem Sie Ihre aktuellen Nachhaltigkeitsprojekte nicht nur bewerten, sondern auch in Zukunft steuern können. Auf einen Blick wissen Sie, ob Ihre aktuellen und zukünftigen Projekte in die gleiche Kerbe schlagen. Sie können Projekte priorisieren und mit guten Gründen ganz einstampfen. Sie können bereits nächstes Jahr überprüfen, ob Ihre Investition z.B. in die Verwertung von Abfällen im Unternehmen durchgreifen und Ihr Image unter Kunden und Bewerbern profilieren.
Hallo, hier ist der Chef.
Sechs Wochen später. Wieder klingelt das Telefon. Es ist der Chef. „Wie kommen Sie voran?” Sie antworten: „Wir haben drei Projekte gestoppt!” Stille. „Weil sie ökologisch und ökonomisch sinnlos waren und uns langsam gemacht haben. „Dafür werden wir als erster im Markt das Thema „Zero Waste” besetzen, weil wir bereits heute 90% der Abfälle wiederverwerten. Und die Kunden sehen hier einen echten Differenzierungsfaktor zum Wettbewerb.” „Wann können Sie mir mehr davon erzählen?” fragt der Chef.
Weitere Informationen unter:
https://grabarz-jmp.de/greenradar
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Quellen
1 https://www.capgemini.com/de-de/news/studie-herz-nachhaltigkeit-gluecklich-verbraucherpraeferenzen-veraendert/
5 https://www.wuv.de/marketing/gruen_statt_magenta_telekom_zelebriert_die_earth_hour