Schon heute erledigt künstliche Intelligenz spezifische Aufgaben im Rahmen der Rechtsberatung schneller und mit weniger Fehlern, als der Mensch es kann. Dieser Trend wird sich fortsetzen. Was dem Mandanten Kosten und Zeit spart, bietet auch dem Anwalt Chancen: Der Computer übernimmt langwierige und fehleranfällige Routine-Aufgaben, während der Jurist sich auf anspruchsvolle, wertschöpfende Tätigkeiten konzentriert.

Ein Beispiel: Ein Unternehmen kauft einen Wettbewerber und beauftragt seine Hauskanzlei mit der Due Diligence. Ein Team von Anwälten durchkämmt das Target auf mögliche rechtliche Risiken: Nadeln im Heuhaufen. Eine Standard-Nadel ist die sogenannte Change-of-Control-Klausel, nach der ein Kunde oder Geschäftspartner den Vertrag kündigen darf, falls das Unternehmen einen neuen Eigentümer erhält. Jede Change-of-Control-Klausel in Bestandsverträgen stellt ein Risiko dar, weil das Unternehmen ohne seine Kunden oder Partner deutlich an Wert einbüßen kann.

Statt eines großen Teams von Anwälten überprüft heute bereits oft ein Computer innerhalb von Minuten alle Verträge auf diese Klausel hin. Dabei muss er allerdings viele verschiedene Stichworte mit einbeziehen, denn die Klausel kann verschiedene Begriffe nutzen, etwa Übertragung von Geschäftsanteilen, Kontrollübergang oder Gesellschafterwechsel. Diese sogenannte lexikalische Suche ergibt typischerweise eine große Menge von Treffern.

Auf der zweiten Stufe, der syntaktischen Analyse, bezieht das Programm strukturelle Kriterien mit ein. Wie folgen die Begriffe im Text aufeinander, wie weit stehen sie voneinander entfernt, welche Worte oder grammatikalischen Konstruktionen vermitteln zwischen zwei Begriffen. Hier fallen viele falsche Treffer durch das Raster. Auf der dritten Stufe, der semantischen Analyse, wird die Bedeutung der verwendeten Begriffe mit einbezogen. Wörter mit mehreren möglichen Bedeutungen werden klar definiert.

Gastautoren:
Dr. Konstantin von Busekist (oben), Partner, Leiter Compliance- und Wirtschaftsstrafrecht, und Philipp Glock (unten), Senior Manager, Leiter des Bereichs Legal Tech, Standortleiter Leipzig, beide KPMG Law Rechtsanwaltsgesellschaft mbH

Selbstlernende Maschinen

Wollte der Mensch dem Computer alle Informationen zu jedem dieser Schritte vorgeben, so würde er niemals mit seiner Aufgabe fertig. Selbstlernende Computerprogramme sind deshalb so aufgebaut, dass sie Strukturen und Zusammenhänge in einer Vielzahl von Dokumenten erkennen und daraus Rückschlüsse ziehen können. Ein Programm kann dann auch neue Begriffe identifizieren, die auf eine Change-of-Control-Klausel hinweisen, an die der Mensch beim Abfassen des Programms aber vielleicht noch gar nicht dachte. Diese Lernfähigkeit setzt zwei Dinge voraus: Ein Programm, das die entsprechenden Analysefunktionen umfasst, sowie große Mengen an Datenmaterial. Das kann alle Verträge eines großen Unternehmens umfassen, das können aber genauso gut sehr umfassende Ausschreibungen, die gesamte Buchhaltung eines Unternehmens oder jedes andere (elektronische) Konvolut sein.

Beispiel Compliance: Ein Programm analysiert laufend alle Dokumente und Vorgänge im Unternehmen und meldet, wenn ein Compliance-Verstoß wahrscheinlich oder möglich erscheint. Die Sensibilität des Programms kann individuell gewählt werden. Das Programm meldet etwa, wenn eine Rechnung doppelt ausgestellt wird oder andere Fälle, in denen eine Manipulation naheliegt. Beispiel Compliance-Anfragen: Werden alle internen Anfragen an die Compliance-Abteilung elektronisch erfasst, so kann ein Analyse-Tool Hinweise für die häufigsten Themen herausfiltern und Vorschläge für interne Schulungen oder zusätzliche Kontrollmechanismen machen. Langfristig stärkt das System so die Compliance im Unternehmen insgesamt.

Beispiel Vertragsklauseln: Eine Analyse großer Mengen von Haftungsfällen gibt darüber Aufschluss, über welche Klauseln in einer bestimmten Branche am häufigsten in Verhandlungen gestritten wird. Und noch wichtiger: Die Analyse stellt auch klar, welche Formulierung am häufigsten Erfolg hat. Beispiel Vergleich: Eine Analyse vieler ähnlich gelagerter Verfahren kann ergeben, dass im Laufe des Verfahrens häufig ein Vergleich mit jeweils ähnlichen Elementen getroffen wird. Wissen die Parteien von Anfang an um diesen (wahrscheinlichen) Ausgang, so können sie von vornherein auf diesen Vergleich hinarbeiten und damit das Verfahren abkürzen.

Vorteil Größe

Selbstlernende Software ist heute bereits Realität. Was in vielen Fällen noch fehlt, sind ausreichend große verfügbare Datenmengen. Nicht jeder Vorgang in jedem Unternehmen wird elektronisch erfasst und steht zur Auswertung zur Verfügung. Und nicht jedes Unternehmen ist groß genug, um allein so viele Daten zu generieren, dass es für den Lern-Algorithmus ausreicht. In der Praxis bilden sich deshalb Plattformen heraus, die die Daten mehrerer Anbieter aggregieren und nutzbar machen.

Das einzelne teilnehmende Unternehmen profitiert durch Auswertungen speziell für seine Branche und Unternehmensgröße ebenso wie durch individuelle Auswertungen seines eigenen Datenbestands. Kanzleien sind wegen der Vertrauensstellung zu ihren Mandanten und wegen ihrer rechtlichen Expertise gut aufgestellt, um solche Plattformen aufzubauen. KPMG Law als eine der führenden Kanzleien im Bereich Legal Tech gestaltet diese Entwicklung aktiv mit.