Mittelstand und Industrie 4.0 – Bereit für den Sprung?
„Industrie 4.0“. Seit etwa sieben Jahren existiert dieser Begriff. In Wirtschaft und Politik kennt und verwendet ihn inzwischen so ziemlich jeder. Den Glanz des Neuen hat Industrie 4.0 zwar verloren. Hochaktuell aber ist das Programm, das sich hinter dieser Bezeichnung verbirgt. Doch worum geht es dabei eigentlich genau, was bedeutet dies für den deutschen Mittelstand, der die deutsche Wirtschaft bekanntlich maßgeblich prägt? Anhand der Werkzeug-, Modell- und Formenbaubranche skizziert dieser Beitrag beispielhaft, wie die Digitalisierung der industriellen Produktion gelingen kann.
Sprungbereit?
Digitalisierung und das Internet der Dinge sind Begriffe, die für einen grundlegenden Wandel der Industrie- und Konsumgesellschaft stehen. Sie umfassen sowohl konkrete Veränderungen – wie den Siegeszeug der sozialen Medien oder der Smart Phones – als auch Visionen im Sinne einer Smart City oder von Smart Healthcare. Mit dem Begriff Smart Factory wiederum verbinden sich branchennahe Themen, die bereits Alltagstauglichkeit besitzen. Beispiele sind Automatisierung, konsequente Datenerfassung oder Nutzung von Augmented Reality.
Die klassische industrielle Produktion jedoch, das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, hat im Vergleich mit den anderen Wirtschaftssektoren unseres Landes deutlichen Nachholbedarf. Dies belegen aktuelle Marktzahlen und Studien nach wie vor.
Auf der anderen Seite stehen langjährig etablierte Wirtschaftszweige, die sich immer stärker einer Vielzahl an Stressoren ausgesetzt sehen. Auch im Werkzeug-, Modell- und Formenbau zählen dazu der verschärfte Wettbewerb und ständig komplexere Anforderungen. Gleichzeitig fallen die Preise für die Endprodukte und der Fachkräftemangel macht sich bemerkbar. Der Lieferzeitpunkt und damit verbunden eine kurze Durchlaufzeit werden immer mehr zu Hauptentscheidungskriterium bei der Auftragsvergabe.
Industrie 4.0 im Werkzeug-, Modell- und Formenbau
Für den Werkzeug-, Modell- und Formenbau heißt «4.0» nicht nur digitale Vernetzung aller Unternehmensbereiche und -prozesse – vom Auftragseingang über die Konstruktion, Planung und Produktion bis zum fertigen Bauteil – sondern steht für alles, was zum digitalen Informationsaustausch mit Kunden, Zulieferern und Partnern dazugehört. Im Fokus stehen die effiziente Nutzung aktueller und neuer Bearbeitungs-, Handlings- und Software-Technologien sowie die permanente Einbeziehung und Weiterentwicklung der Mitarbeiter. Werkzeug-, Modell- und Formenbau 4.0 hat eine klare Vision und Strategie, verfügt über eigenverantwortliche Mitarbeiter und erfasst über den gesamten Wertschöpfungsprozess Daten zur kontinuierlichen Verbesserung.
Die Verwendung dieser Daten sowie das Management von Wissen und
Erfahrungswerten steigern den Unternehmenswert. Denn 4.0-Unternehmen arbeiten effizient, standardisiert, realisieren kurze Durchlaufzeiten bei hoher Flexibilität und maximieren die Produktivität ihrer wertvollen Betriebsmittel.
Vom Werkzeugmacher zum digitalen Fertiger
Die klassische berufliche Biographie in der Fertigung befindet sich unter dem Einfluss der Digitalisierung im Wandel: An die Stelle der klaren Berufsbilder eines Werkzeugmachers, eines Schleifers oder auch eines Zerspaners rückt zunehmend die Nachfrage der Unternehmen an rundum versierte Experten, die zahlreiche Prozessschritte kombinieren und eigeninitiativ durchführen können. Dazu zählen neben dem Bedienen der mittlerweile hochmodernen 5-Achs-Fräsmaschinen vor allem auch profunde CAD/CAM-Kenntnisse: längst genügt es nicht mehr, „nur“ die NC-Parameter und die Vorschubwerte im Blick zu haben. Im digitalen Zeitalter sind z.B. auch leistungsstarke Simulationstechnologien für die automatisierte (mannlose) Fertigung unabdingbar. Wichtig sind in Zeiten eines verschärften Wettbewerbsdrucks zudem der Blick über den Tellerrand, der Fokus auf Effizienz, Produktivität und wirtschaftliche Kennzahlen. Entsprechend wichtig sind wirtschaftliche Kenntnisse oder auch grundlegendes Know-how in Bezug auf Planung und Logistik. Kurz: An die Fachkräfte in der Fertigung 4.0 werden hohe Anforderungen gestellt, und ihr Tätigkeitsfeld ist deutlich aufgewertet. Nicht zuletzt aufgrund des wachsenden Fachkräftemangels sehen sich Ausbildungsstätten sowie die ganze Branche in der Pflicht, entsprechend attraktive Ausbildungs- und Weiterbildungsangebote zu schaffen.
Automatisierung und Vernetzung
im Sinne von Industrie 4.0
Um in diesem Marktsegment wettbewerbsfähig zu bleiben, müssen Anbieter neben einer hohen Produktivität zusätzlich die hochwertige Qualität ihrer Werkstücke sicherstellen und hier liegt der Schlüssel für den Einstieg in die Industrie 4.0 – das Zauberwort lautet Automatisierung. Doch genau an dieser Stelle zucken bislang viele Unternehmen zurück. Denn: Bis vor wenigen Jahren war die Branche noch sehr handwerklich geprägt. Qualität wird hier traditionell mit handwerklichem Know-how verbunden, sie ist im hohen Maße abhängig vom Fertigungswissen der Mitarbeiter. So bestimmt etwa die 3D-Oberflächenbearbeitung maßgeblich die Qualität in der Blechbearbeitung. Perfekte Class-A-Oberflächen verlangen ebenfalls eine extrem hohe Genauigkeit der Werkzeuge, Korrekturschleifen sind möglichst zu vermeiden.
Demgegenüber steht die Vorstellung einer vollautomatischen Produktionsstraße, die 24 Stunden am Tag läuft. Wo liegt hier ein sinnvoller Ansatz für die speziellen Anforderungen des Werkzeug-, Modell- und Formenbaus? Einen Mehrwert bringen Automatisierung und Standardisierung tatsächlich (nur) dann, wenn der Qualitätsgedanke bereits von Anfang an in die Produktionskette integriert ist. So sollte das Fertigungswissen des Werkzeugmachers und Modellbauers bereits in der Konstruktion eingebunden werden. Auf dieser Grundlage bauen die automatisierten Abläufe auf. Das Bauteil mit dem Fertigungswissen des Werkzeugmachers und Modellbauer durchläuft in einer durchgängigen Software die gesamte Produktionskette. Neben dieser Standardisierung rund um die Herstellung der Produkte ist also auch die Anbindung an die Vorgänger- sowie die Nachfolgeschritte wesentlich. Manuelle Nacharbeiten und Korrekturschleifen werden damit auf ein Minimum reduziert und höchste Qualität bleibt gewährleistet.
Über den Autor:
Der Diplom Ingenieur (Maschinenbau) Jens Lüdtke ist bei der Tebis AG für die praxisnahe Beratung von Tebis Consulting verantwortlich. Jens Lüdtke verbindet das theoretische Know-how aus seiner Ausbildung im strategischen Management mit dem fachlichen Wissen als gelernter Industriemechaniker und Entwicklungsingenieur im Bereich Spritzguss. Neben seiner Tätigkeiten bei Tebis engagiert sich der Autor als Gründer und Mit-Initiator des Marktspiegels Werkzeugbau, hält Lehraufträge an Hochschulen zum Themenspektrum Industrielle Einzelteilfertigung und Industrie 4.0 und leitet den Arbeitskreis Werkzeugbau 4.0 beim Branchenverband VDWF.
Das Gold der Daten
Derartige maßgeschneiderte automatisierte Fertigungsprozesse umfassen alle relevanten Teilprozesse wie Konstruktionsdaten, Schnittstellen, CAD/CAM, Fertigung, Montage, und Tryout…. Allerdings erfordert eine funktionierende Einzelteilefertigung heute weit mehr als die rein mechanische Bearbeitung von Werkzeugen und Modellen. Im Zuge einer zunehmenden Digitalisierung werden immer mehr Daten von Maschinen und intelligenten Bauteilen vernetzt. Mit einem Manufacturing Execution System (MES), deutsch: Fertigungsmanagementsystem) können die komplexen Fertigungsprozesse in der Einzelteilfertigung geplant und gesteuert werden, alle Daten werden in Echtzeit erfasst und unternehmensweit zur Verfügung gestellt. Dadurch wird eine fortlaufende Optimierung über die gesamte Wertschöpfungs- und Prozesskette möglich.
Industrie 4.0 bietet auch dem sehr spezialisierten Marktsegment der Einzelteilefertigung mithin konkrete Potenziale an, wirtschaftlicher zu arbeiten. Umsetzbar sind diese durch eine maßgeschneiderte Handgriffe und Software-Seitige Erneuerungen, die – idealerweise auf Basis einer individuellen Beratung – passgenau an den Branchen-relevanten Stellschrauben ansetzen.
Über Tebis
Die Consulting-Unit von Tebis ist darauf spezialisiert, mittelständischen Werkzeug -, Modell-und Formenbau-Unternehmen gezielte Unterstützung zu bieten. Dieser fertigungsnahen Beratungsansatz konnte vor kurzem auch die Juroren der Handelsblatt Media Group überzeugen: Das Consulting-Team nahm im November 2018 den „Best of Consulting Mittelstand“ Award der Publikation Wirtschaftswoche in Empfang. Gekürt wurde das Team für die Erarbeitung einer Wettbewerbsstrategie, die es bei einem Einzelteilefertiger, der Schweizer Formbar AG, umgesetzt hat. Die wichtigsten Ergebnisse dieser Wettbewerbsstrategie: Ein deutliches Plus an Effizienz und Prozesssicherheit. Die Maschinenlaufzeit verdoppelte sich bei gleichbleibender Mannschaft. Die gewonnene Flexibilität brachte Neukunden, der Umsatz stieg um 70 Prozent, die Rendite um 40 Prozent.
Tebis versteht sich als ganzheitlicher Prozessanbieter und deckt die komplette Bandbreite dessen ab, was Werkzeug-, Modell- und Formenbau-Anbieter benötigen.
CC BY-SA 4.0 DE
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