Wie Low-Code die Produktivität steigert, verrät Martin Otten, Director Sales DACH und Continental Europe bei OutSystems, der TRENDREPORT-Redaktion.

Herr Otten, bahnt sich mit der Low-Code-Technologie eine neue Ära der Software-Entwicklung an?

Es gibt definitiv kein Zurück mehr. Der Low-Code-Markt ist derzeit eines der am schnellsten wachsenden IT-Segmente, das, wie verschiedene IT-Analysten prognostizieren, in den kommenden Jahren auf einen Umsatz von mehr als 25 Milliarden US-Dollar weltweit wachsen wird. OutSystems hat seine Mitarbeiterzahl im Vergleich zum Vorjahr mehr als verdoppelt, um der wachsenden Nachfrage des Marktes nach Low-Code-Plattformen gerecht zu werden. Viele Unternehmen kämpfen mit ihren digitalen Initiativen und Fortschritten, die sie auf Grundlage der traditionellen Bereitstellung von Anwendungen und Apps erzielt haben. Gründe dafür liegen in fehlenden Ressourcen, insbesondere hochqualifizierte Entwickler, um die wachsende Nachfrage bedienen zu können. Herkömmliche Bereitstellungsformen mit großen Systemintegratoren und hochkomplexen, arbeitsintensiven Technologien sind nicht mehr gefragt, da sie keine Möglichkeit zur Beschleunigung bieten.

Wir sehen, dass viele Unternehmen eine große IT-Infrastruktur mit sehr alten Anwendungen haben, die schwer anzupassen und unbedingt zu modernisieren sind. Wir sehen auch, dass die Nachfrage nach Innovation und neuen Geschäftsanwendungen, die Anwender für alle Kanäle und für die Integration mit Daten aus verschiedenen Quellen wie Internet-of-Things, Künstliche Intelligenz sowie internen und externen Diensten nutzen, steigt. Darüber hinaus ist natürlich die Tatsache zu beachten, dass es nicht genügend qualifizierte und erfahrene Entwickler gibt, um diese Anforderungen zu erfüllen. Somit sind die Unternehmen gezwungen, nach Alternativen zu suchen, um diese Herausforderungen zu meistern. Low-Code hilft Unternehmen bei beidem.

Können wir davon ausgehen, dass in naher Zukunft die Software-Entwicklung zu 100 Prozent automatisiert realisiert und generiert werden kann?

An die 100 Prozent glauben wir nicht, aber es wird definitiv einen großen Wandel in vielen Unternehmen geben, die sich dafür entscheiden, Low-Code-Plattformen in ihre IT-Landschaft zu integrieren. Genauso, wie viele Unternehmen damit begonnen haben, ein Rational Database Management System (RDBMS), ein Content Management System (CMS) oder einen Enterprise Service Bus (ESB) einzuführen. Wir haben sowohl Kunden, die ihr gesamtes Business auf unserer Plattform betreiben, als auch jene, die größere Legacy-Portfolios auf der OutSystems-Plattform neu aufbauen – bis hin zu großen digitalen Core-Systemen. Entwickler, die OutSystems nutzen, sind drei- bis viermal produktiver als mit herkömmlichen Technologien. Dank Low-Code können sie Apps deutlich schneller ausliefern. Und das betrifft nicht nur die erste Veröffentlichung, sondern vor allem auch, wenn Änderungen an den erstellten Anwendungen durchzuführen sind. Wir können dies gegenüber Unternehmen beweisen, die Low-Code neu für sich entdecken. Sie können kaum glauben, dass es solche erheblichen Produktivitätssteigerungen gibt. Wir sehen also, dass viele Unternehmen Low-Code schnell akzeptieren, wenn man die manuelle Entwicklung fortsetzt. Künstliche Intelligenz und Machine Learning werden dazu beitragen, die Bekanntheit von Low-Code und auch das Business, in dem wir tätig sind, zu beschleunigen. Es wird also keine hundertprozentige Automatisierung geben, aber wir werden dem zukünftig sehr nahe kommen.

Welche Rolle spielt die KI dabei?

OutSystems hat zu Beginn des Jahres das Projekt Turing angekündigt, benannt nach Alan Turing, dem Erfinder der theoretischen Computer Science und der künstlichen Intelligenz. In ähnlicher Weise, wie wir die Softwareentwicklung durch Automatisierung voranbringen, können wir auch die Leistungsfähigkeit von KI und ML dort einbringen. Wir haben 20 Prozent unseres gesamten Forschungs- und Entwicklungs-Budgets eingesetzt, um ein neues KI-Exzellenzzentrum in Lissabon, Portugal zu eröffnen. Dabei arbeiten wir mit Branchenexperten, Technologieführern und Universitäten zusammen, um die Innovation gemeinsam voranzutreiben. Wir stellen uns vor, dass KI-Assistenten zukünftig dabei helfen, die Softwarebereitstellung über den gesamten Lebenszyklus hinweg zu unterstützen: von der Modellierung neuer Anwendungen mit der richtigen Architektur und optimaler Benutzererfahrung bis hin zur Analyse des Geschäftswerts und der Auswirkungen auf das Unternehmen.

Agile Projekt-Teams sind en vogue. Inwieweit können Low-Code-Development-Plattformen bei der Entwicklung von Unternehmensprozessen im Front- und Backoffice helfen? Welches Knowhow ist hierfür notwendig?

Eine Low-Code-Plattform kann hier auf verschiedene Weisen unterstützen:

Business & IT-Kollaboration: Zum ersten Mal sind Unternehmen in den gesamten Entwicklungszyklus involviert, da die Programmerung mithilfe visueller Modelle erfolgt, die auch ein Techniklaie verstehen kann. Dies verpflichtet ein Unternehmen allerdings dazu, Zeit dafür aufzuwenden, da es sich bei der Entwicklung nicht nur um reine IT-Projekte handelt.
Innovation: Eine Low-Code-Plattform eignet sich sehr gut für schnelles Prototyping und die Erstellung von Minimum Viable Products (MVP). Entwickelt ein Unternehmen beispielsweise ein neues Versicherungsprodukt, das von der Idee bis zur App in die Produktion geht, wird die Zeit bis zur Markteinführung deutlich reduziert, und es fallen weniger Kosten an, da Unternehmen mit OutSystems innerhalb von Wochen eine funktionierende App erstellen können. Bislang mussten sie das zumeist mit Mock-ups erledigen.

Unsere Kunden nutzen OutSystems für drei Anwendungsfälle: Digital Operations, also alles rund um die Automatisierung interner Prozesse (Backoffice), Digital Experience, also alles rund um externe Facing-Anwendungen (Front Office) sowie Digital Core. Dabei handelt es sich um ein wachsendes Segment, in dem Unternehmen die IT-Core-Systeme zur Unterstützung von Kernprozessen auf OutSystems aufbauen.

Ein Entwickler kann durch ein OutSystems-Training (ein dreißigstündiger Online-Kurs) binnen kürzester Zeit produktiv sein und seine ersten Apps innerhalb von wenigen Wochen erstellen. Die Lernkurve ist sehr schnell. Darüber hinaus können auch andere Personen Apps entwickeln, beispielsweise ein Prozess- oder Business-Analyst, der grundlegende IT-Kenntnisse hat – anstelle von Perse-Developern.

Wie viel IT-Know-how ist nötig, um mit Ihrer Low-Code-Entwicklungsplattform durchzustarten?

Bei unseren Kunden gibt es zwei Profile von Entwicklern, die mit der OutSystems-Plattform arbeiten. Entweder MS.Net- oder JAVA-Entwickler, die geschult sind. Diese Entwickler sind sehr schnell produktiv. Sie können binnen kurzer Zeit erste Prototypen erstellen und an einem Pilot-Publikum testen, um sie anschließend schnell auf den Markt zu bringen. Für die IT-Abteilung stellen wir eine IT-Produktivitätsplattform zur Verfügung, die ermöglicht, das Geschäft schneller und besser zu bedienen. Das Business wird sich jedoch kontinuierlich entwickeln und ändern, da ein Unternehmen mit OutSystems jetzt sogenannte Low-Code Digital Factories gründen kann, um ein echtes digitales Unternehmen zu werden. Dadurch sind Teams auf eine andere Weise organisiert, da die Plattform als „Enabler“ ermöglicht, wichtige Geschäftsanwendungen schneller bereitzustellen und in Richtung kontinuierlicher Integration und Bereitstellung mit täglichen Releases neuer Funktionen für die Benutzer zu wachsen. Dank unserer Low-Code Visual-Entwicklungsfähigkeit und Unterstützung können wir dies über den gesamten Lebenszyklus hinweg realisieren.

Wie schnell kann ich heute über Low-Code-Plattformen arbeiten?

Relativ schnell. Nach einem Training, das durchschnittlich eine Woche dauert, kann ein Entwickler bereits mit der OutSystems-Plattform produktiv sein und bei der Bereitstellung der ersten Anwendungen helfen. Dabei handelt es sich in der Regel um MVPs oder Proof of Concepts. Wir sehen immer mehr Unternehmen, die eine eigene Einschätzung für unsere Low-Code-Plattform online vornehmen. Unser vollständiges Online-Schulungsprogramm unterstützt diesen Prozess. Wir organisieren auch sogenannte Jumpstarts, das bedeutet: Einen Tag voller praktischer Übungen, durch die die Entwickler am Ende des Tages ein Web- und Mobile-App-Beispiel mitnehmen und ihren Kollegen vorführen können.

Wie schnell kann ich heute durch Low-Code-Plattformen bestehende Software- und IT-Prozesse transformieren?

Sehr schnell im Vergleich zu dem, was viele Unternehmen gewohnt sind. Wenn wir zum ersten Mal mit neuen Kunden sprechen, können sie nicht glauben, dass Unternehmen mit unserer Plattform Apps in Wochen statt in Monaten – oder Monaten gegenüber Jahren – bereitstellen können. Einige unserer größeren Kunden konnten Digital Core Systeme binnen zwölf bis 18 Monaten realisieren, wobei die ursprüngliche Lieferung der kundenspezifischen Codierung für einen Zeitraum von drei bis vier Jahren mit einem viel kleineren Team geplant war. Low-Code hilft also dabei, die Lieferzeit zu verkürzen und ermöglicht große Gesamtkosteneinsparungen, insbesondere für größere IT-Portfolios. Im Digital Core-Bereich sehen wir, dass Unternehmen mit Low-Code jetzt sehr alte Legacy-Anwendungen ersetzen, die derzeit auf Mainframes oder IBM AS400 laufen.

In der Versicherungs- und Finanzbranche sind noch viele Legacy-Systeme am Start: Wie schnell kann heute der Übergang von etablierten und historisch gewachsenen Anwendungen zu Anwendungen für moderne und mobile Endgeräte erfolgen?

Es gibt keine technische Einschränkung, um ein Core-System in Banken oder Versicherungen zu ersetzen oder neu aufzubauen. Tatsächlich haben einige OutSystems-Kunden wie BPI, eine große Bank in Portugal, oder Skildon in den Niederlanden, genau das getan. Es wird nur eine Frage der Zeit sein, bis beispielsweise die Commerzbank in Deutschland diese Reise ebenfalls antritt, da alle anderen Wege, schneller und flexibler zu werden, bereits erprobt sind und nicht funktioniert haben.

Welche Möglichkeiten gibt es heute, altgewachsene Unternehmenssoftanwendung zu transformieren?

Die Möglichkeiten für etablierte Unternehmen sind die gleichen wie für jüngere, wenn sie eine Low-Code-Plattform einführen. Technologie ist jedoch nicht der einzige Erfolgsfaktor. Ältere Unternehmen können massiv von Low-Code-Plattformen profitieren, aber bei der Einführung von Low-Code müssen sie auch bestehende Prozesse, die Architektur, die Governance, die Teamzusammensetzung und sogar die Einkaufsprozesse überprüfen.

Das Unternehmen und die Mitarbeiter als lebender Software Entwicklungsorganismus?

Früher wurde Software für eine lange Lebensdauer entwickelt. In der sich immer schneller verändernden Welt um uns herum, muss die Software einfach, flexibel und schnell zu ändern sein. Bei Low-Code geht es darum, echte Business-Outcomes und Ergebnisse schnell zu liefern. Diejenigen, die Apps bereitstellen, können sich auf die Entwicklung konzentrieren und müssen sich nicht mehr um die zugrunde liegende Technologie kümmern. Das übernimmt die Plattform.

Inwieweit können Software-Entwicklungskosten durch den Einsatz Ihrer Low-Code Entwicklungsplattform gesenkt werden?

Es ist ein Irrtum zu glauben, dass die Low-Code-Plattform nur die Kosten für die Softwareentwicklung reduziert. Die Vorteile, die Unternehmen mit Low-Code im Vergleich zu traditionellen Entwicklungsformen haben, sind:

Eine schnellere Auslieferung und Wertschöpfung
Reduzierte Kosten über den gesamten Lebenszyklus der Anwendungsbereitstellung hinweg (Idee, Entwicklung, Test, Bereitstellung, Verwaltung, Änderungen). Low-Code hilft, die Komplexität und die Schritte im gesamten Entwicklungsprozess zu reduzieren. Insbesondere bei größeren und komplexen Systemen und/oder IT-Portfolios sind die Vorteile größer. Das hat unmittelbar mit der Architektur unserer Plattform zu tun.
Wir stellen eine echte Nutzung über die verschiedenen Ebenen der 4-Layer Canvas und Enterprise-Skalierbarkeit und -Sicherheit sicher.

Wie steht es um die Sicherheit?

Sicherheit ist ein sehr weites Themengebiet. Es kann von der Login-Sicherheit reichen, bei der wir normalerweise mit Sicherheitsanbietern wie MS Active Directory oder SAML-basierter Integration arbeiten. Denkbar ist auch eine SMS- oder tokenbasierte Sicherheit – bis hin zur OutSystems-Plattform- und Cloud-Sicherheit sowie -steuerung von Prozessen. Bei OutSystems Sentry handelt es sich um unser Premium-Cloud-Angebot, das alle Funktionen und Vorteile der OutSystems Cloud-Plattform bietet, aber über zusätzliche Sicherheit sowie über Funktionalitäten für Risikomanagement und -überwachung verfügt. So können Unternehmen mit hohen Compliance-Standards die Anforderungen von SOC2 Typ II, ISO 27001 und ISO 22301 erfüllen.

Wie können Mitarbeiter aus den Fachbereichen in die Unternehmens-App-Entwicklung integriert werden?

Da Low-Code eine visuelle Modellierungsumgebung für Anwendungen bietet, können Benutzer zum ersten Mal am Entwicklungsprozess teilnehmen und verstehen, was passiert. Sie können darüber hinaus tatsächlich interagieren und bessere Anwendungen schneller erstellen.

Wie kann heute das Know-how aus der Fachabteilung sinnvoll in die Software-Entwicklung einbezogen werden?

Domänenspezifisches Wissen oder Fachwissen in Kombination mit einem Low-Code-Entwickler hilft Unternehmen dabei, ihre digitale Transformation schneller zu realisieren, um ein echtes Digitalunternehmen zu werden.

Vielen Dank für das Gespräch!

Unser Interviewpartner:

Martin Otten ist Sales Director Continental Europe bei OutSystems in Utrecht, Niederlande. Er ist dort für die Regionen Mitteleuropa (inklusive DACH) sowie Südeuropa zuständig. Otten, der auf über 23 Jahre Know-how zu Themen wie Software-Entwicklung, DevOps und Low-Code-Plattformen zurückgreifen kann, hat bereits zahlreiche Unternehmen aus den USA und UK dabei unterstützt, ihr Business, ihre Kunden und ihren Markt im EU-Raum wachsen zu lassen.

Weiterführende Informationen über das Unternehmen:

www.outsystems.com