KI mit Byte und Siegel?
Prof. Dr. Volker Gruhn kommentiert die aktuelle Berichterstattung zum „KI-Observatorium“. Dabei könnte dies tatsächlich eine Chance darstellen – auch wenn es zunächst nach Lähmung und Prüfsiegel klingt, wie er ausführt:
Jetzt macht Deutschland in Künstliche Intelligenz (KI): mit Formularen, Verordnungen und Prüfplaketten. Diesen Eindruck erwecken einige Überschriften der letzten Tage. Die Pläne des sogenannten KI-TÜVs der Bundesregierung machten die Runde.
Im Bundesministerium für Arbeit und Soziales angesiedelt, soll das KI-Observatorium – so die offizielle, etwas altbackene Bezeichnung – das Thema KI voranbringen. Der Zwischenbericht zur KI-Strategie der Bundesregierung vom 15. November 2019 beschreibt nüchtern: „Kernaufgaben […] sind die Beobachtung von Technologieentwicklung, -verbreitung und Technologiefolgenabschätzung für KI in Arbeit und Gesellschaft.“ Das klingt nicht so, als ob im nächsten Jahr der einzelne Smart Speaker oder eine KI-Anwendung in einem Unternehmen einen Prüfstempel bekommt. Die Verantwortlichen aus der Politik stellten klar, dass es dem KI-Observatorium zunächst darum geht, den Einsatz von KI-Systemen in Deutschland zu erfassen und zu verstehen. Daraus leiten die Fachleute einen Ordnungsrahmen ab, der die Grundlage für das Prüfen und Bewerten bildet.
Spöttische Stimmen würden sagen, dass im KI-Observatorium zwei Welten aufeinanderprallen werden: der deutsche Hang zur Gründlichkeit und das atemberaubende Tempo technologischer Entwicklung. Aber die Idee hinter der Institution ist interessant – und das gleich auf zwei Ebenen: Das einzelne Unternehmen und einzelne KI-Projekte profitieren von eindeutigen Rahmenbedingungen. Algorithmen unterstützen Banken bei der Kreditvergabe, autonome Fahrzeuge beim Lenken oder Musikliebhaber bei der Auswahl des nächsten Songs. Dahinter stecken völlig unterschiedliche Anwendungen mit mehr oder weniger weitreichenden Konsequenzen für den Einzelnen. Wer weiß, welche Anforderungen ein KI-System erfüllen muss, um für einen bestimmten Einsatz zugelassen zu werden, tut sich leichter mit dem Entwickeln vernünftiger Software.
Aber auch deutschen und europäischen KI-Aktivitäten insgesamt hilft ein funktionierendes KI-Observatorium. Es sorgt mit dafür, neben dem US-amerikanischen und chinesischen KI-Verständnis einen dritten Weg zu etablieren. Einen, dem eine Auffassung von Wirtschaften, Datenschutz und Persönlichkeitsrechten zugrunde liegt, mit dem sich die meisten Bürgerinnen und Bürger der EU identifizieren.
Noch ist offen, wie mögliche Prüfungen und Bewertungen aussehen. Stellen Entwicklerinnen und Entwickler alle zwei Jahre ihre Algorithmen vor? Testen die Sachverständigen dann, ob die genutzten Machine-Learning-Verfahren in der Zwischenzeit Vorurteile entwickelten? Messen Prüfer den Grad der Nachvollziehbarkeit einer Entscheidung, die eine KI-Anwendung fällt, wie heute das Reifenprofil eines Autos? Es fällt schwer, sich die operative Umsetzung auszumalen.
Schwer bedeutet nicht, dass es unmöglich ist. Es braucht IT-Kompetenz ebenso wie Verständnis für Jura, Philosophie, Wirtschaft, Politik oder Arbeitsschutz. Gefragt sind Fachleute unterschiedlicher Disziplinen, die unter dem Dach des KI-Observatoriums zusammenarbeiten. Gemeinsam stellen sie Regeln auf. Regeln, die sich zum Qualitätsmaßstab für gute KI entwickeln können.
Schwer bedeutet, dass wir eine Menge menschlicher Intelligenz investieren müssen, bis die künstliche so funktioniert, wie wir das wollen. Diesem Willen zum Wollen kann das KI-Observatorium Gestalt geben. Nicht als Verhinderer, nicht als institutionalisierter Bedenkenträger. Sondern als Institution, die Regeln aufstellt und durchsetzt, die auf Qualität achtet. Die selbstbewusst ein europäisches KI-Verständnis vertritt. Wenn das so kommt, freue ich mich geradezu auf die nächste TÜV-Prüfung.
Weitere Informationen unter:
www.adesso.de