„Organisation & People “
Wir haben mit Thomas Heinevetter von kobaltblau Management Consultants über die Rolle der Mitarbeitenden in der digitalen Transformation gesprochen, welche Skills und Kompetenzen sie benötigen und wie sich die Rollen von IT und Business in Zukunft gestalten.
Herr Heinevetter, welchen Stellenwert wird in Zukunft die Symbiose von Business & IT in Unternehmen einnehmen?
In einer fortschreitenden Digitalisierung, in der Kundennähe, Geschwindigkeit und Produktorientierung maßgeblich den Takt vorgeben, wird das optimale Zusammenspiel zwischen Business und IT ausschlaggebend für den Erfolg sein. Schnittstellen müssen zusammengeführt und Barrieren abgebaut werden. Dazu braucht es auch ein Umdenken der klassischen Rollen von Auftraggebenden und Auftragnehmenden. Je ausgeprägter diese Symbiose ausfällt, desto stärker wird sie zum Geschäftserfolg beitragen.
Was bedeutet für Sie integrierte IT und vollständige Verschmelzung?
Grundsätzlich sind vier verschiedene Szenarien möglich, abhängig vom Grad der Verschmelzung. Szenario 1 ist die vollständige Verschmelzung. Das bedeutet, dass die IT-Organisation, so wie wir sie heute kennen, aufgelöst ist. Sie verschmilzt vollständig mit dem Business zu vollintegrierten E2E-Produktteams (BizDevOps – Business, Development, Operations). Die Produktteams arbeiten in hoher Eigenverantwortung und sind crossfunktional aufgestellt: Einbezogen sind der Fachbereich (Produktspezialist, Produktowner), die IT-Entwicklung (Developer, UI/UX Designer, Lösungsarchitekt) und IT-Operations. Plattformen werden durch externe Dienstleister bereitgestellt. Übergreifende Methoden und Prinzipien für die Produktteams werden durch eine koordinierende Governance-Funktion vorgegeben. In den weiteren Szenarien nimmt der Verschmelzungsgrad jeweils ab: Szenario 2 bedeutet eine starke Verschmelzung. Hier ist die Aufteilung der IT in zwei Teile mit E2E-Produkteams und IT als Plattformprovider maßgeblich kennzeichnend. Szenario 3 ist die Teilverschmelzung. Die IT bleibt als Organisation bestehen, mit virtuellen E2E-Produktteams. Szenario 4 nennen wir „hybride IT“. Hier handelt es sich um die Kombination aus virtuellen E2E-Produktteams und „klassischen“ Plan-Build-Run-Teams.
Die IT wird sich in jedem Fall evolutionär weiterentwickeln. Realistische Szenarien für die nächsten Jahre werden die Szenarien 2 und 3 sein.
Inwiefern verändern die neuen Zusammenarbeitsmodelle zwischen Business, IT und produktorientierten Teams das Konzept von Führung?
Ein fachlicher Lead verantwortet die fachliche (Weiter)entwicklung von Produkten und Services. In der Regel werden die Mitarbeitenden virtuell geführt.
Ein People Lead betreut neben Urlaub, Gehalt und Beförderung insbesondere die (Weiter)entwicklung der Kompetenzen der Mitarbeitenden. People Leads sind somit häufig nach fachlichen Kompetenzen organisiert.
Aber: Der Bereich „Führung“ bewegt sich insgesamt immer weiter weg von hierarchischen Strukturen. Die Führungskraft von morgen definiert sich nicht mehr über die Anzahl der Mitarbeitenden, die sie führt. Statt Steuerung und Kontrolle führt der Weg hin zu Coaching und Entwicklung, auch Servant Leadership genannt. Dazu ist viel Empathie erforderlich. Führungspersonen müssen sich in ihre Kolleg:innen hineinversetzen können und verstehen, was diese benötigen und brauchen. Führungskräfte müssen nicht die besseren Fachleute sein, aber sie müssen den Rahmen vorgeben können, in denen sich die Mitarbeitenden weiterentwickeln können. Mit der Umsetzung tun sich die Unternehmen aktuell schwer, da diese Arbeitsweise eine deutliche Veränderung gegenüber gängigen Führungsmodellen darstellt und eine Neuausrichtung des Mindsets und der Kultur erfordert.
Herr Heinevetter, wie lassen sich die Kultur und das Mindset der Mitarbeitenden verändern und wie können Unternehmen Agilität erfolgreich einführen?
Kultur und Mindset der Mitarbeitenden verändern sich schon seit einiger Zeit. Die Teammitglieder werden zunehmend zu Gestaltern, Unternehmern und Innovatoren. Eigenverantwortung ist dabei eine wichtige, wenn nicht gar die Schlüsselkompetenz. Allerdings sollte die Einstellung der Kolleg:innen aus innerer Überzeugung kommen und nicht von außen übergestülpt werden. Um Kultur und Mindset zu verändern, ist agiles Arbeiten in crossfunktionalen, eigenverantwortlichen (Produkt-)Teams ideal. So lernen die Mitarbeitenden, die digitale Transformation des Unternehmens zu unterstützen. Die Einführung von Agilität empfiehlt sich in Wellen – beginnend mit ersten Pilotteams, die Erfahrungen sammeln. Das agile Arbeiten und die dabei eingesetzten Methoden werden so kontinuierlich erprobt, weiterentwickelt und auf das Unternehmen adaptiert, in dem die Pilotteams dann ihre Erfahrungen weitergeben. Idealerweise wird mit einem Design-Team zusammengearbeitet, das den agilen Handwerkskoffer konzipiert und den agilen Teams so den Orientierungsrahmen vorgibt. Agile Coaches können die passenden Methoden und Arbeitsweisen in den Pilotteams vermitteln und die gesammelten Erfahrungen an das Design-Team zurückspielen, damit die agilen Ansätze optimal weiterentwickelt werden. Die Anzahl der Pilotteams wird dann in den nächsten Stufen kontinuierlich gesteigert und erreicht so eine kritische Masse, bei der immer mehr Mitarbeitende bzw. Teams „mitmachen“ wollen. Die Einführung von Agilität kann zusätzlich durch ein Transformationsprogramm gesteuert werden.
Welche neuen Rollen und Skills werden Mitarbeitende künftig benötigen? Und wie können sie sich auf diese einstellen?
Hier ist einiges zu unterscheiden. Es gibt Rollen, die bestimmte Fähigkeiten verlangen und nicht nur persönliche, sondern auch methodische Skills. Diese sind voranzustellen, da sich die technischen Skills darauf stützen: Mitarbeitende werden wie bereits erwähnt zunehmend zu Gestaltern, Unternehmern und Innovatoren. Das heißt, Eigenverantwortung und Unternehmertum zeichnen sie aus. Das wiederum wird ergänzt aus Innovationsfähigkeit, Kreativität, Kommunikationsfähigkeit, Umgang mit Komplexität, Agilität, Kooperationsfähigkeit sowie Kunden- und Service-Orientierung. Da sprechen wir dann noch nicht von fachlichen Qualifikationen. Sprich: Es geht vermehrt um das „über den Tellerrand schauen können“. Aber mit diesen Skills sind Mitarbeitende für die folgenden Rollen gut gerüstet. Im Transformationsmanagement geht es um die Fähigkeit, große Veränderungen, wie der richtigen Datenstrategie und den richtigen Umgang mit Daten. Die entsprechende Kompetenz heißt Data Management und der kompetente Umgang mit Daten wird zu einer Schlüsselfähigkeit aller Mitarbeitenden im Unternehmen werden (Data Literacy). Die Fähigkeit auf Augenhöhe mit dem Provider zu agieren ist erfolgskritisch. Das heißt, die Teammitglieder müssen im Rahmen des Provider-/Dienstleister-Managements auch die Integration und Koordination von (externen) Services beherrschen. Das ist wichtig aufgrund der steigenden Verlagerung von Services in die Cloud. Eine weitere Schlüsselrolle und wichtige Fähigkeit ist die End2End-Produktentwicklung: durch agile BizDevOps-Teams aus Business und IT. Das wiederum verlangt die Kompetenz, in virtuellen Teams zusammenzuarbeiten. Citizen Development hat sich als Terminologie für die nächste Schlüsselkomponente etabliert: Fachbereichsmitarbeitende werden zu „Light Entwicklern“, etwa durch die Nutzung von No-Code/Low-Code Plattformen. Um der Lücke des IT-Fachkräftemangels entgegenzuwirken, können Citizen Developer eingesetzt werden. Das aber erfordert ein „geregeltes“ Zusammenarbeitsmodell zwischen Business und IT.
Eine weitere Rolle spielt die Cyber Security. Wie sich in der aktuellen Situation zeigt, wird diese immer wichtiger. Den Abschluss bilden die technischen Skills, um die Digitalisierung voranzutreiben. Als Schlüsselfähigkeiten sind hier Automatisierung, Robotics, AI und Machine Learning zu nennen, die es kontinuierlich weiterzuentwickeln gilt.
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Drei Blickwinkel: Die digitale Transformation